Philosophie – Existenzielle Fragen statt Modediskurse

Ein neuer Sammelband zeigt die Vielseitigkeit, Tiefe und lebensweltliche Relevanz der Philosophie Robert Spaemanns

Quelle
Die Presse und ihre Bauernopfer | Die Tagespost
Robert Spaemann

09.02.2025

Malte Oppermann

Robert Spaemann steht wie wenige Philosophen für die Forderung, das Denken persönlich zu nehmen. Wenn ein philosophischer Entwurf auf die an ihn gerichtete Frage “Was bedeutet das für das Leben?” keine Antwort zu geben vermag, könne er nach Spaemann nicht mehr im eigentlichen Sinne als philosophisch gelten. Nicht zuletzt diesem Anspruch ist es zu verdanken, dass Spaemann weit über die Grenzen seines Faches hinaus Leser und Bewunderer gefunden hat. Gleichzeitig war Spaemanns Festhalten daran offenbar aber auch ein Hindernis für viele akademische Autoren. So erschien nur selten einmal eine Qualifikationsarbeit, die sich mit seinem Werk beschäftigt hätte. Im akademischen Betrieb mag störend gewirkt haben, dass Spaemann die Zersplitterung des Denkens in Spezialdiskurse für dessen Selbstaufgabe hielt. Sein Beharren auf dem Prinzip, dass nur ein Ich denken könne, widersprach einer Vielzahl von Moden. Hinzu mag bei dem einen oder anderen auch die Scheu gekommen sein, Interesse für einen Autor zu zeigen, der aus seinem Christentum kein Geheimnis gemacht hat; insbesondere in einem Umfeld, wo die Bejahung universaler und absoluter Wahrheit an sich schon irritierend wirken kann.

Während große Teile des akademischen Milieus sich darin gefielen, jeden Wahrheitsanspruch für eine Naivität zu halten, stand Robert Spaemann immer für das denkende Ich, das sich zwar nicht vor Irrtümern gefeit, aber doch in der Wahrheit des Seins unvorgänglich aufgehoben weiß. In der Einleitung der bei Reclam erschienenen Ausgabe seiner Essays schreibt er: “Dialektik bringt das Wahre nicht hervor, sie überführt nur den Irrtum des Selbstwiderspruchs, und auch das nur, weil wir das Wahre im Grunde schon wissen und deshalb nie konsequent und vollständig irren, d.h. nie aus der Wahrheit des Seins gänzlich herausfallen können.”

Dieses Im-Grunde-immer-schon-Wissen ins Licht systematisch-begrifflicher Durchdringung zu bringen, dieser Mühe muss der Philosoph sich freilich unterziehen. Dass Spaemann dieser Mühe nie ausgewichen ist, zeigt nun ein gewichtiger Band, der Aufsätze internationaler Autoren zu Robert Spaemanns philosophischem Werk versammelt. Herausgeber sind die ehemaligen Spaemann-Schüler Thomas Buchheim, Rolf Schönberger und Walter Schweidler. In vier Themenblöcken widmen sich die Aufsätze Spaemanns Beiträgen zur Philosophie der Person, zur Kritik am Szientismus, zur Ethik und zum Gottesgedanken.

Zeugung: ein absoluter Anfang

Die fünfundzwanzig Beiträge des vorliegenden Bandes hatten ursprünglich im Rahmen eines Symposiums im Jahre 2020 vorgestellt und diskutiert werden sollen. Dazu kam es aufgrund der Pandemie leider nicht. Umso größer ist das Verdienst der Herausgeber, sie nun in Buchform zugänglich gemacht zu haben. Der Leser lernt, vielen von Spaemanns berühmt gewordenen, oft aphoristisch verkürzten Formulierungen auf den systematischen Grund zu gehen. Thomas Buchheim nimmt sich die Prägung vor, dass es Personen nur im Plural gäbe und liefert eine an Aristoteles angelehnte, ontologische Bestimmung des Personenbegriffs zwischen Natur und Übernatur. David Christopher Schindler (USA) rekonstruiert Spaemanns Natur- und Personenkonzeption vor dem Hintergrund der Prozessontologie und Anton Friedrich Koch unterzieht Spaemanns Gottesbeweis aus dem “futurum exactum” einer kritischen Befragung – um drei der Beiträge zu nennen.

Etwas detaillierter sei an dieser Stelle auf Günther Pöltners Rekonstruktion der Spaemannschen Unterscheidung zwischen “Etwas” und “Jemand” hingewiesen. Pöltner legt sein Augenmerk auf den bei Spaemann nicht im Einzelnen hervorgehobenen und doch so zentralen Begriff der Zeugung. Entscheidend dabei ist, dass eine Person nicht allein durch Veränderung von etwas, das noch nicht diese Person ist, entstehen kann, sondern einen ureigenen Anfang besitzen muss. Diese Eigenschaft eines Wesens, ein eigenes Sein und damit einen eigenen Anfang zu besitzen, macht sie irreduzibel, einmalig und neu. Diese irreduzible Einmaligkeit und Neuheit ist der blinde Fleck einer jeden auf dem Prinzip der Wiederholbarkeit aufbauenden Wissenschaft. Auch darauf hat Spaemann hingewiesen. In “Ende der Modernität” erscheint die Einmaligkeit jedes Menschen, aber auch jeder Situation und jedes Dinges, als das nichtmediatiserbare, nicht verwaltbare und nicht funktionalisierbare Unbedingte, das der modernen Tendenz zur Beliebigkeit und Manipulation am Ende erfolgreich widersteht. Obwohl das irreduzibel Neue und Einmalige sich nicht erklären lässt, weil es zu erklären, hieße, es auf das Alte und bereits Bekannte zu reduzieren, ist es jedoch nicht unverständlich. Unverständlich wird es gerade durch den Versuch, es erklären, also das Irreduzible reduzieren zu wollen. Vor diesem Hintergrund entwickelt Pöltner eine verstehende Analyse der Zeugung als Vermittlung von Entstehung, die das neue Menschenwesen in sein je eigenes, neues und einmaliges Sein entlässt. Der Akt der Zeugung erscheint als Seinsvermittlung; nicht aber als Veränderung und Fortsetzung etwa eines abstrakten “menschlichen Lebens”, das auf zellularer Ebene ohne Anfang und Ende weitergeht, solange es auf der Erde oder anderswo eben Menschen gibt, die einander ihr Erbgut weiterreichen.

Der von Pöltner herausgearbeitete Begriff der Zeugung möge hier als Pars pro Toto stehen dürfen. Angesichts der in diesem Band versammelten Beiträge wird deutlich, wie zahlreich die weiteren Punkte sind, in denen sich Spaemanns Philosophie vertiefen und kritisch befragen lässt. Sein Werk zeigt ihn als einen Denker, mit dem die akademische Beschäftigung gerade deshalb lohnt, weil er sich stets persönlich nehmen lässt; existenzielle Fragen können nicht aus der Mode kommen, sie bedeuten zu viel für das Leben. Auch wenn Spaemanns alter Lehrstuhl in München (nunmehr umbenannt in “Lehrstuhl für Metaphysik”), den bis zum letzten Sommer Thomas Buchheim innehatte, jüngst an eine dem Vernehmen nach eher physikalistisch ausgerichtete Philosophin vergeben worden ist, dürfte das Interesse an Spaemann auch in Zukunft daher eher zu- als abnehmen. Wer sich die Zeit nimmt, seinen philosophischen Anliegen mit den Autoren des vorliegenden Bandes nachzuspüren, kann nicht anders als zuversichtlich sein, dass man sie wechselnden Zeitumständen zum Trotz nicht nur weiter vertiefen, sondern auch weiter persönlich nehmen wird.

Thomas Buchheim, Rolf Schönberger und Walter Schweidler (Hrsg.): Spaemanns Philosophie, Hamburg: Meiner, 2024, 633 Seiten, kartoniert, EUR 38,–

Katholischen Journalismus stärken

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Stärken Sie katholischen Journalismus!

Unterstützen Sie die Tagespost Stiftung mit Ihrer Spende.

Spenden Sie direkt. Einfach den Spendenbutton anklicken und Ihre Spendenoption auswählen:

Die Tagespost Stiftung- Spenden

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Hier kostenlos erhalten!

Themen & Autoren

Malte Oppermann
Aristoteles
Pandemien
Robert Spaemann
Wahrheit

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel