Die Fahnenflucht der Richter
Kinderbetreuung
Quelle
Von Jürgen Liminski
Die Tagespost, 20. Juli 2015
Häme und Spott waren zu erwarten, logische Fehlschlüsse auch. Das ist gängige Münze bei Ideologen und manche rotgrünen Politiker waren nach dem Urteil zum Betreuungsgeld damit auch schnell auf dem gleichgesinnten Medienmarkt. Aber das Urteil ist ambivalent, trotz des einstimmigen Votums der Richter. Zwar ist die Kompetenzzuweisung an die Länder nicht zu beanstanden, Kinderbetreuung ist nach dem Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII) eine kommunale Aufgabe und für die Finanzausstattung der Kommunen sind die Länder verantwortlich. Es gab übrigens auch vor Beginn der Krippenoffensive vor zehn Jahren eine Diskussion unter Fachleuten darüber. Aber gegen die Krippen-Förderung gab es eben keine Kläger – auch Hamburg nahm das Fördergeld für die Krippen gern –, so dass das Gesetz seinen Lauf nahm. Jetzt, nachdem die meisten Krippenplätze und somit vollendete Tatsachen geschaffen sind, klagte Hamburg, mit der Rückendeckung von Grünen, Linken und SPD. Das Urteil aus Karlsruhe stellt aber de facto nun auch die Kita-Förderung durch den Bund infrage. Sollte es da einen Kläger geben, etwa die Landesregierung Bayerns, müsste auch hier der Bund von der Förderung entlastet werden. Das ist der Hebel, den Bayern ansetzen kann, um sein bayerisches Betreuungsgeld zu finanzieren.
Das Urteil ist aber auch deshalb ambivalent, weil die Richter nicht diesen formaljuristischen Kompetenzpfad, sondern einen anderen inhaltlichen Argumentationsweg hätten gehen können, und zwar den Weg ihrer Vorgänger in Karlsruhe. 1999 hatte das oberste Gericht im sogenannten Betreuungsurteil verkündet, dass “die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und zu fördern” sei (BVerfGE 99, 216, 231). Es war ein Urteil für die Wahlfreiheit. Diese Wahlfreiheit sollte durch das bescheidene Betreuungsgeld wenigstens ansatzweise ermöglicht werden. Es war und ist auch eine Anerkennung der elterlichen Erziehungsleistung. Übrigens betonen auch manche Vergleichsstudien über die Qualität der Betreuung in Krippen und die Qualität der familiären Erziehung, dass es den Kindern deutlich besser bekommt, zuhause erzogen zu werden.
Dieser inhaltlichen Debatte sind die Richter ausgewichen. Dafür kann man Verständnis haben, es ist eine politische Debatte. Für die Familien aber heisst das, dass der alte Verbündete, das Bundesverfassungsgericht, gesellschaftspolitisch von der Fahne gegangen ist. Das hat natürlich mit der personalen Zusammensetzung des Gerichts zu tun und man sollte auch nicht so tun, als seien Richter neutrale Wesen. Diese Zusammensetzung kann sich auch mal wieder ändern. Für heute aber muss man konstatieren: Die politisch-mediale Lobby für Familien ist in Deutschland ziemlich schwach. Die Familien sind auf sich selbst angewiesen. Und bei allem Jubel der rotgrünen Staatsgläubigen a la DDR: Noch gilt die Erstzuständigkeit der Eltern nach Artikel 6 GG und noch ist es nicht verfassungswidrig, seine Kinder selber zu erziehen.
Wer Familie fördern und schützen will, sollte sich in die inhaltliche Debatte einmischen. Die ist noch lange nicht zu Ende.
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