Papst Leo: Interreligiöser Dialog ist keine Taktik

Der neue Papst Leo XIV. hat sich zum Dialog der Religionen und Kulturen bekannt. Bei einer Feierstunde im Vatikan würdigte er am Dienstag Abend das entsprechende Konzilsdokument “Nostra Aetate”, das vor 60 Jahren verabschiedet wurde

Quelle
60 Jahre “Nostra Aetate”: Ultra-kurz und sehr umstritten
60 Jahre Nostra Aetate: Es gibt nichts Besseres für Frieden als Dialog und Diplomatie – Vatican News
60 Jahre Konzilserklärung Nostra aetate: Ist Jesus Christus weiter der einzige Heilsweg?

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Es war so etwas wie ein Festival des interreligiösen Gesprächs, was in der vatikanischen Audienzhalle über die Bühne ging. Etwa achtzig Religionsführer zogen feierlich ein: der römische Oberrabbiner Riccardo Di Segni, Islamführer aus Ländern wie Pakistan und Iran, Buddhisten, Hindus und Sikhs, sogar zwei Zoroastrer und ein Vertreter des Konfuzianismus – und die Liste ist nicht vollständig. Tänzerinnen und Tänzer aus den verschiedensten Winkeln der Welt zeigten vor den etwa 3.000 Anwesenden Proben ihrer Kunst, und Vatikankardinal Kurt Koch sang ein Loblied auf die jüdisch-katholischen Beziehungen. Dagegen ließ eine jüdische Israelin, die sich seit Jahrzehnten in Jerusalem im interreligiösen Dialog engagiert, in einem Redebeitrag einiges an Ernst und Drama aufblitzen.

Gefeiert wurde die Erklärung “Nostra Aetate”, die das Zweite Vatikanische Konzil vor genau 60 Jahren verabschiedet hat. Ihr Kernstück ist ein Bekenntnis zu den jüdischen Wurzeln des Christentums und eine Verurteilung des Antisemitismus; zugleich stellte sie die Beziehungen der katholischen Kirche zu anderen Religionen generell auf eine neue Grundlage. Der neue Papst formulierte das so: “Vor sechzig Jahren wurde ein Samenkorn der Hoffnung für den interreligiösen Dialog gesät”. Ein Samenkorn, das im Lauf von Jahrzehnten “zu einem mächtigen Baum herangewachsen” sei. Wie groß die Verbundenheit zwischen Katholiken und den Angehörigen anderer Religionen sei, habe sich in den Wochen der Krankheit und des Todes von Papst Franziskus sowie seiner eigenen Wahl zum Papst einmal mehr gezeigt.

Feierlicher Einzug der Religionsführer

Leo XIV. referierte knapp, worin bis heute das Herausragende an “Nostra Aetate” liegt. Das Dokument unterstreiche, dass alle “zu einer einzigen Menschheitsfamilie” gehören und dass Religionen “überall versuchen, auf die Rastlosigkeit des menschlichen Herzens zu reagieren”. “Die katholische Kirche lehnt nichts ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist, da sie ‘einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet’ (NA Nr. 2). Sie betrachtet sie mit aufrichtiger Ehrfurcht und ruft ihre Söhne und Töchter dazu auf, im Dialog und in der Zusammenarbeit das anzuerkennen, zu bewahren und zu fördern, was es in allen Völkern an spirituell, moralisch und kulturell Gutem gibt.”

“Erster lehrmäßiger Text mit einer explizit theologischen Grundlage, der die jüdischen Wurzeln des Christentums auf fundierte biblische Weise veranschaulicht”

Besonders wichtig war und ist “Nostra Aetate” nach dem Dafürhalten des Papstes für die Beziehungen der katholischen Kirche zum Judentum. “Zum ersten Mal in der Geschichte der Kirche verfügen wir über einen lehrmäßigen Text mit einer explizit theologischen Grundlage, der die jüdischen Wurzeln des Christentums auf fundierte biblische Weise veranschaulicht.” Zugleich nehme das Dokument eine entschiedene Haltung gegen alle Formen von Antisemitismus ein. Und es verurteile deutlich “jede Form von Diskriminierung oder Drangsalierung aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Lebensumständen oder Religion”.

Die schönsten Momente der Feier im Video

Dialog als Lebensweise

“Dieses historische Dokument hat uns die Augen für ein einfaches, aber tiefgreifendes Prinzip geöffnet: Dialog ist weder eine Taktik noch ein Werkzeug, sondern eine Lebensweise – eine Reise des Herzens, die alle Beteiligten verändert, sowohl den Zuhörer als auch den Sprecher. Mehr noch, wir gehen diesen Weg nicht, indem wir unseren eigenen Glauben aufgeben, sondern indem wir fest in ihm verankert bleiben. Denn authentischer Dialog beginnt nicht mit Kompromissen, sondern mit Überzeugungen – mit den tiefen Wurzeln unseres eigenen Glaubens, die uns die Kraft geben, anderen in Liebe zu begegnen.”

Papst Leo rief dazu auf, “über das hinauszusehen, was uns trennt, und das zu entdecken, was uns alle verbindet”. “Allerdings leben wir heute in einer Welt, in der diese Vision oft verdeckt wird. Wir sehen, wie wieder Mauern errichtet werden – zwischen Nationen, zwischen Religionen, sogar zwischen Nachbarn… Als Religionsführer, die wir von der Weisheit unserer jeweiligen Traditionen geleitet werden, haben wir eine gemeinsame heilige Verantwortung: unseren Gläubigen dabei zu helfen, sich von den Fesseln der Vorurteile, der Wut und des Hasses zu befreien.

Erinnerung an den Geist von Assisi

Es war wohl kein Zufall, dass Leo auch noch den sogenannten Geist von Assisi beschwor. In der Stadt des hl. Franz hat Papst Johannes Paul II. 1986 zum ersten Mal einen Gebetstag der Kirchen und Religionen veranstaltet; Leo zitierte einen Auszug aus einer Ansprache seines Vorgängers in Assisi. Und er sprach von einer “großen Mission”, die den Religionen “in diesem kritischen Moment der Geschichte” anvertraut sei: “In allen Männern und Frauen wieder den Sinn für Menschlichkeit und für das Heilige zu wecken”.

“We are the World”, sang ein Kinderchor, während der Papst einigen der Anwesenden die Hand schüttelte. Junge Leute überreichten den Religionsführern kleine Säckchen mit Pflanzen- oder Blumensamen, um sie symbolisch an das Aussäen des Friedens zu gemahnen. Am Mittwoch geht das interreligiöse Festival im Vatikan übrigens weiter: Auch die Generalaudienz des Papstes soll im Zeichen von “Nostra Aetate” stehen.

vatican news, 28. Oktober 2025

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