Kongress “Leben.Würde”: Der Streit für das fünfte Gebot
Buttersäure, Pazifismus und Revoluzzertum: Auf dem “Leben.Würde”-Kongress trafen sich Lebensschützer, um Praxis und Theorie des christlichen Engagements für das Leben zu reflektieren
Quelle
Kongress Leben.Würde | Christliches Gästezentrum Württemberg – Schönblick
“Lasst uns das menschliche Leben jederzeit verteidigen”
12.05.2025
Jakob Ranke
Warum eigentlich Einsatz für den Lebensschutz? Auf dem erst zum zweiten Mal veranstalteten “Leben.Würde“-Kongress in Schwäbisch Gmünd hatten am vergangenen Wochenende etwa 350 Lebensschützer aus dem ganzen deutschsprachigen Raum die Gelegenheit, sich durchaus nochmal mit Grundlegendem zu befassen – und das komplette Spektrum des christlichen Engagements für das fünfte Gebot und den christlichen Würdebegriff gemeinsam zu reflektieren. Ein weites Feld, denn der Kampf für das ungeborene Leben ist bei weitem nicht mehr die einzige Debatte, in denen Lebensschützern 2025 der Wind ins Gesicht bläst.
Bei der Verleihung des Stiftungspreises der Stiftung Ja zum Leben – Höhepunkt des Kongresses – an das Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) in Wien und dessen Direktorin Susanne Kummer gelang Laudator Stefan Rehder die sinnige Begründung des scheinbar unaufhaltsamen Wucherns der bioethischen Baustellen, an denen die technologische und gesellschaftliche Entwicklung Christen zur Kritik verpflichtet. “Wenn es Ärzten erlaubt ist, ein wehrloses und unschuldiges Kind im Mutterleib zu töten, warum dann nicht auch einen alten kranken Menschen, der darum bittet?” Wenn das Töten von Kindern im Mutterleib erlaubt ist, warum sollte es verboten sein, Embryonen “im Labor zu erzeugen und anschließend zu selektieren”? Und, so ließe sich hinzufügen, wenn Embryonen nur Rohstoff für die Forschung sind, was spricht dann gegen transhumanistische Träumereien wie die vom ohne Hirn gezüchteten Klon als persönlichem Organ-Ersatzteillager oder von tausendfältiger Verschmelzung von Technik und Mensch zu einer Art unsterblichem, hyperintelligenten Übermenschen? All das sind teils bereits fortgeschrittene Vorhaben technologischer Vordenker und somit die Bioethik-Kampfplätze von morgen und teils auch schon heute, die der Mediziner Paul Cullen in einem beklemmenden Vortrag zum Transhumanismus vorstellte.
Der Geruch des Widerstands
Noch aber dominierte das Ur-Thema Abtreibung den Kongress in Vorträgen, vor allem aber auch in den Seminareinheiten, in denen die Lebensschützer tief in die Materie eintauchen konnten: die Konfliktschwangerschaft als seelsorgliche Herausforderung, als Einsatzgebiet der Nächstenliebe in Beratung und nachgeburtlicher Unterstützung, wie etwa durch die zweite Stiftungspreisträgerin Christine Menke, Gründerin der Schwangerenhilfe Hall, oder aber auch als Anwendungsfall für christlichen Aktivismus. So ein bisschen unangepasstes Revoluzzertum, wie es der aktivistische Einsatz gegen Mainstreamhaltungen verspricht, ist eben auch für junge Christen attraktiv, das war im Kongresspublikum durchaus zu spüren. Da ist es dann vielleicht auch geradezu motivierend, wenn, wie hier in Schwäbisch Gmünd geschehen, nicht nur rund 200 Gegendemonstranten auf dem zwei Kilometer entfernten Marktplatz ihrer Ablehnung des christlich motivierten Lebensschutzes für die Kongressteilnehmer eher unmerklich Ausdruck verleihen, sondern einer jungen Dame aus dem Kreis der Anti-Würde-Aktivisten gar die Ausbringung von Buttersäure im Foyer des Tagungsortes gelingt. So wehte während der zweiten Hälfte des Kongresses der Geruch des Widerstands nicht nur im übertragenen Sinne, sondern ganz real durch das “Schönblick”-Tagungszentrum.
Für die Plenumsvorträge, die das Debattenfeld umfassend absteckten, war den veranstaltenden Kooperationspartnern – dem Bundesverband Lebensrecht (BVL), der evangelischen Nachrichtenagentur IDEA und eben dem Schönblick – die Verpflichtung zugkräftiger Referenten gelungen.
Während der Schirmherr und Passauer Bischof Stefan Oster zu Beginn per Zoom-Vortrag eine sehr grundsätzliche Erörterung christlich verstandener Freiheit wagte, widmete sich die zweite Schirmherrin, die christliche Influencerin Jana Highholder, ganz dem zentralen Sujet: Warum “pro life” sein?
Es gehe damit gar nicht primär “um einen politischen Kampf, der damit gewonnen wird, dass Gesetze stehen oder fallen”. Eher schon um einen gesellschaftlichen Klimawandel im Sinne des Lebens, der Würde, und damit der “Zukunft”. Denn: “Eine Gesellschaft, die anfängt, das Lebensrecht von seiner Woche nach Befruchtung, von seiner Nützlichkeit, seiner Gesundheit, seiner sozialen Erwünschtheit, und zuletzt vor allem auch von den individuellen Vorstellungen und dem eigenen Zeitplan abhängig zu machen, verliert ihren innersten moralischen Kompass.”
Menschenwürde und fünftes Gebot
Einer ausführlicheren biblischen Herleitung der Verpflichtung zum Einsatz für das Leben – eben keineswegs nur ein “exzentrisches Hobby einiger weniger Ewiggestriger”, so das Fazit – widmete sich der Stuttgarter Weihbischof Thomas Maria Renz. Einerseits gebe es in der gesamten Bibel keinerlei Rechtfertigung für Abtreibung oder eine Abstufung des Wertes nach Lebensalter. Gegenteilige Intuition, das wies Renz von den Psalmen bis Hiob, von der Genesis bis zum Gleichnis vom barmherzigen Samariter nach, liefert die Bibel hingegen reichlich. Letztlich stehe am Anfang und am Ende des Lebens “nicht ich, sondern steht Gott. Und der schenkt mir sein Leben”. Man könne also weder über das eigene noch über anderes Leben verfügen. Dass dem nach Gottes Ebenbild geschaffenen Menschen Würde zukomme, und zwar von der Empfängnis an, sei selbstverständlich. Renz zitierte nicht zuletzt Psalm 139: “Du, Gott, hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoß meiner Mutter. Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast (…) Meine Tage waren schon gebildet, als noch keiner von ihnen da war.” Letztlich, so Renz, verletze “nichts mehr die Würde eines anderen Menschen, als dass diesem unwiderruflich sein Lebensrecht geraubt wird”. Das fünfte Gebot – du sollst nicht töten – gelte “immer und uneingeschränkt”.
Dass diese Haltung allerdings wohl auch diesseits der kirchlichen Lehre an Grenzen stoßen kann, ließ der Vortrag des Rostocker Rechtswissenschaftlers Jörg Benedict erahnen. Der nämlich legte das Tötungsverbot, zweifellos nicht völlig unlogisch, im Sinne eines konsequenten Pazifismus aus. Jeder Krieg sei “ein direkter Affront auf die Menschenwürde“. Denn im Zentrum der Menschenwürde stehe der einzelne Mensch – im Krieg aber zähle der Einzelne nicht, sondern nur das große Ganze. Die Menschen würden auch – anders als in der Kant’schen “Zweckformel”, dem “sichersten Teil der Menschenwürdeformel” – im Krieg als Mittel, etwa zur Eroberung von Gebiet, angesehen, nicht als Zweck an sich. “Worum geht es bei Krieg? Um große Ideen. Gerechtigkeit, Vaterland, Freiheit, Demokratie. Große Begriffe, abstrakte Begriffe. Können die mehr wert sein als Menschenleben?” Benedicts emotional und durchaus mit mutig gewählten Beispielen unterlegtes Votum: Nein. Dass etwa Landesverteidigung im Angriffsfall – wie derzeit von der Ukraine betrieben – auch aus dem Blickwinkel christlicher Ethik vertretbar sein könnte, schien in dieser Logik eher nicht darstellbar. Freiheit vor den Frieden zu stellen, sei vergleichbar mit der Formel “no justice, no peace” (kein Frieden ohne Gerechtigkeit). Er als Rechtphilosoph habe sich sehr intensiv mit der Gerechtigkeit beschäftigt; und was Gerechtigkeit sei, sei “ausgesprochen umstritten”. So sei es auch mit der Freiheit. Darüber den Frieden in Frage zu stellen, halte er für “äußerst fragwürdig” – eine zumindest außergewöhnlich konsequente Auslegung des “pro life”-Gedankens.
“Es geht bei uns um die Menschenwürde”, hatte die BVL-Vorsitzende Alexandra Linder in ihrem Eröffnungsvortrag gesagt. Aber erschöpft diese sich denn tatsächlich komplett im Lebensrecht? Erinnert sei in diesem Zusammenhang vielleicht an die Coronapandemie, während der mit dem Argument, Leben zu schützen, Einschränkungen persönlicher, auch religiöser Freiheiten vorgenommen wurden, die im Nachhinein zumindest auch nicht von allen Christen als gerechtfertigt angesehen wurden. Eine Art Klärung zumindest des für Christen gebotenen “wo-gegen” (wenngleich marketingtechnisch dem inhaltlich in letzter Konsequenz schwieriger zu bestimmenden “wo-für” unterlegen) konnte jedenfalls der exzellente Vortrag der mit dem Stiftungspreis ausgezeichneten Susanne Kummer vornehmen. Die IMABE-Direktorin, die sich mit dem rapiden Wertewandel hin zur Akzeptanz der “Sterbehilfe” beschäftigte, stellte fest: Das Leben werde in der Postmoderne eigentlich nur noch dann als würdevoll betrachtet, wenn es gewollt sei. “Wenn es ungewollt ist, dann ist es nicht würdig”, am Lebensanfang wie am Lebensende. Die Begründung der Würde nur noch durch autonomen Willen, das ist tatsächlich eine so unchristliche wie unrealistische Vision, in Kummers Worten: ein Bild eines völlig souveränen “Fantasiemenschen” sei eine abstrakte Konstruktion, letztlich eine asoziale Dystopie. Gegen die gilt es anzukämpfen.
Menschenwürde, das ließ sich also zweifelsfrei festhalten, ist nicht durch Autonomie begründet. Sie konkretisiert sich im Lebensrecht vom Anfang bis zum Ende. Und sonst? Ist für zukünftige Leben.Würde-Kongresse noch genug Raum, dem genauen Verhältnis von Lebensrecht und Menschenwürde in weiteren spannenden Erörterungen nachzugehen.
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