Hl. Papst Johannes Paul II. – 105. Geburtstag am 18. Mai

“Die Anthropologie Johannes Pauls II. ist heute wieder revolutionär”

Quelle
Johannes Paul II. – Der Papst, der die Welt veränderte
Johannes Paul II. – Das Gewissen der Welt

Das ganze Leben des polnischen Papstes war ein Zeugnis dessen, dass der Mensch stets der Hoffnung treu bleiben kann, meint der polnische Vatikanexperte und Publizist Michał Kłosowski. Und er empfiehlt die perfekte Einführung in Spiritualität und Denkweise des Heiligen.

19.05.2025

Agnieszka Will

Herr Kłosowski, zum 105. Geburtstag von Johannes Paul II.: Welche seiner Botschaften halten Sie heute – in einer Zeit globaler Spannungen und kultureller Brüche – für besonders aktuell und was könnten gerade junge Menschen von ihm neu entdecken?

In der heutigen Zeit einer beschleunigten Globalisierung, digitaler Spannungen, der Kriege, der Identitätskrise und der Konflikte innerhalb der Kirche selbst scheint mir eine Botschaft Johannes Pauls II. besonders relevant zu sein: “Fürchtet euch nicht!” Nicht ohne Grund hat auch der neu gewählte Papst Leo XIV. sie in seinem ersten Sonntagsgebet am 11. Mai wiederholt.

Das ist schließlich ein Aufruf zu spirituellem, intellektuellem und moralischem Mut angesichts des Chaos in der Welt und der Veränderungen, die heute unkontrollierbar abzulaufen scheinen. Die Worte des polnischen Papstes waren jedoch nicht nur abstrakt – sein ganzes Leben war ein Zeugnis dessen, dass der Mensch auch in den dunkelsten Momenten der Geschichte seinem Gewissen und der Hoffnung treu bleiben kann –, denn neben diesem ersten, bekanntesten Teil gibt es auch den zweiten: “Öffnet die Türen für Christus“. Und das dürfen wir nicht vergessen, denn dieser Mut muss eben auf Jesus Christus gründen.

Diese Worte inspirieren heute vor allem die jungen Menschen: In einer Welt, die schnelle Antworten liefert und fließende, sozusagen direkt den Büchern des Philosophen Zygmunt Bauman entnommene, Identitäten anbietet, schlägt Johannes Paul II. eine tief verwurzelte Freiheit vor, die auf der Wahrheit über den Menschen und auf dem Glauben an Jesus Christus beruht, der in die Welt gekommen ist, um uns alle zu retten, nicht nur die Auserwählten.

Was heute wieder revolutionär ist, ist seine Anthropologie: die Überzeugung, dass der Mensch zur Liebe und Freiheit berufen ist, welche verantwortungsvoll sein und auf dem Glauben an Christus basieren sollen. Junge Menschen können von ihm Durchhaltevermögen und die Arbeit an sich selbst lernen, aber auch den Mut zum selbstständigen Denken, wobei sie sich auf den solidesten vorhandenen Anker dieser Identität stützen können, nämlich auf Christus. Johannes Paul II. hatte keine Angst vor Konfrontationen mit ideologisch geprägten Systemen, wahrte aber stets Respekt vor den Menschen. Selbst wenn er auf der anderen Seite der Barrikaden stand, versuchte er mit Personen wie Fidel Castro oder Michael Gorbatschow in Kontakt zu treten, damals sogar über seinen Pressesprecher Joaquin Navarro-Valls. In einer Ära der Polarisierung und sozialer Blasen ist dies enorm wichtig. Und es ist dieses “non abbiate paura”, das mir immer noch am wichtigsten erscheint.

Johannes Paul II. war der erste nicht-italienische Papst seit Jahrhunderten. Inwiefern hat seine polnische Herkunft seinen Blick auf die Weltkirche geprägt?

In der Tat war die Erfahrung, die Johannes Paul II. in den Vatikan einbrachte, eine ganz andere als bis dahin: die Erfahrung der leidenden Kirche, der schweigenden Kirche, aber der spirituell mächtigen Kirche, einer Kirche, die theoretisch von den kommunistischen Peinigern unterdrückt wurde, aber in Wirklichkeit frei war, weil sie tief in der Gesellschaft verwurzelt war. Karol Wojtyła wuchs ja selbst im Schatten totalitärer Systeme auf, in einer Realität, in der der Glaube keine Selbstverständlichkeit darstellte, sondern eine Entscheidung. Manchmal sogar eine heroische. Seine polnische Identität – von der polnischen Romantik, der nationalen Tradition, von Krieg und Sozialismus geprägt – verlieh ihm eine einzigartige Perspektive. Schließlich war er es, der gesagte hatte, dass Europa zwei Lungenflügel hätte – einen östlichen und eine westlichen, die durch die Wirren des Krieges getrennt worden seien, und dass es höchste Zeit wäre, sie wieder zu vereinigen.

Dank eben dieser Perspektive betrachtete Johannes Paul II. die Kirche nicht vom Zentrum aus, sondern aus dem Abseits. Denn die Kirche muss immer dort sein, wo ein Kampf um die Seelen der Menschen herrscht. Johannes Paul II. verstand daher die Bedeutung des menschlichen Leidens, die Rolle der nationalen Identität, die Notwendigkeit eines Dialogs zwischen den Kulturen, gerade weil er aus dieser einzigartigen Ecke der Welt kam, wo sich der Osten mit dem Westen verbindet und die mediterrane Tradition mit der germanischen. Deshalb unternahm er so viele apostolische Reisen und besuchte Menschen fast auf der ganzen Welt – nicht, um zu dominieren, sondern um zuzuhören und zu stärken. Der polnische Papst war daher ein Symbol für den Universalismus der Kirche. Nicht im Sinne einer Einheitlichkeit, sondern einer Einheit in der Vielfalt.

Welches Buch von oder über Johannes Paul II. empfehlen Sie jungen Menschen, die einen Zugang zu diesem Heiligen suchen, der bereits vor Ihrer Geburt verstorben ist?

Ich würde Die Schwelle der Hoffnung überschreiten empfehlen. Dieses Interview in Buchform verbindet tiefgründige Gedanken mit einem einfachen Stil. Johannes Paul II. spricht darin nicht wie ein Kirchenbeamter, sondern wie ein Vater, Philosoph und Mystiker. Er geht auf Fragen des Glaubens, des Sinns des Lebens, der Freiheit, des Leidens und der Religion ein, aber auf eine Weise, die jeden erreichen kann. Für junge Menschen ist dies eine großartige Einführung in seine Spiritualität und Denkweise. Es lohnt sich auch, ein kurzes Büchlein zu lesen, das Vittorio Posenti vorbereitet hat, als er noch während des Konklaves an Kardinal Karol Wojtyła geschrieben und ihn gebeten hatte, zu einigen wichtigen Punkten der Katholischen Soziallehre Stellung zu nehmen. Das Buch wurde erst nach der Wahl Karol Wojtyłas zum Papst veröffentlicht, hat aber bis heute nichts an Aktualität eingebüßt.

Hinsichtlich der Bücher über Johannes Paul II. würde ich Świadectwo (Das Zeugnis) von Kardinal Stanisław Dziwisz empfehlen [Anm. d. Übers.: die italienische Sprachfassung ist unter dem Titel Una vita con Karol erschienen), weil es die Aufzeichnung einer engen zwischenmenschlichen Beziehung und des Alltagslebens eines Heiligen ist, der für viele ein Denkmal bleibt. Dieses Buch zeigt, dass Johannes Paul II. auch ein Mensch war: mit Sinn für Humor, eigenen Herausforderungen, Gebeten und einer außergewöhnlichen Sensibilität. Und schließlich Begegnungen und Dankbarkeit: Erinnerungen und Gedanken des Pressesprechers von Papst Johannes Paul II, das aus der Feder des legendären Joaquin Navarro-Valls stammt.

Mit Dekada Franciszka haben Sie ein in Polen viel beachtetes Buch über Papst Franziskus vorgelegt. Was wird von seinem Pontifikat bleiben?

Papst Franziskus hat nicht nur die Sprache der Kirche neu definiert, sondern auch die Art und Weise, wie geistliche Ämter ausgeübt werden. Die Kirche, die er hinterlässt, ist mehr missionarisch als institutionell ausgerichtet, mehr begleitend als verurteilend. In meinem Buch gehe ich darauf ein, dass Franziskus die Kirche für neue Prozesse geöffnet hat: für die Ausgeschlossenen, für das Klima, für den interreligiösen Dialog, aber auch für bis dahin gemiedene Fragen, wie die Rolle der Frau, der Armen oder der Laien. Was Franziskus hinterlässt, ist also vor allem eine Hermeneutik der Barmherzigkeit: das Evangelium durch das Prisma des Mitgefühls und der Vergebung zu lesen. Franziskus hat zwar die Lehre nicht verändert, aber den Fokus verschoben und damit in einigen Punkten genau das fortgesetzt, was Johannes Paul II. begonnen hatte. Ich denke dabei an die Außenseiter, an das Zugehen auf jeden Menschen und das Entdecken dessen, was am schönsten ist, weil es den Ausgegrenzten und Migranten am nächsten ist, gerade in der Katholischen Soziallehre. Franziskus hat gezeigt, dass die Kirche nicht nur eine Hüterin der Wahrheit, sondern auch ein Feldlazarett für die seelisch Verwundeten sein muss. Die Kirche wird nach Papst Franziskus nicht mehr dieselbe sein wie früher. Sie muss offener, weniger institutionell und stärker aufs Evangelium bezogen sein.

Welchen Eindruck haben Sie von Papst Leo XIV.? Wie haben Sie den Moment des “Habemus Papam” ganz persönlich erlebt?

Ich stand zu dem Zeitpunkt unter dem Balkon des Petersdoms. Als wir den weißen Rauch sahen, war es, als würde der ganze Platz zu brodeln beginnen. Es war wie die Heimkehr des Vaters, der Moment, auf den alle gewartet hatten.

“Habemus Papam” ist aber auch immer mit Emotionen verbunden, es ist wie der Beginn eines neuen Kapitels in der Geschichte der Kirche und der Welt. Im Fall von Papst Leo XIV. war das ähnlich. Man konnte die Spannung spüren, aber auch die große Erwartung, die Hoffnung. Leo XIV. beeindruckte durch seine Einfachheit, seine Ruhe, aber auch durch seine geistige Stärke. Von Anfang an konnte man sehen, dass er ein Mann des Gebetes ist, aber auch des Friedens, und zwar im Geiste seiner Vorgänger. Ein gut integrierter Mensch, auf den sich die Kirche einfach verlassen kann.

Mein erster Eindruck? Das ist ein Papst der Kontemplation und zugleich auch der Aktion. Kein Ideologe, sondern ein Seelsorger. Kein Revolutionär, sondern ein Reformator, der konsequent wirkt. Jemand, der seine Worte mit Bedacht, aber durchaus mutig wählt und der ein ausgezeichnetes Gespür für die moderne Welt hat. Davon zeugen allein schon seine Worte, die er am 12. Mai an die Journalisten richtete, nämlich dass nur gut informierte Gesellschaften gute Entscheidungen treffen können. Er ist auch ein Papst, der nicht sich selbst in den Mittelpunkt stellt, sondern Christus und Seinen Frieden. Heute, nach einer Zeit enormer Spannungen und der Ermüdung der Kirche durch Konflikte, scheint eine solche Haltung heilsam zu sein. Er ist auch ein Papst unterschiedlicher Welten, der die Sensibilität der Außenseiter, aber auch die kirchliche Mitte kennt und beides in sich vereint, schließlich hat er viele Jahre in der römischen Kurie gearbeitet. Es herrschen also Hoffnung und eine gewisse Erwartung und Neugier darauf vor, was in den nächsten Wochen und Monaten geschehen wird. Ich vermute nämlich, dass diese Zeit für sein Pontifikat entscheidend sein wird. Er ist ein junger Papst, deshalb können wir davon ausgehen, dass er die Kirche einige Zeit leiten wird.

Papst Leo XIV. hat sich gleich in seiner ersten “Regina Caeli”-Ansprache als entschiedener Mahner für Frieden gezeigt – konkret forderte er für die Ukraine einen “echten, gerechten und dauerhaften Frieden”. Sehen Sie Parallelen zwischen Leo XIV. und Johannes Paul II., der in ähnlicher Weise in Konflikten wie auf den Falklands, im Balkan und im Nahen Osten Stellung bezog?

Eindeutig ja. Beide Päpste haben verstanden, dass die Kirche dem Leiden der Völker nicht gleichgültig gegenüberstehen kann, dass sie die Stimme der Ausgegrenzten und Gepeinigten sein muss. Für Johannes Paul II. war der Frieden nicht nur ein politisches, sondern auch ein spirituelles Thema, weil er der Wahrheit über den für Beziehungen und Gemeinschaft geschaffenen Menschen entsprang. Deshalb trat er so entschieden gegen den Krieg auf, ob im Irak oder auf dem Balkan – gegen jeden Krieg. Er fand, dass Krieg immer ein Versagen der Menschheit sei.

Leo XIV. geht also den gleichen Weg. Seine Worte über einen “wahren, gerechten und dauerhaften Frieden” sind wie ein Echo der Lehren des heiligen Johannes Pauls II. Es geht nicht um einen gewaltsam erzwungenen Frieden, sondern um einen, der auf der Würde, der Wahrheit und dem Dialog beruht. Beide Päpste wissen, dass die Aufgabe der Kirche nicht darin besteht, die Konfliktparteien zu unterstützen, sondern Brücken zu bauen, auch dort, wo dies, aus menschlicher Sicht, unmöglich erscheint. Schließlich ist der Papst – der Pontifex – ein Brückenbauer. Wer könnte für diese Aufgabe also besser geeignet sein als das Oberhaupt der Kirche?

In diesem Sinne kann Leo XIV. die geistige Linie von Johannes Paul II. fortführen, mit der Kirche als dem Gewissen der Welt, einer Kirche, die angesichts von Ungerechtigkeit nicht schweigt, sondern mit auf dem Evangelium beruhender Liebe und Weisheit handelt. Ganz im Sinne seiner ersten Worte, die er vom Balkon des Petersdoms aus sprach: Der Friede sei mit euch. Ich würde mir daher wünschen, dass es ein Pontifikat des Friedens wird.

Michał Kłosowski ist Vatikanexperte und Publizist. Der Autor von TV-/Radiosendungen und Verfasser des Buches Dekada Franciszka (Die Dekade des Franziskus) promoviert an der Päpstlichen Universität vom Heiligen Kreuz in Rom.

Lesen Sie hier die polnische Originalversion des Interviews mit Michał Kłosowski.

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