William Turner: Der britische Caspar David Friedrich
250. Geburtstag – Ein visionärer Maler: William Turner war ein Meister des Lichts und der Farbe – und hat die Malerei revolutioniert. Anlässlich seines 250. Geburtstags ist Großbritannien in Feierlaune
Quelle
Die fünfte Plage Ägyptens – Wikipedia
Der Engel, der in der Sonne steht, 1846 – J.M.W. Turner – WikiArt.org
William Turner – Wikipedia
Amazon.de : William Turner
16.03.2025
Claudia Hansen
Dramatische Landschaften, stürmische Seestücke mit spritzender Gischt, atmosphärische goldene Sonnenuntergänge, zuletzt fast abstrakte, lichtdurchflutete Ansichten von großer spiritueller Kraft: Joseph Mallord William Turner (1775 – 1851), hierzulande verkürzt als William Turner bekannt, hat Bilder geschaffen, die die malerischen Konventionen seiner Zeit sprengten, das Publikum begeisterten und manche Kritiker verstörten, weil sie mit den Sehgewohnheiten brachen. Als „Vater der modernen Malerei“ bezeichnete ihn der Kunstkritiker John Ruskin. Die Elemente sind in Ekstase bei diesem visionären Romantiker; Naturkräfte, Wassermassen, Nebelschwaden und Lichter von ungeahnter Energie setzen die Bilder in Bewegung.
Britain findet Turner “great”
Die Briten sind mächtig stolz auf ihren Turner, dessen bekanntes frühes Selbstporträt seit einigen Jahren auf einer Zwanzig-Pfund-Note abgebildet ist. Selbstbewusst, fast trotzig blickt er den Betrachter an. Anlässlich seines 250. Geburtstags, der am 23. April ansteht, wird Turner mit verschiedenen Ausstellungen in mehreren Museen auf der Insel gewürdigt, allen voran in der Tate Britain.
Und doch bleibt, trotz vieler Werkschauen, Publikationen und Forschung, ein Geheimnis um diesen verschlossenen, charakterlich schwierigen Mann, der mit seiner immer gegenstandsloseren Kunst die Zeitgenossen herausforderte. Die fast abstrakt wirkenden Landschaften und Seestücke der Spätzeit weisen weit in die Moderne. Sie haben Claude Monet und die Impressionisten begeistert. Im zwanzigsten Jahrhundert scherzte Mark Rothko, als er erstmals ein Turner-Bild mit quasi gestapeltem Himmel, Meer und Küste sah: “Turner hat viel von mir gelernt.”
Mit 15 begann die Karriere des Wunderkinds
Geboren wurde Turner in London in einfache Verhältnisse. Sein Vater war Barbier und Perückenmacher in Covent Garden nahe der Themse. Die Mutter stammte aus einer Metzgersfamilie. Der Tod seiner vierjährigen Schwester beschleunigte offenbar den geistigen Verfall der Mutter; sie kam ins Bethlem Hospital, einer Klinik für psychisch Kranke. Schon früh wurde William Turners Talent als Zeichner und Maler erkannt und gefördert. Schon mit zehn Jahren kolorierte er Kupferstiche. Die Eltern zahlten für Malstunden, sein Vater hängte Zeichnungen und Aquarelle im Friseursalon aus und verkaufte sie. Mit dreizehn schickte man William zu einer Familie nach Margate an der Küste von Kent. Er besuchte dort eine methodistische Schule und seine Liebe zur See, zu den Häfen und den Fischern blühte auf.
Turner galt schon früh als Wunderkind. Mit nur 15 Jahren wurden künstlerische Förderer auf ihn aufmerksam, er bestand die Aufnahmeprüfung der Royal Academy of Arts und konnte mit einem Stipendium dort Schüler werden. Schon in der nächsten Jahresausstellung durfte er erstmals ein Aquarell ausstellen. 1802 wurde Turner – so jung wie noch kein anderer jemals – Vollmitglied der Kunstakademie, eine große Ehre für den jungen Mann, der in den Vorstand gewählt wurde und ab 1807 als “Professor für Perspektive” Vorlesungen hielt. Turner machte eine steile Karriere als gefragter Maler.
Reisender im Alten Europa
Der auch geschäftlich sehr geschickte Turner etablierte sich mit einem großen Atelier in West-London in der Harley Street, wo er Besucher in einem geheimnisvoll abgedunkelten Räumen empfing, und eigener benachbarter Verkaufsgalerie. In der ländlichen Idylle von Twickenham entwarf und baute er ab 1807 eine kleine stilvolle Villa, in der er viele Jahre mit seinem alternden Vater ein zurückgezogenes Leben führte. Der Tod seiner Mutter in der Bethlem-Klinik hatte ihn erschüttert. Mit Frauen unterhielt Turner zeitlebens schwierige, angespannte Beziehungen, ebenso zu seinen zwei unehelichen Kindern.
Auf zahlreichen Reisen durch alle Landesteile Großbritanniens, dann 1802 erstmals auf den Kontinent, nach Frankreich und die Schweiz, als eine Pause der napoleonischen Kriege dies erlaubte, nach dem Ende des Krieges immer wieder quer durch ganz Europa, vor allem nach Italien, wo er mehrere Monate in Rom, Neapel und Venedig verbrachte, hat Turner wie ein Besessener gemalt und Motive gesammelt. Allein in Italien füllte er zwei Dutzend Skizzenbücher mit Zeichnungen und Aquarellen. Virtuos hat er seine Skizzen mit Wasserfarben hingetupft; sie sind so lebendig, licht und unmittelbar wie kaum andere Werke.
Eine tiefe Liebe zum Meer
Künstlerisch beeinflusst war Turner anfangs vor allem durch Maler wie Claude Lorrain, dessen sonnenglänzende klassisch-barocke Landschaften er mehrfach kopierte, oder den niederländischen Landschaftsmaler Albert Cuyp. Zeitlebens erfüllte ihn eine tiefe Liebe zum Meer und den Seeleuten. Immer wieder malte er Fischer, Handelsschiffe und Kanonenboote in rauer See, bei Tag und bei Nacht. Großbritannien war die dominante Seemacht der Zeit. Admiral Nelsons tragischen Triumph in der Schlacht von Trafalgar verewigte Turner 1822 bis 1824 in einem berühmten Großformat, seinem einzigen Werk im königlichen Auftrag für George IV., das heute im National Maritime Museum in Greenwich hängt. Die wild gebauschten Segel der “Victory”, der dräuende Wolkenhimmel und die Szene teils ertrinkender Soldaten im Vordergrund sind dramatisch. Auf Drängen der Admiralität, die viele Details bekrittelte, musste Turner noch einiges ändern, was ihn sehr ärgerte.
Nicht nur Naturgewalten, auch moderne Aspekte des Industriezeitalters wie rauchende Dampfboote oder rasende Lokomotiven faszinierten ihn. Turner malte oft sehr schnell, auch in Öl. Gerade in seinen letzten Jahren wurde der “impressionistisch” bewegte Pinselstrich immer wilder und kühner. Im legendären Ölbild “Rain, Steam and Speed” zeigt er 1844 die Great Western Railway als Maschinenmonster über eine Brücke stampfen. Turner malte verschiedene Versionen des Zugs: Mal sind die Farben eher düster nebelig-grau, einmal dampft die Lok durch eine wie von Feuer erleuchtete Landschaft – und vor ihr rennt auf der Brücke kaum sichtbar ein kleiner Hase.
Viele seiner Gemälde zählen zu den Lieblingsbildern der Briten
Einige seiner letzten Landschaftsbilder und Seestücke der 1840er Jahre blieben unvollendet: reine Farbkompositionen voller Licht ohne klare Umrisse. Erst mehr als hundert Jahre nach Turners Tod wurden diese im Museum of Modern Art in New York erstmals ausgestellt und erzeugten eine Sensation. Die Bilder scheinen fast ganz abstrakt, doch sind sie transzendente Weiterentwicklungen gegenständlicher Landschaften.
Viele seiner Werke gelten heute als nationale Ikonen der Briten. Als die BBC und die National Gallery vor zwanzig Jahren nach dem “großartigsten Gemälde in Britannien” fragten, da fiel die Wahl des Publikums auf “The Fighting Temeraire” von 1838 (deutscher Bildtitel: “Die letzte Fahrt der Temeraire”), Turners melancholische Darstellung eines abgetakelten Kriegsschiffs, das von einem Dampfboot im Sonnenuntergang über die Themse gezogen wird. Es geht zum letzten Ankerplatz, wo der alte Segler abgewrackt werden sollte.
Turner malte auch biblische Szenen
Anders als bei den deutschen Romantikern, vor allem Caspar David Friedrich, dessen Bilder von christlicher Symbolik tief geprägt sind, sieht man in Turners Kunst zunächst keine klare religiöse Botschaft. Der um einiges jüngere Kunstkritiker, Maler und Freund John Ruskin, ein frommer Christ, beklagte einmal, dass Turner sich wie ein “Ungläubiger” gebe und sich nicht sichtbar zu einer Kirchenmitgliedschaft bekenne. Doch Turner war zeitlebens geprägt durch die Kindheitserfahrungen und die christliche Erziehung in der Methodisten-Schule von Margate. Er hat zahlreiche biblische Szenen gemalt, angefangen von “The Tenth Plague of Egypt” (1802) bis zu “Angel Standing in the Sun” (1846). Der Engel mit einem Schwert steht inmitten gleißenden Lichts, die Szene wirkt außerweltlich, transzendent. Diese Sujets passen gerade zu Turners vergeistigtem Spätstil.
Der Künstler besaß bis ins hohe Alter eine extreme Schaffenskraft, fertigte Tausende Zeichnungen, Skizzen und Aquarelle an. Als Turner 1851 starb, vermachte er seine gesamte Sammlung der Nation; die Tate Gallery in London besitzt eine ungeheure Menge, rund 36.000 Werke. Anlässlich des 250-Jahre-Jubiläums werden mehr als hundertfünfzig Werke ausgestellt. Sein beträchtliches Barvermögen vermachte der wohlhabende Turner einer Stiftung, die arme alte Künstler unterstützen sollte. Er liegt in der St. Paul’s Kathedrale in London begraben.
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