Guardini und die “Glut des Schauens”

Die Familienvilla Romano Guardinis in Isola Vicentina war ein zauberhafter Ort, erfüllt von dem, was Guardini “das Gnadenhafte im Dasein” nannte. Ein Blick hinter die Mauern

Quelle
MM M.E. Stapp | Freundeskreis Mooshausen
Hans Urs von Balthasar
Nachruf auf Giuliano Guardini
Beiträge über Romano Guardini – YouTube
MM Guardini – Initiative zur Seligsprechung von Romano Guardini | Freundeskreis Mooshausen
Der theologische Brückenbauer Romano Guardini – Audio & Podcasts – SRF

16.02.2025

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

Im Jahr 1960 sprach Hans Urs von Balthasar folgenden Glückwunsch zum Geburtstag Romano Guardinis aus: Dass Gott “den Segen Ihres Werks weiter segne und des Baumes nicht vergesse, der ob so reichlicher Frucht wohl müder steht als die Lesenden, Auflesenden wissen. Den Dank muß auch Er Ihnen erstatten; menschlicher wird Sie ja schwerlich anrühren (…). Aber dulden müssen Sie’s doch, von vielen geliebt zu sein.” Tatsächlich: Diese Liebe wächst, gerade in der jungen Generation, nicht zuletzt wegen der zu erwartenden Seligsprechung.

Der Sitz der Familie Guardini war eine große Villa in Isola Vicentina aus dem 19. Jahrhundert, nördlich von Vicenza und südlich der venetischen Alpen gelegen, umgeben von einem weitläufigen Park mit hoher Mauer; außerhalb gehörte noch ein eigener Weinberg dazu. Der letzte Spross der Familie, der Unternehmer und Neffe Guardinis mit Namen Giuliano, der nicht verheiratet war, starb kinderlos im September 2021; seitdem ist die Villa geschlossen, ihr Schicksal ungewiss, die Inneneinrichtung wird wohl gründlich verändert werden.

Zu Lebzeiten führte Giuliano Guardini seine Gäste großzügig durch Garten und Haus bis in den geräumigen, gut ausgebauten Keller, wo eine Galerie von Fotografien und Gemälden zur Familie eingerichtet war; Ferdinando (Gino) Guardini, der nächste Bruder Romanos, war Maler und Bildhauer gewesen und hatte großformatige Gemälde mit Ansichten von Park und Villa hinterlassen. Giuliano Guardini erklärte und erzählte; Max Oberdorfer durfte fotografieren.

Guardinis “weltschauender Blick”

Die Frucht solcher unwiederholbaren Tage ist in einem neuen kleinen Band erhalten. Damals noch ohne Absichten aufgenommen, einfach von der Schönheit des Anwesens berührt, sind die Fotos heute Dokumente von einzigartigem Wert. Die jetzige Anordnung nimmt auf einen imaginären Spaziergang mit. Zuerst betritt der Betrachter den herrlichen, weitläufigen Park, unter dessen Bäumen Romano Guardini seine künftigen Vorlesungen und Bücher durchdachte, wie er selbst in seiner Rede “über die Bäume” zur Ehrenbürgerschaft von Isola Vicentina ausführte. Die ersten Texte sind alle dem Eindruck des geheimnisvollen Pflanzenlebens im Park der Villa gewidmet, von den lieblich-verborgenen Alpenveilchen bis zu prachtvollen Zedern und schwarzschattigen Nadelbäumen. Darin trifft man auf Guardinis “weltschauenden Blick”, auch wenn er sich auf Kleines und scheinbar Bekanntes richtet. In seiner ersten, in einer Mitschrift erhaltenen Berliner Vorlesung vom Sommersemester 1923, worin die Besonderheit des neuen Lehrstuhls zu klären war, fasst Guardini zusammen: “Es ist ein Blick, der eingebettet ist in das mir nahestehende Leben, näherstehend als alle Wissenschaften. Das eigentliche Ethos dieser Weltanschauung besteht in der Lauterkeit des Blicks. Es muß ein glutvoller Blick sein, doch getragen von einer schauenden Glut, nicht einer Glut des Tuns, denn diese trübt; nur die Glut des Schauens, der Liebe, ist klar.”

Dieses hingegebene Sehen an das, was sich zeigt, wird in den begleitenden Texten aus Briefen und Schriften Guardinis deutlich. Der “Glut des Schauens” entspricht die Herrlichkeit der Welt. Sie ist von Licht erleuchtet und wird zugleich durch das Licht selbst zu einem Geheimnis. Guardini sieht in den Gestalten der Schöpfung – ob in Blättern oder Blumen oder Landschaft – “Gewalt von Herrlichkeit”, und in einem besonders schönen Ausdruck: “inbrünstige Wirklichkeit”. Immer wieder hat er die sinnliche Berührung – sinngebend und sinnvoll – mit der religiösen Erfahrung zusammengespannt. Das Naturhaft-Numinose, in seiner Tiefe biblisch gedeutet, ist nicht einfach sachlich, es ist Widerschein des göttlichen Willens in der Schöpfung.

Doch das eigentliche Wunder ist nicht die Welt, sondern mehr noch das Licht: in der Art und Weise, wie es die Welt modelt, schafft, ins Sichtbare hebt, ihr Gestalt gibt. Das Licht wird für Guardini zum Inbild des Schöpferischen, zur Epiphanie Gottes: Die Dinge sind im Licht mehr als sie selbst, sie gewinnen eine reine Transparenz auf ihn hin. In letzter Verdichtung kommt es zur Verwandlung des Stoffes in Licht, zur Transfiguration des Irdischen. Auch das ereignet sich während der Spaziergänge, und es genügt manchmal ein Blatt, um die Macht der Verwandlung des Irdischen in Licht zu zeigen. Auch das halten die Fotografien fest.

Guardini in der Weihnachtskrippe

Eingekehrt in die ebenmäßig gebaute, klassizistische Villa mit ihren hohen Räumen trifft man auf die von Menschen kultivierte Welt. Hier wirkt anderes als die Natur, und gerade hier sind die Abbildungen unersetzlich, denn so werden die Innenräume nie mehr zu sehen sein. Besonders kostbar ist die von der Münchner Bildhauerin Maria Elisabeth Stapp (1908–1995) für Guardini geschnitzte Weihnachtskrippe: Guardini selbst, in Purpur gekleidet, ist ein König, sein lebenslanger Freund, der Priester Josef Weiger (1883–1966), trägt als Hirte den alpenländischen Loden. Dazu kommen einzelne Kostbarkeiten: das alte Elfenbeinkreuz mit dem ergreifenden Text aus Guardinis frühem “Kreuzweg” von 1920; sein eigener Raum mit einer Tür zum Park, den er regelmäßig zweimal im Jahr in den Semesterferien für einige Wochen bewohnte, um dort Gedanken niederzuschreiben; die Bibliothek und andere größere oder auch intime Räume mit kostbaren Gemälden; die Empfangshalle mit der herrlichen Gruppe des Eros und der Psyche von Antonio Canova. In den ineinander übergehenden Salons des Erdgeschosses fand im Jahr 2008 ein außergewöhnliches Fest für Augen, Ohren und Gaumen statt – auch das ist festgehalten. Immer wieder erscheint in den Bildern der Hausherr, wie er sich an der Freude der Geladenen freut und die gastliche, kultivierte Tradition der Familie weiterführt.

Solche Kultur ist ein Widerschein des Göttlichen. Auch Garten und Haus sind mehr als bloße Natur oder Architektur, mehr als bloßer Raum zum Leben. In ihnen findet Begegnung statt. Im Widerhall des Personalen zeigen sie “das Gnadenhafte im Dasein”. Dieses Gnadenhafte fangen die Bilder ein. Dank an den Fotografen, der im rechten Augenblick, im Kairos, diese versinkende Welt eingefangen hat.

Literaturhinweis: Max Oberdorfer (Hrsg.): Romano Guardini. In memoriam Isola Vicentina. Mit Beiträgen von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Irene Favaretto und Dominik Fröhlich, St. Ottilien: EOS-Verlag, 2024, 64 Seiten, Softcover, mit zahlreichen Abbildungen, EUR 15,–

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