Radio Eriwan im Oval Office?

Der Osteuropahistoriker Marc Stegherr fühlte sich anlässlich des Oval-Office-Eklats an unselige sowjetische Zeiten erinnert

Quelle

07.03.2025

Marc Stegherr

Kurz vor der Französischen Revolution notierte der berühmte Naturforscher Georges-Louis Leclerc seine Beobachtung, die ein geflügeltes Wort geworden ist: “Le style cést l´homme” – Der Stil, das ist der Mann, oder der Mensch. Was im ersten Moment abgehoben erscheinen mag, ist eine grundlegende Wahrheit. Wie sich ein Mensch seinen Mitmenschen darstellt, wie er mit ihnen umgeht, sagt sehr viel über ihn selbst aus.

Wenn Stillosigkeit die Politik bestimmt

Die Politik war nie ein Feld, auf dem sich nur vollendete Gentlemen und Menschenfreunde tummelten. Aber das Ideal verbarg sich zumindest lange hinter dem Grundsatz, dass man Bosheiten, harte Wahrheiten stilvoll, intelligent und sogar mit freundlichem Lächeln aussprechen sollte. Die Diplomaten, die aus dem europäischen Adel stammten, ein Talleyrand oder Metternich, beherrschten diese Kunst perfekt. Wenn Politik nach Goethe schon ein “garstiges” Geschäft sei, von dem sich ein Mann mit Gewissen besser fernhielt, dann sollte sie sich wenigstens anständiger Formen bedienen, zumal in ihrer auswärtigen Version, deren Formen, Sprache und Rituale sich direkt von den Höfen Europas vererbt haben.

Das hat sich im letzten Jahrhundert radikal geändert. Die Botschafter des NS-Staates erschienen in ihren pfauenhaften Galauniformen wie eine absichtliche Karikatur der Diplomaten des alten, zivilisierten Europa. Das galt genauso für die Sowjetunion, die, wie der braune Gegenpart, zwar offiziell alles Bürgerliche und erst recht Adelige scharf verdammte. Aber die Paradeuniformen der roten Botschafter hatten ebenso breite Kragenaufschläge wie die ihrer deutschen Kollegen. Der Stil, der schien den Mann noch zu machen. Doch der Stil war leerer Pomp und die Worte waren bösartige Phrasen geworden, die nichts mehr elegant kaschierten, sondern die Realität verdrehten.

Wortverdreher im Sowjetstil

Das heutige Russland greift nicht nur auf die textilen, sondern auch auf die verbalen Versatzstücke der roten Vergangenheit zurück. Militärs erscheinen in pompösen Waffenröcken, einer Mischung aus Zarismus und Sowjetunion. Wenn heute der russische Außenminister spricht, weiß man von vornherein, dass das Gegenteil und oft nicht einmal das stimmt. Mit dem Eklat im Oval Office ist das passiert, was Kennedy und Reagan im Grab rotieren lässt – die radikale Verdrehung der Realität sowjetischen Stils, der vulgäre Brutalismus in Stil und Wortwahl hat auch das Weiße Haus erreicht. Das Opfer eines kriegerischen Angriffs, das sich wehrt, wird zum Kriegstreiber. Der Kriegsherr, der den Begriff Frieden missbraucht, um seine kriegerische Taktik zu kaschieren, wird zur Friedenstaube. Auch die UdSSR unter Breschnev besetzte 1968 nicht die Tschechoslowakei, sondern schützte die “sozialistischen Errungenschaften der ČSSR”.

Der inszenierte Eklat im Oval Office hätte Radio Eriwan alle Ehre gemacht: “Stimmt es, dass Ivan Ivanovitsch in der Lotterie ein rotes Auto gewonnen hat? Antwort: Im Prinzip, ja. Aber es war nicht Ivan Ivanovitsch, sondern Pjotr Petrovitsch. Und es war kein rotes Auto, sondern ein blaues Fahrrad. Und er hat es nicht gewonnen, sondern es wurde ihm gestohlen. Alles andere stimmt.”

Der Autor ist Osteuropahistoriker, Slavist und Diakon.

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