Hoffnung: Tugend und zivilisatorische Kraft zugleich
Baron Vinzenz von Stimpfl-Abele hielt im Bibliothekssaal von Santa Maria dell’ Anima in Rom eine viel beachtete Rede, die wir hier exklusiv veröffentlichen
Quelle
Hat unser Kontinent noch eine Seele?
Spe salvi (30. November 2007) | BENEDIKT XVI.
21.02.2025
Baron Vinzenz von Stimpfl-Abele
Papst Franziskus hat dieses Heilige Jahr aus gutem Grund unter das Motto “Pilger der Hoffnung” gestellt. Der Großmeister des St. Georgs-Orden, Karl von Habsburg, nahm darauf unter dem Generalthema “Haltung. Orientierung. Hoffnung” direkt Bezug als er in seiner “Rede zur Zukunft Europas” sagte: “Wer Haltung hat, der steht für etwas. Für Grundsätze, für Prinzipien, für Engagement, für Werte. Wer Haltung zeigt, wird sich weder durch die politische Polarisierung entmutigen lassen noch durch Populisten und falsche Ideologien verführen lassen. Wer Haltung zeigt, kann auch Orientierung geben, kann Vorbildwirkung für andere entfalten. Dort wo es Orientierung gibt, lebt auch die Hoffnung, gut ein Ziel zu erreichen.” Gerade harte Zeiten erfordern eine klare Haltung, also gelebte Werte.
Werte müssen (vor-)gelebt werden
Orientierung geben zu können, ist eine Hautaufgabe für jeden einzelnen, denn der Mangel an Orientierung ist eine markante Schwäche unserer Gesellschaft – und die größte Gefahr für sie. Wir brauchen Persönlichkeiten, die wertebasiert Orientierung geben können. Sonst wird die Zukunft von Menschen bestimmt, die Meinung mit Wissen verwechseln, von Politkern, die glauben, komplexe Probleme mit simplen Rezepten lösen zu können. Von Gruppen, die meinen, die Welt schwarz-weiß darstellen zu müssen und so die ohnedies schon gefährlich starke Polarisierung weiter anheizen. Wir brauchen Vorbilder, die Orientierung auf der Grundlage von Werten geben können. Das müssen aber gelebte Werte sein, nicht bloß anderen gepredigte. Menschen, die durch ihre Vorbildwirkung Orientierung geben können, bilden jene Elite, die wir in unserer rasend schnellen, oft besinnungslos wirkenden, gleichermaßen atemlosen wie oberflächlichen Zeit dringend brauchen. Ganz im Sinn des österreichisch-amerikanischen Physikers Victor Weißkopf, der sagte: “Ich bin ein Befürworter von Eliten. Wir brauchen sie zur geistigen Orientierung.”
Hoffnung ist ein komplexes, vielschichtiges und facettenreiches wie überraschend interessantes, ja faszinierendes Thema. Philosophen haben sich mit ihr auseinandergesetzt, Theologen sie eingeordnet. Die Frage, was die Menschen am meisten verbinde, soll der griechische Philosoph Thales so beantwortet haben:
“Die Hoffnung, denn die ist auch bei jenen, die sonst nichts haben.” Im alten Rom gab es das geflügelte Wort “DUM SPIRO SPERO”, solange ich atme, hoffe ich. Im Christentum wurde die Hoffnung neben dem Glauben und der Liebe zur zentralen theologischen Tugend. “Spe salvi facti sumus” – auf Hoffnung hin sind wir gerettet – verkündet der Apostel Paulus und verdeutlicht damit eindrucksvoll die Kraft und Bedeutung der Hoffnung.
Hoffnung: die Fähigkeit, angesichts von Hindernissen nach Exzellenz zu streben
Hoffnung klingt in unserer vermeintlich versachlichten Gesellschaft wie ein verstaubter Begriff, wie ein naiver Anachronismus. Viele bemühen lieber den Optimismus, den die Gesellschaft haben sollte. Sogar der von mir hochgeschätzte Sir Karl Popper war hier nicht ganz präzise, als er meinte: “Optimismus ist eine Pflicht.” Er war überzeugt davon, dass eine optimistische Haltung notwendig, ja eine moralische Verpflichtung sei, um die Welt besser zu machen und Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Hier ist Differenzierung wichtig: Verkürzt kann man sagen, dass Optimismus davon ausgeht, dass die Zukunft losgelöst von der Realität positiv sein wird; Hoffnung dagegen bezieht sich auf den Einzelnen, und zwar im Rahmen der Grenzen, die die Realität vorgibt. Der Psychologe Charles Richard Snyder definiert, Optimismus sei die Überzeugung, dass die Dinge sich einfach positiv entwickeln werden, während Hoffnung die Fähigkeit sei, angesichts von Hindernissen nach Exzellenz zu streben. Für ihn besteht Hoffnung aus zwei Elementen: aus der Entschlossenheit, ein Ziel erreichen zu wollen, und der Erwartung, dass es Mittel und Wege gibt, das Ziel wirklich zu erreichen.
Johann Wolfgang von Goethe schrieb: “In allen Dingen ist hoffen besser als verzweifeln.” Denn Hoffnung ist eben nicht die naive Annahme, dass sich alles irgendwie zum Guten wenden wird, sondern die Kraftquelle und der Antrieb, nicht aufzugeben, sich nicht vom Weg abbringen zu lassen und unermüdlich nach seinem Ziel zu streben. Das beste Beispiel für den Unterschied zwischen Optimismus und Hoffnung sind die christlichen Märtyrer, also jene Frauen und Männer, die für ihren Glauben ihr Leben gegeben haben. Das taten sie nicht, weil sie optimistisch waren, es würde sich doch noch alles zum Guten wenden, es würde alles nicht so schlimm kommen und sie könnten dem grausamen Ende noch entgehen. Nein, sie taten das, weil sie ihren Glauben nicht verleugnen wollten. Sie waren entschlossen, durch ihr Zeugnis Vorbild zu sein, um ihr Umfeld, die Gesellschaft ihrer Zeit, zu verändern – dazu haben sie wesentlich beigetragen. Nicht zuletzt konnten sie durch ihr Vorbild ihren Glaubensbrüdern und -schwestern Hoffnung geben.
Benedikt XVI.: Hoffnung ist immer auch Hoffnung für die anderen
Hoffnung zu haben und zu geben ist mehr als nur eine Tugend, es ist – gerade in schwierigen, orientierungslosen, manchmal verzweifelten Zeiten – eine christliche und zutiefst ritterliche Pflicht! Denn Hoffnung ist der Gegenpol zu Angst, Furcht und Verzweiflung. Hoffnungslosigkeit hingegen ist ein Brandbeschleuniger für den Flächenbrand der Polarisierung und Radikalisierung, der unsere Gesellschaft zu zerstören droht. Schließlich nährt sich jeder politische Extremismus von Hoffnungs- und Orientierungslosigkeit. Nehmen wir Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Er wuchs in einer katholisch-konservativen Adelsfamilie auf und war auch nach 1918 dem Wertesystem der untergegangenen Monarchie in Deutschland verhaftet. Ein Mann, der ein elitär verstandenes Verantwortungsbewusstsein hatte. So fiel ihm die Entscheidung zum aktiven Widerstand nicht leicht. Aber die verbrecherische Kriegsführung des NS-Regimes, der Völkermord an den europäischen Juden und die grausame Unterdrückung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten waren mit seinen Werten, seiner Haltung und seinem Selbstverständnis als Offizier nicht vereinbar. Er sah, im Gegensatz zu vielen Offizieren seiner Generation, seinen Irrtum von 1933 ein und zog daraus die Konsequenz: bis zum Einsatz seines Lebens. Diesen dramatischen Schritt, der seine Familie und Freunde in große Gefahr brachte, tat er in der Hoffnung, so einen Beitrag für eine bessere Zukunft seiner Heimat zu leisten.
Heute kämpft die Ukraine einen tapferen, opferreichen Abwehrkampf gegen einen grausamen, Menschen- und Völkerrecht verachtenden Aggressor in der Hoffnung, dass sich letztlich nicht das “Recht” des Stärkeren, Brutaleren und Hemmungsloseren durchsetzt. Und in der Hoffnung, in ihrem Abwehrkampf, der auch ein Kampf für Europas Werte und Rechtsverständnis ist, nicht im Stich gelassen zu werden. Man könnte sagen, das seien Ausnahmesituationen. Stimmt! Für seine Haltung den Tod in Kauf zu nehmen, ist der höchste Einsatz, den man bringen kann. Aber gerade anhand drastischer Beispiele wird deutlich, dass Hoffnung eine zivilisatorische Kraft, eine gesellschaftliche Motivation ist, an und über seine Grenzen zu gehen. Dass Hoffnung zu geben etwas mit Verantwortung zu tun hat, zeigt Benedikt XVI. in der Enzyklika “Spe salvi”: “So kommt aus unserem Tun Hoffnung für uns selbst und für andere.” An anderer Stelle schreibt er: “Hoffnung ist immer auch die Hoffnung für die anderen. Und sie ist die aktive Hoffnung, dass die Dinge nicht das verkehrte Ende nehmen.”
Hoffnung gehört zu unserer Existenz
Aber die Hoffnung hat auch Schattenseiten. Sie kann Wunschdenken entspringen, trügerisch, manipuliert, fehlgeleitet oder übertrieben sein. Sie darf keinesfalls den Blick auf die Realität verzerren oder die eigene Verantwortung aushöhlen. Wenn wir die Kontrolle über sie verlieren oder uns in ihr, wenn wir sie nicht als Auftrag und “call for action” verstehen, wird sie zur Gefahr. Ein Beispiel für eine ganz andere Sichtweise liefern die radikalen Umweltschützer der Organisation “Extinction Rebellion”, manche nennen sie Klimaterroristen, die ihre Aktivitäten unter das Motto “Hope dies – Action begins” stellen. Für sie sind Hoffnungen nicht mehr als Illusionen oder Wunschdenken und stehen daher der Veränderung im Weg. Also gehören sie bekämpft, also gehört die Gesellschaft erzogen, umerzogen.
Hoffnung gehört zu unserer Existenz. Ohne sie macht unser Leben keinen Sinn. Entscheidend ist, was wir aus und mit ihr machen. Der bayerische Journalist Heribert Prantl schrieb: “Es gibt Hoffnungen, die erscheinen verrückt, aber sie sind es nicht. Diese verrückten Hoffnungen sind nämlich oft gerade die Hoffnungen, die helfen, nicht verrückt zu werden.” Ich finde diesen Gedanken zutreffend und wünsche uns allen für die Zukunft, dass wir uns weiterhin trauen, Hoffnungen zu haben und Hoffnungen zu geben, die vielen als verrückt erscheinen. Wer für seine Geschichte, Werte, Prinzipien und Ziele kämpft, und damit oft gegen den Ungeist des Zeitgeistes, wird von vielen als verrückt abgewertet. Er braucht Mut, Haltung und Hoffnung. Wer diese nicht verliert, kann anderen Vorbild sein und Orientierung geben.
Der Autor ist Prokurator des St. Georgs-Ordens.
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