Wertekrise: “Menschenrechte ohne Menschen”?

Im Interview mit die „Kleine Zeitung“ sprach der französische Philosoph Rémi Brague am 6. Januar über das kriselnde Europa, das sich von innen her selbst zerstört

Quelle
Abgelehnt werden, gehört zum Christsein – Verfolgung soft in Europa

1.1.2018

Im Interview mit die „Kleine Zeitung“ sprach der französische Philosoph Rémi Brague am 6. Januar über das kriselnde Europa, das sich von innen her selbst zerstört. Er kam darin u.a. auf das christliche Menschenbild, die Antidiskriminierungs-Hysterie, die Menschenrechte und den um sich greifenden Gleichheitswahn zu sprechen. Der Franzose hatte im Oktober zusammen mit anderen nahmhaften Intellektuellen in der „Pariser Erklärung“ zu einer Rückbesinnung auf das „wahre Europa“ und seine christlichen Wurzeln aufgerufen.

Das Pariser Manifest beklagt die Konstruktion eines falschen Christentums der „universellen Menschenrechte“, das dem christlichen Ethos entgegensteht. Auf die Frage, ob die Menschenrechte nicht auch Teil dieses Ethos seien, antwortet Brague: „Ja und nein. Christlich ist das Menschenbild, die Anthropologie, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist.“ Das Dumme am Gerede über die Menschenrechte sei nur, dass man nicht mehr wisse, was ein Mensch sei. „Wir haben Menschenrechte ohne Menschen.“ Als Christ könne man sagen, dies habe damit zu tun, dass es keine Ebenbildlichkeit mit Gott mehr gäbe. Daran schliesst sich laut Brague die zentrale Frage an, ob ein Menschenbild ohne Schöpfungsidee überhaupt haltbar sei. Schon André Malraux habe den Finger auf diesen wunden Punkt gelegt. Im Essay „Die Versuchung des Westens“ von 1926 lasse er einen Chinesen zu einem Europäer sagen: „Ihr habt Gott getötet, nun müsst ihr auch den Menschen töten.“

Gleiche Reche und gleiche Pflichten für alle seien gut, fährt Brague fort. Heute wolle man daraus aber ableiten, dass die Menschen tatsächlich gleich seien. Und das seien sie offensichtlich nicht: „Es gibt den Unterschied im Geschlecht, im Alter, in der Sprache und so weiter. Man versucht, diese Unterschiede auf dem Papier einzuebnen. Das ist viel leichter, als friedlich mit ihnen zu leben.“

Zu der in Österreich per Gerichtsbeschluss – im Namen der Nichtdiskriminierung – geforderten Homo-„Ehe“ sagte Brague: „Mit der Öffnung der gleichgeschlechtlichen Ehe tut man so, als gebe es keinen Unterschied zwischen einer Verbindung, die unfruchtbar sein kann, und einer, die unfruchtbar sein muss.“ Kinder zu zeugen sei keine Pflicht, aber nötig, wenn das menschliche Abenteuer weitergehen solle, so Brague zur wichtigen Aufgabe von Mann und Frau, Väter und Mütter zu sein. Ohne Eltern gäbe es uns nicht.

Angesprochen auf die Tendenz, heute in jeder Unterscheidung eine Diskriminierung zu sehen, sagte Brague: „Vielleicht kommt darin ja eine grundsätzliche Auflehnung gegen die Natur zum Ausdruck, eine Revolte gegen das Gegebene.“ Boshaft könnte man vom Zwang zur Gleichschaltung reden. Im Zeichen des Fortschritts solle die Menschheit zum glücklichen Zustand der Ununterscheidbarkeit geführt werden.

Brague und die zwölf weiteren Unterzeichner der „Pariser Erklärung“ halten die von ihnen kritisierten Entwicklungen aber nicht für „alternativlos“. Die Umkehr Europas liegt in den Händen seiner Bürger: „Heutzutage ist Europa dominiert von einem ziellosen Materialismus, der unfähig scheint, Frauen und Männer zu motivieren, Familien zu gründen und Kinder zu bekommen. (…) Wir dürfen diesem Weg nicht weiter folgen. Wir müssen die Tyrannei des falschen Europas abschütteln. Es gibt eine Alternative.“

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