Gänswein: “Ein Löwe, der seine Herde verteidigt”

Für Erzbischof Georg Gänswein, Apostolischer Nuntius im Baltikum, ist der Einstand von Papst Leo XIV. gelungen – Der langjährige Sekretär Benedikts XVI. hofft im Gespräch auf ein Ende der innerkirchlichen Verwirrung

Quelle
Leo X.
500. Jahrestag – Exkommunikation Luthers durch Papst Leo X
Leo X.: Mit 13 Kardinal, mit 37 Papst – aber kein Löwe – katholisch.de

13.05.2025

Regina Einig

Herr Erzbischof, welchen Eindruck haben Sie von Papst Leo?

Ich bin erfreut und erleichtert über die Wahl von Papst Leo XIV. Mein erster Eindruck war hoffnungs- und verheißungsvoll. Die nicht nur optische Wunde, die sein Vorgänger bei seinem Amtsantritt in der weißen Soutane geschlagen hat, ist geheilt. Mit Mozzetta und Stola stellt Papst Leo die geistliche Dimension des Petrusdienstes in den Vordergrund und beugt sich würdevoll unter die Bürde des Amtes. Ein Kirchenhistoriker kommentierte, der neue Papst habe klargestellt, dass er kein “Abziehbild” von Franziskus sei. Leo XIV. tritt auf als jemand, der klare Glaubensperspektiven vertritt, aber auch klare Grenzen zu setzen weiß. Worte und Gesten waren gut gewählt.

“Leo XIV. tritt auf als jemand, der klare Glaubensperspektiven vertritt, aber auch klare Grenzen zu setzen weiß. Worte und Gesten waren gut gewählt”

Der Heilige Vater hat an Leo XIII. gedacht, als er seinen Namen wählte. Was finden Sie an ihm bemerkenswert?

Natürlich die Enzyklika “Rerum novarum” (1891), die den Grund der Katholischen Soziallehre gelegt hat und damit das Fundament einer gerechten freiheitlichen Gesellschaft. Nennenswert ist auch die Tatsache, dass Leo XIII. das Studium des Werkes von Thomas von Aquin gefördert hat. Ich denke aber auch an Papst Leo den Großen, der einen berühmten Brief an das Konzil von Chalkedon (451) geschrieben hat. Und als Deutscher denke ich an Papst Leo III., der Karl den Großen an Weihnachten 800 in Rom zum Kaiser gekrönt hat. Es kommt mir aber auch der Medici-Papst Leo X. in den Sinn, der den Augustinerpater Martin Luther nicht ernst nahm, seine Anfragen als “Mönchsgezänk” abtat und ein gerütteltes Maß an Schuld an der Kirchenspaltung auf sich geladen hat.

Haben Sie den Papst vor seiner Wahl gekannt?

Ich maße mir nicht an zu behaupten, dass ich ihn kenne. Ich hatte ihn als Pater Robert F. Prevost während seiner Amtszeit als Generalprior des Augustinerordens einige Male in Rom getroffen. Zweimal war er in Audienz bei Papst Benedikt. Als dieser im April 2007 das Grab des heiligen Augustinus in Pavia besucht hat, begleitete ihn auch der Generalprior P. Prevost. Einige Zeit später hat Papst Benedikt in den vatikanischen Gärten in Gegenwart des Generalpriors ein Mosaik mit dem Gnadenbild der “Muttergottes vom Guten Rat” eingeweiht, dessen Original in Genazzano in der Nähe Roms verehrt wird. Dorthin machte der neue Papst am vergangenen Samstag seine erste Wallfahrt.

Mit der Entscheidung, in den Apostolischen Palast zu ziehen, hat sich Papst Leo bereits Medienschelte eingehandelt. Eine deutsche Tageszeitung behauptete “Luxus pur”. Wie sehen Sie seine Entscheidung?

Die Rückkehr in den Apostolischen Palast ist eine ebenso kluge wie mutige Entscheidung. Wer von “Luxus pur” bezüglich der Papstwohnung spricht, redet “Unsinn pur”. Der Palast wurde von dem Franziskanerpapst Sixtus V. Ende des 16. Jahrhunderts gebaut und hat, wie alle Renaissance-Gebäude, bestimmte Ausmaße was Größe und Wirkmächtigkeit betrifft. Das aber sagt nichts über die innere Einrichtung aus. Mit Luxus hat das nichts zu tun. Als Pius X. 1903 gewählt wurde, wollte er nicht in der zweiten Loggia wohnen, sondern zog in die “dritte Loggia”; das war damals das Stockwerk für das “päpstliche Gesinde”. Seitdem wohnen die Päpste dort. Die Papstwohnung ist geschmack- und liebevoll eingerichtet und dennoch nüchtern und praktisch. Schließlich ist nicht zu übersehen, dass insbesondere logistische und organisatorische Vorteile mit der Rückkehr in die traditionelle Papstwohnung verbunden sind.

“Wer von ‘Luxus pur’ bezüglich der Papstwohnung spricht, redet ‘Unsinn pur'”

Welche?

Es müssen künftig keine zusätzliche Sicherheitsfaktoren mehr bereitgestellt werden. Die Gendarmerie, die Schweizergarde, der Fahrdienst sparen Personen, Zeit und Ausgaben ein. Den größeren Teil der Audienzen unter einem Dach zu halten ist darüber hinaus von enormem logistischen und organisatorischen Vorteil. Last but not least kann die “Domus Sanctae Marthae” wieder voll belegt werden und erhält ihre Aufgabe als Gästehaus in vollem Umfang zurück.

Welche Reaktionen auf die Papstwahl gab es in Ihrem Umfeld?

Freudige und zustimmende Überraschung. Vielen Stellungnahmen und persönlichen Aussagen konnte ich entnehmen, dass die Wahl von Papst Leo Hoffnungen geweckt hat. Seine ersten Aussagen auf der Benediktionsloggia in Bezug auf die Kriegs- beziehungsweise Friedensfrage wurden auf die Goldwaage gelegt und dankbar aufgenommen. Es waren heilsame Worte für die Menschen in den baltischen Ländern.

Am Sonntag hat der Heilige Vater beim Mittagsgebet wieder eindringlich zum Frieden aufgefordert und auch vor einem Dritten Weltkrieg gewarnt. Wie groß ist aus Ihrer Sicht diese Gefahr?

Papst Leo hat seinen Vorgänger zitiert – “der Dritte Weltkrieg in Stücken”. Die Gefahr militärischer Aggressionen ist unleugbar. Insbesondere hat das sonderbare, antieuropäische Vorgehen der Trump-Regierung hinsichtlich des Ukraine-Kriegs in der baltischen Bevölkerung große Verunsicherung ausgelöst. Wer tagtäglich dem Damokles-Schwert einer drohenden militärischen Aggression aus dem Osten ausgesetzt ist, hat den eindringlichen Aufruf Papst Leos zum Frieden dankbar und mit innerer Zustimmung aufgenommen. Die Hoffnung der Menschen auf Frieden ist hier zu Lande fest und ungebrochen, aber das Misstrauen gegenüber dem russischen Agitator aufgrund jüngster historischer Erfahrungen abgrundtief – vom nördlichsten bis zum südlichsten Zipfel des Baltikums.

“Wer tagtäglich dem Damokles-Schwert einer drohenden militärischen Aggression aus dem Osten ausgesetzt ist, hat den eindringlichen Aufruf Papst Leos zum Frieden dankbar und mit innerer Zustimmung aufgenommen”

In den letzten Jahren ist immer wieder einmal die Frage, ob der Papst nach Moskau reisen könne, erörtert worden. Papst Leo XIV. ist amerikanischer Staatsbürger und steht der Trump Regierung kritisch gegenüber. Wäre ihm die Moskaureise zuzutrauen?

Auf die Frage einer möglichen Moskaureise kann ich mangels Einblick in die konkreten Umstände und Verhältnisse keine Antwort geben. In seiner ersten Botschaft unmittelbar nach der Wahl sprach Leo XIV. von einem “entwaffnenden und entwaffneten Frieden”. Das ist ein gewaltiger Auftrag und eine bleibende Herausforderung. Als Brückenbauer wird er alles tun, um Frieden herzustellen und zu wahren, wo und wann auch immer. Jeder Papst muss auch politisch denken, aber nicht wie ein Politiker agieren.

Was erhoffen Sie sich von Papst Leo?

Ich hoffe und bete dafür, dass es Papst Leo gelinge, die im Vorkonklave von den Kardinälen immer wieder angesprochenen innerkirchlichen Spannungen durch eine kluge, milde und nicht weniger straffe Hand zu überwinden, eingeschlossen einer Befriedung im Bereich der Liturgie. Ebenso ist der Verwirrung zwischen gesunder Lehre und konkreter pastoraler Praxis Einhalt zu bieten. Schließlich hoffe ich, dass Leo XIV. den Mitarbeitern an den römischen Dikasterien das nötige Vertrauen schenkt und sie als wertvolle Hilfe für seinen hohen Auftrag sieht und deshalb deren Dienst vertrauensvoll in Anspruch nimmt. Was die Kirche braucht, ist kein Übergangspapst, sondern ein Brückenpapst für das 21. Jahrhundert. Dafür wird Papst Leo buchstäblich das sein müssen, was sein Name bedeutet: ein Löwe, der seine Herde verteidigt und die Wölfe vertreibt.

Der neue Papst spielt wie Sie gern Tennis. Würden Sie mit ihm eine Partie spielen?

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