Thérèse von Lisieux oder: Die Macht der Liebe

Heiligsprechung vor 100 Jahren – Am 17. Mai begeht die Kirche das 100-jährige Jubiläum der Heiligsprechung dieser kleinen und doch so großen Heiligen

Quelle
Therese von Lisieux: Eine Kirchenlehrerin für unsere Zeit | Die Tagespost
Begegnung mit dem sanften, nahen Gott | Die Tagespost
Therese von Lisieux

16.05.2025

Sylvia Sobel

Marie-Francoise Thérèse Martin, besser bekannt als Thérèse von Lisieux, wurde am 2. Januar 1873 in Alençons in der Normandie als jüngstes von neun Kindern, geboren. Ihre Mutter starb, als sie erst vier Jahre alt war, fortan wählte sie ihre Schwester Pauline zur Ersatzmutter. Als diese später ins Kloster eintrat, erkrankte die zehnjährige Thérèse schwer und schwebte tagelang zwischen Leben und Tod. Am 13. Mai 1883 erfährt sie jedoch eine wundersame Heilung durch das Betrachten einer Statue der Heiligen Jungfrau Maria. Thérèse sah ein Lächeln auf deren Antlitz und war geheilt. Auch Thérèses Vater spielt eine wichtige Rolle in ihrem Leben: er umgibt sie mit liebevoller Fürsorge und lehrt sie die Liebe zur Natur und ihren Geschöpfen.

Folgender Satz bekommt auf diesem Hintergrund eine besondere Bedeutung und führt uns ein in ihr vertrauensvolles Gottes- und Vaterbild: “Ich mache es wie die Kinder: Ich sage Gott ganz einfach, was ich ihm sagen will – er versteht mich.” Dieser Ausspruch der heiligen Thérèse von Lisieux ist beeindruckend, aber er lässt uns auch ein wenig neidisch zurück: Dieses unbedingte, fast kindliche Gottvertrauen, ist das noch zeitgemäß?

Eine “praktische Theologin”

Unbedingt. Denn Liebe, Vertrauen und die Aussagen der Heiligen Schrift sind immer zeitgemäß, am Beispiel der “kleinen” Heiligen aus Lisieux erkennt das das exemplarisch. Ihre Überzeugungen, Aussprüche und Hoffnungen lassen sich stets auf Aussagen Jesu im Neuen Testament zurückführen. Sie war eine “praktische Theologin” im wahrsten Sinne des Wortes, die das, was sie als wahr in der Schrift erkannte, mit Liebe und Gottvertrauen umsetzte. Die Aussage: “Wir wollen lieben, weil Gott uns zuerst geliebt hat” im ersten Johannesbrief 4, 19 führt sie zu der Erkenntnis, dass Gott keine moralischen oder aszetischen Vorausleistungen erwartet oder gar verlangt. Seine Barmherzigkeit stellt keine Bedingungen, allein unser Vertrauen auf ihn und seine Liebe soll die Antwort auf den Gnadenakt seiner Menschwerdung sein. Ihr Wunsch aus frühen Jahren, eine Heilige zu werden, der wandelte sich dahingehend, Gott und dem Nächsten Freude zu bereiten, ihnen in Demut und Liebe zu dienen.

Sie erkennt, dass Heiligkeit in einer Haltung unseres Herzens gründet, die uns demütig und klein macht in den Armen Gottes und auf seine Güte als liebender Vater vertrauen lässt. Das Vertrauen, “la confiance”, ist ein wichtiger Aspekt ihrer Glaubenspraxis.

Berufung und Zentrum ihrer Theologie

“Meine Berufung ist die Liebe.” Diese Erkenntnis ist ein Schlüssel zu ihrer Mission. Eine Gottesliebe ohne die Liebe zum Nächsten, das war für sie undenkbar. Der liebende Gott, der sich am Kreuz für uns hingibt, diesem Gott können wir nur mit unendlicher Liebe begegnen und dafür Sorge tragen, dass die Menschen seine Liebe erkennen und erwidern. Die “kleine” Heilige sprach oft davon, ihrem Herrn Jesus Freude bereiten zu wollen. Eine Art, dies zu realisieren, war die angewandte Nächstenliebe.

Die Liebe steht im Zentrum von Thérèses kleinem Weg, ihres Denkens und Strebens. Auch hier folgt sie dem Neuen Testament. Ein Credo der Heiligen lautet: “Wer Gott liebt, soll auch seinen Bruder lieben” (1. Joh. 4,21). Folgerichtig fordert sie, dass die brüderliche Liebe alles sein möge und man Gott im Grunde nur in dem Maße lieben kann, in dem man Liebe übt, in Wort und Tat.

Dieser wichtige Bestandteil des kleinen Weges ist nicht billig: Er kostet unsere Egozentrik und den Hang zur Selbstverwirklichung auf Kosten anderer. Es eröffnet sich eine neue Dimension, in der Gottes unendliche Liebe zu uns durchscheint, weil wir ihm keine Hindernisse mehr entgegenstellen.

Die Menschen aus diesem Irrweg des Lebens befreien

Eines dieser Hindernisse ist die Selbstbezogenheit, die Gott ausschließt oder ihm nichts mehr zutraut. Aus diesem Irrweg des Lebens will die kleine Thérèse ihre Mitmenschen befreien, indem sie ihnen den kleinen Weg der Hingabe, Demut und Liebe zu Gott und zum Nächsten vorlebt und beschreibt. Sie hat erkannt: Aus dem übersteigerten “Ich” heraus und ohne Gott das Leben führen zu wollen, ist eine Folge von Hochmut, für Thérèse die Wurzel aller Sünden. Auch hier bezieht sie sich auf das Neue Testament, konkret auf das Johannesevangelium, (Joh. 15,5), wo Jesus feststellt: “Getrennt von mir könnt ihr nichts tun.”

Sie regte ihre Mitschwestern im Karmel unermüdlich dazu an, Gutes zu tun, sich selbst nicht in den Mittelpunkt des Daseins zu rücken und warnte sie vor falschem Ehrgeiz und dem Streben nach Heiligkeit an sich. Eine weise Erkenntnis nach Jahren als Novizenmeisterin lautet: Man kann im Leben nichts wirklich Gutes bewirken, wenn man sich selbst sucht. Sie rät ihren Mitschwestern daher, alles mit Liebe zu tun, was im Alltag zu erledigen sei.

Alles geben, was nur möglich ist, ohne eine Gegenleistung oder Anerkennung zu erwarten. Anerkennung und Achtsamkeit dem Nächsten gegenüber walten lassen, Tag für Tag, auch denen gegenüber, die uns ignorieren oder verletzen.

Selbstkritische Haltung

Dies klingt simpel, aber aus dem alltäglichen Leben wissen wir nur zu gut, wie herausfordernd eine solche Haltung und ein derartiger Anspruch werden können. Bemerkenswert erscheint auch die selbstkritische Haltung der kleinen Heiligen: In ihrer Autobiographie lässt sie uns wissen: “Ich muss mich ertragen, wie ich bin, mit all meinen Unvollkommenheiten.”

Das letzte Lebensjahr Thérèses ist geprägt von der schweren Tuberkulose, die um Ostern 1886 bei ihr diagnostiziert wird. Sie schont sich nicht, nimmt weiterhin am Klosterleben teil, als wäre nichts geschehen. Dies ist besonders erwähnenswert, da sie in den letzten Monaten ihres Daseins von Glaubenszweifeln und depressiven Phasen geplagt wurde. Trotz allem hörte sie nicht auf zu beten und um ein Zeichen der Nähe Gottes zu bitten. Diese Zeiten der Gottesferne kennt jeder, der bemüht ist, seinen Weg mit Gott und im Vertrauen auf sein Wort zu beschreiten. Wenn man sich daran erinnert, dass eine Heilige wie Thérèse von Lisieux Phasen der Dunkelheit und Gottesferne erlebt und erlitten hat, dann kann sich jeder vertrauensvoll an diese Heilige wenden, mit der Bitte um Fürsprache bei Gott. Die Katholiken beten die Heiligen nicht an, sondern bitten sie um Fürsprache bei Gott, sozusagen als Mediatoren, als Vermittler.

Wenn die Beschäftigung mit der kleinen, großen Heiligen dazu führt, ihren kleinen Weg in das je eigene Leben zu integrieren und zu reflektieren, dann können erneut die Rosen auf Erden ankommen, mit denen sie zumeist dargestellt wird und die sie versprach, nach ihrem Tod zu senden: “Nach meinem Tod will ich es Rosen regnen lassen. Lieben, geliebt werden und auf die Erde wiederkommen, um zu bewirken, dass die Liebe gelebt werde.”

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Hier kostenlos erhalten!

Themen & Autoren

Sylvia Sobel
Credo
Heiligsprechung
Jesus Christus
Katholikinnen und Katholiken
Neues Testament

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel