Engelschöre am Sterbebett

Nachruf auf Alt-Abt Gregor Henckel Donnersmarck – Alexander von Schönburg über die letzten Stunden seines Onkels, Alt-Abt Gregor Henckel Donnersmarck, in Heiligenkreuz. Begleitet waren sie von einem Feuerwerk der Liebe. Ein Augenzeugenbericht

Quelle
Alt-Abt Gregor Henckel Donnersmarck
Alexander von Schönburg
Gründonnerstag: Predigt von Abt Maximilian

22.04.2025

Alexander von Schönburg

Natürlich ist das eine alberne Vorstellung, aber ich kann sie mir nicht verkneifen: das Bild, dass der Papst und der Alt-Abt von Heiligenkreuz gleichzeitig im Himmel ankommen und statt durch den VIP-Eingang zu gehen, erst einmal ein paar Obdachlosen in Lumpen den Vortritt lassen müssen.

Alt-Abt Gregor, der dem Heiligen Vater auf seinem letzten Weg nur wenige Stunden vorausgegangen ist, stammte aus dem alten und sehr reichen, schlesischen Geschlecht der Grafen Henckel von Donnersmarck, hatte also durchaus Sinn für Protokoll. Dementsprechend hätte er größtes Verständnis für das Vorgehen des Heiligen Petrus, wäre aber auch glücklich gewesen zu wissen, dass vermutlich sein Freund (und entfernter Vetter), Kardinal Christoph Schönborn, am 30. April sein Pontifikalrequiem in Stift Heiligenkreuz zelebrieren wird. Wenn die Ereignisse in Rom es denn zulassen.

Der Verlust eines ganzen Universums

Jeder Tod ist eine Katastrophe, geht doch mit dem Ableben eines Menschen, besonders wenn er, wie Alt-Abt Gregor, lange gelebt und gewirkt hat (er wurde 82 Jahre alt), der Verlust eines ganzen Universums einher. Außerdem wurde der Alt-Abt nicht nur verehrt, sondern auch geliebt, nicht zuletzt von seiner großen Familie und seiner weiteren Verwandtschaft, zu der auch ich gehöre. Da ich dem Onkel und Alt-Abt in diesen Tagen einen mehrtägigen Besuch abstattete, durfte ich Zeuge werden, wie die Zisterzienser in Heiligenkreuz ihren Mitbruder pflegten und ihn in seinen letzten Tagen und Stunden singend und betend begleiteten. Das, was ich erlebt habe, hat mein Herz so zum Brennen gebracht, dass ich hier Zeugnis dafür ablegen will. Die überbordende Liebe, die für mich am Sterbebett meines Onkels im Umgang der Mönche mit ihm sichtbar wurde, wird mich für immer begleiten und für immer innigst mit Heiligenkreuz, diesem bald 900 Jahren alten Zisterzienserkloster im Wienerwald, diesem zutiefst heiligen Ort, verbinden.

Die Art und Weise, wie der Alt-Abt versorgt wurde, war wie ein ins Werk gesetztes Hohelied der Liebe. Er wurde gepflegt wie ein König. Stets waren Mitbrüder an seiner Seite, seit Monaten – allen voran Pater Martin und ein junger Kandidat namens Tobias, Jahrgang 2003. In seinen letzten Tagen hielten sie ihm durchgehend die Hand, streichelten ihn, kühlten ihm mit einem feuchten Lappen den Kopf. Im Hintergrund, auf dem Tablet, aber auch zum Teil über den Hof hinweg hörbar, die würdevoll-feierliche Liturgie der Mönche. Und als schließlich am Ostersonntag abends gegen 20.30 Uhr die Nola geläutet wurde, waren innerhalb weniger Minute etwa 40 Mönche in seinem Zimmer im Krankentrakt und beteten mit Abt Maximilian, die violette Stola tragend, die traditionellen, benediktinischen Sterbegebete.

Traditionelle, benediktinische Sterbegebete

Ein unfassbares Privileg, das miterleben zu dürfen: Der Abt tritt an das Bett seines Vorgängers im Amte und spricht: “Der Friede sei mit diesem Haus”, worauf die Mönche “Und mit allen, die darin wohnen” antworten. Der Abt: “Besprenge mich, Herr, mit Ysop und ich werde rein. Wasche ab meine Schuld, von meinen Sünden wasche mich rein.” Nun stimmen die wunderschönen Stimmen der Mönche das “Asperges” an. Es war, als ob ein Engelschor singt. Dann kniet alles nieder. Es folgt die Sterbelitanei, worauf der Abt das “Proficiscere, anima christiana” betet (“Mache dich auf den Weg, christliche Seele”), gefolgt von weiteren großen Gebeten auf Latein. Spätestens als die den gregorianischen Choral in Höchstform praktizierende Mönche “Subvenite, Sancti Die” anstimmten, allerspätestens beim sanft gesungenen “In paradisum deducant te Angeli” wusste ich: Wenn das Leben eine Liturgie ist, dann hat mein Onkel alles richtig gemacht. Wem es vergönnt ist, so zu sterben, hat es auch verdient, an Ostern zu gehen, passend zum von ihm gewählten Leitwort auf dem Abtswappen: Surrexit Dominus vere!

Es war noch nicht so spät abends und so befahl der Abt, alle Glocken läuten zu lassen: “Von der kleinsten bis zur größten!” Die Fenster standen weit offen, milder Wind strömte herein, das Gesumme der Mönche, das Läuten der Glocken, es war, es gibt kein besseres Wort: himmlisch!

Anna Maria Gräfin Henckel Donnersmarck, die Witwe seines von ihm so geliebten Bruders Leo-Ferdinand (+ 2009), war rechtzeitig vor Eintritt seiner Todesstunde aus Berlin zu ihm geeilt – ich konnte ihr versichern, dass es ihrem Schwager bis Mitte der Kartage für seine Verhältnisse – er litt an Krebs – blendend gegangen war. “Ich schlafe gut, ich habe Appetit und ich habe keine Schmerzen”, hatte er mir versichert. Das Einzige, was ihn bekümmerte: dass er kein Wort Slowakisch sprach. Er würde sich so gern mit seinem historisch interessierten Pfleger unterhalten, sagte er. Ob er einen Wunsch habe? Ja, ein Buch mit ein paar Fakten und Sehenswürdigkeiten der Slowakei, möglichst mit einem Appendix mit simplen slowakischen Phrasen. Dank Amazon war das Buch zwei Tage später da.

Ein letztes Mal gemeinsam im Biergarten

Am Dienstag der Karwoche hatte er noch darauf bestanden, dass wir gemeinsam den Biergarten der Klostergaststätte besuchen. Besagter Pfleger schob seinen Rollstuhl behände über die mühsamen, dicken Pflastersteine. Karwochengemäß war unser Menü überschaubar (eine Käsesemmel für ihn, ein Kaffee für mich), aber es war dennoch ein Fest. Wir sprachen lange über die Geschichte des verlorenen Sohns und über die Arbeiter, die später zum Weinberg kommen und dennoch den gleichen Lohn erhalten, wie die, die seit morgens da sind.

Ich stichelte, dass er, der vor seiner späten Berufung Manager beim Logistikkonzern Schenker gewesen war, doch ein Verständnis für gerechten Lohn haben sollte und dass sowohl im einen als auch im anderen Beispiel von Gerechtigkeit nicht die Rede sein könne. Die Gnade sei eben nicht gerecht, erklärte er mir: “Sie zählt nicht, sie wägt nicht, sie rechnet nicht, sie ist nicht gerecht, sie ist in ihrer unergründlichen Freigiebigkeit eben sehr viel mehr als gerecht.”

“Bonum est diffusivum sui”, wie es bei Thomas von Aquin heiße – dem Guten sei es eigen, sich bis zur Verschwendung zu verströmen. In seinen Predigten, sagte der Abt, habe er oft darauf hingewiesen, dass der reuige Sohn sich eine riesige Litanei an Entschuldigungen zurechtgelegt hatte und auch die Bitte vortragen wollte, doch den niedrigsten Job unter den Tagelöhnern zugeteilt zu bekommen, aber – und das sei entscheidend, dass ihm der Vater entgegengeeilt sei. “Der Sohn kam gar mehr nicht dazu, die sorgfältig vorbereiteten Worte der Reue aufzusagen. Dieses Entgegeneilen des Vaters, das ist die Sensation!”

Er war ein leuchtender Mensch

Wir sprachen dann noch darüber, wie es ihm gelungen war, Papst Benedikt XVI. 2007 nach Heiligenkreuz zu locken, über seine Zeit in Stift Rein in den 1980er Jahren, als der dortige Abt, ein einzigartiger Vorgang, wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten in Haft musste und er als Krisenverwalter eingesetzt wurde – als er plötzlich Ingeborg Gabriel unter der Kastanie vorbeigehen sieht. Redselig bat er die berühmte Wiener Sozialethikerin, sich doch zu uns zu gesellen. Wir diskutierten und debattierten, scherzten und lachten, bis es langsam kühl wurde. Wir sprachen über Max Webers Blick auf die Gier (kurz: ist keine Spezialität des Kapitalismus, gab’s schon immer), über den Fortschritts- und Technologie-Wettrennen unserer Zeit, der, wie Frau Professor anmerkte, eigentlich von den Benediktinern im 12. Jahrhundert losgetreten worden war.

Wir sprachen über das heikle Thema der Konversion junger Muslime (ein großes Wiener Phänomen angeblich), über die Frage, ob Beerdigungen in sogenannten Friedwäldern, was nun auch in Heiligenkreuz möglich ist, etwas Paganes sei – die Professorin meinte ja – oder ob man da nicht so streng sein solle. Und wir sprachen über Grabinschriften. Ich erwähnte ein Beispiel für eine, wie ich finde, besonders höfliche: “Sorry for not getting up.” Das brachte meinen im Rollstuhl sitzenden Onkel zum Lachen. Er lachte gern. Er war ein leuchtender Mensch. Ein Mann, der Osterfreude nicht simulieren musste. Und er war jemand, der sich seine Lebensfreude vom Krebs nicht verderben lassen wollte.

Ein bisschen wie beim Vogel in dem Gedicht von Wilhelm Busch, dass seine Schwägerin Anna Maria am 80. Geburtstag des Alt-Abts zum Erstaunen mancher Festgäste hier in Heiligenkreuz vorgetragen hatte. Es beschreibt die Laune des Alt-Abtes an jenem Tag im Biergarten perfekt: Es sitzt ein Vogel auf dem Leim / er flattert sehr und kann nicht heim. / Ein schwarzer Kater schleicht hinzu, / die Krallen scharf, die Augen gluh / am Baum hinauf und immer höher / kommt er dem armen Vogel näher. / Der Vogel denkt: weil das so ist / und weil mich doch der Kater frisst, / will ich nur keine Zeit verlieren / und noch ein wenig quinquilieren / und fröhlich pfeifen – wie zuvor. / Der Vogel scheint mir, hat Humor.” Den hatte der Alt-Abt auch. Bis zuletzt. Und unermessliche Liebe um sich herum. Besser geht’s nicht.

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