Ein Garten im Grab?
Golgotha -Neue archäologische Funde scheinen den Bericht des Evangelisten Johannes zu bestätigen. Statt einer kargen Erhebung hat es sich bei Golgotha wohl um einen grünen Ort gehandelt
13.04.2025
In den altehrwürdigen Gemäuern der Grabeskirche brachte ein Forscherteam unter der Leitung von Francesca Romana Stasolla, Professorin an der Universität La Sapienza in Rom, Spuren einer antiken Gartenanlage ans Licht – eine bemerkenswerte Entdeckung, die die biblische Überlieferung in neuem Licht erscheinen lässt. Stasolla ist Mitglied der Päpstlichen Römischen Akademie für Archäologie und des wissenschaftlichen Beirats des Italienischen Zentrums für Studien des frühen Mittelalters in Spoleto. Die Entdeckung stützt die Berichte der Evangelien über einen Garten am Ort der Kreuzigung und Grablegung Jesu: “Es war aber an der Stätte, wo er gekreuzigt wurde, ein Garten und im Garten ein neues Grab, in das noch nie jemand gelegt worden war” (Joh 19, 41).
Stasollas Team entdeckte zudem eine kreisförmige Marmorbasis unterhalb der Ädikula, des Schreins, der das Grab umgibt. Diese könnte zur ursprünglichen konstantinischen Kirche gehört haben, da frühe Quellen aus dem 5. und 6. Jahrhundert sie als rund beschreiben. Wissenschaftliche Untersuchungen liefern nun greifbare Belege für diese These. Forscher identifizierten in Bodenproben über 2000 Jahre alte Pollen und Wurzelreste von Olivenbäumen und Weinreben.
Die Geschichte des Geländes, auf dem die Grabeskirche steht, reicht in ferne Zeiten zurück. Die in Bodenproben gefundenen Gartenfunde aus vorchristlicher Zeit deuten darauf hin, dass sich das Gebiet von einem Steinbruch spätestens im 1. Jahrhundert v. Chr. zu einem landwirtschaftlich genutzten Land entwickelte, bevor es schließlich als Begräbnisstätte verwendet wurde. Vor allem die etwa zwei Jahrtausende alten Oliven- und Weinreste stimmen mit den Berichten aus dem Johannesevangelium überein. Der Gartenbesitzer entstammte vermutlich der Oberschicht – ein Indiz dafür, dass sich Jesu Grabstätte in einer gehobenen Umgebung befand.
Oliven, Wein und Feigen
Neben Oliven und Reben stießen die Wissenschaftler auf Überreste von Feigenbäumen – seit Jahrtausenden typische Kulturpflanzen der Region. Diese Funde verändern die Vorstellung von Golgatha: Statt einer kargen Erhebung muss man sich einen grünen Ort als Umgebung des Jesusgrabes vorstellen.
Die Ausgrabung begann 2022 im Rahmen eines Restaurierungsprojekts und stellt die erste umfassende Renovierung der Kirche seit dem 19. Jahrhundert dar. Diese musste von den drei Hauptverwaltungen der Kirche – dem Griechisch-Orthodoxen Patriarchat, der Römisch-Katholischen Kustodie des Heiligen Landes und dem Armenischen Patriarchat – genehmigt werden. Zudem war eine Lizenz der israelischen Altertumsbehörde erforderlich. “Im Zuge der Renovierungsarbeiten haben die Religionsgemeinschaften auch archäologische Ausgrabungen unter dem Boden erlaubt”, so Stasolla. Der Ort ist nicht nur eine der heiligsten Stätten des Christentums, sondern weist ebenfalls einen hohen historischen und symbolischen Wert auf.
Vom Venustempel zur Grabeskirche
Nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n. Chr. erfolgte unter Kaiser Hadrian der Wiederaufbau – einschließlich des Golgatha-Areals. Um die zunehmende christliche Verehrung zu unterbinden, ließ er dort einen Venus-Tempel errichten.
Paradoxerweise bewirkte dieser Versuch, den Ort auszulöschen, das Gegenteil: Die Christen bewahrten die Erinnerung an den heiligen Ort in ihrer Überlieferung. Als Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert das Christentum zur bevorzugten Religion des Römischen Reiches erhob, initiierte er umfangreiche Grabungen, um das Jesusgrab freizulegen.
Der Überlieferung nach reiste Konstantins Mutter, Kaiserin Helena, persönlich nach Jerusalem, um den Ort zu identifizieren. Nach dem Abriss des Venus-Tempels entstand dort auf Konstantins Geheiß eine monumentale Kirche – der Vorläufer der heutigen Grabeskirche.
Nach Ostern gehen die Grabungen weiter
Die Geschichte des Bauwerks ist von Zerstörungen und Wiederaufbau geprägt. Bedeutende Umgestaltungen erfolgten besonders während der Kreuzzüge. Eine massive, mit Pilger-Graffiti übersäte Steinplatte stand jahrhundertelang unbeachtet an einer Kirchenwand. Detailuntersuchungen enthüllten sie als Rückseite eines kunstvoll gearbeiteten Altars aus dem 12. Jahrhundert.
Historische Quellen berichten, dass die Kreuzritter während ihrer Herrschaft über Jerusalem (1099–1187) eine prächtige Ausstattung für die Kirche anfertigten. Doch nach einem verheerenden Brand im Jahr 1808 galt der Altar als vernichtet. Nun zeigt sich: Er war die ganze Zeit über in der Kirche verborgen. Dieser Fund bietet wertvolle Einblicke in die mittelalterliche Gestaltung der Grabeskirche und das religiöse Leben der Kreuzfahrer. Experten arbeiten derzeit daran, die ursprüngliche Position des Altars in der Kirche zu rekonstruieren.
Bemerkenswert ist die Entdeckung einer bislang unzugänglichen unterirdischen Kammer. Alte Pilgerberichte erwähnen einen Hohlraum unter der Kirche – nun bestätigen Forscher eine unerforschte Struktur. Ihre genaue Natur – natürliche Höhle, antikes Grab oder frühchristliche Architektur – bleibt vorerst ungeklärt.
“Moderne Technologie ermöglicht beispiellose Einblicke in die Kirchengeschichte“, erklärt Francesca Romana Stasolla. Neben klassischer Archäologie kommen hochmoderne Verfahren zum Einsatz. 3D-Scans und hochauflösende Bodenradar-Analysen machen verborgene Strukturen sichtbar – ohne physische Ausgrabung. “Jede Entdeckung bringt uns der Wahrheit näher, auch wenn manche Fragen unbeantwortet bleiben werden”, resümiert die Grabungsleiterin. Die abschließende Grabungsphase soll nach Ostern wieder aufgenommen werden, doch die Dokumentation und Veröffentlichung der Funde wird vermutlich noch Jahre in Anspruch nehmen.
Seit Jahrhunderten suchen Pilger aus aller Welt die Grabeskirche zum Gebet auf. Stasolla vermeidet eine Stellungnahme zur Authentizität des Jesusgrabes. Nach heutigem Kenntnisstand lasse sich dies nicht wissenschaftlich beweisen. Sie betont jedoch: “Der jahrtausendealte Glaube an die Heiligkeit dieses Ortes ermöglichte seine Existenz und Entwicklung.” Sie ergänzt: “Unabhängig vom persönlichen Glauben an die Historizität des Heiligen Grabes bleibt der generationenübergreifende Glaube daran eine objektive Tatsache.” Die Geschichte des Heiligen Grabes sei “die Geschichte Jerusalems”.
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