Sacerdotalis caelibatus: Diener der Diener Gottes, Papst Paul VI.
Rundschreiben Papst Pauls VI. über den priesterlichen Zölibat
An die Bischöfe, die Priester und Gläubigen der gesamten katholischen Welt
Ehrwürdige Brüder und geliebte Söhne!
Gruss und apostolischen Segen!
1. Der priesterliche Zölibat, den die Kirche wie einen strahlenden Edelstein in ihrer Krone hütet, steht auch in unserer Zeit in hohem, ehrenvollem Ansehen, mögen sich auch Mentalität und Lebensbedingungen der Menschen tiefgehend gewandelt haben.
Doch offenbarte sich im Aufbruch gewisser neuer Geistesrichtungen zugleich der Wunsch, richtiger gesagt, der ausdrückliche Wille, die Kirche Christi zu drängen, dass sie diese ihr wesensgemässe Einrichtung überprüfe. Die Beibehaltung des Zölibates, so meinen sie, sei in unserer Zeit und bei der heutigen Lebensauffassung schwierig, ja unmöglich.
2. Diese Lage der Dinge, die das Gewissen mancher Priester und Priesterkandidaten beunruhigt und verwirrt und viele Gläubige bestürzt, drängt Uns, nicht länger mit der Erfüllung des Versprechens zu zögern, das Wir den Konzilsvätern gemacht haben. Wir hatten ihnen ja unser Vorhaben angekündigt, dem priesterlichen Zölibat unter Berücksichtigung unserer Zeit neue Würde und Festigkeit zu verleihen. In der Zwischenzeit haben Wir nicht nur lange und inständig den Beistand des Heiligen Geistes um die notwendige Erleuchtung und Hilfe herabgerufen, sondern auch die Bedeutung und das Gewicht der Vorschläge und dringenden Bitten vor Gott erwogen, die von allen Seiten, vor allem aber von vielen Oberhirten der Kirche Gottes zu Uns gelangt sind.
3. Wir gestehen, dass Uns die bedeutsame Frage des priesterlichen Zölibats in der Kirche lange ihrer Tragweite und Wichtigkeit nach innerlich beschäftigt hat. Sollen auch heute noch—so fragten Wir Uns — die Kandidaten, die nach dem Empfang der höheren Weihen streben, zu jenem strengen und hohen Gelöbnis verpflichtet werden? Ist die Befolgung dieser Verpflichtung heute noch möglich, ist sie angebracht? Sollte die Zeit gekommen sein, in der Kirche die enge Verbindung von Priestertum und Zölibat zu lösen? Warum sollte es nicht jedem freistehen, dieses schwere Gesetz zu beobachten? Würde das nicht für das priesterliche Amt fruchtbar werden und den Nichtkatholiken dadurch der Zugang zu uns erleichtern? Wenn aber das Zölibatsgesetz auch in Zukunft beobachtet werden soll: mit welchen Begründungen können Wir es als heilig und angemessen nachweisen?
Und weiter, wie soll man dieses Gesetz halten, und wie soll es aus einer Bürde zu einer Hilfe für das priesterliche Leben werden?
4. Als Wir dies alles überdachten, drängten sich Uns besonders die verschiedenen Einwände auf, die gegen die Beibehaltung des Zölibats vorgebracht worden sind und werden. Bei einem so ernsten und verwickelten Gegenstand sehen Wir Uns um Unseres Apostolischen Amtes willen geradezu gezwungen, sowohl die Sache selbst als auch die einschlägigen Fragen gewissenhaft zu erwägen und, wie es die Uns auferlegte Pflicht und das Uns anvertraute Amt fordern, sie mit dem Lichte Christi zu beleuchten. Dabei sind Wir bestrebt, nicht nur den Willen dessen treu zu befolgen, der Uns dieses Amt übertragen hat, sondern Uns auch wahrhaft als das zu erweisen, was Wir der Kirche gelten: Diener der Diener Gottes.
Einwände gegen den priesterlichen Zölibat
5. Wir müssen anerkennen, dass die Frage des kirchlichen Zölibats zu keiner früheren Zeit gründlicher und ausführlicher untersucht worden ist als heute: unter dem Gesichtspunkt der Glaubenslehre, der Geschichte, der Soziologie, der Psychologie und Pastoral. Das geschah durchweg in ehrlicher Absicht, wenn auch gelegentlich im Ausdruck verfehlt.
Betrachten wir also wohlwollend die hauptsächlichsten Einwände, die gegen das mit dem Priestertum verbundene Gebot des Zölibats gemacht werden.
Der erste Einwand scheint sich aus der Heiligen Schrift zu ergeben und besagt: Das Neue Testament, das doch zunächst die Lehre Christi und der Apostel enthält, fordere nicht geradezu den Zölibat für die Diener Gottes, sondern empfehle ihn nur als eine frei gegebene Antwort auf eine besondere göttliche Berufung oder ein Charisma Gottes. Zudem habe Christus Jesus die Wahl der Apostel nicht vom Zölibat abhängig gemacht, noch seien von den Aposteln nur Unvermählte zu Vorstehern der ersten christlichen Gemeinden bestellt worden.
6. Die enge Beziehung — so sagen einige —, die in vergangenen Zeiten die Kirchenväter und -schriftsteller zwischen der Berufung zum Priestertum und der gottgeweihten Jungfräulichkeit aufstellten, entspringt teils Vorstellungen, teils geschichtlichen Gegebenheiten, die von denen unserer Zeit sehr verschieden sind. In ihren Werken lesen wir oft, dass die Väter den Priestern mehr dazu raten, die eheliche Enthaltsamkeit zu üben, als am Zölibat festzuhalten. Überdies scheinen die Gründe, die die Kirchenväter für die vollkommene Keuschheit der Diener des Heiligtums anführen, zuweilen von einer zu negativen Beurteilung der menschlichen Situation hinsichtlich der natürlichen Lust inspiriert zu sein, oder man erachtet, in einem zu persönlichen Vorurteil befangen, die Reinheit als erforderlich für die, welche die geweihten Gegenstände berühren dürfen. Zudem meinen manche auch, die von den alten Schriftstellern beigebrachten Argumente passten nicht mehr zu den sozialen Verhältnissen, der Mentalität und den Prinzipien der Menschen, unter denen die Kirche durch ihre Priester in unserer Zeit wirken muss.
7. Andere meinen, hinsichtlich des Zölibats entstehe eine Schwierigkeit insofern, als nach dem geltenden Gesetz das Charisma der göttlichen Berufung zum Priestertum faktisch gleichgesetzt wird mit dem Charisma der vollkommenen Keuschheit, die mit dem Stand der Diener Gottes verbunden ist. Diese fragen deshalb, ob es recht ist, denen den Weg zum Priestertum zu verwehren, die zwar nicht die Neigung zum ehelosen Leben verspüren, wohl aber sich zum priesterlichen Amt hingezogen fühlen.
8. Wieder andere behaupten, dass die Beibehaltung des Zölibats in der Kirche dort grossen Schaden anrichtet, wo der vom Zweiten ökumenischen Vatikanischen Konzil festgestellte und bedauerte Priestermangel beklagenswerte Verhältnisse schafft, weil er den Heilsplänen Gottes entgegen steht, und zuweilen sogar ein Hindernis für die erste Verkündigung Christi Jesu bei manchen Menschen bilden kann. Denn einige meinen, der grosse Priestermangel entstehe aus der Belastung, die die Beobachtung des Zölibats mit sich bringe.
9. Es fehlt auch nicht an solchen, die die Überzeugung hegen, durch Heirat werde den Priestern die Gelegenheit zur Untreue, Verwirrung und beklagenswertem Abfall genommen, Dinge, die der Kirche schmerzliche Wunden zufügen; und die Diener Christi gewännen daraus eher die Fähigkeit, die christlichen Gebote im Bereich der eigenen Familie zu beobachten, was ihr gegenwärtiger Lebensstand ausschliesst.
10. Es wird weiter mit Nachdruck behauptet, der Priester befinde sich physisch und psychisch in einer Lage, die nicht nur der Natur widerspreche, sondern auch das innere Gleichgewicht und die Reifung seiner menschlichen Persönlichkeit beeinträchtige. So könne es geschehen, dass der Priester oft innerlich austrockne und nach und nach die Herzenswärme verliere, die ihn zur Teilnahme an der Lebens und Schicksalsgemeinschaft mit den anderen Menschen fähig macht. Er werde zu einem vereinsamten Leben gezwungen, der Ursache so vieler Verbitterung und Niedergeschlagenheit.
Zeigt das nicht — sagen sie —, dass der unverheiratete Priester sich selbst unberechtigte Gewalt antut und die seelischen Werte missachtet, die Gott der Schöpfer gegeben und Christus der Erlöser übernatürlich erhöht hat?
11. Überblickt man endlich den Weg, der heute den Priesterkandidaten zur Annahme der schweren Last des Zölibats führt, so wenden manche ein, dass er nach einer derartigen Vorbereitung nichts anderes tun kann, als diese Last in Geduld zu tragen. Die überlieferte Ausbildung sei eben nicht zureichend und lasse der rechtmässigen Freiheit des Menschen nicht genügend Raum. Daraus ergebe sich, dass die jungen Männer, die den Zölibat auf sich nehmen, nicht mit echter, freier Entscheidung handeln; denn ihre persönliche Einsicht, ihre Entscheidungskraft und ihre seelische und körperliche Reife seien der Last des Zölibats mit seinen Schwierigkeiten und seiner Dauer nicht hinreichend gewachsen.
12. Es ist Uns keineswegs unbekannt, dass noch andere Einwände gegen den Zölibat angeführt werden könnten; denn es handelt sich um eine höchst vielschichtige Angelegenheit, die zudem an den Nerv der allgemeinen Lebensauffassung rührt, diese aber auch mit dem Licht der göttlichen Offenbarung erhellt und erfüllt. Eine endlose Reihe von Schwierigkeiten kann sich für die ergeben, die “es nicht fassen können ” und “die Gabe Gottes ” nicht kennen oder vergessen und nicht begreifen, welche überragende Erkenntnis, welche wunderbare Wirkkraft und reiche Fruchtbarkeit dieser Lebensauffassung innewohnt.
13. Ferner scheinen die Einwände in ihrer Gesamtheit nicht allein die alten und erhabenen Zeugnisse der kirchlichen Oberhirten sowie der Lehrer des geistlichen Lebens zu übergehen; sie wollen auch die lebendigen uns vor Augen stehenden Beispiele einer unzähligen Schar heiliger und treuer Diener Gottes übersehen, die dartun, dass diesen der gottgeweihte Zölibat Quelle und Zeichen für ihre freudige Ganzhingabe an das Christusmysterium gewesen ist. Diese auserlesenen Beispiele sind in unserer Zeit nicht geringer an Zahl als in der Vergangenheit, und ihre Stimme klingt auch heute noch laut und klar. Da Wir Unsere Aufmerksamkeit stets auf die aktuellen Gegebenheiten richten, können Wir die Augen vor einer überraschenden und wunderbaren Tatsache nicht verschliessen; auch heute noch leben in lauterer und unversehrter Befolgung des freiwillig übernommenen gottgeweihten Zölibats unzählige Diener des Heiligtums — Subdiakone, Diakone, Priester und Bischöfe und das überall in der Welt, wo die Kirche ihre Gotteshäuser errichtet hat. Mit ihnen müssen Wir die fast unendlich grosse Schar der gottgeweihten Männer und Jungfrauen, darunter auch junger Menschen und Laien nennen, die das Versprechen vollkommener Keuschheit treu halten. Und das geschieht nicht etwa aus Geringschätzung der göttlichen Gabe des Lebens, sondern weil sie sich aus übernatürlicher Liebe dem neuen Leben weihen, das aus dem Pascha-Mysterium Christi strömt. Sie leben den Zölibat lauter und unversehrt vor, starkmütig und in sittlicher Strenge, doch in geistlicher Freude, sogar mit einer gewissen Leichtigkeit. Dieses erhabene Schauspiel bezeugt durch sein einzigartiges Dasein, dass das Reich Gottes dem innersten Wesen der menschlichen Gesellschaft gleichsam eingewurzelt ist, der es demütig den wohltätigen Dienst leistet, dass es sich als “Licht der Welt” und “Salz der Erde ” erweist. Wir sind voller Bewunderung für dieses Schauspiel der keuschen Menschen, in dem sicherlich der Geist Christi weht.
14. Wir meinen daher, dass das bestehende Gebot des Zölibats auch jetzt noch mit dem priesterlichen Amt verbunden sein muss; es muss dem Priester eine Stütze sein bei seinem Entschluss, sich ganz, für immer, einzig und allein der Liebe Christi zu weihen und sein ganzes Wirken der Gottesverehrung und dem Wohl der Kirche zu schenken. Die Zölibatsverpflichtung muss kennzeichnendes Merkmal für den Stand und die Stellung des Priesters sein, und zwar sowohl in der Gemeinde der Gläubigen als auch in der weltlichen Gemeinschaft.
15. Sicher ist das Charisma des göttlichen Rufes zum Priestertum mit seiner Ausrichtung auf den Gottesdienst und den seelsorglichen Dienst am christlichen Volk zu unterscheiden von dem Charisma, das zur Ehelosigkeit als einer gottgeweihten Lebensform anregt. Aber mit diesem göttlichen Ruf zum Priestertum ist noch nichts Endgültiges geschehen: der kirchliche Amtsträger, bei dem Verantwortung und Vollmacht für den Dienst am Volke Gottes liegen, muss ihn prüfen und anerkennen. Deshalb fällt es dem Urteil der kirchlichen Autorität zu, je nach den örtlichen zeitlichen Verhältnissen zu bestimmen, wie sich die Männer, denen das Wohl der Seelen und der Kirche anvertraut werden soll, durch Ansehen und Charakter auszeichnen müssen.
16. Vom Geist des Glaubens gedrängt, ergreifen Wir deshalb gern die von der Vorsehung Gottes gebotene Gelegenheit, um nochmals die berechtigten und ernsten Gründe für die Beobachtung des Zölibats in einer Weise zu erläutern, die der Geisteshaltung der Menschen unserer Zeit entspricht; denn können die Einwände gegen den Glauben zu einer gründlicheren und tieferen Erkenntnis desselben anregen, so gilt das ebenso für die kirchlichen Gesetze, die das Leben der Christen regeln.
Dazu bewegt Uns auch die Freude, den Reichtum an Tugend und die Schönheiten der Kirche Christi staunend zu betrachten, die zuweilen den Augen der Menschen nicht unmittelbar sichtbar sind, weil sie der Liebe des göttlichen Stifters der Kirche entstammen und weil sie sich in jener vollkommenen Heiligkeiten offenbaren, die den menschlichen Geist mit Bewunderung erfüllt und deren Wesen zu verstehen menschliche Kräfte nicht ausreichen.
Erster Teil
1. Begründung des Zölibats
17. Tatsächlich ist nach der Lehre des Zweiten Ökumenischen Vatikanischen Konzils die Jungfräulichkeit “nicht vom Wesen des Priestertums gefordert, wie die Praxis der frühesten Kirche und die Tradition der Ostkirchen zeigt”; aber dasselbe Konzil hat keinen Zweifel gehegt, das bestehende alte, heilige und so wertvolle Gebot des priesterlichen Zölibats in feierlicher Form zu bestätigen; gleichzeitig legte es die Gründe dar, die dafür sprechen, wenn man glaubensreifrig und hochherzig die göttlichen Gnadengaben würdigt.
18. Nicht erst heute untersucht man die “vielfältige Angemessenheit! ” des Zölibats für die Priester; wohl waren die angeführten Gründe verschieden gemäss der verschiedenen Geisteshaltung und den verschiedenen Lebensbedingungen; immer aber beruhten sie auf echt christlichen Gedanken, die konsequent durchgedacht, zu noch tieferen Gesichtspunkten führten. Diese können in noch helleres Licht treten durch die Erfahrung, die im Laufe der Zeit aus einer tieferen Erkenntnis der geistigen Dinge erwachsen ist; das geschieht unter der Einwirkung des Heiligen Geistes, den Christus den Seinen verheissen hat zur Erkenntnis des Zukünftigen und zum deutlichen Verstehen des Mysteriums Christi und der Kirche im Volke Gottes.
Christologische Bedeutung des Zölibats
19. Das christliche Priestertum, das etwas Neues ist, kann nur verstanden werden im Lichte der Neuheit Christi, des Ewigen Hohenpriesters, der das Priesteramt eingesetzt hat, damit seine Diener wahrhaft an seinem, dem einzigen Priestertum teilhaben. Der Diener Christi und Verwalter der Mysterien Gottes hat daher in ihm auch das unmittelbare Urbild und höchste Ideal seines Lebens. Denn der Herr Jesus, der eingeborene Sohn Gottes, den der Vater in die Welt gesandt hat, ist Mensch geworden, damit das der Sünde und dem Tode verfallene Menschengeschlecht wiedergeboren werde und durch die neue Geburt in das Himmelreich eingehe. Diese Neuschöpfung vollendete Jesus in der Ganzhingabe an den Willen des Vaters durch das Paschamysterium. So führte er in die Zeit und in die Welt ein neues, erhabenes und göttliches Leben ein, das auch den Zustand der Menschheit übernatürlich gewandelt hat.
20. Auch die Ehe, die nach dem Willen Gottes das Werk der ersten Schöpfung fortsetzt, erhält, eingefügt in den allgemeinen Heilsplan, neue Bedeutung und neuen Wert. Denn Jesus hat ihre ursprüngliche Würde wiederhergestellt, hat sie geehrt und hat sie zu einem Sakrament und zum geheimnisvollen Zeichen der Einheit erhoben, mit der er selbst der Kirche verbunden ist. So schreiten die christlichen Eheleute in gegenseitiger Liebe, in der Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben und dem eifrigen Streben nach der ihnen eigenen Heiligkeit gemeinsam dem himmlischen Vaterland zu. Aber Christus, der Mittler des erhabenen Bundes, hat noch einen neuen Weg aufgetan. Auf diesem Weg macht der Mensch, der rückhaltlos Gott anhängt und nur um Gott und seine Sache besorgt ist, deutlich und umfassend die zutiefst erneuernde Kraft sichtbar, die das wesentliche Kennzeichen des Neuen Testamentes ist.
21. Christus, der eingeborene Sohn des Vaters, ist auf Grund seiner Menschwerdung zum Mittler zwischen Himmel und Erde und zwischen dem Vater und dem Menschengeschlecht bestellt. In vollem Einklang mit diesem Auftrag verharrte Christus sein ganzes Leben hindurch im Stand der Jungfräulichkeit; diese Tatsache kennzeichnet seine Ganzhingabe an den Dienst für Gott und die Menschen. Diese so enge Verbindung von Jungfräulichkeit und Priestertum, die in Christus besteht, geht auch auf die über, denen es gegeben ist, an der Würde und dem Auftrag des Mittlers und ewigen Priesters teilzuhaben. Diese Teilhabe ist um so vollkommener, je freier der Diener des Heiligtums von den Bindungen an Fleisch und Blut ist.
22. Jesus wollte, dass die ersten von ihm erwählten Diener des Heiles nicht nur “die Geheimnisse des Himmelreiches kennen “: sie sollten auch, ausgestattet mit einzigartiger Vollmacht, Gehilfen Gottes sein und an seiner Statt “des Amtes walten “: er nannte sie Freunde und Brüder; für sie hat er sich geheiligt, damit sie in Wahrheit geheiligt seien; er verhiess überreichen Lohn allen, die um des Gottesreiches willen Haus, Familie, Frau und Kinder verlassen würden. Ja er empfahl mit geheimnisvollen und Erwartung wertenden Worten noch eine vollkommenere Lebensweise, wo sich der Mensch auf Grund eines besonderen Charismas dem Himmelreiche weiht durch die Jungfräulichkeit. Das Himmelreich ist der Grund, weshalb jemand dieser Gnadengabe Folge leistet. Ebenso ruft Jesus um des Himmelreiches, des Evangeliums und des Namens Christi willen die Apostel dazu auf, harte Mühen auf sich zu nehmen. Im Ertragen so vieler Widerwärtigkeiten mit ihm vereint, sollten sie inniger an seinem Schicksal teilhaben.
23. Wer so von Jesus berufen ist, den drängt zur Erwählung der Jungfräulichkeit als einer erstrebenswerten Lebensform das Mysterium des neuen Lebens in Christus; es ist das Mysterium, das offenbar macht, was Christus dem Wesen nach ist und welche Würde ihm eignet; es ist die Zusammenfassung aller Ideale des Evangeliums und des Reiches Gottes, ein besonderes Zeichen der Gnade, die aus dem Paschamysterium des göttlichen Erlösers strömt. Die dieser Anregung folgen, tun das nicht allein, um an dem priesterlichen Amt Christi teilzuhaben, sondern auch, um sich zu der gleichen Lebensweise zu verpflichten.
24. Wer dem Ruf Gottes folgt, antwortet in Liebe der Liebe, die uns Christus in unaussprechlicher Weise erwiesen hat. Diese Antwort verbirgt sich geheimnisvoll in der besonderen Liebe Christi zu den Menschen, die er mit erhabenen Worten zu seiner Nachfolge berufen hat. Die Gnade vermehrt mit göttlicher Kraft das Drängen der Liebe, die, wenn sie echt ist, alles mit Liebe umfängt, fest und beständig ist und unwiderstehlich zu heldenmütigem Einsatz entflammt. Deshalb ist der frei erwählte Zölibat immer “als Zeichen und Antrieb für die Liebe ” geachtet worden: Zeichen einer Liebe ohne jeden Vorbehalt, und Antrieb zu einer Liebe, die für alle offensteht. Kann man wohl in einem Leben, das sich aus den angeführten Motiven heraus ganz den anderen hingibt, Zeichen von geistiger Enge und Egoismus erblicken, da es doch ein seltenes und überaus bezeichnendes Beispiel eines Lebens ist und sein muss, dessen Triebkraft und Nahrung die Liebe ist, durch die der Mensch seine erhabene Grösse offenbar macht? Kann man wohl an der moralischen und geistigen Vollendung eines solchen Lebens zweifeln, das in so hohem Grade nicht einem beliebigen, wenn auch noch so hohen Ideal geweiht ist, sondern Christus und seinem Werk, das der Erneuerung des Menschengeschlechtes an allen Orten und zu allen Zeiten gilt?
25. In dieser biblischen und theologischen Sicht verbindet sich unser Priestertum als das seiner Diener mit dem Priestertum Christi; und aus dem Leben dessen, der sich klar und ausschliesslich seinem Heilswerk hingegeben hat, nehmen wir Beispiel und Beweggrund für unsere Angleichung an die Form der Liebe und des Opfers Christi, des Erlösers. Diese Sicht scheint Uns so tief und fruchtbar an theoretischen und praktischen Wahrheiten zu sein, dass Wir nicht nur euch, ehrwürdige Brüder, und alle, die sich dem Studium der christlichen Lehre widmen, sondern auch die Lehrer des geistlichen Lebens und alle Priester, die fähig sind, ihr Amt in übernatürlichem Licht zu sehen, auffordern, weiterhin diese Sicht sorgfältig zu überdenken und ihre verborgenen und fruchtbaren Wirklichkeiten tiefer zu ergründen. In dieser klaren Schau wird sodann das Band zwischen Priestertum und Zölibat mehr und mehr sichtbar werden, das ebenso das Zeichen eines starken Geistes ist, wie es eine Liebe fordert, die einzig und ausschliesslich auf Christus und seine Kirche gerichtet ist.
Ekklesiologische Bedeutung des Zölibats
26. “Ergriffen von Christus und zur Ganzhingabe an ihn geführt, wird der Priester Christus auch durch jene Liebe ähnlicher, mit der der Ewige Priester seinen Leib, die Kirche, geliebt und sich ganz für sie hingegeben hat, um sie sich als herrliche, heilige und makellose Braut zu bereiten. Die gottgeweihte Jungfräulichkeit der Priester macht in der Tat die jungfräuliche Liebe Christi zu seiner Kirche und zugleich die übernatürliche Fruchtbarkeit dieses Ehebundes sichtbar, kraft deren die Kinder Gottes “nicht aus dem Blute und nicht aus dem Wollen des Fleisches ” geboren sind”.
27. Indem sich der Priester in voller, durch die Ganzhingabe leichter erlangter Freiheit dem Dienste Christi und seines Mystischen Leibes weiht, verwirklicht er in vollkommener Weise die innere Einheit und Harmonie seines Priesterlebens. Es wächst in ihm die Fähigkeit zum Hören des Wortes Gottes und zu innigem Gebet. Denn das von der Kirche gehütete Wort Gottes erweckt im Priester, der es täglich betrachtet, durch sein Leben anschaulich macht und den Gläubigen verkündet, einen sehr starken und tiefgehenden Widerhall.
28. Wie Christus erhält auch sein Diener, allein auf die Sache Gottes und der Kirche bedacht und den Hohenpriester nachahmend, der immerdar lebt, um bei Gott Fürsprache für uns einzulegen, aus der aufmerksamen und frommen Verrichtung des göttlichen Offiziums, in dem er seine Stimme der Kirche leiht, die zusammen mit Christus betet, beständige Freude und Anregung; ebenso erkennt er die Notwendigkeit des ununterbrochenen Gebetes, das überhaupt eine dem Priester eigene Aufgabe ist.
29. Daraus empfängt auch das ganze übrige Leben des Priesters einen machtvollen Drang zur Heiligkeit. Deshalb erhält der Priester für die Aufgabe der Selbstheiligung, zu der er sich verpflichten muss, Anregung durch den Dienst an der Gnade und der Eucharistie, die “das gesamte geistliche Gut der Kirche enthält “. Der Priester, der ja in der Person Christi handelt, wird inniger mit der dargebrachten Opfergabe verbunden, indem er sein ganzes Leben, das die Zeichen des Versöhnungsopfers an sich trägt, auf dem Altar darbringt.
30. Was könnten Wir noch anführen über das Wachsen des Priesters an innerem Vermögen im Dienst, in der Liebe und eifervollen Hingabe an das ganze Volk Gottes? Christus hat von sich gesagt:
“Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viele Frucht “; und der Apostel Paulus zauderte nicht, sich täglich dem Tode auszusetzen, um durch die Gläubigen seinen Ruhm zu besitzen in Christus Jesus. So erlangt der Priester, weil er täglich sich selbst stirbt und auf die an sich berechtigte Liebe zu Gattin und Kind um Christi und seines Reiches willen verzichtet, die Herrlichkeit eines in Christus ganz erfüllten und fruchtbaren Lebens, weil er ja wie Christus und in Christus alle Kinder Gottes liebt und sich für sie weiht.
31. Da aber der Priester in der Gemeinde der ihm anvertrauten Gläubigen Christus darstellt, muss er unbedingt in seinem inneren Leben und in seinem priesterlichen Dienst in allem Christi Bild ausprägen und Christi Beispiel nachahmen. Denn der Priester ist seinen Kindern in Christus Zeichen und Unterpfand der erhabenen und neuen Wirklichkeit des Reiches Gottes, deren Verwalter er ist und die er in besonderer Weise besitzt. Zudem nährt der Priester den Glauben und die Hoffnung aller Christen, die als solche verpflichtet sind, das Gebot der Keuschheit je nach ihrem besonderen Stand zu beobachten.
32. Da ausserdem der Priester im Zölibat durch einen neuen und erhabenen Titel Christus geweiht ist, vermag er, wie leicht einzusehen ist, auch im praktischen Leben mit höchster Wirksamkeit und bester Befähigung Denken und Streben der Seele anzuregen. So kann er beständig jene vollkommene Liebe üben, durch die er sich umfassender und eingehender allen zu widmen vermag und durch die er ganz offensichtlich in grösserer Freiheit und Verfügbarkeit sein Amt ausüben und voll Liebe und Eifer in der Welt stehen kann, in die ihn Christus gesandt hat, damit er allen Kindern Gottes seine Schuldigkeit, mit der er ihnen verpflichtet ist, gleichsam auf Heller und Pfennig einlöse.
Eschatologische Bedeutung des Zölibats
33. Das Reich Gottes, das “nicht von dieser Welt ist “, ist hier auf Erden im Mysterium verhüllt gegenwärtig und wird seine Vollendung erst bei der triumphalen Wiederkunft des Herrn Jesus erlangen. Keim und Anfang dieses Reiches aber ist die Kirche, die Schritt für Schritt und unbehindert dem vollendeten Reich zustrebt und mit allen Kräften nach der Vereinigung mit ihrem König in der Herrlichkeit verlangt.
Denn das Volk Gottes wandert als Pilger durch die Geschichte seinem himmlischen Vaterland zu, wo nicht nur die göttliche Kindschaft der Erlösten in vollem Licht sich offenbaren, sondern auch die verklärte Schönheit der Braut des göttlichen Lammes ewig erstrahlen wird.
34. Unser Herr und Meister hat gesagt: “Bei der Auferstehung heiraten sie nicht noch werden sie verheiratet, sie werden vielmehr sein wie die Engel im Himmel.” In der menschlichen Gesellschaft, die zum grossen Teil ganz von irdischen Sorgen beansprucht und allzu oft durch fleischliche Begierden verwirrt wird, ist die kostbare und beinahe göttliche Gabe der vollkommenen Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen wahrhaft “ein besonderes Zeichen der himmlischen Güter “. Sie kündigt ja die Gegenwart der letzten Heilszeit auf Erden mit der Entstehung einer neuen Welt an; sie nimmt gewissermassen die Vollendung des Reiches voraus, dessen Güter, die einst in allen Gotteskindern aufleuchten werden, sie bekräftigt. Diese Gabe ist deshalb ein klares Zeugnis für die unentwegte Anstrengung, mit der das Volk Gottes dem letzten Ziel seiner irdischen Pilgerschaft zustrebt, und allen ein Ansporn, mit Eifer den Blick auf das Himmlische zu richten, “wo Christus zur Rechten Gottes sitzt” und wo auch “unser Leben mit Christus in Gott verborgen ist”, bis es “mit ihm in der Herrlichkeit” offenbar werden wird.
II. Der Zölibat im Leben der Kirche
35. Es wäre zu weitläufig, wenngleich sehr lehrreich, die Schriften zu studieren, die im Laufe der Jahrhunderte über den kirchlichen Zölibat erschienen sind. So genüge folgender kurzer Hinweis. Im christlichen Altertum bezeugen die Väter und Kirchenschriftsteller, dass die Diener des Heiligtums im Morgen- und Abendland allenthalben den Zölibat aus eigenem Antrieb beobachtet haben, und zwar in der Überzeugung, dass er ihrem gefassten Entschluss, sich Christus und der Kirche zu weihen, durchaus entspricht.
36. Diese Lebensform hat die abendländische Kirche seit dem Beginn des 4. Jahrhunderts durch verschiedene Provinzialsynoden und durch die Päpste bekräftigt, erweitert und bestätigt. Vor allem durch das Wirken dieser Hirten und Lehrer der Kirche, der Hüter und Deuter des kostbaren Glaubensschatzes und der christlichen Sittenordnung, wurde die Übung des Zölibats in den folgenden Jahrhunderten gefördert, verteidigt und erneuert, und das auch in solchen Zeiten, wo der Priesterstand selbst und der Verfall der Sitten für Tugend und Heroismus nicht günstig waren. Die Verpflichtung zum Zölibat wurde dann von dem Ökumenischen Konzil von Trient feierlich aufgestellt und schliesslich in das Gesetzbuch des Kanonischen Rechtes aufgenommen.
37. Gerade die letzten Päpste setzten ihren glühenden Eifer und ihre vorzügliche Lehrweisheit ein, um die Priester über den Zölibat zu unterweisen und sie zu seiner Befolgung anzuspornen. Hier möchten Wir einen besonderen Erweis der Pietät Unserem unmittelbaren Vorgänger gegenüber bekunden, der in den Herzen der Menschen noch weiterlebt.
Er hat auf der Römischen Diözesansynode vor den versammelten Vertretern der Stadt Rom und unter deren Beifall erklärt: “Vor allem betrübt es Uns, dass … manche irrtümlich wähnen, die katholische Kirche habe vor oder halte es für angebracht, das Gesetz des kirchlichen Zölibats abzuschaffen, das Jahrhunderte hindurch der herrliche und strahlende Schmuck des Priestertums war und ist. Das Gesetz des Zölibats und die Sorge um seine treue Beobachtung erinnern immer wieder an die denkwürdigen und berühmten Auseinandersetzungen jener Zeit, in denen die Kirche Gottes hart zu kämpfen hatte und einen dreifachen Sieg davontrug: denn es ist das Kennzeichen für den Sieg der Kirche Christi, alle Kräfte aufzubieten, um frei, rein und katholisch zu sein.”
38. Wenn in der Ostkirche andere Gesetze bezüglich der Übung des Zölibats in Kraft sind, die das Trullanum im Jahre 692 bestätigt und neuerdings das Zweite Vatikanische Konzil öffentlich anerkannt hat, so ist das gewiss anderen sachlichen und örtlichen Gegebenheiten zuzuschreiben, die auf diesen erlesenen Teil der katholischen Kirche Einfluss hatten; und Wir sind fest davon überzeugt, dass in dieser geschichtlichen Entwicklung die Vorsehung und übernatürliche Mitwirkung des Heiligen Geistes gewaltet hat.
Gern wollen wir diese Gelegenheit benutzen, dem gesamten Klerus der orientalischen Kirche Unsere Wertschätzung und Hochachtung auszudrücken und in ihm die Beispiele der Treue und des Hirteneifers anzuerkennen, die ihn aufrichtiger Verehrung würdig machen.
39. Gleichwohl ermutigt und drängt Uns der Lobpreis, den die orientalischen Väter der Jungfräulichkeit zollen, auf der Beobachtung des Zölibats zu beharren. In Unserem Herzen klingt — um nur ein Beispiel anzuführen — das Wort des heiligen Gregor von Nyssa wider, das Uns daran erinnert, dass “das jungfräuliche Leben das Bild jener Glückseligkeit ist, die uns in der zukünftigen Welt erwartet “. Und nicht weniger erbaut und stärkt Uns das Loblied, das der heilige Johannes Chrysostomus dem Priestertum widmet und das Wir heute noch in unablässiger Betrachtung überdenken; denn es geht klar daraus hervor, wie sehr zwischen dem privaten Leben des Dieners des Altares und der auszeichnenden Würde, die ihm zur Erfüllung seiner heiligen Aufgaben verliehen ist, vollkommene Übereinstimmung herrschen muss: ” … es ziemt sich, dass derjenige, der zum Priestertum aufsteigt, so rein ist, als lebte er im Himmel.”
40. Ausserdem ist es nicht überflüssig zu beachten, dass auch im Osten nur unverheiratete Priester zu Bischöfen geweiht werden und dass es den Priestern nach ihrer Weihe verwehrt ist, eine Ehe einzugehen. Das macht doch deutlich, dass auch diese verehrungswürdigen Kirchen einen gewissen Raum lassen für den Gedanken einer Verbindung von Priestertum und Zölibat oder doch seine Angemessenheit für das christliche Priestertum, dessen höchste Stufe und Vollendung die Bischöfe besitzen.
41. Wie dem auch sei: Die abendländische Kirche kann nicht wanken in der Treue zu ihrer alten Überlieferung; und es ist undenkbar, dass sie durch so viele Jahrhunderte einem Weg gefolgt wäre, auf dem sie irgendwie die grössere Heiligkeit und Tugend der einzelnen Seelen und des Volkes Gottes eher beeinträchtigt als gefördert hätte, oder dass sie durch übertriebene und allzu strenge Gesetze die freie Entfaltung der verborgenen Güter der Natur und Gnade gehemmt hätte.
42. Kraft der grundlegenden Norm, die Wir oben für die Leitung der katholischen Kirche angegeben haben, müssen hier zwei Dinge festgestellt werden: Einerseits bleibt das Gesetz, das denen, die zu den heiligen Weihen zugelassen werden, auferlegt, den Zölibat aus freier Entscheidung und auf Lebensdauer zu erwählen, in seiner Rechtskraft unverändert; andererseits ist es erlaubt, die besondere Situation der verheirateten Diener des Heiligtums zu beachten, die Kirchen oder christlichen Gemeinschaften angehören, welche noch von der katholischen Einheit getrennt sind, wenn diese nach der vollen Teilhabe an dieser Einheit und nach dem priesterlichen Dienst streben und nun zur Ausübung des Priesteramtes bestellt werden sollen; aber auch das muss in einer Weise geschehen, dass dadurch der festgelegten Einrichtung des Zölibats kein Schaden entsteht.
Dass übrigens die Oberhirten der Kirche durchaus bereit sind, eine solche Vollmacht anzuwenden, davon zeugt die Anordnung des letzten ökumenischen Konzils, dass der Diakonat auch Männern reifen Alters, die in der Ehe leben, übertragen werden kann.
43. Aber das alles bedeutet nicht eine Lockerung dieser Disziplin, die schon so lange besteht, und darf auch nicht als Vorspiel für ihre Abschaffung verstanden werden. Deshalb darf man keiner Meinung folgen, die in den Seelen die Liebeskraft schwächt, aus der dem Zölibat Festigkeit und Freude erwächst, und die sogar die rechte Lehre verdunkelt, die den Zölibat begründet und verherrlicht; vielmehr sollte man solche wissenschaftlichen Untersuchungen fördern, die den erhabenen Begriff und die sittliche Kraft der Jungfräulichkeit und des Zölibats vor jeder Verkennung bewahren.
44. Denn die Jungfräulichkeit muss als eine besondere Gnadengabe anerkannt werden. Aber die gesamte Kirche unserer Zeit, rechtmässig gegenwärtig in allen ihrer heiligen Pflicht bewussten Hirten, hat, bei allem Festhalten an der Gewohnheit der orientalischen Kirchen —wovon Wir schon sprachen —, ihr festes Vertrauen im Heiligen Geist ausgesprochen, “dass der Vater die Berufung zum ehelosen Leben, das ja dem neutestamentlichen Priestertum so angemessen ist, mi Heiligen Geist freigebig verbleiben wird, wenn nur diejenigen, die durch das Sakrament der Weihe am Priestertum Christi teilhaben, zusammen mit der ganzen Kirche demütig und inständig darum bitten “.
45. Im Blick auf das ganze Volk Gottes rufen wir es dazu auf, in Erfüllung seiner Pflicht, möglichst viele Seelen für das Priestertum zu gewinnen, den Vater aller, den göttlichen Bräutigam der Kirche und den Heiligen Geist, die Seele der Kirche, inständig anzuflehen, dass auf die Fürsprache der seligen Jungfrau Maria, der Mutter Christi und Mutter der Kirche, gerade in unserer Zeit diese göttliche Gabe, die der Vater bestimmt keinem Bittenden verweigert, in Fülle ausgegossen werde und dass sich die Seelen durch einen tiefen Glauben und eine hochherzige Liebe dafür bereitmachen. Und so mögen die Priester in unserer heutigen Welt, die der Herrlichkeit Gottes bedarf, durch ihre Lebensweise von Tag zu Tag immer mehr dem Bilde des einzigen Hohenpriesters gleichgestaltet werden und als strahlendes Licht der Ruhm Christi sein; durch sie möge “die Herrlichkeit der Gnade Gottes” auf der ganzen Welt glorreich offenbar werden.
46. Ja, ehrwürdige und geliebte Brüder im Priestertum, die Wir euch alle “innigst in Jesus Christus” lieben, unsere heutige Welt, die zwar infolge des technischen Fortschritts und der Wandlung der Lebensverhältnisse von einer schweren Krise erschüttert wird, aber dennoch mit Recht stolz sein kann auf namhafte Erfolge des menschlichen Fleisses, bedarf unbedingt des Zeugnisses derer, die sich ganz den heiligen und höchsten Idealen hingeben, damit auch unsere Zeit nicht des wunderbaren, ja göttlichen Lichtes für den menschlichen Geist entbehrt, der nach dem Höchsten strebt.
47. Unser Herr Jesus Christus zögerte nicht, die übermenschliche Aufgabe, überall das Evangelium zu verkünden, einigen wenigen Männern anzuvertrauen, von denen niemand angenommen hätte, dass sie ihrer Zahl und Fähigkeit nach der Sache gewachsen gewesen wären. Doch er gebot der so kleinen Herde, sich nicht zu fürchten, da sie mit ihm und durch ihn, das heisst mit seinem immer gegenwärtigen Beistand, den Sieg über die Welt erringen würde. Ausserdem hat uns Jesus darauf hingewiesen, dass das Reich Gottes durch seine innere und verborgene Kraft fähig ist, zu wachsen und zu reifen, ohne dass der Mensch es weiss. Dieses Reiches “Ernte ist zwar gross, der Arbeiter aber sind — jetzt wie am Anfang —wenige”, ja sie sind niemals so zahlreich gewesen, dass ihre Zahl nach menschlichem Urteil ausreichend erschienen wäre. Aber der himmlische König fordert unser Gebet, dass “der Herr der Ernte Arbeiter in seine Ernte sende”. In diesem Anliegen darf man die Überlegungen menschlicher Klugheit nicht über die geheimnisvolle Weisheit Christi stellen, der in seinem Heilswerk immer die Weisheit und Macht des Menschen durch seine Torheit und Schwachheit zunichte gemacht hat.
48. Daher bringen wir, gestützt auf die Kraft des Glaubens, nun die Überzeugung der Kirche zum Ausdruck: Wenn sie mit freudigem Eifer und grösserer Beständigkeit der göttlichen Gnade Folge leistet, wenn sie aufgeschlossener und stärker auf deren geheimnisvolle und unbesiegbare Macht vertraut, wenn sie endlich vor aller Welt und ohne Vorbehalt für das Christusmysterium Zeugnis gibt, hat sie die Sicherheit, dass sie stets ihr erhabenstes Amt, der ganzen Welt das Heil zu bringen, allen menschlichen Berechnungen und falschen Vorstellungen zum Trotz erfüllen wird. Jeder muss wissen, dass er alles in dem vermag, der allein den Seelen die Kraft und seiner Kirche das Wachstum gibt.
49. Aber Wir lassen Uns nicht leicht überzeugen, dass mit der Aufhebung des kirchlichen Zölibats von selbst die Zahl der Priesterberufe sogleich sehr wachsen würde. In unserer Zeit scheint die Erfahrung der Kirchen und anderer religiöser Gemeinschaften, die ihren Amtsträgern die Ehe erlauben, für das Gegenteil zu sprechen. Die Gründe für die Abnahme der Priesterberufe sind vielmehr anderswo zu suchen. Denn sie liegen, um einige Beispiele anzuführen, darin, dass in den einzelnen Menschen und in den Familien der Sinn für das Göttliche und Heilige verloren, fast erloschen ist, sie liegen auch in der Geringschätzung und Missachtung der Kirche, die doch kraft ihres Amtes durch Glaube und Sakramente für das Heil der Menschen Sorge trägt. Darum muß dieses Problem in seiner Wurzel untersucht werden.
III. Der Zölibat und die menschlichen Werte
50. Wie Wir bereits angeführt haben, weiss die Kirche sehr wohl, dass die Wahl der Ehelosigkeit grosse Schwierigkeiten und Probleme mit sich bringt, da sie ja viele Verzichte auferlegt, die den Menschen zutiefst berühren; vor allem der heutige Mensch wird von diesen Schwierigkeiten beunruhigt. Es könnte nämlich scheinen, dass der Zölibat nicht im Einklang stehe mit der grossartigen Anerkennung, die die Kirche während des Zweiten Ökumenischen Vatikanischen Konzils den menschlichen Werten bekundet hat. Aber bei aufmerksamer Betrachtung wird klar, dass die Priester, die um der Liebe Christi willen auf die menschliche Liebe verzichten, die die Eheleute in ihrer Familie geniessen, in Wahrheit viel zur Würde dieser Liebe beitragen. Es ist ja allgemein anerkannt, dass zu allen Zeiten die Menschen Gott solche Opfer dargebracht haben, die des Gebers wie des Empfängers würdig waren.
51. Im übrigen kann und darf die Kirche nicht vergessen, dass der junge Mann bei der Wahl des Zölibats — sofern er sie mit der Klugheit und dem Pflichtgefühl, die ihm als Mensch und als Christ eigen sein müssen, tätigt, von der göttlichen Gnade geleitet wird, die die Natur nicht zerstört und ihr nicht Gewalt antut, sondern sie vielmehr vollendet und ihr übernatürliche Fähigkeiten und Kräfte verleiht. Denn da Gott als Schöpfer und Erlöser um die den Menschen auferlegte Bürde weiss, bietet er ihm die notwendige Hilfe, damit der Mensch verwirklichen kann, was sein Schöpfer und Erlöser von ihm verlangt. Denn, so sagt der heilige Augustinus, der die menschliche Natur aus eigener Erfahrung gründlich und schmerzlich kennengelernt hat: “Gib, was du befiehlst, und befiehl, was du willst.”
52. Es ist für den Priester sehr nützlich, ja notwendig, die tatsächlichen Schwierigkeiten des Zölibats in ehrlichem Urteil zur Kenntnis zu nehmen und sich so der Forderungen, die damit an ihn herantreten, klar bewusst zu werden, damit der Zölibat wirklich eine Kraftquelle und für ihn selbst und die anderen Menschen nützlich sein kann. Andererseits ist die gleiche ehrliche Überlegung notwendig, um diesen Schwierigkeiten nicht mehr Bedeutung und Gewicht beizumessen als den menschlichen und religiösen Verhältnissen, in denen die Priester normalerweise leben, und sie nicht als unlösbar zu betrachten.
53. Nach allem, was die Wissenschaftler heute festgestellt haben, ist es ungerecht, weiterhin zu behaupten, der Zölibat sei gegen die Natur, als stehe er im Gegensatz zu den berechtigten physischen, psychischen und affektiven Bedürfnissen, deren Befriedigung notwendig sei, um den Menschen in jeder Beziehung zur vollen Entfaltung zu bringen. Der nach Gottes Bild und Gleichnis geschaffene Mensch ist nicht nur Fleisch, und der Geschlechtstrieb ist nicht das Vorherrschende in ihm; der Mensch ist auch, ja vor allem, Vernunft, Wille und Freiheit; kraft dieser Fähigkeiten ist er das Haupt des Alls und muss sich selbst als solches betrachten; denn gerade durch diese Fähigkeiten hat der Mensch gelernt, die physischen, psychischen und affektiven Begierden zu zügeln.
54. Der wahre und tiefere Beweggrund für den Zölibat beruht — wie Wir bereits gesagt haben — darauf, dass der Priesterkandidat sich zum Nutzen der gesamten Menschheit dem Mysterium Christi und der Kirche enger und rückhaltloser verpflichtend verbinden will. Zweifellos können bei dieser Wahl die erhabensten menschlichen Werte voll und ganz entfaltet werden.
55. Deshalb fordert die Wahl des Zölibats keineswegs eine Nichtbeachtung oder Geringschätzung des Geschlechtstriebes und des Gefühlslebens — was sicher dem physischen und psychischen Gleichgewicht zum Schaden wäre —, sie erfordert vielmehr eine klare Einsicht, eine aufmerksame Selbstzucht und eine weise Erhebung der Seele zu einem höheren Ideal. Auf diese Weise trägt der Zölibat, da er den Menschen zu einer wunderbaren Würde erhöht, wahrhaft zur Vollendung des Menschseins und zur höchsten Entfaltung des Tugendlebens bei.
56. Zugegeben, dass das natürliche und rechtmässige Verlangen des Mannes nach Frau und Kindern von dem, der an das Zölibatsgesetz gebunden ist, hintangesetzt wird: Es ist aber entschieden abzulehnen, dass Ehe und Familie die einzige und notwendige Lebensform zur Erlangung der vollen menschlichen Reife sind. Im Herzen des Priesters wird die Liebe nicht ausgelöscht. Denn die aus der reinsten Quelle gespeiste Liebe, die in der Nachahmung Gottes und Christi bewahrt wird, fordert — ganz wie jede echte Liebe — vieles vom Priester und drängt ihn zum Werk. Dazu dehnt die Liebe ihr Betätigungsfeld ins Grenzenlose aus; sie vertieft und verstärkt — das klare Zeichen eines reifen Charakters — das Verantwortungsbewusstsein dem übernommenen Amt gegenüber; sie bildet im Priester die starken und zarten Gefühle aus, die Zeichen einer höheren und fruchtbareren Vaterschaft sind und ihn in überströmendem Masse bereichern.
57. Das ganze Volk Gottes muss Zeugnis geben für das Mysterium Christi und sein Reich; aber die Art des Zeugnisses ist unterschiedlich. Den verheirateten Laien trägt die Kirche auf, in einem des christlichen Namens würdigen Ehe- und Familienleben treu und vorbehaltlos Zeugnis abzulegen; von den Priestern verlangt sie das Zeugnis eines Lebens, das ganz auf der Betrachtung des kommenden Gottesreiches und seiner Freuden und auf der Sorge für dieses Reich beruht.
Wenn der Priester den Ehestand auch nicht aus unmittelbarer und persönlicher Erfahrung kennenlernt, kann er dennoch auf Grund seiner Bildung, seines priesterlichen Amtes und der von Gott seinem Stand verheissenen Gnade einen sogar noch tieferen Einblick in die ganze menschliche Natur haben. So vermag er nicht nur alle diese Probleme genau zu durchschauen und ihren Ursprung zu erkennen; er kann auch den Eheleuten und christlichen Familien mit seinem Rat tatkräftig beistehen. Denn der Priester, der hochherzig nach dem Gesetz des Zölibates lebt, wird für die christlichen Eheleute ein klarer Beweis dafür sein, dass die menschliche Liebe, die dieses Namens würdig ist, reich ist an kraftvollen geistlichen Werten; darüber hinaus wird er durch sein persönliches Opfer den christlichen Eheleuten die Gnade einer wahrhaft inneren Verbundenheit verdienen.
58. Wir leugnen zwar nicht, dass der Priester durch den Zölibat ein einsamer Mensch ist. Aber seine Einsamkeit darf nicht für öde und leer gehalten werden, denn sie ist von Gott und dem unermesslichen Reichtum seines himmlischen Reiches erfüllt. Überdies hat sich der Priester darauf vorbereitet, diese Einsamkeit, die innerlich und äusserlich von der Liebe erfüllt sein muss, zu ertragen, wenn er sie mit Bedacht erwählt hat, und zwar nicht etwa, um sich hochmütig von den anderen Menschen fernzuhalten; nicht, um sich schweren allgemeinen Verpflichtungen zu entziehen; nicht, um sich von seinen Brüdern abzusondern, oder weil er die Welt verachtet. Denn, ausgesondert aus der Welt, ist der Priester dennoch keineswegs vom Volke Gottes getrennt, er ist ja “für die Menschen bestell, gänzlich der Übung der Liebte geweiht und “dem Werk, zu dem ihn Gott erwählt hat”.
59. Bisweilen kann die Einsamkeit schwer auf dem Priester lasten; aber er wird deshalb keineswegs bereuen, diese Lebensweise hochherzig erwählt zu haben. Selbst Christus war in den schwersten Augenblicken seines Lebens allein und von denen verlassen, die er als Zeugen und Gefährten seines Lebens erwählt und “bis zum Ende” geliebt hatte; dennoch sprach er: “Ich bin nicht allein, denn der Vater ist mit mir. Wer sich in freier Wahl ganz Christus hingegeben hat, wird in der Vertrautheit mit ihm und in seiner Gnade vor allem die Kraft finden, alle Traurigkeit zu vertreiben und jede Niedergeschlagenheit und Entmutigung zu überwinden; auch wird ihm nicht der liebevolle Schutz der jungfräulichen Gottesmutter und die mütterliche Sorge der Kirche fehlen, der er sich geweiht hat, noch die Fürsorge seines Bischofs, der ihm in der Gnade Christi Vater ist; ebenso wird ihm nicht das innige Band treuer Freundschaft mit den Mitbrüdern im Priesteramt noch die an Trost so reiche Liebe des ganzen Volkes Gottes mangeln. Und wenn Abneigung, Argwohn und Feindseligkeit dem Priester bisweilen das Leben in Einsamkeit bis zum Überdruss schwer machen, so wird er wissen, dass er dadurch in eindrucksvollster Wirklichkeit an dem Schicksal Jesu Christi teilhat; wie der wahre Apostel, der nicht” grösser als der, der ihn gesandt hat “, sein kann, und der Freund, dem der göttliche Freund die geheimsten, von Schmerz und Freude erfüllten Tiefen seines Herzens geoffenbart hat; von ihm ist er ja auserwählt, geheimnisvolle Früchte des Lebens zu bringen, während er ein Leben führt, das das Bild des Todes an sich trägt.
Zweiter Teil
1. Priesterausbildung
60. Aus den Gedanken, die Wir über die Schönheit, die Würde und die innere Angemessenheit der Jungfräulichkeit für die Diener Christi und der Kirche dargelegt haben, erwächst denen, die das Amt des Lehrers und Hirten bekleiden, die überaus schwere Pflicht, mit allen Kräften dafür zu sorgen, dass die Jungfräulichkeit schon von der Zeit der Vorbereitung auf den Empfang dieser herrlichen Gnadengabe an wirklich gepflegt wird.
Die Schwierigkeiten und Belastungen, die einigen Priestern die Beobachtung des Zölibats schwer oder geradezu unmöglich machen, entspringen nicht selten einer Priesterausbildung, die angesichts der Wandlungen der Verhältnisse ganz unzureichend ist, um einen “Mann Gottes” würdig heranzubilden.
61. Deshalb haben die Väter des Zweiten Ökumenischen Vatikanischen Konzils bereits weise Richtlinien und Vorschriften angegeben, die mit dem Fortschritt der Psychologie und Pädagogik im Einklang stehen und auch auf die in unserer Zeit stark veränderten Lebensbedingungen des einzelnen Menschen und der bürgerlichen Gesellschaft abgestimmt sind. Es ist darüber hinaus Unser Wille, dass baldmöglichst gesetzliche Normen geschaffen werden, in denen dieses Thema unter Heranziehung von Fachleuten in angemessener Ausführlichkeit behandelt wird, um denen, die in der Kirche die schwere Aufgabe übernommen haben, die Priesterkandidaten auszubilden, alsbald eine geeignete Hilfe zu bieten.
62. Das Priestertum ist ein Amt, das von Christus Jesus zum Dienst an seinem mystischen Leib, der Kirche, eingesetzt ist. Deshalb ist es auch Aufgabe der kirchlichen Obern, nur diejenigen zum Priestertum zuzulassen, die sich nach ihrem Urteil dafür eignen, nämlich solche, denen Gott neben den anderen Zeichen der Berufung zum heiligen Dienst auch das Charisma des Zölibats gewährt hat.
Kraft dieser Gnadengabe, die vom Kanonischen Recht bestätigt wird, wird der Mensch aufgerufen, aus freiem Willen und mit seiner Ganzhingabe dem Rufe Gottes Folge zu leisten und der göttlichen Autorität Geist und Gewissen zu unterwerfen. Gott beruft tatsächlich nur eine Persönlichkeit, die im Vollbesitz ihrer Fähigkeiten ist, deren Freiheit die himmlische Gnade keineswegs aufhebt. In den Priesterkandidaten also muss die Bereitschaft gepflegt werden, die göttliche Gnadengabe mit gelehrigem Herzen in sich aufzunehmen, für den Ruf Gottes sich bereit zu halten und in erster Linie auf die übernatürlichen Gnadenhilfen zu vertrauen.
63. Aber man muss auch dem physischen und psychischen Zustand des Kandidaten Rechnung tragen, um ihn in angemessener Weise zu dem Ideal des Priestertums hinführen und anleiten zu können. Damit die Erziehung des Kandidaten, dessen wirkliche geistige Anlagen und Fähigkeiten bereits voll und ganz erkannt worden sind, ihr Ziel tatsächlich erreicht, muss deshalb das Wachstum der göttlichen Gnade mit dem der Natur harmonisch zusammengehen. Die geistigen Anlagen müssen mit grösster Gewissenhaftigkeit geprüft werden, sobald sich Anzeichen der Berufung zum Priestertum zeigen. Dabei darf sich niemand auf ein voreiliges und oberflächliches Urteil verlassen; deshalb soll auch ein Arzt, oder, um das griechische Wort zu gebrauchen, ein Psychologe herangezogen werden, um bei dieser Prüfung mitzuwirken. Man wird auch nicht auf eine genaue anamnetische Nachforschung verzichten dürfen, um die Eignung des Kandidaten für das Priestertum auch unter der sehr wichtigen Berücksichtigung der Erbfaktoren zu prüfen.
64. Denen aber, die in körperlicher, geistiger und moralischer Hinsicht wenig geeignet erscheinen, muss man sofort vom priesterlichen Beruf abraten. Die Erzieher müssen sich in diesem Punkt ihrer ernsten Pflicht bewusst sein. Sie sollen keine eitle Hoffnung und gefährliche Zuversicht hegen noch in irgendeiner Weise zulassen, dass die Alumnen zum grossen Schaden für sich und die Kirche solche Hoffnungen nähren. Denn da die Lebensweise des ehelosen Priesters innerlich und äusserlich einen so vollständigen Einsatz für den Dienst Gottes und eine so grosse Klugheit erfordert, schliesst sie einen Kandidaten, dessen Gaben in physischer, psychischer und moralischer Hinsicht nicht genügen, aus; und man darf nicht erwarten, dass in diesen Dingen die göttliche Gnade ersetzen wird, was der Natur fehlt.
65. Sobald die Eignung des Kandidaten feststeht und man ihm den Weg zum Priestertum freigegeben hat, wird man eifrig dafür sorgen müssen, dass er durch eine entsprechende leibliche, geistige und sittliche Erziehung nach und nach die vollkommene Entfaltung seiner Persönlichkeit bis zu dem Grade erreicht, dass er die natürlichen Anlagen, die Gefühle und Triebe in Schranken zu halten und zu beherrschen vermag.
66. Diese angemessene Erziehung erhält ihre Bestätigung durch die Seelenstärke, mit der jemand aus freien Stücken die persönliche und gemeinschaftliche Lebensordnung, die ein Erfordernis des Priesterlebens ist, annimmt. Man muss bedauern, wenn eine solche Lebensordnung fehlt oder unzureichend ist, was grosse Gefahren mit sich bringt; sie darf nicht wie eine von aussen auferlegte Last getragen werden, sondern muss als notwendiger Bestandteil des geistlichen Lebens in die innere Haltung aufgenommen und eingefügt werden.
67. Die ganze Erziehung muss darauf ausgehen, die jungen Menschen zur Aufrichtigkeit, einer wesentlich evangelischen Tugend, und zu selbständigem Handeln anzuregen. Das wird geschehen, wenn sie jede gute Initiative fördert, die dazu geeignet ist, dass der junge Mensch sich selbst kennen und seine Kräfte richtig einschätzen lernt; dass er lernt, seine Bürde bewusst auf sich zu nehmen und jene Selbstbeherrschung zu erwerben, die in der Priesterbildung von grösster Bedeutung ist.
68. Die Autorität, deren Hauptgrundsätze immer zu bewahren sind, soll in weiser Masshaltung, seelsorglichem Geist und dialogisch vorgehen. Sie soll auch die Alumnen allmählich praktisch einüben, so dass der Erzieher den Geist des jungen Menschen durchschauen kann und die Erziehung selbst durch das ihr wesentliche Merkmal, der Selbständigkeit, bestimmt ist, und damit ebenso der Kandidat angeregt wird, selbstverantwortlich zu handeln.
69. Die gesamte vollständige Ausbildung des Priesterkandidaten muss auf eine ruhige, bewusste und freie Wahl der schweren Aufgaben zielen, die er einmal mit grösster Gewissenhaftigkeit vor Gott und der Kirche übernehmen muss.
Begeisterung und Hochherzigkeit sind bewundernswerte Vorzüge der Jugend; wenn sie richtig ausgebildet und befestigt werden, gewinnen sie ihr nicht nur den himmlischen Schutz, sondern auch die Bewunderung und das Vertrauen der Kirche, ja aller Menschen. Den jungen Menschen, die diese Lebensform erwählen, soll man keine der wirklichen persönlichen und sozialen Schwierigkeiten, die sie später aus Erfahrung kennenlernen werden, verhehlen, damit ihre Begeisterung nicht flüchtig und oberflächlich dahinschwindet. Aber es wird angebracht sein, zugleich mit den Schwierigkeiten auch den erhabenen Vorzug des erwählten Lebens ebenso ehrlich und deutlich in seinem Lichte darzustellen. Schafft dieses Leben körperlich und geistig auch eine gewisse Leere im Menschen, so schenkt es ihm nichtsdestoweniger eine geistliche Fülle, so gross, dass sie fähig ist, das Leben des Priesters ganz und gar zu ergreifen und zum höchsten Gipfel der Vollkommenheit emporzuführen.
70. Die jungen Leute sollen überzeugt sein, dass sie diesen steilen Weg nicht zu gehen vermögen ohne eine besondere Aszese, die den Anwärtern für das Priestertum eigen ist und die allgemeinen aszetischen Verpflichtungen aller übrigen Christgläubigen übertrifft.
Wir meinen eine zwar strenge, aber nicht niederdrückende Aszese, die im Zusammenhang mit der bewussten und beharrlichen Übung jener Tugenden stehen soll, durch die sich der Priester von den anderen Menschen unterscheiden muss, nämlich: vollkommene Ganzhingabe — eine notwendige Bedingung für die Nachfolge Christii; Demut und Gehorsam, Zeichen innerer Wahrhaftigkeit und richtig gelenkter Freiheit; Klugheit und Gerechtigkeit, Stärke und Masshaltung, ohne die ein echt religiöses und beispielhaftes Leben nicht möglich ist; ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein; Treue und Redlichkeit in der Führung der Amtspflichten; Harmonie zwischen dem tätigen und beschaulichen Leben; innere Freiheit vom Irdischen und Liebe zur Armut, die der evangelischen Freiheit Kraft und inneren Wert verleiht; mit unausgesetzter Bemühung in schöner Harmonie mit allen anderen natürlichen und übernatürlichen Tugenden errungene Keuschheit; Heiterkeit des Geistes und Sicherheit im Verkehr mit den Menschen, um derentwillen sich der Priesterkandidat dereinst Christus und seinem Reiche weihen will.
Auf diesem Wege wird sich der Priesterkandidat mit der Gnade Gottes zu einer ausgeglichenen, starken und reifen Persönlichkeit entwickeln; seine natürlichen Kräfte werden mit den erworbenen Tugenden im Einklang stehen, und alle Fähigkeiten werden sich wunderbar verbinden im Lichte des Glaubens und in der Einheit mit Christus, der ihn für seinen Dienst und den Dienst für das Heil des Menschengeschlechtes erwählt hat.
71. Aber um grössere Sicherheit bezüglich der Eignung eines jungen Mannes für das Priestertum und um Beweise zu erhalten, dass er zu menschlicher und übernatürlicher Reife gelangt ist — “denn in der Seelsorge ist es wegen der äusseren Gefahren noch schwerer, einen vollkommenen Lebenswandel zu führen ” —, muss die Beobachtung des Zölibats von Zeit zu Zeit erprobt werden, bevor sie durch die Priesterweihe fest und endgültig wird.
72. Ist nach Kräften der Erweis erbracht, dass die Reife des Priesterkandidaten genügend gefestigt ist, dann wird er es wirklich vermögen, die schwere und doch sanfte Last der priesterlichen Keuschheit als Ganzhingabe an Christus und seine Kirche auf sich zu nehmen.
So wird der Alumnen, angeregt von der göttlichen Gnade, das Gesetz des Zölibats, das nach dem Willen der Kirche tatsächlich mit der Priesterweihe verbunden ist, mit voller Bewusstheit und innerer Freiheit auf sich nehmen, selbstverständlich nicht ohne den klugen und weisen Rat bewährter Lehrer des geistlichen Lebens, denen es obliegt, die wichtige und freie Wahl nicht als Last aufzuerlegen, sondern bewusster zu machen. Und in dem feierlichen Augenblick, der über sein ganzes künftiges Leben entscheidet, wird der Kandidat dann nicht die Schwere einer von aussen auferlegten Last empfinden, sondern vielmehr aus der um die Liebe zu Christus willen getroffenen Wahl grosse Freude schöpfen.
II. Das Priesterleben
73. Der Priester darf durchaus nicht meinen, die Priesterweihe mache ihm alles leicht und schütze ihn für immer vor jeder Versuchung oder Gefahr. Die Keuschheit erwirbt man nicht ein für allemal, sondern sie ist eine Tugend, die in grosser Mühe und täglicher Übung errungen wird. Unsere Zeit unterstreicht stark den positiven Wert der Liebe in ihrer Beziehung zwischen den Geschlechtern, hat aber leider auch die Schwierigkeiten und Gefahren auf diesem Gebiet vervielfältigt. Um das Gut der Keuschheit mit aller Sorgfalt zu hüten und die erhabene Würde dieser Tugend ohne Rückhalt zu bezeugen, muss der Priester seine Situation klar und ruhig erwägen, das heisst er muss wissen, dass er dem geistlichen Kampf gegen die Verlockungen der Begierden in sich selbst und in der Welt ausgesetzt ist; er muss ausserdem unablässig den Vorsatz erneuern, mehr und mehr seine unwiderrufliche Selbsthingabe, die ihn zu vollkommener und aufrichtiger Treue verpflichtet, zu verwirklichen.
74. Neue Kraft und neue Freude wird dem Priester daraus erwachsen, dass er täglich in Gebet und Betrachtung die Beweggründe zu seiner Hingabe immer wieder erforscht und Tag für Tag tiefer davon überzeugt ist, dass er den besten Teil erwählt hat. Deshalb wird der Priester demütig und beharrlich um die Gnade der Treue beten, die denen niemals fehlen wird, die sie aufrichtigen Herzens erflehen; gleichzeitig wird er sich der natürlichen und übernatürlichen Mittel bedienen, die ihm zur Verfügung stehen. Vor allem wird er eifrig die aszetischen Anweisungen beachten, die in der Kirche durch Erfahrung anerkannt und die in der heutigen Welt nicht weniger notwendig sind als in vergangener Zeit.
75. Der Priester bemühe sich vor allem mit der ganzen ihm von der göttlichen Gnade geschenkten Liebe um ein inniges Verhältnis zu Christus und um die Ergründung seines unausschöpflichen und beseligenden Mysteriums. Er bemühe sich ausserdem, das Mysterium der Kirche immer klarer zu erkennen; losgelöst von diesem, besteht die Gefahr, dass ihm sein priesterliches Leben inhaltlos und sinnlos erscheint.
Nährt sich aber die priesterliche Frömmigkeit an der lauteren Quelle des göttlichen Wortes und der heiligen Eucharistie, lebt sie aus der Feier der Liturgie und stützt sie sich dazu noch auf eine zarte und vertraute Verehrung der heiligsten Jungfrau, der Mutter des Ewigen Hohenpriesters und Königin der Aposteln, dann wird der Priester zu den sprudelnden Quellen eines echten geistlichen Lebens gelangen. Dieses allein ist imstande, der Jungfräulichkeit das stärkste Fundament zu verleihen.
76. Mit der Gnade und dem Frieden im Herzen wird der Priester die Kraft haben, mit Starkmut die vielfältigen Aufgaben seines Lebens und seines Dienstes wahrzunehmen; wenn er sie nur mit Treue und religiösem Eifer angeht, findet er nämlich neue Gelegenheiten, zu bezeugen, dass er ganz Christus und seinem mystischen Leib angehört, um sich und die anderen Menschen zu heiligen. Die Liebe Christi, die ihn drängt, wird ihm helfen, die vorzüglichsten Kräfte seiner Seele nicht in sich zu verbergen, sondern sie im Geist der Ganzhingabe zu veredeln und zu vertiefen, wie der Hohepriester Christus, den die innigste Lebensgemeinschaft mit den Menschen verband, der sie geliebt und für sie gelitten hat, wie auch der Apostel Paulus, der die Sorgen aller mittrug, um in der Welt Zeugnis zu geben von dem Licht und der Kraft der Frohbotschaft von der Gnade Gottes.
77. Mit ängstlicher Sorge auf die Ganzhingabe an Christus bedacht, soll sich der Priester vor Gefühlserregungen hüten, die einen Zustand auslösen, der vom Geist nicht mehr genügend erleuchtet und geleitet wird, und er soll solche wirklich gefährliche Neigungen des Herzens nicht unter dem Vorwand geistlicher und seelsorglicher Verpflichtungen rechtfertigen.
78. Das Priestertum fordert die intensive Pflege einer echten und aufrichtigen Frömmigkeit; aus ihrer Kraft sollen die Diener des Heiligtums im Geiste leben und im Geiste wandeln; es fordert eine wahrhaft mannhafte innere und äussere Aszese, wie sie denen ziemt, die auf besondere Weise Christus dienen und in ihm und um seinetwillen “ihr Fleisch mit seinen Leidenschaften und Begierden gekreuzigt haben”; so sollen sie mutig einen harten und langwierigen Kampf auf sich nehmen. Hat er ihn bestanden, dann kann der Diener Christi der Welt klarer die Früchte des Geistes aufweisen, nämlich “Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Langmut, Milde, Treue, Mässigung, Enthaltsamkeit und Keuschheit.
79. Die Keuschheit des Priesters wird gestärkt, behütet und bewahrt auch durch eine Lebensweise, durch menschliche Beziehungen und Betätigungen, wie sie den Dienern Gottes entsprechen. Darum ist es nötig, jene “innige, sakramentale Brüderlichkeit” zu pflegen, deren sich alle Priester kraft der heiligen Weihe erfreuen. Unser Herr Jesus hat gelehrt, dass das neue Gebot der Liebe drängt, er hat sie durch sein bewunderungswürdiges Beispiel bezeugt, vor allem als er die Sakramente der hochheiligen Eucharistie und des katholischen Priestertums einsetzte und seinen himmlischen Vater bat, dass die Liebe, mit der der Vater ihn von Ewigkeit geliebt hat, in ihnen sei.
80. Die geistige Verbundenheit unter den Priestern soll also vollkommen sein, und häufiges gemeinsames Gebet, lautere Freundschaft und jederlei gegenseitige Hilfeleistung sollen gepflegt werden. Nie genug kann den Priestern eine gewisse Form des gemeinsamen Lebens empfohlen werden, die das priesterliche Amt stärker mit Frömmigkeit erfüllt; ebenso häufige Zusammenkünfte zu brüderlichem Gedanken und Erfahrungsaustausch und mitbrüderlicher Ermunterung; und schliesslich die Förderung von Vereinigungen, die Anregungen zur priesterlichen Heiligung bieten.
81. Die Priester sollen eifrigst die Mahnung des Zweiten Vatikanischen Konzils erwägen, die sie dazu ermuntert, den Gemeinschaftssinn untereinander zu pflegen, damit sie sich voll und ganz für die priesterlichen Mitbrüder verantwortlich fühlen, die von Schwierigkeiten bedrängt werden und deren heiliger Beruf ernstlich gefährdet ist. Sie sollen eine glühende Liebe zu denen hegen, die mehr Liebe als die anderen, mehr Nachsicht, mehr Gebet und mehr verständnisvolle und wirksame Hilfe benötigen und die mit Recht auf die unerschöpfliche Liebe derer bauen, die vor allen anderen im wahrsten Sinne ihre Freunde sind und sein müssen.
82. Schliesslich möchten Wir gleichsam zur Ergänzung und Erinnerung dieses brieflichen Gesprächs mit euch, ehrwürdige Brüder im Bischofsamt, und mit euch, Priester und Diener des Altares, anregen, dass sich jeder von euch vornehme, alljährlich am Jahrestag seiner Weihe oder auch alle im Geiste vereint am Gründonnerstag, dem hoch heiligen Tage der Einsetzung des Priestertums, die vertrauensvolle Ganzhingabe an Christus den Herrn zu erneuern, das Bewusstsein der Erwählung zum heiligen Dienst wieder zu wecken, und mit Demut und Starkmut Christus aufs neue das Versprechen beständiger Treue zu seiner unvergleichlichen Liebe und eurer reinsten Hingabe zu geben.
III. Beklagenswerte Untreue
83. Nun aber wendet sich Unser Denken mit väterlicher Liebe, mit grossem Bangen und Schmerz jenen unglücklichen, aber stets über alles geliebten Mitbrüdern im Priesteramt zu, die das ihrer Seele eingeprägte heilige Zeichen des Weihesakramentes in sich tragen, und doch so bedauerlich ihren Pflichten, die sie bei der Priesterweihe übernommen haben, untreu geworden sind.
Von ihrem beklagenswerten Zustand und dem daraus erwachsenden öffentlichen und persönlichen Schaden veranlasst, fragen manche, ob nicht gerade der Zölibat an solchen unglückseligen Vorfällen und Ärgernissen für das Volk Gottes schuld sei. Nein, im Gegenteil, der Zölibat ist nicht schuld daran. In Wirklichkeit liegt die Ursache immer darin, dass die Veranlagung eines Priesterkandidaten nicht immer rechtzeitig zuverlässig und klug beurteilt wurde oder dass die Lebensführung solcher Diener des Heiligtums mit den Verpflichtungen eines Lebens der Ganzhingabe an Gott nicht ganz übereinstimmte.
84. Die Kirche ist in grösster Sorge um das traurige Los dieser ihrer Söhne und hält es für ihre Pflicht, alles zu tun, um die Wunden, die ihr durch ihren Abfall zugefügt werden, zu verhüten oder zu heilen. Dem Beispiel Unserer letzten Vorgänger folgend haben Wir angeordnet, dass bei Prozessen bezüglich der Priesterweihe die Untersuchungen auf andere wichtige Fälle und Gründe ausgedehnt werden, die im geltenden Kanonischen Recht nicht vorgesehen sind. Es handelt sich dabei um solche Fälle und Gründe, die zu wirklich ernstem Zweifel berechtigen bezüglich der vollen Freiheit und Verantwortlichkeit der Priesterkandidaten bei der Übernahme ihrer Verpflichtungen und bezüglich ihrer Eignung zum priesterlichen Leben. Das alles geschieht zu dem Zweck, um alle die von ihren Verpflichtungen zu befreien, die in einem gehörigen Prozess tatsächlich als ungeeignet erklärt worden sind.
85. Diese sogenannten Dispensen, die gegebenenfalls in dieser Hinsicht erteilt werden — es sind in Wirklichkeit nur sehr wenige im Vergleich zu der grossen Zahl seelisch gesunder und würdiger Priester —, wollen aus Gerechtigkeit das geistliche Wohl der einzelnen sicherstellen. Zugleich zeigen sie die grosse Sorge der Kirche um die Weitergeltung des Zölibatsgesetzes und seine unverminderte und treue Beobachtung von seiten aller Diener des Heiligtums.
Wenn die Kirche so handelt, so tut sie es immer mit grossem Schmerz, vor allem wenn besonders bedauerliche Fälle vorkommen, wenn nämlich die Weigerung, das sanfte Joch Christi würdig zu tragen, auf eine Glaubenskrise oder auf sittliches Versagen zurückzuführen ist und daher oft wissentlich und für das christliche Volk ärgerniserregend ist.
86. Wenn diese Priester wüssten, wieviel Unruhe, wieviel Schande und wieviel Verwirrung sie der heiligen Kirche Gottes zufügen, wenn sie die Würde und den Vorzug der übernommenen Verpflichtungen bedächten und einsähen, welchen Gefahren sie sich in diesem und im zukünftigen Leben aussetzen, dann würden sie gewiss vorsichtiger und überlegter in ihren Entschlüssen sein, bereiter zum Gebet und gründlicher und tatkräftiger einem derartigen geistlichen und moralischen Versagen vorbeugen.
87. Aber mit ganz besonderer Aufmerksamkeit wendet sich die Mutter Kirche dem Fall zu, dass noch junge Priester zwar mit hoher Begeisterung und grossem Eifer dem heiligen Dienst nachgekommen sind, später aber im Gedränge ihrer priesterlichen Aufgaben in eine Art Verzweiflung, Unsicherheit, Leidenschaft und seelischer Verwirrung geraten sind. Deshalb ist die Kirche der Ansicht, dass in einer solchen Situation nichts unversucht bleiben darf, um den wankenden und abgleitenden Mitbruder durch Zureden zur inneren Ruhe, zum Vertrauen, zur Reue und zu seinem ersten freudigen Eifer zurückzuführen. Nur wenn offenkundig geworden ist, dass bei einem Priester auf diese Weise keine Besserung erwartet werden kann, soll der unglückliche Diener Gottes des ihm anvertrauten Amtes enthoben werden.
88. Soweit jemand im Einzelfall für das Priesteramt nicht zurückgewonnen werden kann, aber doch den aufrichtigen und guten Willen zeigt, als Laie ein christliches Leben zu führen, gewährt der Apostolische Stuhl, die Liebe über den Schmerz stellend, nach gewissenhaftester Abwägung aller Umstände und gemeinsamer Beratung mit dem Ordinarius oder dem Ordensobern bisweilen die erbetene Dispens. Dabei werden einige Werke der Frömmigkeit und der Sühne auferlegt, damit in dem unglücklichen und doch immer geliebten Sohn ein heilsames Zeichen des mütterlichen Schmerzes der Kirche und eine lebendige Erinnerung daran verbleibe, dass alle der göttlichen Barmherzigkeit bedürfen.
89. Dieses strenge und zugleich doch barmherzige Vorgehen, das immer von der Gerechtigkeit und Wahrheit, von höchster Klugheit und Behutsamkeit bestimmt ist, wird ohne Zweifel dazu beitragen, die guten Priester in ihrem Vorsatz zu bestärken, lauter und heilig zu leben; ebenso wird es für die Priesterkandidaten eine Mahnung sein, unter der weisen Führung ihrer Erzieher und Lehrer zum Altar zu schreiten, in vollem Bewusstsein der Verpflichtung, die sie zu übernehmen haben, mit grösster Uneigennützigkeit und vom Eifer entflammt, den Anregungen der göttlichen Gnade und dem Willen Christi und seiner Kirche zu gehorchen.
90. Wir wollen schliesslich nicht versäumen, Gott mit überaus grosser Freude dafür zu danken, dass Wir beobachten können, wie manche von denen, die für einige Zeit untreu geworden sind, sich so eifrig aller geeigneten Hilfsmittel bedient haben — vor allem des demütigen Gebetes, der Übung in der Demut, des zähen geistigen Kampfes und des häufigen Empfanges des Busssakramentes —, dass sie mit der Gnade des Hohenpriesters auf den rechten Weg zurückgekehrt und zur Freude aller wieder seine vorbildlichen Diener geworden sind.
IV. Geistliche Vaterschaft des Bischofs
91. Damit sich aber Unsere vielgeliebten Priester der übernommenen Pflichten leichter und freudiger annehmen können, ehrwürdige Brüder im Bischofsamt, haben sie das Recht und zugleich die Pflicht, eure tatkräftige und notwendige Hilfe in Anspruch zu nehmen. Denn ihr habt sie unter die Alumnen aufgenommen, ihr habt sie für das Priesteramt bestimmt, ihr habt ihnen die Hände aufgelegt, euch sind sie auf das engste verbunden auf Grund der Würde des Priestertums und kraft des Weihesakramentes, an eurer Stelle stehen sie in den ihnen anvertrauten Gemeinden der Gläubigen. Darum sind sie hochgesinnt und starkmutig mit euch verbunden, da sie, jeder nach seiner Stellung, eure Pflichten und – Sorgen mit euch teilen. Indem sie den Zölibat erwählten, folgten sie dem seit alten Zeiten wirksamen Beispiel der Bischöfe des Ostens und Westens. Das führt notwendig zu einem weiteren Band zwischen Bischof und Priester, das sich auf Leben und Werk überträgt.
92. Wie Jesus seine zarte Liebe zu seinen Jüngern am deutlichsten zeigte, als er sie zu Dienern seines wahren und des mystischen Leibes machte, so wisst auch ihr, “in denen der Herr Jesus Christus, der Hohepriester, inmitten der Gläubigen gegenwärtig ist “, sehr wohl, dass es eure Pflicht ist, eure vorzügliche Liebe und Sorge den Priestern und den jungen Priesterkandidaten zuzuwenden. Ihr könnt in der Tat diese eure feste Überzeugung niemals besser bekunden, als wenn ihr im Bewusstsein eurer Pflicht und in aufrichtiger und unerschütterlicher Liebe euch eifrig um die Erziehung der Alumnen bemüht und nach Kräften den Priestern helft, ihrer göttlichen Berufung und ihren Verpflichtungen treu zu bleiben.
93. Die menschliche Einsamkeit des Priesters, nicht selten Anlass zur Entmutigung und Versuchung, soll besonders durch eure brüderliche und freundschaftliche Gegenwart erleichtert werden. Anstatt Vorsteher und Richter seid euren Priestern lieber Lehrer, Väter, Freunde und Brüder, bereit zur Güte, zur Barmherzigkeit, zur Nachsicht, zum Verzeihen und zur Hilfe. Ermutigt überdies die euch anvertrauten Priester zur Freundschaft und zum vollen Vertrauen zu euch, so jedoch, dass das rechtliche Gehorsamsverhältnis dadurch nicht nur nicht aufhört, sondern durch die Hirtenliebe nur noch fester und der Gehorsam selbst williger, aufrichtiger und sicherer wird. Diese dienstbereite Freundschaft und ein kindliches Verhältnis zu euch werden den Priestern ohne Zweifel leicht möglich machen, euch rechtzeitig ihr Herz zu öffnen und ihre Schwierigkeiten zu offenbaren; ermutigt in der Hoffnung, dass ihr immer für sie da sein werdet, werden sie euch gegebenenfalls Verirrungen anvertrauen ohne knechtische Furcht vor der Strafe, sondern — wie es sich Söhnen ziemt —in Erwartung einer väterlichen Mahnung, der Verzeihung und der Hilfe, die sie anregt, mit neuem Vertrauen den begonnenen Weg weiterzugehen.
94. Ihr seid sicherlich überzeugt davon, ehrwürdige Brüder, dass ihr eine dringende und vornehme Aufgabe erfüllt, die unermesslich vielen Seelen Nutzen bringt, wenn ihr einem Priester die Freude und Begeisterung für seinen Beruf, den inneren Frieden und die Heilszuversicht wiedergebt. Selbst wenn ihr einmal eure Autorität gebrauchen und heilsame Strenge anwenden müsst gegen die wenigen, die eure Güte zurückweisen und durch ihr schlechtes Beispiel dem Volke Gottes schaden, so sorgt doch dafür, dass ihr bei den notwendigen Massnahmen gegen sie ihre Besserung vor Augen habt. In der Nachfolge des Herrn Jesus, des Hirten und Bischofs eurer Seelen, sollt ihr das geknickte Rohr nicht brechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen. Wie Jesus heilt die Wunden, rettet, was verloren war, sucht mit sorgender Liebe das verlorene Schaf, um es in die wärmende Geborgenheit der Hürde zurückzubringen, und seid wie Christus bis zum äussersten bemüht, den ungetreuen Freund zurückzugewinnen.
95. Wir sind sicher, ehrwürdige Brüder, dass ihr in eurer Hirtensorge nichts unversucht lassen werdet, euren Priestern in weiser Belehrung das Ideal des gottgeweihten Zölibats unablässig vor Augen zu stellen, und dass ihr niemals die Sorge für diejenigen Priester aufgeben werdet, die das Haus Gottes, das auch ihr Vaterhaus ist, verlassen haben; welches auch immer das Ende ihres traurigen Abfalls sein mag: sie bleiben für alle Zeiten eure Söhne.
V. Die Aufgabe der Gläubigen
96. Da aber die Tugend der Priester ein Gut der ganzen Kirche ist, ein besonderer Schatz und eine Zierde, die dem ganzen Volke Gottes als Vorbild dient und zum Besten gereicht, wollen Wir an alle Gläubigen, unsere Söhne und Töchter in Christus, die liebevolle und dringende Ermahnung richten, sich für die Tugend ihrer Brüder verantwortlich zu fühlen, welche die Aufgabe übernommen haben, ihnen als Priester zu dienen, damit sie das Heil erlangen. Alle sollen daher beten; sie sollen bestrebt sein, denen zu helfen, die von Gott zum Priestertum berufen sind; sie sollen ihren Priestern gefällig und in kindlicher Liebe behilflich sein; sie sollen ihnen in verständnisvoller Mitarbeit beistehen, in der Absicht, durch bereitwilliges Aufnehmen ihrer seelsorglichen Bemühungen ihnen Trost zu schenken. Ausserdem sollen sie diese ihre Väter in Christus ermutigen, die Schwierigkeiten jeder Art zu überwinden, die ihnen bei der treuen Erfüllung ihrer anvertrauten Aufgaben begegnen, damit sie für alle Menschen das beste Vorbild seien. Alle sollen in lebendigem Glauben und christlicher Liebe den Priestern gegenüber eine tiefe Ehrfurcht und taktvolle Zurückhaltung bekunden, in dem Wissen, dass es sich um Menschen handelt, die ganz Gott und der Kirche geweiht sind.
97. Unsere Aufforderung richtet sich vor allem an jene Laien, die eifriger und inniger als andere Gott suchen und nach einem vollkommenen christlichen Leben inmitten der profanen Welt streben. Durch ihre ehrerbietige und aufrichtige Freundschaft können sie den Priestern eine grosse Hilfe bedeuten. Die Laien, die trotz ihrer Inanspruchnahme durch die irdischen Geschäfte dieses Lebens sich bemühen, ihrem Taufgelöbnis Genüge zu leisten, können dem Priester manchmal Licht und Kraft geben, damit er im Dienste Christi und der Kirche nicht unter Umständen durch den verkehrten und verwirrenden Weltgeist Schaden leide an der Unversehrtheit seiner göttlichen Berufung. Daraus ergibt sich ohne Zweifel, dass das ganze Volk Gottes den Herrn Jesus selbst ehrt in denen, die seine Stelle vertreten und von denen er sagt: “Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat.” Er hat ja auch denen reichen Lohn versprochen, die den Boten des Evangeliums irgendwie in Liebe dienen.
Schluss
98. Bevor Wir Unser Schreiben beenden, ermahnen Wir, gedrängt von der Liebe Christi, euch, Unsere ehrwürdigen Brüder, Hirten der Herde Gottes in allen Teilen der Welt, und euch, geliebte Priester, Unsere Brüder und Söhne, mit neuer Zuversicht und neuer Hoffnung in kindlichem Vertrauen Augen und Herz auf die liebreiche Mutter Jesu Christi und Mutter der Kirche zu richten und ihre mächtige mütterliche Fürbitte für das katholische Priestertum zu erflehen. Sie verehrt ja das Volk Gottes voll Bewunderung als das Urbild und Vorbild der Kirche Christi wegen ihres Glaubens, ihrer Liebe und ihrer vollkommenen Vereinigung mit Christus. Möge darum die jungfräuliche Mutter Maria der Kirche, die ebenfalls als Jungfrau und Mutter gepriesen wird, erflehen, sich beständig in Demut rühmen zu können, dass ihre Priester die erhabene Gnadengabe der Jungfräulichkeit unversehrt bewahren, und zu erleben, wie der Zölibat mehr und mehr blühe und täglich an Wertschätzung gewinne in allen Kreisen der Menschen, so dass von Tag zu Tag die Zahl derer wachse, die dem göttlichen Lamme folgen, wohin es geht.
99. So schaut die Kirche im Vertrauen auf Christus voller Hoffnung empor. Wenn sie sich auch wegen des Priestermangels angesichts der religiösen Bedürfnisse aller Völker grosse Sorge macht, so erwartet sie doch zuversichtlich im Vertrauen auf die unendlichen und geheimnisvollen Quellen der göttlichen Gnade, dass eine vorbildliche religiöse Haltung der Diener des Heiligtums auch die Zahl der Priesterberufe erhöhen wird, “denn bei Gott ist alles möglich “.
In dieser Überzeugung und festen Hoffnung erteilen Wir euch, ehrwürdige Brüder, und den euch anvertrauten Priestern und Gläubigen als Unterpfand der göttlichen Gnade und als Zeichen Unseres väterlichen Wohlwollens aus ganzem Herzen den Apostolischen Segen.
Gegeben zu Rom bei St. Peter, am Fest des h. Johannes des Täufers, dem 24. Juni 1967, im fünften Jahre Unseres Pontifikates.
PAPST PAUL VI.
Quelle: Sacerdotalis caelibatus: Rundschreiben Papst Paul VI. über den Zölibat des Priesters
Annus-Sacerdotalis: Jahr der Priester
Priesterjahr: Vatikan
40.Jahrestag der Veröffentlichung von Sacerdotalis caelibatus
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