‘Ich bin überzeugt, die Muttergottes führt in meinem Leben Regie’
„Ich bin überzeugt davon, dass die Muttergottes in meinem Leben Regie führt“
Interview mit Bischof Oster zur Aktualität Don Boscos und des salesianischen Charismas / Teil 2
Zenit.org, 14. April 2017, Michaela Koller
Teil 1
Bistum Passau – Zur “Mutter der Barmherzigkeit” pilgern – Eröffnung der Wallfahrt in Altötting
Don Bosco – Weitere Beiträge
Anlässlich des 200. Geburtstags des Heiligen und Ordensgründers Don Giovanni Bosco gibt das päpstliche Verlagshaus Libreria Editrice Vaticana in den kommenden Wochen einen Sammelband über die Aktualität der Pädagogik und des pastoralen Programms des Apostels der Jugend heraus, der in Zusammenarbeit mit ZENIT entsteht und salesianische Persönlichkeiten über ihre Auseinandersetzung und ihre Sendung im Geiste Giovanni Boscos erzählen lässt.
Michaela Koller sprach für dieses Projekt mit Bischof Stefan Oster von Passau. Vor einem Jahr ernannte Papst Franziskus den Salesianerpater und Dogmatikprofessor in Benediktbeuern zum 85. Bischof von Passau. Im Gespräch verriet der Bischof, wie die Geschichte seines Ordensgründers ihn berührte und wie das Fest Maria, Hilfe der Christen, ihn in besonderer Weise mit Don Bosco verbindet.
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Fehlt gerade auch im Umgang mit jungen Leuten das rechte Mass zwischen Geduld und Klarheit bei der Vermittlung von Glaubenswissen, damit sie es auch annehmen können?
Bischof Oster: Einerseits gilt es, die jungen Menschen zu akzeptieren in dem, was sie sind, anderseits sie aber in dieser Akzeptanz nicht einfach stehen zu lassen, sondern sie in der Geduld und in der Hoffnung mitzunehmen. Das kann man tun, ohne die Wahrheit preiszugeben. Der heilige Paulus spricht in seinen Bildern von der Milch und von der festen Speise. Man kann den Jugendlichen nicht die Wahrheit wie einen nassen Lappen um die Ohren schlagen, sondern muss ihnen da hinein helfen wie in einen warmen Mantel und das kann ein bisschen dauern, bis sie drin sind. Wer ist schon je ganz drin?
Wie war Ihre persönliche Erfahrung auf Ihrem Glaubensweg als Jugendlicher? Welche Vorbilder haben Sie angezogen?
Bischof Oster: In der Kirche hatte ich zunächst meine besten Freunde und habe da immer Menschen kennengelernt, die ganz wohlwollend waren. Kirche habe ich ganz selten als repressiv erfahren. Ich kann mich daran erinnern, dass es in Amberg, wo ich aufgewachsen bin, einen sehr strengen Pfarrer gab, als ich Ministrant war. Aber da war auch ein Kaplan, der der Puffer dazwischen war und sich um uns gekümmert hat und mit uns unterwegs war. Ich habe nie geglaubt, mich gegen etwas Altes oder Überkommenes emanzipieren zu müssen. Das war ein Glück. Auch ältere Jugendliche, die damals als Gruppenleiter Verantwortung übernommen haben, als ich Kind war, von denen ich dachte, das sind tolle Burschen, waren Vorbilder. Später – auf der intellektuellen und spirituellen Ebene – kam mein grosser Lehrer Ferdinand Ulrich dazu. Aber es hat auch Vorbilder in meiner eigenen Ordensgemeinschaft gegeben. Wissen Sie, die Menschen, die einem die Erfahrung schenken, dass sie den “Karren Kirche“ wirklich innerlich ziehen und uns in Richtung Reich Gottes bewegen, das sind nicht so viele. Die Durchschnittlichkeit überwiegt bei uns allen. Aber es gibt den einen oder anderen Leuchtturm, Mann oder Frau, manchmal sogar in der Verborgenheit, aber da merkt man einfach, dass das Evangelium die Wahrheit ist.
Und welche Diktion hat sie eher abgeschreckt?
Bischof Oster: Natürlich will ich auch die Wahrheit wissen. Es hilft mir nicht, wenn jemand allzu lang und allzu sehr herumeiert. Es ist eine Gratwanderung, den Menschen da abzuholen, wo er steht, und ihn zugleich mit der Wahrheit herauszufordern und klar zu sein. Mein Wahlspruch “Der Sieg der Wahrheit ist die Liebe“ verdeutlicht, dass die umstrittenen Wahrheiten, die wir schwer verdauen, nur unter der Voraussetzung der Liebe angenommen werden können. Dabei geht es am Ende um Heiligkeit. In unserer Kirche gibt es da eine grosse Schwierigkeit: Auf der einen Seite gibt es die Rechtgläubigen, die die Wahrheit mit den Löffeln gefressen haben, und die anderen, die davon nichts mehr wissen wollen und sagen, es habe nichts mehr mit ihrer Wirklichkeit zu tun. Die versöhnte Mitte zwischen beiden ist die Heiligkeit. Schauen Sie, wie unfassbar demütig Jesus war – und trotzdem erscheint er manchmal unglaublich streng. Und wir empfinden dies nicht als Widerspruch.
Welche Beispiele von Don Boscos pädagogischen und pastoralen Programm haben Sie am meisten berührt?
Bischof Oster: Jetzt gerade ist mein Mitbruder Lothar Wagner in Sierra Leone, für dessen Arbeit ich auch viel Werbung mache. Und was für ein Salesianer er ist. Ich kenne eigentlich niemanden, der soweit rausgeht, mit seiner ganzen Existenz, seinem ganzen Leben. Da leuchtet etwas von Jesus auf.
[Bruder Lothar Wagner, Salesianer Don Boscos, arbeitet dort als Streetworker und leitet eine Einrichtung für heimatlose Kinder und Jugendliche. Wegen seines Einsatzes gegen Kinderprostitution wurde er schon mehrfach bedroht. Trotz der dramatischen Ansteckungsgefahr durch Ebola unterstützt er weiter junge Menschen, die die Seuche zu Waisen gemacht hat, und davon betroffene Familien; Anm. d. Red.]
Don Bosco hat die Verehrung der Muttergottes unter dem Titel “Maria, Hilfe der Christen” in die Spiritualität des Ordens integriert, ein Fest, das wir am 24. Mai feiern. Was wissen Sie darüber, wie Don Bosco auf diese besondere Marienverehrung gekommen ist?
Bischof Oster: Als ich Salesianer Don Boscos geworden bin, habe ich irgendwann erfahren, dass Don Bosco die Muttergottes zunächst als Immaculata verehrte und dann wohl gemeint hat, da müsse so ein aktiveres Moment hinein. Wir wissen eigentlich nicht so genau, warum das so war: Aber sicher ist ja, dass es von hier, von Süddeutschland aus, eine Bewegung durch die Entstehung der Mariahilf-Bruderschaften gab und sicher kam dies auch bei Don Bosco an. Er hat dann eben begonnen, sie unter diesem Titel zu verehren. Heute wird in Südeuropa und Lateinamerika Mariahilf immer mit Don Bosco in Verbindung gebracht. Er hat in Turin die grosse Mariahilf-Basilika gebaut und in der liegt er auch begraben. Don Bosco hat – weil er diesen 24. Mai so geliebt hat – an jedem 24. im Monat in seinen Häusern den Mariahilfsegen gespendet. Er hat einen besonderen Segen geschrieben und sich diesen vom Papst approbieren lassen.
Sie haben persönlich zu diesem Fest einen besonderen Bezug, nicht wahr?
Bischof Oster: Ich bin in Amberg im Marienkrankenhaus geboren, unterhalb des Mariahilfbergs. Ich bin dort bis zu meiner frühen Jugend aufgewachsen und habe dort an diesem Berg im Wald gespielt, Indianer, Fussball und was auch alles. Einmal im Jahr fand das grosse Bergfest am Mariahilfberg statt, die Franziskaner predigten dort und es war sehr aufregend. Einmal haben sie mir in dem Krankenhaus das Leben gerettet, oder zumindest den Verstand: Ich bin in der Nacht mit einer Meningitis eingeliefert worden und zunächst wollte keiner helfen. Da hat mein Vater als junger Mann dort das Haus zusammengeschrien, damit endlich jemand zur Hilfe eile. Ein Arzt kam dann und stellte fest, was ich hatte. Wenn sie es später erkannt hätten, dann wäre ich zumindest geistig behindert geworden.
Meine allererste heilige Messe in Passau habe ich am Mariahilfberg gefeiert, die Hochzeit von Peter Seewald [als Pater Stefan Oster, bevor er Bischof wurde; Anm. d. Red.].
Als ich dann zum Bischof ernannt wurde, kamen die Passauer zu mir und haben gesagt, wir müssten bald die Weihe organisieren. Ich fragte sie, für wann denn. Sie sagten: am 25. Mai. Ich fragte, ob wir vielleicht den 24. Mai festlegen könnten, weil es unser Hochfest Mariahilf ist. Das sei unmöglich, antworteten sie, weil an einem Samstag im Mai viele Hochzeiten stattfinden. Ich habe dann den Kardinal [Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, Anm. d. Red.] angerufen und gefragt. Er sagte, er habe nur am 24. Mai Zeit.
Dann komme ich nach Passau und werde hier Bischof und erfahre, dass von hier die Mariahilf-Verehrung quasi ihren Ausgang genommen hat. Zumindest war hier ein starker Kristallisationspunkt, weil das Kaiserpaar [Kaiser Leopold I., der 1683 nach Passau geflohen war] hier gegen die Türkengefahr gebetet hat. Als sie dann das Gebetskärtchen für die Bischofsweihe mit allen Daten zusammengestellt haben, gab es noch einmal einen schönen Zufall: Ewige Profess am 24. Juli, Priesterweihe 24. Juni und Bischofsweihe 24. Mai. Ich bin überzeugt davon, dass die Muttergottes in meinem Leben Regie führt.
(Der erste Teil des Interviews erschien gestern, am Montag, dem 13. April)
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