‘Das Recht auf freie Meinungsäußerung gilt ausnahmslos für alle’

“Cancel Culture” sei “längst Alltag an deutschen Universitäten”, fürchtet die gestern an der Universität Münster gecancelte ALfA-Bundesvorsitzende Cornelia Kaminski im Gespräch

“Natürlich ist jede Abtreibung eine Tötungshandlung” | Die Tagespost
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Münster ist überall | Die Tagespost

28.05.2025

Stefan Rehder

Frau Kaminski, am Dienstag sollten Sie auf dem von Studenten organisierten „Jura-Forum“ an der Universität Münster einen Vortrag mit dem Titel „Menschenwürde und Selbstbestimmung zu Ende gedacht“ halten. Am Montag wurden Sie jedoch wieder ausgeladen. Wie lautete die Begründung, die Ihnen die Veranstalter mitgeteilt haben?

Im Telefonat am Montagmorgen wurde mir mitgeteilt, es sei insbesondere in den letzten 24 Stunden zu intensiven öffentlichen Reaktionen auf meine Einladung gekommen. Die Kritik stamme vor allem von gut organisierten und öffentlich wirksamen Gruppen, wodurch der Druck auf das studentische Organisationsteam stark zugenommen habe. Zudem hätten mehrere Instagram-Seiten mit großer Followerschaft die Kritik wiederholt, was die Dynamik verschärft habe. Sie hätten lange versucht, meine Einladung zu verteidigen, auch die Professoren hätten sie darin bestärkt, aber sie sahen sich schließlich außerstande, die Veranstaltung mit mir durchzuführen.

Wie muss man sich diesen “Druck” vorstellen?

Der Druck ist auf zwei Weisen aufgebaut worden. Einerseits hat eine Organisation, die sich “Busters” nennt, zu Protesten aufgerufen, wörtlich heißt es: “Bildet Banden, seid laut und nehmt das nicht hin.” Diese Gruppe ist sehr erfahren in der Organisation von dem, was sie “antifaschistische Demonstrationen” nennt und scheint ein hohes Mobilisationspotential zu haben. Dann wurden die Studenten, die für das Jura-Forum plakatiert haben, fotografiert. Es ist ihnen offensichtlich deutlich gemacht worden, man wisse, wer sie sind. Sie hatten nun einerseits große Angst, dass die gesamte Veranstaltung von den Protesten nicht nur überschattet, sondern gesprengt würde, und andererseits auch davor, dass sie persönlich Konsequenzen spüren könnten.

Auf dem Internetportal der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. haben Sie eine ausführliche Stellungnahme zu denen gegen Sie erhobenen Anschuldigungen veröffentlicht. Welche stört Sie am meisten?

Am meisten stört mich die Aussage, ich würde mit meinem Eintreten für das Recht auf Leben aller Menschen “widerliche Propaganda” betreiben, und Schwangerschaftsabbrüche als Tötungen zu bezeichnen, sei antifeministischer Unsinn. Feminismus ist nicht gleichzusetzen mit der Befürwortung von Abtreibungen. Es ist nicht feministisch, die vorgeburtliche Tötung des Kindes als einzige Lösung eines Konflikts zu propagieren und gleichzeitig Frauen daran zu hindern, sich über Alternativen zur Abtreibung überhaupt informieren zu können. Das ist nicht “pro choice”, sondern das glatte Gegenteil. Und natürlich ist jede Abtreibung eine Tötungshandlung. Ein Schwangerschaftsabbruch, der nicht in der Tötung des ungeborenen Kindes endet, gilt allgemein als missglückt. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn bei einer chemischen Abtreibung der Fötus überlebt und eine anschließende chirurgische Abtreibung erforderlich ist. Es ist nicht antifeministisch, diese Tatsache zu benennen. Es ist vielmehr antifeministisch zu behaupten, Frauen hätten so wenig Ahnung von Biologie, dass sie das nicht wüssten. Jede Frau hat das Recht, vollumfänglich über einen medizinischen Eingriff aufgeklärt zu werden. Dazu gehört auch die vollständige Information darüber, was bei einer Abtreibung passiert.

“Am meisten stört mich die Aussage, ich würde mit meinem Eintreten für das Recht auf Leben aller Menschen “widerliche Propaganda” betreiben”

Die “Westfälische Nachrichten” hat in ihrer heutigen Ausgabe über ihren Fall berichtet und in einem Kommentar ihre Ausladung gerügt.

Das hat mich überrascht. Der Kommentator schreibt, unterschiedliche Meinungen müsse eine Universität aushalten. Und es ist natürlich völlig richtig zu schreiben, dass sich die Universität mit meiner Ausladung keinen Gefallen getan hat. Neben der bereits benannten Gruppe “Busters” hat daran maßgeblich eine Organisation namens “kritische Jurist*innen” mitgewirkt. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass mir mangelnder juristischer Sachverstand vorgeworfen wird, die “kritischen Jurist*innen aber offenbar erst so flüchtig ins Grundgesetz geschaut haben, dass sie das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung dort noch nicht entdeckt haben. Genauso ironisch ist es, dass eine Referentin ausgeladen wird, die über das Thema “Menschenwürde und Selbstbestimmung zu Ende gedacht” sprechen wollte, und diese beiden Gruppen nun nicht nur ihr, sondern auch den Organisatoren des Jura-Forums und den Zuhörern das Recht auf Selbstbestimmung nehmen. Die Position, die ich vertrete, ist die des Grundgesetzes, des Strafgesetzbuchs und des Bundesverfassungsgerichts. Wer diese Positionen nicht mehr als “diskursfähig” betrachtet, sondern als “widerliche Propaganda” diffamiert, hat den Boden unserer Rechtsordnung verlassen. Wer zudem meint, er müsse seine Mitstudierenden davor bewahren, sich selbst ein Bild zu machen und zu einem eigenständigen Urteil zu kommen, wer meint, sie seien nicht in der Lage, “widerliche Propaganda” als solche zu erkennen, handelt autoritär und auf unerträgliche Weise bevormundend gegenüber der Studentenschaft.

Sie haben Ihren Vortrag vorher aufgezeichnet. Er kann jetzt auf dem Internetportal der ALfA angeschaut werden. Offenbar ahnten Sie, dass Sie gecancelt werden könnten. Warum?

Bereits am Samstag hatte mich eine Mail der Verantwortlichen erreicht, in der mir mitgeteilt wurde, dass es zu deutlicher Kritik an meiner Einladung gekommen sei und ich damit rechnen müsse, dass es auch während der Veranstaltung zu Kritik kommen könnte. Ich habe daher bereits am Sonntag den Vortrag aufgenommen, für den Fall, dass es durch lautstarken Protest im Hörsaal nicht möglich sein würde, ihn zu hören. In dem Fall hätte ich den QR-Code für den Vortrag präsentiert. Solche Vorfälle hat es ja bereits gegeben. Letztes Jahr musste zum Beispiel die CDU-Politikerin Mareike Wulf einen Vortrag an der Uni Göttingen abbrechen, weil durch Trommeln, Pfeifen und Klopfen “mutmaßlicher Studenten” ein Zuhören schlicht nicht möglich war. Eine vollständige Absage hatte ich ebenfalls einkalkuliert. Cancel Culture ist längst Alltag an deutschen Universitäten, fürchte ich. Ebenfalls in Münster hatten AStA und die “kritischen Mediziner*innen” vor ein paar Jahren versucht, dafür zu sorgen, dass Professor Paul Cullen wegen seines Einsatzes für das Lebensrecht aller Menschen der Status eines außerplanmäßigen Professors entzogen wird. In Frankfurt musste letztes Jahr eine Veranstaltung mit der israelischen Generalkonsulin abgesagt werden, in Würzburg hat ein “Studentischer Sprecher*innenrat” versucht, einen missliebigen Geschichtsprofessor loszuwerden. Allen diesen Versuchen ist gemein, dass sie aus dem eher linken Lager kommen, und stets Personen zum Ziel haben, die diesem linken Meinungsspektrum nicht zuzurechnen sind.

Ihr Fall und die von Ihnen angesprochen gehen über den üblichen Meinungsstreit, der in Demokratien üblich und förderlich ist, hinaus. Sehen Sie sich nicht in Ihren Bürgerrechten beschnitten? Und wenn ja, wollen Sie dagegen etwas unternehmen?

“Natürlich sehe ich mich in meinen Bürgerrechten beschnitten. Das Recht auf freie Meinungsäußerung gilt ausnahmslos für alle”

Natürlich sehe ich mich in meinen Bürgerrechten beschnitten. Das Recht auf freie Meinungsäußerung gilt ausnahmslos für alle, und es gibt auch keinen Kanon von Äußerungen, die davon nicht gedeckt sind. Im Gegenteil: Gerade für die, die sich für das erste und wichtigste Menschenrecht – das Recht auf Leben – einsetzen, sollte es doch gelten. Dieses Recht auf Leben, das auf dem Konzept der Menschenwürde beruht, ist die Grundlage unseres gesamten Staatswesens. Wir beobachten seit Jahren eine sehr ungute Tendenz, nach der versucht wird, diese Position aus dem öffentlichen Diskurs komplett herauszuhalten – ironischerweise unter der Vorgabe, man müsse die Menschen davor bewahren, unsere Argumente zu hören. Dazu gehört natürlich auch das Verbot der “Gehsteigberatung”, bei der Frauen auf dem Weg zur Abtreibung in letzter Minute noch eine Möglichkeit aufgezeigt wird, sich doch für das Leben ihres Kindes zu entscheiden. Diese Wahlfreiheit dürfen, so die “pro Choice”-Logik, Frauen nicht haben. Gerade an Universitäten sollte doch die Fähigkeit, Argumente abzuwägen und durch logisches Denken zu eigenen Überzeugungen zu kommen, geschult werden. Die Unterdrückung missliebiger Meinungen, die Bevormundung der Menschen, die sich darin ausdrückt, dass man meint sie vor den Argumenten und Ansichten anderer beschützen zu müssen – das ist tatsächlich autoritär. Sie führt dazu, dass Menschen nicht mehr selber denken lernen und zunehmend anfällig werden für radikale Ideologien. Insofern ist die Zunahme der Cancel Culture besorgniserregend und sollte Politiker nicht nur dann beschäftigen, wenn sie, wie im Fall von Mareike Wulf, selbst betroffen sind.

Die Stellungnahme der ALfA-Bundesvorsitzenden finden Sie hier

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