Ein Papst aus Jerusalem?
Was wäre, wenn der nächste Papst nicht aus einem römischen Kurienamt, nicht aus den Weiten Lateinamerikas, der jungen Kirche Afrikas oder den dynamisch wachsenden Gemeinden Asiens, wie etwa den Philippinen, käme – sondern aus der Heiligen Stadt selbst, aus Jerusalem? Genauer: aus dem Lateinischen Patriarchat, das derzeit von Kardinal Pierbattista Pizzaballa OFM (60) geleitet wird
Quelle
Lateinisches Patriarchat von Jerusalem – Lateinisches Patriarchat von Jerusalem
Studium Biblicum Franciscanum – Wikipedia
Allgemeine Infos | Studium Biblicum Franciscanum
Christian Media Center | Zwischen Wissenschaft und Glaube: Das hundertjährige Bestehen des Studium Biblicum Franciscanum
Kardinal Pizzaballa
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25. April 2025
Diese Idee mag zunächst wie ein Randgedanke erscheinen, ein theologisches Gedankenspiel ohne kirchenpolitische Tragweite. Und doch eröffnet sie eine bemerkenswerte Perspektive: Sie lädt dazu ein, über die Zukunft der Kirche von ihrem geistlichen Ursprung her zu denken.
Kardinal Pizzaballa ist eine in der Weltkirche geschätzte Persönlichkeit, auch wenn er bisher nicht im Zentrum öffentlicher Papstdebatten steht. Sein Lebensweg ist aussergewöhnlich: Als langjähriger Kustos des Heiligen Landes (2004–2016) und seit 2020 als Lateinischer Patriarch von Jerusalem verkörpert er eine selten gewordene Verbindung – eine geerdete Präsenz im Ursprungsland des Christentums, verbunden mit diplomatischer Weitsicht und geistlicher Tiefe.
Geboren wurde er 1965 in Cologna al Serio in Italien. Doch seine geistliche Heimat liegt längst im Nahen Osten, wo er als Franziskaner inmitten religiöser, politischer und gesellschaftlicher Spannung lebt. Von 1995 bis 1999 studierte er an der Hebräischen Universität Jerusalem und war von 1998 bis 2004 als Professor für biblisches Hebräisch und Judaismus am Zentrum “Studium Biblicum Franciscanum” tätig. Er spricht fliessend Hebräisch, Arabisch, Englisch und Italienisch – und ebenso fliessend die Sprache der Versöhnung. Bei der Organisation des Friedensgebets im Vatikan im Jahr 2014 spielte er eine Schlüsselrolle. Am 30. September 2023 wurde er von Papst Franziskus zum Kardinal erhoben und erhielt die Titelkirche «Sant’Onofrio al Gianicolo».
Kardinal Pizzaballa begegnet Konflikten nicht mit Formelkompromissen, sondern mit hörender Geduld und glaubwürdiger Präsenz. Als Hirte und Ordensmann lebt er einen Stil, den der verstorbene Papst Franziskus oft gefordert hat: eine Kirche an den Rändern, nah bei den Menschen – nicht abstrakt, sondern konkret.
Die geistliche Mitte von Jerusalem neu vermessen
Rom ist das Herz der Kirche – das Zentrum, das für die Einheit und Leitung verantwortlich ist. Jerusalem ist ihr spiritueller Ursprungsort, der immer wieder zur inneren Erneuerung einlädt. Beide Orte, beide Dimensionen bedingen einander: Leitung braucht geistliche Tiefe, und Spiritualität braucht Form und Struktur, um sich in der Welt zu entfalten. Ein Pontifikat aus Jerusalem könnte diese Komplementarität auf neue Weise ins Bewusstsein rufen – nicht als Gegenmodell zu Rom, sondern als spirituelle Ergänzung. Ein solcher Papst wäre keine blosse Symbolfigur, sondern ein geistlicher Wegweiser. In einer Weltkirche, die vielerorts mit Vertrauensverlust, Zersplitterung und der Suche nach neuer Glaubwürdigkeit ringt, könnte ein solcher Perspektivenwechsel heilsam sein – nicht weg von der Institution, sondern hin zu ihrer Verankerung im Evangelium. Pizzaballa ist zumindest ein Hirte, der die Sprache des Evangeliums spricht – und zugleich die Sprachen der Menschen, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.
Vom Staub des Heiligen Landes zum Herzen der Weltkirche
Ein Papst aus Jerusalem könnte die Weltkirche an ihren geistlichen Ursprung zurückführen und sie auf mehreren Ebenen neu ausrichten:
Erstens durch eine stärkere theologische und pastorale Rückbindung an die Wurzeln des christlichen Glaubens. Der Glaube an Jesus Christus wurde nicht in einem Konzil geboren, sondern im Staub Galiläas, im Schatten Jerusalems, im Licht der Auferstehung. Eine Kirche, die von dort her neu spricht, wäre keine rückwärtsgewandte, sondern eine erneuerte österliche Kirche.
Zweitens durch eine glaubwürdige Förderung des interreligiösen und ökumenischen Dialogs. Für Pizzaballa ist das keine Theorie, sondern gelebter Alltag. Seine Erfahrungen mit Judentum, Orthodoxie, Islam und säkularer Gesellschaft befähigt ihn, Brücken zu bauen – nicht primär durch Programme, sondern vor allem durch persönliche Präsenz.
Drittens durch eine neue Aufmerksamkeit für verfolgte und marginalisierte Christen. Wer die Kirche von Jerusalem aus denkt, denkt sie nicht von einer privilegierten Mitte, sondern von den leidenden Gliedern her. Pizzaballa kennt das Christsein ohne Privilegien – eine Erfahrung, die die Kirche weltweit lehren könnte, sich nicht weg von der Kirche als Institution, sondern vertieft als geistliche Gemeinschaft, deren Mitte Christus selbst ist, zu verstehen. Eine Kirche, die in der Schwachheit stark ist.
Viertens durch seine franziskanische Prägung: Demut, Einfachheit und ein hörendes Herz. In einer Zeit, in der viele Gläubige nicht nach strategischen Visionen, sondern nach gelebtem Zeugnis suchen, verkörpert Pizzaballa jene “Kraft in der Schwachheit”, von der der Apostel Paulus in 2 Kor 12,9 spricht.
Natürlich: Der Ausgang eines Konklaves ist nicht planbar, und die Wahl eines Papstes bleibt dem Wirken des Heiligen Geistes vorbehalten. Innerkirchlich mag ein Papst aus Jerusalem unwahrscheinlich erscheinen – weder Kardinalsrang noch geografische Herkunft allein bestimmen das bevorstehende Konklave. Und doch lohnt es sich, dieses Gedankenexperiment oder die vergessene Option Jerusalem ernst zu nehmen. Denn es ist mehr als Spekulation: Es ist eine Einladung, neu über den inneren Kurs der Kirche nachzudenken – über ihre geistliche Verortung und Erneuerung, ihre Sprache und ihre Zukunft. Vielleicht liegt die Mitte der Kirche nicht nur dort, wo ihr Machtzentrum steht, sondern auch dort, wo ihre Hoffnung aufleuchtet: in einem leeren Grab, in einer Stadt, die nie aufgehört hat, nach Frieden und Versöhnung zu rufen.
Einen näheren Einblick in das Wirken des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem bietet die offizielle Website des “Lateinischen Patriarchats von Jerusalem” Link
Mike Qerkini
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