Gewissensfreiheit – woher und wozu?
Romano Guardini und „Das Ende der Neuzeit“
Teil 1: Gewissensfreiheit – woher und wozu?
Teil 2: Sigmund Freud: ein „Humanist“?
Teil 3. Romano Guardini und „Das Ende der Neuzeit“
Teil 4: Von der Negation der Willensfreiheit zum Absolutismus
Teil 5: Von der Leugnung des Naturrechts zur neuen „Ethik“
Quelle
Hintergrundtext zur Familiensynode
Rom,, 24. Februar 2010, Zenit.org
„Gewissensfreiheit – woher und wozu?“ Unter diesen Titel beginnt Zenit eine Serie, die sich dem aktuellen Thema „Gewissen und Freiheit“ stellt. Der Autor ist Facharzt für Psychiatrie und Dozent für Psychologische Anthropologie an der deutschen Gustav-Siewerth-Akademie, Weilheim-Bierbronnen.
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Dr. med. Ermanno Pavesi
Romano Guardini und „Das Ende der Neuzeit“
Romano Guardini (1885-1968), katholischer Priester und Professor für christliche Weltanschauung und Religionsphilosophie, hat sich mit dem Zeitgeist intensiv auseinandergesetzt. In einigen Vorlesungen, die er 1947-48 an der Universität Tübingen gehalten, und später in Buchform herausgegeben hat, hat er mit Scharfsinn die Krise unserer Zivilisation analysiert und vom „Ende der Neuzeit“ gesprochen. Diese Krise wird als eine anthropologische aber auch als eine weltanschauliche beschrieben.
Guardini beschreibt den grundsätzlichen Widerspruch der modernen Zivilisation: Einerseits möchte der neuzeitliche Mensch an die Stelle Gottes treten, andererseits wird der Mensch naturalisiert, zum Bündel von Empfindungen oder zum Spielball der Triebe oder anderer Kräfte reduziert: „Einerseits steigert die neuzeitliche Auffassung den Menschen hinauf, auf Kosten Gottes, wider Gott; andererseits hat sie eine herostratische Lust, ihn zu einem Stück Natur zu machen, das sich von Tier und Pflanzen nicht grundsätzlich unterscheidet. Beides gehört zusammen und steht in dem Wandel des Weltbildes in engem Zusammenhang“.
Der positivistisch-naturalistische Ansatz der Neuzeit hat den Menschen analysiert, auf einzelne Elemente reduziert, was nicht nur zu wertvollen Kenntnissen in den verschiedenen Bereichen sondern auch zur Entwicklung von verschiedenen Konzepten des Menschen geführt hat, wie homo faber, homo sociologicus, homo oeconomicus usw. Dabei ist aber das Menschliche im Menschen, das, was den Menschen überhaupt zu Menschen macht, d.h. der Geist, aus dem Auge verloren gegangen: „Das ist vor allem die immer deutlicher sich abzeichnende Tatsache, dass die Kultur der Neuzeit – Wissenschaft, Philosophie, Erziehung, Gesellschaftslehre, Literatur – den Menschen falsch gesehen hat; nicht nur in Einzelheiten, sondern im Grundsatz und daher im Ganzen. Der Mensch ist nicht jener, den Positivismus und Materialismus zeichnen. Für diese ‚entwickelt‘ er sich aus dem tierischen Leben, welches seinerseits aus irgendwelchen Differenzierungen der Materie hervorgeht. Trotz noch so vieler Gemeinsamkeiten ist aber der Mensch etwas wesentlich Eigenes, denn er wird vom Geist bestimmt, der seinerseits von nichts Materiellem abgeleitet werden kann. Dadurch bekommt alles, was er ist, einen besonderen, von allem Lebendigen sonst sich unterscheidenden Charakter“.
Das neuzeitliche Denken wollte den Menschen mit den Methoden der Naturwissenschaften erfassen, und jene Naturgesetze finden, die ihn und sein Verhalten bestimmen. Das bedeutet aber, dass der Mensch nicht frei wäre, dass man von den subjektiven Überzeugungen des Einzelnen absehen kann, dass das menschliche Verhalten keine Ziele hat, sondern nur Ursachen: mit anderen Worten verleugnen neuzeitliche Theorien die personale Dimension des Menschen. „Den Menschen der neuzeitlichen Anschauung gibt es nicht. Immer fort macht sie den Versuch, ihn in Kategorien einzuschliessen, in die er nicht gehört: mechanische, biologische, psychologische, soziologische – alles Variationen des Grundwillens, aus ihm ein Wesen zu machen, das ‚Natur‘ ist, und sei es Geistnatur. Nur eines sieht sie nicht, was er doch zuerst und unbedingt ist: endliche Person, die als solche existiert, auch wenn sie es nicht will, auch wenn sie ihr eigenes Wesen leugnet. Angerufen von Gott, in Begegnung mit den Dingen und mit den anderen Personen. Person, welche die herrliche und furchtbare Freiheit hat, die Welt zu bewahren oder zu zerstören, ja sich selbst behaupten und erfüllen. Oder preisgeben und zugrunde richten zu können“.
Diese Diagnose der Neuzeit, die um einige Jahrzehnte die Diskussion um die Überwindung der Moderne durch die Post-Moderne vorwegnimmt, zeigt meines Erachtens die Schärfe der Analyse Guardinis, der die ganze Katastrophe des Nationalsozialismus erlebt hatte, und erkannt hat, dass der Nationalsozialismus nicht anderes als eine Manifestation der Neuzeit gewesen ist und einige wichtige Eigenschaften der Neuzeit radikal umgesetzt hat. Der Nationalsozialismus hatte gezeigt, wie sich die Neuzeit im Laufe der Zeit auch hätte entwickeln können. Der Nationalsozialismus hat also die Früchte einer der wesentlichen Eigenschaften der Neuzeit gezeigt: die Abwendung von der christlichen Offenbarung.
„Wir haben gesehen, dass sich vom Beginn der Neuzeit an eine nicht-christliche Kultur herausarbeitet. Die Negation richtet sich lange Zeit hindurch nur auf den Offenbarungsgehalt selbst; nicht auf die ethischen, sei es individuellen, sei es sozialen Werte, die sich unter seinem Einfluss entwickelt haben. Im Gegenteil, die neuzeitliche Kultur behauptet, gerade auf diesen Werten zu ruhen. Dieser weithin von der Geschichtsbetrachtung angenommenen Ansicht nach sind z. B. die Werte der Personalität, der individuellen Freiheit, Verantwortung und Würde, der gegenseitigen Achtung und Hilfsbereitschaft im Menschen angelegte Möglichkeiten, welche von der Neuzeit entdeckt und entwickelt worden sind. Wohl habe die Menschenbildung der christlichen Frühzeit ihr Keimen gefördert, ebenso wie die religiöse Pflege des Innenlebens und der Liebestätigkeit während des Mittelalters sie weiter entwickelt habe. Dann aber sei die personale Autonomie ins Bewusstsein getreten und zu einer vom Christentum unabhängigen, natürlichen Errungenschaft geworden. Diese Ansicht findet vielfachen Ausdruck; einen besonders repräsentativen in den Menschenrechten der französischen Revolution.
In Wahrheit sind diese Werte und Handlungen an die Offenbarung gebunden. Letztere steht nämlich zum Unmittelbar-Menschlichen in einem eigentümlichen Verhältnis. […]
Die Personalität ist dem Menschen wesentlich; sie wird aber dem Blick erst deutlich und dem sittlichen Willen bejahbar, wenn sich die Offenbarung in Gotteskindschaf und Vorsehung das Verhältnis zum lebendig-personalen Gott erschliesst“.
Guardini hat hier ein wichtiges Problem angesprochen und seine Interpretation angeboten: Die grundlegenden Werte des Abendlandes und Europas sind christliche. Die Neuzeit stellt eine Übergangszeit dar, die von der allmählichen Abwendung vom Christentum charakterisiert wird. Eine Zeit lang kann die Neuzeit noch vom christlichen Erbe zehren, aber je mehr sie sich vom Christentum abwendet, desto mehr versiegt die Quelle ihrer Schöpferkraft und ihrer Identität. Eine Zeit lang können die angestammten Werte die Gesellschaft noch prägen, ihr Verständnis ändert sich aber allmählich. Die Versuche, die Würde des Menschen und die Werte der Gesellschaft ohne Bezug auf das Christentum zu begründen, können noch gelingen, solange diese Versuche in einem noch christlichen Kontext unternommen werden, und sowohl derjenige, der die Theorien formuliert, wie auch diejenigen, die sie empfangen, immer noch von der christlichen Tradition geprägt sind: „So bleibt das Wissen um die Person mit dem christlichen Glauben verbunden. Ihre Bejahung und ihre Pflege überdauern wohl eine Weile das Erlöschen des Glaubens, gehen aber dann allmählich verloren“.
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