Der § 218 StGB bleibt unversehrt
Ausgerechnet bei ihrem Lieblingsprojekt, der Streichung des verhassten Abtreibungsparagrafen, scheitern SPD und Grüne auf den letzten Metern. Eine Rekonstruktion
20.03.2025
Er ist kein Ruhmesblatt der deutschen Rechtsgeschichte. Von Beginn an trug er alle Merkmale eines faulen Kompromisses. Wundern kann das nicht. War doch ausrechnet ihm im Zuge der deutschen Wiedervereinigung die Aufgabe zugedacht worden, dafür zu sorgen, dass die im sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat sozialisierten DDR-Bürger sich auch in der auf der Menschenwürdegarantie gegründeten freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland heimisch fühlen konnten. In Kraft getreten am 1. Oktober 1995 wird er in diesem Herbst sein zweites Lebensjahrzehnt vollenden. Und das, obwohl er gerade nicht leistet, was das Bundesverfassungsgericht dem gesamtdeutschen Gesetzgeber im Jahr 1993 mit seinem Zweiten Abtreibungsurteil zur Aufgabe machte.
Nämlich den Schutz des Lebens ungeborener Kinder in ganz Deutschland so zu gestalten, dass die Zahl der Abtreibungen nachhaltig verringert und das Unrecht vorgeburtlicher Kindstötungen im öffentlichen Bewusstsein wachgehalten wird. Die Rede ist vom Paragrafen 218 Strafgesetzbuch.
Seit ihn der 13. Deutsche Bundestag am 29. Juni 1995 in Zweiter und Dritter Lesung aus der Taufe hob, trachteten ihm vor allem SPD-Frauen, Grüne sowie “Die Linke”, die damals noch “Partei des Demokratischen Sozialismus” (PDS) hieß und aus der “Sozialistischen Einheitspartei Deutschland” (SED) hervorgegangen war, nach dem Leben. Während die einem dem “Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft” des Unrechtsstaat hinterher trauerten, träumten die anderen von einer Fristenregelung ohne Beratungspflicht, die der Schwangeren auferlegt, sich mit dem Recht auf Leben des von ihr mitgezeugten Kindes auseinanderzusetzen. Und so herrschte in den zurückliegenden Jahrzehnten denn auch kein Mangel an Attacken, die gegen den § 218 StGB geritten wurden. Doch erst die Sitzverteilung im 20. Deutschen Bundestag bot die Aussicht, für dessen Streichung auch eine Mehrheit im Parlament zusammenkratzen zu können.
Beispiellose Desinformationskampagne
Nach einer beispiellosen Desinformationskampagne, in deren Verlauf “Werbung für Abtreibung” als “Information” und menschliche “Embryonen” als “Schwangerschaftsgewebe” geframt, eine Abtreibungsärztin als “Retterin” glorifiziert und von einer herbeihalluzinierten “Zivilgesellschaft” mit Preisen überschüttet wurde, strichen die Ampelkoalitionäre von SPD, Grüne und Liberalen zunächst den § 219a aus dem Strafgesetzbuch. Und weil das Töten wehrloser und unschuldiger Kinder im Mutterleib zwar ein lukratives, aber eben auch nervenaufreibendes Handwerk ist, das sich am besten ungestört bewerkstelligen lässt, erfanden sie als nächstes die “Gehsteigbelästigung”.
Obwohl die Medien mangels anderen Materials gezwungen waren, ihre diesbezüglichen Berichte mit den immer gleichen Bildern zu illustrieren, auf denen selten mehr als eine Handvoll friedlich demonstrierender oder still betender Lebensrechtler zu sehen waren, strickten SPD, Grüne und Liberale im Deutschen Bundestag fleißig an der Legende von “Spießrutenläufen”, bei denen sich abtreibungswillige Schwangere durch Menschentrauben kämpfen mussten, die sie mit “Hass und Hetze” überzogen (Lisa Paus), “mit Kunstblut beschmierten” und mit “unrealistisch großen Plastikföten beschenkten” (Josephine Ortleb), bevor sie ihren Fuß über die “rettende Schwelle” einer Abtreibungspraxis oder staatlich anerkannten Beratungsstelle setzen konnten.
Und obgleich die Verwaltungsgerichte bis dato alle Verfahren zugunsten der Lebensrechtler entschieden und der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig gar höchstrichterlich feststellte, dass die Veranstalter solcher Mahn- und Gebetswachen das Recht hätten, “selbst über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Versammlung zu bestimmen” während es “in einer pluralistischen Gesellschaft” “kein Recht darauf” gebe, “von der Konfrontation mit abweichenden religiösen Vorstellungen oder Meinungen gänzlich verschont zu bleiben”, errichteten die Koalitionäre kurzerhand Bannmeilen um Abtreibungspraxen, -kliniken und Beratungsstellen. Wer sich innerhalb eines Radius von 100 Metern vor solchen Einrichtungen aufhält, um für Schwangere und ihre ungeborenen Kinder zu beten oder gegen Abtreibungen zu demonstrieren, kann seitdem mit Ordnungstrafen von bis zu 5.000 Euro belangt werden.
Die Umtriebe der Lisa Paus
Parallel dazu verfolgten SPD-Frauen und Grüne die Streichung § 218 aus dem Strafgesetzbuch. Zu diesem Zweck hatten die Grünen die Bildung einer “Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin” in den Koalitionsvertrag der Ampel hineinverhandelt, die aus zwei Arbeitsgruppen bestand. Während die eine Argumente liefern sollte, mit denen sich § 218 StGB zu Fall bringen ließ, sollte die andere, wohl auf Wunsch der Liberalen, die Koalitionäre mit Argumenten für die Aufhebung der Verbote der Eizellspende und der Leihmutterschaft versorgen.
Manchen ging das nicht schnell genug. Noch bevor die Kommission im März 2023 ihre Arbeit aufnahm, sah sich Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) genötigt, öffentlich vor einer “Vorfestlegung” der Kommission zu warnen. Der Grund: Seine umtriebige Kabinettskollegin, Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), deren Haus auch das Bannmeilen-Projekt konzipiert hatte, drang vehement auf die Abschaffung des § 218 StGB.
Im April 2024 übergab die Kommission den Bundesministern für Gesundheit, Justiz und Familie ihren 627-seitigen Abschlussbericht. Trotz kunstvoll geflochtener Wortgirlanden bei dessen Präsentation verstaute die Ampel den Kommissionsbericht, dessen Inhalt mit “geliefert, wie bestellt” wenn auch nicht gänzlich zutreffend, so eben auch nicht völlig falsch beschrieben worden war, hernach in ihrem Giftschrank. Das aber wollten weder die Kommissionsmitglieder noch Paus hinnehmen.
Die Kosten sollten die Krankenkassen tragen
Mitte Oktober präsentierten 26 Organisationen, angeführt von “Pro Familia”, dem deutschen Zweig der “International Planned Parenthood Federation” (IPPF), einem der größten Anbieter von Abtreibungen weltweit, einen “zivilgesellschaftlichen Gesetzesentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs”, der vorgeburtliche Kindstötungen bis zum Ende der 22. Schwangerschaftswoche für “rechtmäßig” erklärt, die Beratungspflicht gestrichten und die Kosten den gesetzlichen Krankenkassen aufgebürdet hätte. Als einer ihrer Autoren formierte die Konstanzer Strafrechtlerin Liane Wörner, seit April vielen besser bekannt als Leiterin der Arbeitsgruppe 1 der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin.
Einen Monat später brachte eine Gruppe von 236 Abgeordneten um die SPD-Rechtspolitikerin Carmen Wegge und die frauenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion Ulle Schauws den “Entwurf eines Gesetzes zu Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs” (Bundestagsdrucksache 20/13775) in den Bundestag ein. Der sah vor, vorgeburtliche Kindstötungen bis zum Ende der 12. Schwangerschaftswoche “rechtmäßig” zu stellen. Die Pflicht zur Beratung sollte zwar erhalten bleiben, dafür aber ihre bisherige Zielsetzung verlieren. Sie sollte sich nicht länger von dem Bemühen leiten lassen, die Schwangere zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen. Entfallen sollte auch die dreitägige Bedenkzeit, die nach geltendem Recht zwischen der vorgeburtlichen Kindstötung und der erfolgten Beratung liegen muss und die, weil unwiederbringlich, übereilte Entscheidungen verhindern soll. Die Kosten für die vorgeburtlichen Kindstötungen sollten auch hier die gesetzlichen Krankenkassen tragen.
Die SPD entschied sich, den Bogen nicht zu überspannen
Nach der 1. Lesung im Parlament Anfang Dezember stiegen CDU und CSU im Ausschuss mehrfach auf die Bremse. So fand die Öffentliche Anhörung der Sachverständigen im Rechtsausschuss, nachdem sich die Fraktionen auf die Streichung ganzer Sitzungswochen verständigt hatte, erst am vorletzten Sitzungstag statt. Zu spät für eine Zweite und Dritte Lesung im Plenum. So gut wie beerdigt wurde es noch einmal spannend, als der 20. Deutsche Bundestag zum Zweck der Reformierung der Schuldenbremse noch einmal zu zwei Sitzungen zusammentrat. Die Initiatoren des Gesetzesentwurf, deren Unterstützung mittlerweile auf 328 Abgeordnete angewachsen war, erwirkten die Aufsetzung ihres Gruppenantrags auf die Tagesordnung der letzten Sitzung des Rechtsausschusses. Die Union beantragte daraufhin vergangenen Freitag die Absetzung von derselben. Weil sich die SPD-Mitglieder im Ausschuss bei der Abstimmung mit einer Ausnahme enthielten, reichten am Ende die Stimmen von Union, AfD und FDP, um den Antrag endgültig zu bestatten und Schlimmeres zu verhindern.
Statt “Geschichte zu schreiben” (Ulle Schauws) entschied sich die SPD lieber dafür, den Bogen nicht zu überspannen und den Koalitionspartner in spe nicht unnötig zu reizen. Niemanden dürfte dies mehr verärgert haben als Lisa Paus. Die scheidende Bundesfamilienministerin darf sich zu den heimlichen Gewinnern der grandios gescheiterten “Fortschrittskoalition” rechnen. Viele ihre Projekte hat die 56-Jährige erfolgreich über die Ziellinie gebracht und dabei größtmöglichen Schaden angerichtet. Nur für ihr Lieblingsprojekt, die Streichung des § 218 StGB, kam das Ampel-Aus zu früh. Statt “Weg mit § 218” hieß es am Ende “Aus die Paus”.
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