Amerika als Folterstaat?

Was lief falsch im Amerika der Bush-Jahre?

Stephan BaierDie Tagespost, 12. Dezember 2014

Von Stephan Baier

Sadisten erniedrigen, quälen und foltern Menschen, weil es ihnen Lust und Befriedigung gibt. Aber Sadismus ist – nach der internationalen Diagnoseklassifikation ICD-10 wie laut “American Psychiatric Association” – eine psychische Störung.

Wenn Geheimdienste foltern, sind dort jedenfalls Seilschaften von Sadisten am Werk, denn einem Nicht-Sadisten das Foltern zu befehlen, ist auch ein sicheres Anzeichen für Sadismus. Wenn jedoch solches geheimdienstliches Foltern von den politischen Autoritäten befohlen oder gedeckt wird, dann müssen nicht nur Einzelne zum Psychiater, sondern ein ganzes System. What went wrong? Was lief falsch im Amerika der Bush-Jahre?

Warum verliessen Politik und Geheimdienst den Raum der Rechtsstaatlichkeit so weit? Warum erniedrigten, quälten und folterten sie im Ausland Menschen mit Methoden, die jeder zivilisierte Zeitgenosse allenfalls den totalitären Tyranneien des 20. Jahrhunderts oder den islamistischen Fanatikern des 21. Jahrhunderts zutrauen würde? Solche Fragen zu stellen ist keineswegs anti-amerikanisch, denn die Kontroverse findet in Amerika und unter Amerikanern statt: zwischen denen, die in der schonungslosen Diagnose den Weg zur Genesung der Nation sehen, und jenen, die – wie Bush und seine alte Gang – die CIA-Folterpraktiken heute noch verteidigen.

Ja, es geht in der Tat um die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika! Allerdings nicht im Sinn von Bush: Amerikas Sicherheit ist von aussen bedroht, weil die brutalen Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen den Hass auf Amerika in der islamischen Welt und in vielen Entwicklungsländern entfacht haben. Weil Hassende nicht differenzieren, hat dieses Feuer nicht nur pauschal “den Westen“ erfasst, sondern seit dem Irak-Krieg 2003 auch die arabischen Christen, die von muslimischen Fanatikern zu Agenten des Westens und für vogelfrei erklärt wurden. Amerikas Sicherheit ist auch von innen bedroht, weil das Foltersystem alles mit Füssen tritt, was US-Politiker gerne “Amerikas Werte“ nennen. George W. Bush behauptete, dem Nahen Osten Freiheit und Demokratie zu bringen, aber er hat ihm nur Krieg, Chaos und Leid gebracht – insbesondere den Christen. Er wollte seinem Land dienen, aber er hat es beschmutzt und beschädigt. Und zwar, wie seine Verteidigung der Folterpraktiken jetzt beweist, nicht zufällig, sondern mit innerer Logik: Bush hat bis heute nicht verstanden, dass es Menschenrechte nur geben kann, wenn sie für alle Menschen gelten, und dass der Rechtsstaat nur funktioniert, wenn niemand über dem Recht steht und niemand ausserhalb des Rechts. Darum haben die Folterknechte der CIA und ihre politischen Hintermänner die USA in ihrer Identität mehr gefährdet, als es Terroristen und Feindstaaten könnten: Sie haben die Grundwerte ihres Landes mit Füssen getreten, es unter die Folter- und Terrorregime eingereiht. Nur wenn sich die USA jetzt einer politischen und juristischen Aufarbeitung dieser Schande stellen, können sie die Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit sichtbar machen. Doch auch dann bliebe noch der nicht mehr reparierbare aussen- und weltpolitische Schaden. Denn die Folterungen zwischen Abu Ghraib und Guantanamo waren nicht nur eine Sünde und ein Verbrechen, sondern – wie die ganze US-Nahostpolitik unter Bush – eine folgenschwere politische Dummheit.

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