Sonntags-Lesung – Geistiges Sehen
Bei der Darstellung Jesu im Tempel geht für das Volk Israel die Verheißung auf versprochenen und lang ersehnten Trost in Erfüllung, schreibt Ludger Schwienhorst-Schönberger
01.02.2025
Ludger Schwienhorst-Schönberger
Die Erzählung von der Darstellung Jesu im Tempel zu Jerusalem ist von tiefer religiöser Symbolik geprägt; sie enthält im Kern das gesamte Evangelium. Die Eltern bringen Jesus nach Jerusalem, um ihn “dem Herrn vorzustellen”. Begründet wird dies mit einem Zitat aus dem “Gesetz des Herrn”: “Jedes Männliche, das den Mutterschoß öffnet, soll für den Herrn als heilig erklärt werden” (Ex 13,2). Als zweiter Grund für ihren Besuch im Tempel wird angegeben: “um ein Opfer darzubringen, wie es das Gesetz des Herrn vorschreibt: ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben” (Lev 12,8). Ein solches Opfer sieht das Gesetz für die Wöchnerin 33 Tage nach der Beschneidung des Sohnes vor, also 40 Tage nach der Geburt.
Es fällt allerdings auf, dass weder die Auslösung der Erstgeburt noch die Darbringung des Reinigungsopfers erzählt wird. Sie sind nur der Anlass für etwas anderes, weitaus Bedeutenderes. Es wird ein Mann namens Simeon vorgestellt: “Dieser war gerecht und fromm und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist ruhte auf ihm.”
Die Hoffnung ist noch nicht aufgegeben
Mit dem Trost Israels wird auf die Botschaft des Propheten Jesaja angespielt, insbesondere auf jenen Teil, der dem in der babylonischen Gefangenschaft leidenden Volk eine Botschaft des Trostes verheißt: “Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott…” (Jes 40,1). Dieser Trost wurde mit dem Kommen eines Gesalbten in Verbindung gebracht, der frohe Botschaft bringt, um die zu heilen, die gebrochenen Herzens sind, und alle Trauernden zu trösten (Jes 61,1–2). Der vom Heiligen Geist erfüllte Simeon steht für jenes Israel, das diese Hoffnung nicht aufgegeben hat, das in Frömmigkeit und Gerechtigkeit lebt und doch weiterhin Ausschau hält nach einem Trost, der noch nicht gekommen ist.
Das Wort “sehen” spielt in unsere Perikope eine besondere Rolle. Simeon wurde von Gott geoffenbart, so heißt es, “dass er den Tod nicht sehen werden, ehe er den Gesalbten des Herr gesehen habe”. Und jetzt bekennt er: “Meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast.” Wir fragen uns, was das für ein Sehen ist, das dem greisen Simeon zuteil wurde. In unserer durch die Erkenntniskritik Immanuel Kants geprägten Mentalität meinen wir nur allzu leicht, sofern wir noch “gläubig” sind, dass da irgendetwas Außergewöhnliches passiert sein muss, an dem Simeon erkennen konnte, dass Jesus “das Licht ist, das die Heiden erleuchtet”. Doch von außergewöhnlichen Erscheinungen ist in diesem Evangelium gar keine Rede. Für den antiken Leser war die Erzählung völlig plausibel; und sie sollte es auch für uns “Kinder der Moderne” sein. Zweimal spricht unser Text vom Heiligen Geist. Simeon “wurde vom Heiligen Geist eine Offenbarung zuteil” und in diesem “Geist” ging er in den Tempel und nahm das Kind in die Arme und pries den Gott Israels. Mit dem Heiligen Geist ist eine von Gott verliehene Gabe gemeint, die uns hilft, jene Wahrheit zu erkennen, die dem äußeren Auge nach unscheinbar und doch leibhaftig in der Welt erschienen ist.
Mal 3,1–4
Hebr 2,11–12.13c–18
Lk 2,22–40
Zu den Lesungen des Festes der Darstellung des Herrn 2025 (Lesejahr C)
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