‘… ist dann übermorgen einer mehr in der Kirche, weil er Gott liebt?’
“Glaubenserosion”, Familiensynode, Debatte um Sterbehilfe, Lebensschutz ab der Empfängnis, aber auch Zölibat und Bischofs-WG
Glaubensvertiefung “das Gebot der Stunde“
Passauer Bischof Oster äussert sich im Interview mit der “Passauer Neuen Presse” über “Glaubenserosion”, Familiensynode, Debatte um Sterbehilfe, Lebensschutz ab der Empfängnis, aber auch über Zölibat und Bischofs-WG.
Passau, kath.net/pl, 15. Dezember 2014
“Mehr von Jesus.”
Diesen grundsätzlichen Wunsch hat der Passauer Bischof Stefan Oster für sein Bistum. In einem ausführlichen Interview mit der Tageszeitung “Passauer Neue Presse” ging er auf so dringliche Themen wie die innerkirchliche “Glaubenserosion”, die Familiensynode, die Debatte um Sterbehilfe und Lebensschutz ab der Empfängnis ein. Doch auch privateren Fragen nach seinem Umgang mit dem Zölibat und seiner neuen Wohnsituation in einer Wohngemeinschaft wich er keineswegs aus.
“Wir verlieren massiv an Kirchenbesuchern, wir haben massive Austrittszahlen”, stellte der Passauer Bischof fest. Dabei erschrecke ihn aber ersteres “wesentlich stärker”. Es stelle sich die Frage, “wie wir auf den Umbruchsprozess antworten”. Für sein Bistum hat er bereits eine Kommission gegründet, die die Neuevangelisierung in den Blick nehmen soll. Oster erläuterte, dass es ihm darum gehe, “wo man in der heutigen Kirche“ als erwachsener Mensch lernen kann, “was wir glauben“. Er habe den Eindruck, die klassischen Formen greifen nicht mehr wirklich, die Predigt, der Religionsunterricht”. Denn die Menschen wüssten “trotzdem immer weniger, was wir glauben“. Dabei gehe es um “Selbstevangelisierung“. “Zuerst muss ich verstehen, bin ich selber einer, der im normalen System mitläuft, oder bin ich ein Jünger Jesu, der hinausgeht und sagt: Mir ist was passiert, was du auch erfahren musst?“ Er glaube nicht, dass die Kirche den Säkularisierungsprozess aufhalten könne, “aber ich glaube, dass sich Inseln bilden können, Gemeinschaften, Orte, wo plötzlich Dynamik des Evangeliums entsteht und Leute sagen: Wir glauben, wir haben Jesus persönlich kennen gelernt und wollen ihn noch besser verstehen“. Nach Einschätzung von Oster ist Glaubensvertiefung “das Gebot der Stunde“.
Die Glaubenserosion sei nicht dem II. Vatikanischen Konzil anzulasten. “Wenn wir die Konzilstexte wirklich lesen und verstehen würden, dann wüssten wir z.B., dass wir alle zur Heiligkeit berufen sind. Und dass es das gibt: in einem persönlichen Verhältnis zu Christus zu reifen, einen Weg mit ihm zu gehen – das ist Evangelium.” Doch, so fragte Oster, in welcher normalen Pfarrei finde man dies als die Leitidee vor, “an der sich Pfarreileben orientiert? Aber dort, wo das geschieht, geschieht dann auch Wandel und Erneuerung.”
Auch zur ausserordentlichen Bischofssynode und den dadurch verstärkt in den Fokus gerückten Themen und Entwicklungen äusserte sich Oster. “Was mich erstaunt hat, war der Papst in seiner Abschlussrede, die gut jesuitisch all die Versuchungen nach der einen wie der anderen Seite erläutert hat, und wo er dann auf einmal, dem Konzil entsprechend, in Anspruch nimmt: ‘Ich bin der Papst und entscheide aus mir heraus und nicht aus Konsens, wo es hingeht'”, kath.net hat berichtet . Da hätte man gestaunt, doch sei diese Papstaussage “fast nicht wahrgenommen worden von den Medien”. Der Bischof zeigte sich “echt gespannt, wie das ausgeht”.
Der Passauer Oberhirte fragte, warum Themen wie etwa wiederverheiratete Geschiedene und Zölibat “so spannend für die Medien“ sind oder “für eine Gesellschaft, die sich für Kirche nur noch mehr oder weniger interessiert”? Er wies darauf hin, dass “viele von denen, die diese Themen so stark fokussieren“, “sich für die Kerninhalte des christlichen Glaubens nicht mehr wirklich” interessierten. Es wäre ihm lieber, “wenn wir von der Mitte des Glaubens aus diskutieren und dann die Randfragen stellen, an denen wir dauernd hängen bleiben.“ “Glauben Sie wirklich, wenn der Papst morgen sagen würde ‘O.k. zur Kommunion für wiederverheiratet Geschiedene’ oder ‘Wir segnen homosexuelle Paare’, dass dann übermorgen schon einer mehr in der Kirche ist, weil er Gott mehr liebt und besser das Geheimnis von Kirche versteht?”, gab Oster zu bedenken.
Zum Thema des kirchlichen Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen bemerkte Oster: “Wie viele Ehen sind überhaupt Sakrament? Hier hat Benedikt zurecht gefragt, ob wir nicht stärker die Qualität des Glaubens von Eheleuten mit einbeziehen müssen als wir es derzeit tun.”
Wenn man den “Christus der Frohen Botschaft“ zitiere, stelle sich durchaus die Frage, um wen es sich dabei handle. Einerseits stimme der Anfangssatz von Papst Franziskus in “Evangelii Gaudium“: “Allen Menschen, die dem Herrn wirklich begegnen, wird das Herz mit Freude erfüllt.” Doch andererseits spreche der Christus der Frohen Botschaft “in einem Viertel bis einem Drittel seiner Worte Gerichtsworte. In denen es darum geht, dass man sein Leben auf Gott hin ausrichten soll. Ist der Christus der Frohen Botschaft, nach dem Sie fragen, derjenige, der sagt: ‘Wer sein Leben gewinnen will, wird es verlieren. Wer es um meinetwillen verliert, wird es gewinnen’?” Jedenfalls wolle er selbst sein Leben “nach diesem Christus ausrichten und nicht an der Frage, was die Mehrheit für zeitgemäss” halte.
In die Sterbehilfedebatte habe sich die Kirche “wirklich eingebracht“ und sei gehört worden. Bischof Oster beschrieb das Thema “Personenwürde“ als ein für ihn “ganz grosses Thema”. Es gelte, “die Würde der menschlichen Person in all ihren Lebensphasen und in den prekären Bedingungen unserer Zeit zu wahren, zu schützen”. Da rühre man “an etwas Heiliges. Das Bewusstsein, mit dem Leben an seinem Ende besonders sorgfältig umzugehen, ist noch gross in der Bevölkerung. Und auch beim Thema Anfang des Lebens steht für mich fest, dass das Leben mit der Empfängnis beginnt und dass wir schon das empfangene Leben im Mutterleib als Leben mit Personenwürde ausgestattet wissen müssen.”
Auch zu privateren Fragen stand Deutschlands jüngster Bischof Rede und Antwort. Einerseits erfahre er im Zölibat eine “grosse Getragenheit” und er verstehe “zutiefst die Sinnhaftigkeit des zölibatären Lebens”, doch andererseits bleibe er “natürlich ein normales Mannsbild, das auch sieht, dass es Menschen anderen Geschlechts gibt, die attraktiv sind und die etwas in Bewegung bringen in meiner psychophysischen Natur”, bekannte er. Doch müsse es ja jeder Mensch lernen, “seine eigenen Emotionen und Triebe zu personalisieren”, auch der Verheiratete. Wenn sich nach der Heirat “die ersten Hormonwallungen” gelegt hätten und man eine nette junge Kollegin habe, “dann müssen Sie auch lernen, damit umzugehen, wie Sie Ihre ganz normalen Äusserungen als Mannsbild kanalisieren”. Auch als Bischof bleibe er “ein Mann, gar keine Frage”, doch habe er mit dem Zölibat “eigentlich keine grösseren Probleme”. Zwar bleibe “eine offene Sehnsucht nach Partnerschaft oder Familie oder einem eigenen Kind”, doch sie reiche nicht “in den Grund der Tiefe, aus der ich die Sinnhaftigkeit meines jetzigen Lebens erfahre”.
Dass das Medieninteresse an seiner Bischofswohngemeinschaft so gross sei, habe ihn auch selbst überrascht. In der WG sei es derzeit so, dass man häufig die Mahlzeiten teile und gemeinsam bete. Zum Kochen komme er nicht, das “Kochen übernehmen weitgehend die Leute, die im Haus wohnen. Die machen für sich was, und ich darf mitessen.” Umgekehrt biete er oft an, “die Hl. Messe zu feiern. Das ist dann ein bescheidener Teil meines Beitrags”. Einmal die Woche komme eine Zugehfrau, die beim Bischof putzt und die Wäsche macht, denn “ich habe von Anfang an gesagt, ich will nicht, dass die, die mit mir wohnen, meinen Haushalt machen”.
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