Weiterbildung für Caritas-Verantwortliche aus Syrien
Premiere: Weiterbildung für Caritas-Verantwortliche aus Syrien
Quelle
Päpstlicher Rat “Cor Unum”: Vatikan
Die Konflikte in Syrien, dem Irak und angrenzenden Ländern sind „weiter eine der Hauptsorgen des Heiligen Stuhls“, so das päpstliche Hilfswerk „Cor Unum“. Mehr als zwölf Millionen Menschen in Syrien und mehr als acht Millionen im Irak seien derzeit auf Hilfe angewiesen; die Zahl der Binnenflüchtlinge liege bei sechs Millionen in Syrien und über drei Millionen im Irak. Mindestens vier Millionen Syrer seien vor dem Konflikt in ihrer Heimat in die unmittelbaren Nachbarländer geflohen, die meisten von ihnen – fast zwei Millionen – in die Türkei. Eine Weiterbildung für Caritas-Verantwortliche aus Syrien hat das Päpstliche Hilfswerk Cor Unum in den letzten Tagen durchgeführt. Schauplatz war Beirut, die Hauptstadt des Libanon. Stefan Kempis sprach darüber mit Giampietro Dal Toso, Sekretär von Cor Unum.
Dal Toso: „Es war eine Initiative, um den Bischöfen und dem Personal der Diözesen bzw. der Orden eine Möglichkeit zu geben, sich weiterzubilden – und zwar ganz konkret. Wie bereitet man Projekte vor, wie realisiert man sie, wie berichtet man – auch finanziell – über sie? Diese Initiative ist von uns zusammen mit „Kirche in Not“, „Missio Aachen“ und „Catholic Relief Services“ organisiert worden, aber es war ursprünglich ein Wunsch von Seiten der Betroffenen. Sie wollten, dass sich die Qualität unserer Projekte verbessert und dann auch neue Finanzierungsquellen gefunden werden können.“
RV: Aber es war eine Premiere: das erste Treffen dieser Art in fünf Jahren des Bürgerkriegs in Syrien…
Dal Toso: „Ja, das war eine Premiere. Es ist auch, soweit ich weiss, das erste Mal, dass der Päpstliche Rat so ein Seminar organisiert. Ich würde sagen, es ist ein Zeichen dafür, dass die Weltkirche diese Ortskirchen in Syrien und dem Irak zu begleiten versucht. Auch ein Zeichen der Verantwortung und der Sorge um diese Kirchen. Ein kleines, aber sehr konkretes Zeichen dafür, wie die Weltkirche der Ortskirche helfen kann. Es geht eben nicht nur darum, dass man finanzielle Mittel zur Verfügung stellt, sondern vor allem darum, dass auch eine persönliche Anteilnahme gezeigt wird – dass diese Kirchen und diese Gläubigen und auch die Bischöfe diese persönliche Teilnahme spüren.“
RV: Da trafen sich eine Mehrzahl der syrischen Bischöfe, das Caritas-Personal der einzelnen Bistümer – sicher war das auch mal Gelegenheit zu einem Update. Wie ist jetzt eigentlich für Syrien die Lage aus humanitärer Sicht, wo sind die Haupt-Punkte, wo es brennt?
Wo es brennt: Nahrung, Schule, Arbeitsplatz
Dal Toso: „Bei dem Treffen war auch der Apostolische Nuntius, Erzbischof Mario Zenari, dabei, dann elf Bischöfe aus Syrien und zwischen 25 und 30 Personen aus den Diözesen bzw. Orden. Wir wollten die Anzahl auch nicht zu hoch machen, damit eine bessere Möglichkeit zur Ausbildung gewährleistet würde. Was erbringt so eine Begegnung? Wie Sie gesagt haben: viele Informationen, wie die Lage jetzt aussieht und woran es nottut.
Ich würde sagen: Es gibt vier wichtige Dimensionen, die unsere Aufmerksamkeit verdienen. Das erste ist natürlich die sogenannte „Erste Hilfe“: dass man die Möglichkeit zum Überleben gibt, durch Nahrung und Medikamente. Bei dieser Versammlung sind dann drei weitere Elemente hervorgehoben worden. Das erste ist, dass man die Erziehung, den Unterricht für Kinder und Jugendliche, gewährleistet. Man muss sich ja vorstellen, dass diese Familien, die durch eine grosse Mobilität gekennzeichnet sind – die Hälfte der syrischen Bevölkerung hat ihr Haus verlassen müssen – Schwierigkeiten haben, die Kinder in die Schule zu schicken. Damit verbunden ist zweitens die Möglichkeit zur Arbeit für die Familienväter – also müssen Arbeitsplätze zumindest in den Gegenden geschaffen werden, wo der Krieg sich nicht so stark spüren lässt, wo es keine Bomben gibt oder keine konkreten Kämpfe.
Miete zahlen – damit die Christen in Nahost bleiben
Ein weiteres Element, das die Bischöfe sehr unterstrichen haben: dass man eine Wohnung garantiert. In vielen Fällen heisst das, den Familien zu helfen, jeden Monat die Miete zu zahlen. Wir glauben, das ist ein wichtiger Aspekt, wenn wir wollen, dass die Christen im Nahen Osten bleiben; wir überlegen also, wie wir in diesem Zusammenhang ein Programm starten können.
Aber ich würde darüber hinaus auch sagen, die grosse Bedeutung dieser Initiative besteht einfach darin, dass sich die Leute treffen. Viele sind nämlich in verschiedenen Städten und haben nicht die Möglichkeit, untereinander Kontakt aufzunehmen; es war das erste Mal, dass sich so viele Personen treffen, die in diesem humanitären-karitativen Sektor für die Kirche arbeiten, und dass sie sich auch mit ihren Bischöfen treffen. Also: sich kennenlernen, Informationen austauschen und auch Prioritäten klären.“
RV: Sie haben in Beirut auch Projekte der Caritas Libanon mit Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak besucht?
Dal Toso: „Ja, ich habe drei Zentren von Caritas Libanon besucht – und ich muss sagen, diese Besuche haben mich sehr beeindruckt. Sowohl wegen der Qualität der Arbeit, die dort geleistet wird, als auch von den Erlebnissen her, die ich von den Flüchtlingen aus dem Irak oder aus Syrien gehört habe. Ein für mich sehr wichtiger Aspekt ist, zu merken, wie der Krieg irgendwie konkrete Züge annimmt im Gesicht dieser Personen. Vom Krieg sprechen wir normalerweise in grossen Zahlen, von Kämpfen und Bomben usw., aber wenn man dann das Gesicht der Leute sieht und diese Geschichten hört, dann merkt man, dass der Krieg auch immense, gravierende, schreckliche Konsequenzen hat für das Leben vieler Menschen.
Weil sie die Freiheit erlebt haben
Beeindruckt hat mich auch eine Begegnung mit einer Gruppe von dreissig, vierzig Frauen aus Syrien und dem Irak. Als ich fragte, ob sie in ihre Länder zurückkehren würden, wenn der Krieg einmal zu Ende geht, sagten die meisten: Nein! Aber nicht aus wirtschaftlichen oder aus Sicherheitsgründen, sondern weil sie die Freiheit erlebt haben!
Das ist für mich ein wichtiger Faktor: Die Menschen suchen die Freiheit. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, wieso wir hier in Europa so viele Flüchtlinge haben. Sie suchen die Freiheit – das ist das, was viele bewegt. Und die Tatsache, dass diese Frauen im Libanon diese Freiheit gespürt und erlebt haben, hat sie zutiefst gekennzeichnet und beeindruckt.
Das sagt für mich auch, dass unsere Hilfe und das ganze Engagement der Kirche in diesem Bereich sich wirklich auf die Person konzentrieren muss. Sich auf die Person zu konzentrieren, heisst, dass die Freiheit der Person – in diesem Sinne: die Würde der Person und dadurch eben auch ihre Freiheit – das Herz unseres Engagements sein sollte.“
rv 05.07.2016 sk
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