Ein kontinentales Heimspiel
Ob am Pazifik oder in den Anden: Freudige Begeisterung in Ecuador über den Besuch von Papst Franziskus
Landestypisch ging es bei der Papstmesse im Bicentenario-Park in Quito zu: Kasel und Rosenschmuck tragen die Handschrift der Gastgeber.
Von Guido Horst
Quito, Die Tagespost, 08. Juli 2015
Es war ein Wechselbad der Temperaturen. Wer am Montagvormittag (Ortszeit) auf Papst Franziskus im Volkspark “Los Samanes” in der Stadt Guayaquil an Ecuadors Pazifikküste wartete, musste vierzig Grad Celsius und neunzig Prozent Luftfeuchtigkeit ertragen. Wer dasselbe einen Tag später vor der Papstmesse in einer anderen Grünanlage tat, dem “Parque Bicentenario” in der Anden-Stadt Quito, musste sich warm anziehen. Es war kalt, immerhin in einer Höhe von 2 850 Metern. Und wer sich bereits am Abend zuvor oder nachts einen guten Platz in dem Park sichern wollte, hatte sogar einem Gewitter und Hagelsturm standzuhalten. Aber ein Wechselbad der Gefühle war es nicht. Ob in Quito oder am Meer, dem Papst schlugen die Herzen der Ecuadorianer entgegen, Jubelrufe, Begeisterungsschreie überall dort, wo er sich zeigte, egal ob im silbergrauen kleinen Fiat, im zum weissen Papamobil umgebauten Jeep oder einfach zu Fuss, wie am Montagabend in der Altstadt von Quito zwischen Präsidentenpalast und Kathedrale. Verwundern kann das nicht.
In Ecuador hat Franziskus seine erste Reise als Papst durch das spanischsprachige Lateinamerika angetreten – und es wurde ein “kontinentales Heimspiel”. Verwunderlich war da schon eher, dass sich auf dem auf 1, 5 Millionen Teilnehmer angelegten Areal im “Parque Los Samanes” für den Gottesdienst am Montagvormittag am Ende nur etwa 250 000 Menschen eingefunden hatten. Die Macht des Fernsehens? Auch in Rom hat man sich daran gewöhnen müssen, dass die Teilnehmerzahlen bei den Generalaudienzen von Franziskus und den Papstmessen auf dem Petersplatz sehr deutlich zurückgegangen sind.
Aber überall – ob in Guayaquil auf dem Weg vom Flughafen zum erst drei Jahre alten Heiligtum der Göttlichen Barmherzigkeit und von dort weiter zum “Samanes”-Park oder auf den Routen des Papstes durch Quito: dichte Trauben von Menschen, die Franziskus sehen und ihm zuwinken oder ihn sogar berühren wollten. Ob sie auch seine Botschaft verstanden haben? Oder ob sie sich einfach ihren begeisterten Gefühlen hingaben? In Ecuador hat sich Franziskus zwei Themen ausgesucht, die er zu Beginn seiner Lateinamerikareise besonders in den Mittelpunkt stellen wollte: die Familie, zentrales Thema der Predigt in Guayaquil, sowie die Einheit und Überwindung der Ausgrenzung, wovon Franziskus bei der Predigt in Quito sprach, diesmal dann doch vor etwa einer Million Menschen. Hier benutzte der Papst wieder das Wort von der Inklusion, die er als Ideal dem Hass und den Spannungen zwischen sozialen Gruppen oder Ländern sowie dem verbreiteten Individualismus entgegensetzte. Ein schwieriges Wort, das die Hörer der Predigten und Ansprachen des Papstes erst dann richtig einordnen können, wenn sie seine gesamte Verkündigung in Lateinamerika lesen, die starke gesellschaftliche und sozialpolitische Züge zu tragen verspricht und sich deutlich gegen Gruppenegoismen und das Machtstreben Einzelner wendet. Wenn Franziskus jetzt in Ecuador von der Einheit sprach, meinte er nicht die Ökumene. Begegnungen mit anderen christlichen Konfessionen sind für die gesamte Lateinamerikareise nicht vorgesehen. Kardinal Kurt Koch, Präsident des vatikanischen Einheitsrats, konnte zuhause bleiben, der einzige Kardinal im päpstlichen Gefolge ist bei diesem Pastoralbesuch in Lateinamerika Staatssekretär Pietro Parolin.
Auch ein anderes Wort haben seine Zuhörer wohl nicht sofort einordnen können. Hat er wirklich die wiederverheirateten Geschiedenen gemeint, als er am Ende seiner Predigt in Guayaquil sagte, dass Jesus eine Schwäche dafür habe, mit denjenigen den besten Wein zu trinken, die “spüren, dass sie alle Krüge zerbrochen haben”? Kurz vorher hatte er die Gläubigen zum Gebet für die kommende Familiensynode aufgefordert und angefügt, dass Gott alles, “was uns unrein erscheint”, was “uns erregt oder erschreckt”, durch die “Stunde” Jesu “in ein Wunder verwandeln kann”. Nicht die Menschen im Park “Los Samanes” verstanden darin eine Anspielung auf die Wiederverheirateten oder gar homosexuelle Paare, wie es eine deutsche Nachrichtenagentur mutmasste, sondern die mitreisenden Journalisten, die sich auf solche interpretierbare Aussagen stürzen. Die Ecuadorianer dagegen, die die beiden Gottesdienste des Papstes in ihrem Land besuchten, liessen einfach ihre stark ausgeprägte Frömmigkeit sprechen. Nicht – wie in Rom oder bei anderen Begegnungen mit dem Papst in Europa üblich – Spruchbänder und Transparente prägten das Bild bei den beiden Messen im Freien, sondern eine ungeheure Vielfalt von frommen Gegenständen, die viele Gläubigen mitgebracht hatten: Kreuze, Blumengestecke mit Rosenkränzen, Madonnen, Heiligenbilder, alles geschmückt und mit Tüchern oder Ketten verziert. Vor allem liebt der Ecuadorianer Blumen, und wenn es geht, müssen es Rosen sein. Gewaltige Gestecke mit Hunderten von Blüten und kunstvollen Mustern oder Skulpturen liessen viele Orte, an denen sich Franziskus aufhielt, sogar angenehm riechen. Staatspräsident Rafael Correa hatte es sich nicht nehmen lassen, den ganzen Hof seines Präsidentenpalasts mitten im historischen Quito für die dortige Begegnung mit Franziskus von einem Blumenteppich überziehen zu lassen.
Der von Oppositionsgruppen heftig angefeindete Correa stand in diesen Tagen ein wenig unter Beobachtung. Man hatte ihm im Vorfeld vorgeworfen, er wolle den Papstbesuch instrumentalisieren. Immerhin, der katholische Linkspolitiker kam zu beiden Messen und genoss es am Montagabend sichtlich, Franziskus vor laufender Kamera durch seinen Palast zu führen. In zwei Sälen hatte der Präsident seine Regierung, seine Mitarbeiter, seine Familie, Verwandte, Freunde und Bedienstete aufgestellt. Der Papst gab allen die Hand. Zusammen mit dem Vieraugengespräch zwischen Correa und Franziskus dauerte der Höflichkeitsbesuch anderthalb Stunden. Der anschliessende Besuch des Papstes in der Kathedrale fiel dafür kurz aus. Dafür nahm Franziskus auf dem Weg dorthin jede einzelne Schwester einer Gruppe von Klausurnonnen in den Arm. Die geweihten Frauen versuchten erst gar nicht, ihr übergrosses Entzücken zu verbergen.
Die Stimmung war also prächtig. Das galt für die grossen Messfeiern wie für die kleineren Begegnungen, so vor der Messe im “Samanes”-Park im Heiligtum von der Göttlichen Barmherzigkeit, in dem sich nur wenige hundert Menschen, unter ihnen viele Alte, Kranke und Behinderte, vor der überdimensionalen Darstellung des barmherzigen Jesus nach der Vision von Schwester Faustina Kowalska versammelt hatten. Nach dem gemeinsamen Gebet eines Ave Maria verabschiedete sich Franziskus mit einfachen Worten: “Jetzt gehe ich nun, um die Messe zu feiern und ich trage euch alle in meinem Herzen. Ich werde für jeden von euch beten. Ich werde dem Herrn sagen: ‘Du kennst alle Namen derer, die hier sind.’ Ich werde Jesus für jeden von euch bitten, um viel Barmherzigkeit, dass er euch mit Barmherzigkeit zudecke, sich um euch kümmere. Und die Jungfrau ist stets an eurer Seite. Und jetzt muss ich gehen, denn der Herr Bischof hat mir gesagt, dass die Zeit knapp ist. Ich gebe euch den Segen, und bitte euch um nichts. Aber, bitte, betet für mich, versprochen? Danke für euer christliches Zeugnis.”
Ebenso gelöst ging es zu, als Franziskus schliesslich am Dienstagnachmittag – wiederum Ortszeit – in der Päpstlichen Katholischen Universität von Ecuador mit Vertretern der Welt von Universität und Schule zusammentraf. Auf dem Campus der Hochschule mitten in Quito hatten sich Tausende versammelt, es wurde schon lange vor dem Eintreffen des Papstes gesungen und gewunken, selbst die anwesenden Bischöfe liessen es sich nicht nehmen, im Rhythmus der Musik mitzuschaukeln. Bevor Franziskus seine Ansprache hielt, legten eine Schülerin und eine Lehrerin Zeugnisse ab.
Die wunderbar ausgestattete Kirche San Francisco im Herzen der Altstadt, deren Bau 1534, sofort nach der Gründung des heutigen Quito, begonnen hatte, war dann der Ort der Zusammenkunft mit Vertretern der Zivilgesellschaft. Wieder eine Fahrt im Papamobil durch die Stadt, schliesslich durch die engen Gassen des historischen Zentrums. Jeder in Quito hatte in diesen Tagen die Gelegenheit, den Papst auch aus der Nähe zu sehen. Vor der Kirche erhielt Franziskus vom Bürgermeister Quitos die Schlüssel der Stadt ausgehändigt – gerade noch rechtzeitig, am nächsten Vormittag sollte es in Richtung Bolivien weitergehen.
In San Francisco ging es schliesslich etwas getragener und feierlicher zu. Repräsentanten indigener Gruppen, Vertreter von Handwerksinnungen und Vereinigungen kleiner und mittlerer Unternehmen, Persönlichkeiten des kulturellen Lebens, auch Vertreter der Opposition, einfach alles, was in Quito und weit darüber hinaus Rang und Namen hat, war geladen. Schliesslich die Ansprache des Papstes als Höhepunkt nach einer langen Reihe von Grussadressen ausgewählter Redner.
Der Tag schloss mit einem privaten Besuch des Papstes in der Jesuitenkirche im Zentrum Quitos. Am Mittwochvormittag standen noch der Besuch eines von den Missionarinnen der Barmherzigkeit geführten Altenheims und eine Zusammenkunft mit Priestern, Ordensleuten und Seminaristen in einem Marienheiligtum auf dem Programm – dann wartete bereits das Flugzeug nach La Paz in Bolivien.
Siehe Seiten 6 bis 8 ABO/Leserservice
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