“Kobane wird geopfert”
Krisenberatung erst am Dienstag, “Kobane wird geopfert”
Samstag, 11. Oktober 2014
Die internationale Militärkoalition gegen die Dschihadistengruppe Islamischer Staat kommt am Dienstag zu Beratungen in Washington zusammen. Dann könnte es für die nordsyrische Stadt Kobane längst zu spät sein. Doch das gehört einem US-Experten zufolge zur Strategie der USA.
Nach Einschätzung des US-Experten Jackson Janes haben die USA die syrische Grenzstadt Kobane im Kampf gegen die Dschihadistengruppe Islamischer Staat (IS) längst aufgegeben. “Kobane wird ein Opfer sein”, sagte Janes von der Johns Hopkins University im Deutschlandradio Kultur. Ein Signal dafür sei, dass die von den USA geführte Militärkoalition gegen den IS erst am kommenden Dienstag zu Beratungen über die Krise zusammenkomme.
Für die USA nehmen an den Beratungen Generalstabschef Martin Dempsey und der Chef des für den Nahen Osten zuständigen US-Militärkommandos Centcom, General Lloyd Austin, teil. Auch die Militärchefs der an dem Einsatz beteiligten europäischen und arabischen Länder sowie Australiens werden nach Angaben von US-Behördenvertretern in Washington erwartet.
Selbst ein drohendes Massaker an Zivilisten ähnlich wie in Srebrenica würde nicht dazu führen, dass die USA ihre Strategie änderten und Bodentruppen einsetzten, sagte Janes. In den USA herrsche nach dem Irak-Krieg die Haltung, keine Truppen zu entsenden, solange nicht die unmittelbaren Nachbarn in der Region aktiv werden. Und die Türkei, an deren Grenze Kobane liegt, ist dazu noch nicht bereit. “Das ist ein schwerwiegendes Argument”, sagte der Direktor des American Institute for Contemporary German Studies.
Ohne Bodentruppen chancenlos
Nach einer Eroberung von Kobane durch den IS werde es gegenseitige Schuldzuweisungen geben, da die Türkei darauf bestehe, keinen alleinigen Vorstoß zu machen, und Washington zunächst die Kräfte in der Region am Zug sehe. “Wenn selbst die unmittelbaren Nachbarn nicht eingreifen, warum sollten wir das tun?”, sei die vorherrschende Meinung in der US-Öffentlichkeit und im Kongress. Ohne Bodentruppen sieht Janes die Grenzstadt verloren: “Selbst eine Supermacht ist nicht in der Lage, so eine Krise zu lösen, ohne den Einsatz von Truppen. Es ist blamabel, es ist eine Katastrophe”, aber momentan wohl “eine gegebene Tatsache (…), man nimmt das in Kauf”.
Die Lage in der Region von Kobane spitzte sich zuletzt zu. Kurdische Milizionäre kämpften erbittert um die Kontrolle einer wichtigen Verbindungsstraße zur Türkei. Der UN-Sondergesandte für Syrien warnte vor einem Massaker an Zivilisten in Kobane. Sollte der IS die Stadt erobern, hätten die sunnitischen Extremisten einen durchgängigen Grenzstreifen von mehr als 200 Kilometern zur Türkei unter ihrer Kontrolle.
Die EU zeigte sich sehr besorgt. Die EU, die Türkei sowie regionale und internationale Partner müssten verstärkt zusammenarbeiten, um der Bedrohung durch den IS zu begegnen, teilte der Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton in Brüssel mit. Marie Harf, stellvertretende US-Außenamtssprecherin, sagte, die Türkei habe zugesagt, die gemäßigte Opposition in Syrien durch militärische Ausbildung und Ausstattung zu unterstützen. Einzelheiten nannte sie allerdings nicht.
Massaker nicht augeschlossen
Zu türkischen Überlegungen, eine Pufferzone im Grenzgebiet einzurichten, äusserte sich Harf skeptisch. “Wir erwägen die Verwirklichung dieser Option derzeit nicht.” Die USA hätten Donnerstag und Freitag 16 Luftangriffe nahe Kobane geflogen, fügte sie hinzu. Offenbar seien bereits sehr viele Einwohner aus der Stadt geflohen. Bei der Bewertung der Effektivität der Luftangriffe gehe es aber nicht nur um Kobane. Man müsse sich auf eine langwierige Auseinandersetzung einstellen. “Das wird ein harter Kampf”, sagte Harf.
Nach mehrwöchiger Belagerung haben die IS-Extremisten am Freitag nach Angaben von Aktivisten das Hauptquartier der kurdischen Milizen erobert und kontrollieren inzwischen 40 Prozent der Stadt direkt an der türkischen Grenze. Der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, befürchtet ein “Massaker” an den bis zu 10.000 eingekesselten Zivilisten.
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