Der Papst-Nachruf als Selbstverortung
Von Olaf Scholz über Friedrich Merz bis zu den Ministerpräsidenten: Deutsche Politiker würdigen Papst Franziskus. Dabei zeigen sie auch, wie sie grundsätzlich zu Kirche und Glaube stehen
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21.04.2025
Meldung
Die Anteilnahme deutscher Politiker am Tod von Papst Franziskus ist groß – vom geschäftsführenden Bundeskanzler Olaf Scholz über seinen sehr wahrscheinlichen Nachfolger Friedrich Merz bis hin zu den Ministerpräsidenten. Im Zentrum dieser Nachrufe steht natürlich die Würdigung des Verstorbenen. Dabei ist aufschlussreich, welche Aspekte aus dem Leben des Papstes die Politiker jeweils hervorheben.
In diesen Stellungnahmen, die zumindest auf den ersten Blick gemeinhin recht staatstragend daherkommen, steckt auch immer eine Selbstverortung der Politiker – wie positionieren sie sich im Verhältnis von Staat und Kirche, von Politik und Religion? Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) hat mit mehreren Interviews zum Osterwochenende hin eine Debatte darüber ausgelöst, wie politisch die Kirche sein sollte. Statt Trost und Stabilität zu spenden, würden die Kirchen vielfach zu austauschbaren Nichtregierungsorganisationen, erklärt die zweite Frau im Staat in der aktuellen “Bild am Sonntag”.
Scholz betont Sensibilität des Papstes für soziale Ungleichheit
Schon kurz nach ihrer Wahl zur Parlamentspräsidentin hatte die studierte katholische Theologin gegenüber “Domradio” betont, kirchliche Institutionen sollten dann ihre Stimme erheben, wenn es um den Schutz des menschlichen Lebens an seinem Anfang und seinem Ende oder die Bewahrung der Schöpfung gehe. Eine Positionierung aber etwa in der Frage, ob es ein Tempolimit geben solle, sei unnötig. In dieser Diskussion spiegelt sich auch der Unmut wider, der die christdemokratischen Parteien erfasst hat, nachdem aus ihrer Sicht der migrationspolitische Vorstoß von Friedrich Merz in der vergangenen Legislaturperiode von kirchlicher Seite ungerecht kritisiert worden sei.
Klöckners Kritik an einer politisierten Kirche wurde nun wiederum bezeichnenderweise von linksliberaler Seite zurückgewiesen. Etwa mit dem Verweis, dies sei ein ungehöriger Versuch, seitens der Politik auf die Autonomie der Kirche Einfluss zu nehmen und deren kritische Stimme zu deckeln. Vor dem Hintergrund dieser Auseinandersetzungen müssen nun auch die Stellungnahmen zum Tod von Papst Franziskus gedeutet werden.
Olaf Scholz – hier ganz Sozialdemokrat – hebt die Sensibilität des Papstes für soziale Ungleichheit hervor. Mit Franziskus habe die Kirche und die Welt “einen Fürsprecher der Schwachen, einen Versöhner und warmherzigen Menschen” verloren, erklärte der geschäftsführende Bundeskanzler über die Sozialen Medien. Er erinnert an seinen letzten Besuch, bei dem ihm der Papst eine Plastik mit dem Namen “Soziale Liebe” überreicht habe. Sie zeige ein Kind, das einem anderen Kind aufhelfe. Dies habe ihn sehr berührt, so der 66-Jährige, denn dieses Kunstwerk sei “ein schönes Sinnbild für unsere Gesellschaft und für die Botschaft, die von Papst Franziskus bleiben wird. Wir helfen uns gegenseitig, wir helfen den Schwachen.”
Scholz, der seinen Amtseid ohne Gottesbezug abgelegt hat, wurde evangelisch getauft und konfirmiert, ist aber später aus der Kirche ausgetreten und bezeichnet sich heute als konfessionslos. Trotzdem versucht er, eine christliche Prägung herauszustellen, so hat er etwa schon öfter betont, dass christliche Nächstenliebe seinem Verständnis von Solidarität gleichkomme.
Merz: Papst hat Menschen weltweit berührt
Der vermutliche Nachfolger von Scholz ist anders kirchlich sozialisiert: Friedrich Merz ist praktizierender Katholik. Der ziemlich wahrscheinlich nächste Bundeskanzler meldete sich als einer der ersten Spitzenpolitiker zu Wort. Auch das sicherlich ein Signal des CDU-Vorsitzenden. Der Sauerländer entstammt in gewisser Weise noch dem klassischen katholischen Milieu der alten Bundesrepublik. So wurde er etwa durch seine Mitgliedschaft im Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen (CV) geprägt, dem er seit Bonner Studientagen angehört.
Merz hat aber auch einen besonderen Sinn für die Ökumene: Er entstammt einem konfessionell gemischten Elternhaus – die Mutter ist katholisch, der Vater war evangelisch und ist später zur katholischen Kirche konvertiert –, er selbst ist mit einer Protestantin verheiratet, die sich in ihrer Kirche engagiert. Merz würdigt denn auch in seinem Statement, das er auf dem Kurznachrichtendienst “X” veröffentlicht hat, Franziskus als einen Papst, der Menschen weltweit und über alle Konfessionsgrenzen hinweg berührt habe. Sein “unermüdlicher Einsatz für die Schwächsten der Gesellschaft, für Gerechtigkeit und Versöhnung” werde in Erinnerung bleiben. Er sei in Gedanken bei allen Gläubigen, die ihren “Heiligen Vater” verloren hätten, so der CDU-Vorsitzende.
Frank-Walter Steinmeier wäre, wenn ihm nicht die Bundespräsidentenwahl dazwischen gekommen wäre, beinahe einmal Präsident des Evangelischen Kirchentages geworden. Der Bundespräsident ist also aktiver Protestant, interessiert sich für Theologie. Seine Würdigung ist sichtlich bemüht, möglichst viele Aspekte des Pontifikats von Franziskus, den er mehrere Male traf, zu berücksichtigen. Auch er hebt besonders den Einsatz des Papstes für die Menschen am Rand hervor: Viele, die sich vergessen gefühlt hätten, hätten sich durch Franziskus verstanden gefühlt, heißt es in einem Kondolenzschreiben.
Der Präsident betont aber auch die Impulse des Papstes für die Bewahrung der Schöpfung und für eine gerechtere Wirtschaftsordnung. Franziskus habe sein Amt immer als Dienst an allen Christen, ja allen Menschen guten Willens aufgefasst, so Steinmeier. Er habe seinen Dienst als Angebot zum Dialog verstanden. Als Brückenbauer habe der Papst dazu eingeladen, an der Errichtung einer besseren und gerechteren Welt mitzuwirken. Franziskus habe erkannt, dass der Frieden nur dort wachsen könne, “wo sich Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen, unterschiedlicher Überzeugungen und unterschiedlicher Lebensweisen mit Respekt und Wertschätzung und mit dem Willen zur Versöhnung begegnen”. Das Fazit des Bundespräsidenten: “Wir alle können dankbar sein für Franziskus und sein segensreiches Wirken.”
Merkel: “Seine Stimme wird fehlen”
“Seine Stimme wird fehlen”, erklärte die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die 70-Jährige hatte eine ganz besondere Beziehung zu dem verstorbenen Papst. Insgesamt fünf Mal war sie bei ihm zur Privataudienz im Vatikan. Immer wieder gab der Pontifex zu verstehen, dass sie zu den Regierungschefs zähle, denen er besonders vertraue. Dies gilt vor allem für das Feld der Flüchtlingspolitik. 2015 und in den schwierigen Jahren darauf konnte Merkel sich einer Rückendeckung aus Rom sicher sein. Außer mit dem ehemaligen US-Präsidenten Joe Biden dürfte Franziskus mit kaum einem anderen Politiker so ein vertrautes Verhältnis gepflegt haben wie mit der evangelischen Pfarrerstochter.
Dass auch Merkel selbst von dem Charisma des Papstes angesprochen wurde, zeigte sich etwa daran, dass die ansonsten ja eher distanzierte Kanzlerin nach einem Treffen gar erklärte, beim nächsten Mal werde man gemeinsam auf der Piazza Pizza essen gehen. Nun hob die ehemalige Regierungschefin hervor, dass ihr Franziskus als eine Persönlichkeit in Erinnerung bleiben werde, deren Handeln von der Liebe zu den Menschen geprägt gewesen sei. Dabei habe sich der Papst auch nicht davor gescheut, unbequem zu sein.
Besonders interessant sind natürlich die Reaktionen aus Bayern: Nicht nur deswegen, weil Franziskus‘ Vorgänger Benedikt XVI. dort seine Heimat hatte und weil die katholische Prägung im Freistaat immer noch deutlich durchscheint, sondern auch weil die Staatsregierung dort immer wieder religionspolitische Akzente setzt. Etwa durch den sogenannten “Kreuzerlass” oder zuletzt über eine vertiefte Debatte darüber, wie die in der bayerischen Verfassung eingeforderte “Verantwortung vor Gott” in der Schule als Erziehungsziel praktisch umgesetzt werden könnte.
Söder “Papst kannte und mochte auch Bayern sehr”
Ministerpräsident Markus Söder, als fränkischer Protestant aus Nürnberg gerade nicht dem Klischeebild des katholischen Bayern entsprechend, erzählt gerne, dass er bei langen Autofahrten Auszüge aus der Bibel hört. Natürlich war er schon oft im Vatikan, zu Lebzeiten von Benedikt natürlich auch, um den bayerischen Papst zu besuchen, zweimal war er aber auch zur Audienz bei Franziskus. Interessant ist, dass Söder, der wohl zu den aktivsten deutschen Politikern in den Sozialen Medien zählt, in seiner Stellungnahme dort sehr persönlich wird, so schreibt er: “Der Glaube gibt Orientierung und Halt gerade in einer Welt in Aufruhr. Für Verlässlichkeit und Kraft stand auch der Heilige Vater. Ich bin froh, glauben zu können.”
Schließlich erinnert Söder an eine besondere Beziehung des Papstes zu Bayern: “Der Papst kannte und mochte auch Bayern sehr: ‘Maria Knotenlöserin’ ist eines seiner Lieblingsbilder und hängt im Original in der Augsburger Kirche Sank Peter am Perlach.”
Auffällig ist insgesamt, dass das Thema Reformen in der Kirche in den Stellungnahmen der Politiker keine Rolle spielt. Auch nicht dort, wo man es vielleicht erwarten würde. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock oder Vizekanzler Robert Habeck beschränken sich darauf, Franziskus mit Blick auf seinen weltweiten Einsatz für Frieden und gegen Gewalt zu würdigen. Beide, Baerbock ist evangelisch, Habeck konfessionslos, verzichten auf eine Würdigung seiner kirchlichen Rolle.
Ganz anders Norbert Lammert, ehemaliger Bundestagspräsident und Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung. Der 76-jährige katholische Christdemokrat – er sorgte 2011 für Aufmerksamkeit als er das “Vaterunser” in “moderne Worte” übersetzte, er war es auch, der Benedikt XVI. zu seiner Rede in den Bundestag einlud – schreibt in seiner Würdigung: Der tiefe Respekt für das Wirken von Papst Franziskus in der Kirche und in der Welt verbinde sich mit der Erwartung der Fortsetzung seines Engagements für überfällige Reformen in der Kirche und für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt.
Für die AfD-Bundestagsfraktion hat sich schließlich deren kirchenpolitische Sprecherin, Nicole Höchst, zu Wort gemeldet: Sie würdigte den Papst als “aufrechten Verteidiger des Friedens und der Völkerverständigung”.
Nähe und Menschlichkeit
Mit einem “Buon viaggio, Papa Francesco. E grazie” dankte Österreichs Bundespräsident Alexander van der Bellen dem verstorbenen Papst. Van der Bellen würdigte vor allem das soziale, politische und ökologische Engagement des Papstes: “Er reiste nach Lampedusa zu den Flüchtlingen und gedachte dort der vielen Toten im Mittelmeer. Er setzte sich für die Bewahrung der Schöpfung ein. Er sorgte dafür, dass Obdachlose in der Nähe des Petersplatzes duschen können. Er kritisierte menschenverachtende Worte und Gesten. So war Papst Franziskus. Ein Papst für soziale Gerechtigkeit.“ Franziskus sei den Menschen nah gewesen. Für Millionen Menschen sei er so zu einer Inspiration und einem “Wegweiser der Hoffnung” geworden. “Für mich wird der Name Franziskus immer für Nähe und Menschlichkeit stehen”, so der österreichische Bundespräsident.
Auch Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) zeigte sich betroffen. Für ihn werde “der unermüdliche Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Toleranz” des Papstes unvergessen bleiben. “Sein Wirken als Verbinder zwischen Nationen, Religionen und Kulturen hat unzählige Menschen inspiriert. Papst Franziskus’ Glaube, seine Demut und sein Dienst an den Schwächsten der Gesellschaft werden als sein Vermächtnis weiterleben.” Franziskus habe in seinem Dienst als Nachfolger Petri weltweit viele Menschen inspiriert, betonte auch die für Religionsfragen zuständige Kanzleramtsministerin Claudia Plakolm (ÖVP).
DT/KNA/sesa/sba
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