Franziskus warnt vor der Zerstörung der Familie
Auf den Philippinen ruft der Papst die Völker auf, dem “ideologischen Kolonialismus” Widerstand zu leisten
Von Stephan Baier
Manila, Die Tagespost, 16. Januar 2015
Bei seinem umjubelten Besuch auf den Philippinen hat Papst Franziskus soziales Unrecht und die politische Korruption deutlich angeprangert. Der Papst liess zugleich mit leidenschaftlichen Appellen zur Familie aufhorchen. Bei einem Treffen mit zehntausenden Gläubigen in der “Mall of Asia” in Manila wich Franziskus von seinem vorbereiteten englischen Redetext ab und sagte auf Spanisch: “Es gibt heute einen ideologischen Kolonialismus, auf den wir aufpassen müssen. Er versucht, die Familie zu zerstören. Das kommt von aussen, deshalb nenne ich das Kolonialismus. Unsere Völker müssen Nein sagen zu diesem Kolonialismus!” Die Familien müssten weise und tapfer sein, um Nein sagen zu können zum neuen Kolonialismus, forderte der Papst.
Vehement warnte Franziskus vor einem “Lifestyle, der die Familien zerstört”, kritisierte den Relativismus und den Mangel an Offenheit für das Leben. Papst Paul VI. habe in einer Zeit des Bevölkerungswachstums die Stärke gehabt, “die Offenheit für das Leben zu verteidigen”, darum sei er ein mutiger und guter Hirte gewesen, sagte der Papst unter dem Applaus der Familien. Zustimmend zitierte er den heiligen Johannes Paul II.: “Die Zukunft der Menschheit geht über die Familien” und rief: “Also schützt eure Familien!”
Mit der Bemerkung, sein Englisch sei so armselig, wechselte Franziskus in seiner Rede an die Familien immer wieder ins vertraute Spanisch. So erinnerte er an seine eigenen Eltern und forderte die Familien auf, ihren Traum von den eigenen Kindern und von der Liebe des Ehegatten nie aufzugeben. “Als Christen seid ihr aufgerufen, wie Joseph ein Heim für Jesus zu bereiten”, sagte der Papst und zitierte Mutter Teresa: “Eine Familie, die zusammen betet, bleibt auch zusammen.” Kinder würden in der Familie lernen, zu lieben, zu vergeben, grosszügig zu sein und nicht selbstsüchtig. Neuerlich in seiner Muttersprache nannte der Papst den heiligen Joseph einen “starken Mann des Schweigens“ und erzählte diese Anekdote: “Ich habe eine Darstellung des schlafenden heiligen Joseph. Schlafend wacht er über die Kirche. Wenn ich ein Problem oder eine Schwierigkeit habe, dann schreibe ich das auf einen Zettel und schiebe es unter die Statue – so dass er darüber schlafen kann.”
In seiner Ansprache forderte Franziskus den Schutz des menschlichen Lebens “von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod“. Bereits in seiner ersten Rede in Manila, am Freitagmorgen im Präsidentenpalast, hatte Franziskus die Rolle der Familie bei der Erneuerung der Gesellschaft betont: “Die Familie hat eine unerlässliche Aufgabe in der Gesellschaft. In der Familie nämlich werden die Kinder zu soliden Werten, hohen Idealen und echter Sorge für andere erzogen. Aber wie alle Gaben Gottes kann auch die Familie entstellt und zerstört werden. Sie braucht unsere Unterstützung.“ Gleichzeitig mahnte Franziskus in Anwesenheit der politischen und gesellschaftlichen Spitze der Philippinen, “so grundlegende menschliche Werte zu bewahren und zu verteidigen wie die Achtung der unantastbaren Würde jedes Menschen, die Achtung der Gewissens- und der Religionsfreiheit sowie die Achtung des unveräusserlichen Rechts auf Leben, beginnend mit dem Leben der Ungeborenen und bis hin zum Leben der Alten und Kranken“. Die Familien müssten “ermutigt und unterstützt werden, unserer Jugend die Werte und die Perspektiven weiterzugeben, die helfen können, eine Kultur der Rechtschaffenheit aufzubauen: eine Kultur, in der Güte, Aufrichtigkeit, Treue und Solidarität hochgehalten werden als stabile Grundlage und moralisches Bindemittel, das die Gesellschaft zusammenhält.“
Auch in der Kathedrale von Manila, wo der Papst am Freitagvormittag eine Messe mit Bischöfen, Priestern, Ordensleuten und Seminaristen feierte, machte Franziskus die Familie zum Thema und mahnte: “Verkündet einer Gesellschaft, die durch verwirrende Darstellungen von Sexualität, Ehe und Familie in Versuchung geführt wird, die Schönheit und die Wahrheit der christlichen Botschaft. Wie ihr wisst, geraten diese Realitäten zunehmend unter den Beschuss mächtiger Kräfte, die drohen, Gottes Schöpfungsplan zu entstellen und eben jene Werte zu verraten, die das Beste in eurer Kultur inspiriert und geformt haben.“
In der “Mall of Asia”, einem der grössten Einkaufszentren der Welt, gaben Mütter und Väter Zeugnis von den Prüfungen und Herausforderungen ihrer Familien. Dabei kam auch die rund zehn Millionen Filipinos betreffende, viele Familien über Jahre zerreissende Problematik der Arbeitsmigration zu Sprache. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung arbeiten, oft unter entwürdigenden Bedingungen, für mehrere Jahre im Ausland, um ihre Familien erhalten zu können. Bischof Gabriel Reyes von Antipolo, der in der philippinischen Bischofskonferenz die Familien-Kommission leitet, erzählte von den Sorgen der Familien seines Landes. 35 Prozent der Filipinos sind unter 15 Jahre alt. Das Durchschnittsalter der Einwohner beträgt – ganz konträr zu Europa – 23 Jahre.
Abweichend vom vatikanischen Programm besuchte der Papst am Freitagnachmittag auch 20 Strassenkinder, die – wie 300 weitere Kinder aus den Slums – vom kirchlichen Hilfswerk TNK betreut werden. Vatikansprecher Lombardi wusste zu berichten, der Papst sei von den Kindern mit Tänzen und Gesängen empfangen und mit Bildern und einem Mosaik beschenkt worden. Franziskus selbst zeigte sich später sehr bewegt von der Begegnung. “Da sah man den Heiligen Vater in seinem Element!”, kommentierte Manilas Kardinal Luis Antonio Tagle das Treffen.
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