Die Volkskirche geht ihrem Ende entgegen
Die Volkskirche geht ihrem Ende entgegen – Wir brauchen eine Neu-Evangelisierung
Quelle
Prof. Dr. Hubert Gindert “Der Kongress Freude am Glauben 2021” | bonifatius.tv
Glaubensabfall/Biblische Belege – FAIR
Hubert Gindert
Erzbischof Johannes Dyba
Kardinal Brandmüller
Prälat Prof. Dr. Georg May
Felizitas Küble – 25. Februar 2025
Von Prof. Dr. Hubert Gindert
Als Volkskirche überlebt unsere Kirche in Afrika, in asiatischen Ländern, evtl. in Lateinamerika – und in missionarischen Gemeinschaften Europas.
Tobias Haberl, Journalist für ein Magazin der Süddeutschen Zeitung, sagt: “In unserem Land vollzieht sich ein Epochenwechsel historischen Ausmaßes, an dessen Ende sich ein christliches in ein nichtchristliches Land verwandelt haben wird”. (1)
Beobachter von außen wie der afrikanische Kardinal Robert Sarah (siehe Foto) sehen das besonders deutlich.
Er spricht von “Depressionen, geistigem Überdruss, Schwinden der inneren Lebensfreude, Erschlaffung der Seele, eine Form der Trägheit nährt die Seele, den Abscheu gegen alles, was ihr Gott näherbringen könnte. Es ist ein Überdruss gegenüber dem, was das geistige Leben betrifft”. Was wir haben, ist “Erstarrung und Flucht in den Aktionismus”.(2)
Benedikt XVI. beklagt eine spirituelle Krise. Sie ist “die größte seit dem Untergang des Römischen Reiches gegen Ende des 5. Jahrhunderts. Das Licht des Christentums ist überall im Westen am Verlöschen.”
Ist das Pessimismus? Nein, es ist Realismus! Der Rückgang der Gläubigkeit, d.h. das Festhalten am Glauben der Kirche, genauer, am Besuch der sonntäglichen Eucharistiefeier in Deutschland, zeigt folgende Entwicklung: 1950 – 50,4%, 1970 – 37,4%, 1990 – 21.9%, 2000 – 16,5%.
Die Eucharistie ist das wichtigste Sakrament der katholischen Kirche.
Das neue Heidentum als innere Gefährdung
Zum hohen Wert von 1950 merkt Joseph Ratzinger an: “Die Statistik täuscht. Das dem Namen nach christliche Europa ist seit langem zur Geburtsstätte eines neuen Heidentums geworden, das im Herzen der Kirche selbst unaufhaltsam wächst und sie von innen heraus auszuhöhlen droht”. (3)
Diese Negativentwicklung umfasst nun rund 70 Jahre. Wir haben uns daran gewöhnt. Warum geschah kein Aufschrei der Hauptverantwortlichen? Das sind die Bischöfe; sie geloben bei ihrer Bischofsweihe u.a.:
“Das Evangelium Christi treu und unermüdlich zu verkündigen”.
“Dem Verirrten als gute Hirten nachzugehen und zur Herde Christi zurückzuführen”.
Die qualvollen 80er und 90er Jahre
Eine repräsentative kirchliche Mitglieder-Untersuchung (KMU) wurde im November 2023 vorgestellt. Sie weist nur noch 4% der Katholiken aus, die sich als “gläubig und kirchennah” bezeichnen.
Wie konnte es dazu kommen?
Man muss die lange Zeit einer Negativentwicklung, die sich in der Teilnahme an der sonntäglichen Eucharistiefeier widerspiegelt, berücksichtigen.
Es gab in dieser Zeit auch bischöfliche Lichtgestalten. Ich erwähne nur Erzbischof Johannes Dyba von Fulda (siehe Foto), Kardinal Meisner von Köln, Erzbischof Stimpfle von Augsburg.
Sie versuchten, den Abwärtstrend zu stoppen. Stimpfle berief z.B. die zweiwöchige Diözesanversammlung 1989/90 mit dem Motto “Aufbruch im Glauben” ein. Sie zeigte in den Abstimmungsergebnissen bereits die negative Gesamtentwicklung, die sich inzwischen breitgemacht hatte, an.
Die Kinder bringen in den Religionsunterricht zunehmend nicht mehr die Kenntnis des Vater-Unser und des Kreuzzeichens mit.
Verbandskatholizismus auf Abwegen
In den Informationsblättern der katholischen Verbände (BDKJ, Frauenverbände etc.) zeigten sich bereits in den 70er Jahren eine zunehmend kritische Haltung gegen die Kirche, insbesondere gegen ihre Moralvorstellungen (Antibabypille, Abtreibung). Statt die menschliche Schwäche einzugestehen, wurde die Kirche an den Pranger gestellt.
Die Spitzenpositionen der Vereine (Caritas etc.) wurden mit “wendigen” Leuten besetzt.
An den katholischen Fakultäten für die Ausbildung der Priester und Religionslehrer ging von einigen Professoren ein kirchenkritischer Geist aus. Als der Theologieprofessor Küng endlich abgerufen wurde, stellte ihm die staatliche Universität einen eigenen Lehrstuhl bereit. Die Theologieprofessoren fühlten sich an den staatlichen Universitäten unabhängig.
Häresien wurden an Priesteramtskandidaten und künftigen Religionslehrer transportiert.
Netzwerk zwischen Kirche und Politik
Aus den katholischen Verbänden stammten auch die Verbindungspersonen zur Politik. Rita Süßmuth fädelte z.B. den Abtreibungskompromiss mit der Bundesregierung ein. Annette Schavan brachte unter großem Beifall die Losung “Demokratie in der Kirche” im Zentralkomitee (ZdK) ein.
Die Redakteure der kirchlichen Medien äußerten ungeniert: “Wir sind nicht die Hofberichterstatter des Vatikans, sondern die Kollegen der weltlichen Medien”. Entsprechend wurden bspw. die Forderungen des “Kirchenvolksbegehrens” und später des “Synodalen Prozesses” von der katholischen Nachrichtenagentur (KNA) und selbst in den bischöflichen Kirchenzeitungen mit Sympathie dargestellt.
Es war der Geist des “closed shop”, der jahrzehntelang auf die Gläubigen niederprasselte und sie manipulierte. Das Ergebnis war eine zunehmende innere Distanz der Gläubigen zur Kirche.
Die meisten Bischöfe schwiegen zu diesen Vorgängen, wie auch beim Kirchenvolksbegehren 1995. Hätte es nicht Radio Horeb, EWTN und KTV gegeben, die von freiwilligen Spenden finanziert wurden, hätte die authentische Stimme der katholischen Kirche weithin gefehlt.
Der Synodale Irrweg
Das größte innerkirchliche Ereignis in Deutschland war in den vergangenen vier Jahren der “Synodale Prozess”.
Die Ordensgemeinschaften waren gegen den synodalen Irrweg leider kein Bollwerk. Sie sprachen, wie z.B. Katharina Kluitman (OSF), Vorsitzende der deutschen Ordenskonferenz, aktiv für das Frauenpriestertum. Sie war bereit, dafür “unter Umständen auch mit Hilfe von ungehorsamen Aktionen” zu kämpfen.
Das erinnert an das Wort des HERRN, der vor falschen Propheten gewarnt hatte. (4)
Die Gläubigen wurden von fast allen Medien, den profanen und auch den kirchlichen, dauerhaft einseitig berieselt und manipuliert.
Der “Synodale Weg” mit seinen vier Hauptforderungen wurde wegen der sexuellen Missbrauchsfälle durchgeführt. Er sollte, so wird behauptet, das Vertrauen der Gläubigen zurückgewinnen.
Voderholzer beklagt synodale Unaufrichtigkeit
Der Bischof von Regensburg, Rudolf Voderholzer (siehe Foto), sagte dazu (5):
“Ich bin auch der Meinung, dass an der Wiege des Synodalen Prozesses eine Unaufrichtigkeit steht. Aus den Fällen des sexuellen Missbrauchs den Schluss zu ziehen, dass es in der Erneuerung um die Themen, Leben der Priester, Machtmissbrauch, Frauen in der Kirche und Sexualmoral gehen müsse, ist angesichts des Fehlens wissenschaftlicher Untersuchungen nur als pseudowissenschaftlich anzusehen”.
Die vier Foren des Synodalen Prozesses heißen offiziell: “Macht und Gewaltenteilung”, “Priesterliche Existenz”, “Frauen in Diensten der Kirche”, “Leben in gelingenden Beziehungen”.
Kardinal Walter Brandmüller hat auf die Fälle sexuellen Missbrauchs und ihrer Proportion im Verhältnis zu denen in der Gesellschaft hingewiesen (6): Von 1946 bis 2014 wurden in diesen 68 Jahren 3677 Fälle registriert, d.h. 54 Fälle pro Jahr (63,8% männlich, 34,9% weiblich). Jeder Fall ist einer zu viel!
Man muss aber anmerken, dass sich die Moralvorstellungen zu solchen Fällen in der zurückliegenden Zeit gewandelt haben. Der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer hat die Berichte über den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche als “Hysterisierung” und als “Generalabrechnung” bezeichnet. Er geht davon aus: 87% der Missbrauchsfälle passieren in der Gesellschaft.
Entwurf “Neu-Evangelisierung” wird abgeschmettert
Bischof Voderholzer äußerte:
“Verlorenes Vertrauen erlangt man nur, wenn wir darauf hinweisen, dass die katholische Kirche noch immer die einzige Institution der Zivilgesellschaft ist, die sich diesem großen gesellschaftlichen Problem schonungslos stellt”. (7)
Und weiter: “Erneuerung der Kirche ist nicht von einer Anpassung an den Zeitgeist diktierten Vorstellung oder durch Verbilligung der biblischen Botschaft zu erwarten. Die Geschichte zeigt, dass wahre Erneuerung immer aus einem tieferen Gehorsam gegenüber der Botschaft des Evangeliums besteht”. (8)
Erzbischof Woelki und Bischof Voderholzer hatten einen „Alternativentwurf“ mit dem Ziel der Ausrichtung an der Neuevangelisierung erarbeitet. Die Diözesanbischöfe lehnten ihn mit deutlicher Mehrheit von 21 Stimmen bei drei Enthaltungen und drei Ja-Stimmen ab.
Bischof Voderholzer stellte zur Ablehnung fest „dass es zumindest eine Minderheit von Bischöfen gibt, die von der Sorge erfüllt sind, dass die wahren Probleme nicht angegangen werden“.
Der Irrweg war vorprogrammiert
Mit dem falschen Fahrplan („Statut“) begann der Synodale Prozess. Der Irrweg war vorprogrammiert.
Das zeigt die Synodenversammlung vom 7. – 9. Oktober 2021 in Frankfurt. Die in Verbänden organisierten deutschen Katholiken stimmten mit großer Mehrheit der 216 Delegierten über 13 der vorliegenden 16 Papiere ab. Alle erhielten die Mehrheit von rund 180 gegen 30 Gegenstimmen.
Der Journalist Ring-Eifel (KNA) meinte, „einer konservativen Minderheit von 30 – 40 Delegierten stand eine >reformorientierte Mehrheit< von 160 – 170 Stimmen gegenüber“. (9)
Die abgestimmten Texte bezogen sich auf die vier o.g. Foren des Synodalen Prozesses. Außerdem sollen Gläubige ein Mitspracherecht bei der Bischofsernennung haben. Ein Synodaler Rat, der die Umsetzung der Beschlüsse überwacht, sollte eingerichtet werden.
Die Teilnahme an der sonntäglichen Eucharistiefeier lag zum Beginn des „Synodalen Prozesses“ bei ca. 10%, am Ende nur noch bei rund 4%.
Da Rom und die Weltsynode der Bischöfe den Beschlüssen der synodalen Mehrheit nicht zugestimmt haben, geht der „Synodale Weg“ entweder in eine Kirchenspaltung über oder er verheddert sich in den eigenen Beschlüssen und im geltenden Kirchenrecht.
Die Volkskirche geht ihrem Ende entgegen
Im November 2023 wurde, wie erwähnt, die repräsentative KMU über die Situation der katholischen und protestantischen Kirche vorgestellt. In einer Selbstbeschreibung bezeichneten sich 13% als „kirchlich und religiös“, 25% als „religiös distanziert“, 50% als „säkular“, 5% als „alternativ-religiös“ (10).
„Für fast acht von zehn der Befragten hat Religion überhaupt keine oder nur wenig Bedeutung“. (11)
Unter den Kirchenmitgliedern verstehen sich nur noch 4% der Katholiken als „gläubig und kirchennah“. An Gott „wie er sich in Jesus zu erkennen gegeben hat“, glauben noch 19% der Gesamtbevölkerung. Von diesen sind 32% katholisch und 29% protestantisch.
Eine hohe Zahl bekennt sich zu theologisch-humanistischen Gottesbildern (43-49%). 89% glauben, dass keine Religion besser ist als die anderen. Das Schulfach Religion sollte neutral sein. Die Bindung an die Kirche lockert sich.
Nur 27% der Katholiken schlossen einen Kirchenaustritt aus: 2020 kehrten 222.000 der Katholiken der Kirche den Rücken, 2022 waren es 522.821, 2023 waren es 402.694.
Faktisch haben wir mit rund 20 Mio. Katholiken nur mehr eine nominelle Zugehörigkeit zur Kirche.
Der Glaube wird immer weniger an die nächste Generation weitergegeben: Die 70jährigen sind noch zu 98% getauft, die 15-44jährigen nur mehr zu 73%. Die „Volkskirche“ geht dem Ende zu.
Diese „Gläubigen“ fragen sich angesichts des Synodalen Prozesses, was gilt eigentlich noch? Die meisten lösen das Problem, indem sie das tun, was ihrem Gusto entspricht.
Wir haben tatsächlich einen „Epochenwechsel historischen Ausmaßes in Europa“. Christen gehen den Weg, den vorher ihre Glaubensgenossen von einem blühenden Christentum in Syrien, der Türkei und Nordafrika gegangen sind. Das Christentum verschwindet oder lebt in kleinen Gemeinschaften weiter.
Glaubenskrisen in der Kirchengeschichte
Die katholische Kirche erinnert 2025 an das Konzil von Nicäa, das für die Kirche das Credo „Jesus Christus ist wahrer Gott und Mensch“ formuliert hat. Dieses Credo wurde damals in den folgenden Jahrzehnten nur noch von Bischof Athanasius und einer weiteren Handvoll Bischöfen verteidigt, bis es später wieder der allgemeine Glaube der Kirche geworden ist.
In der Reformationszeit, in der große Teile der Katholiken, sich dem Protestantismus zugewandt hatten, schrieb Petrus Canisius dem Würzburger Bischof einen Brief. Er sagt darin u.a:
“Mit Wissen und Willen gehen wir zugrunde, wenn wir uns nicht ernstlich auf den schlimmen Zustand Deutschlands, das jetzt wie auf den Tod krank und rettungslos verloren darnieder liegt, und auf die dafür notwendigen Gegenmittel besinnen… wir müssen uns zwischen den beiden Möglichkeiten entscheiden: Entweder unseren Glauben zu verteidigen oder zu erneuern oder ihn zu unserer Schande aufzugeben“. (12)
Wir stehen heute wieder an einem Scheideweg. Der Theologe Johannes Hartl war auf einer Missionskonferenz in den Niederlanden.
Kirchlicher Niedergang in den Niederlanden
Diese Kirche in den Niederlanden war unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg eine blühende Vorzeigekirche an Berufungen, Caritas und lebendigen katholischen Vereinen.
Der katholische Kirchenrechtler Prof. Dr. Georg May (siehe Foto) berichtet: Der Theologe E. Schillebeeckx ist einer der „Hauptverantwortlichen für die Selbstzerstörung des holländischen Katechismus. …Johannes Gijsen diagnostizierte die niederländische Kirche als todkrank… Von 1966 bis 1970 tagte in Noordwijkerhout das sogenannte >niederländische Pastoralkonzil<. Schillebeeckx hatte in dieser Versammlung eine zentrale Stellung…
Das holländische Pastoralkonzil war eine direkte Umfunktionierung der Kirche zu einer religiös-sozialen Institution… in der Zeit von 1961 bis 1985 traten 6000 Ordensleute mit ewigen Gelübden aus der Kirche aus. Der sonntägliche Messbesuch reduzierte sich von über 70% im Jahr 1961 auf 11,8% im Jahr 1995“. (13)
Lassen wir den anfangs erwähnten Tobias Haberl noch einmal zu Wort kommen. Er will, dass „die strahlende Seite des Glaubens, die Schönheit, der Trost wieder mehr zur Sprache komme“. Weiter: „Ich weigere mich, zu glauben, dass die Welt ohne Gott besser, schöner oder gerechter wäre.“
“Ich bin davon überzeugt, dass der Glaube das bereit hält, was uns in einer immer schneller und digital werdenden Gesellschaft schmerzlich fehlt“… „Ich glaube, dass der moderne Mensch darunter leidet, dass er seinen Glauben verloren hat, ohne dass er es merkt“… „Ich glaube, dass er sein Glück an falschen Orten sucht“.
Quellenangaben:
1 Flyer von Radio Horeb, Februar 2025
2 „Fels“ 6/2001, S. 174/175
3 Joseph Ratzinger, „Die neuen Heiden in der Kirche“, Hochland I/59
4 Tagespost, 27.05.2021
5 „Fels“, 11/2021, S. 314
6 Tagespost 14.6.2021
7 kath.net, 2.1.2019
8 kath.net, 2.1.2019
9 Passauer Bistumsblatt, 10.10.2021
10 Tagespost, 23.11.2023
11 Eichstätter Kirchenzeitung, 26.11. 2023
12 „Fels“ 5/2022, S. 141
13 Georg May, 300 Jahre gläubige und ungläubige Theologie, S. 842-844
Unser Gastautor Prof. Dr. Hubert Gindert ist Gründer des Dachverbands FORUM DEUTSCHER KATHOLIKEN und Chefredakteur der Monatszeitschrift FELS
Schreibe einen Kommentar