“Das Christentum ist keine politische Strategie”
Gebetshausgründer Johannes Hartl spricht über das Verhältnis von Christentum und Politik und die Rolle des Christentums auf der ARC-Konferenz in London
Quelle
Johannes Hartl – Webseite
19.02.2025
Die Alliance for Responsible Citizenship (ARC) tagt vom 17. bis zum 19. Februar mit über 4000 Teilnehmern in London. Das dreitägige Stelldichein vornehmlich bürgerlich-konservativer und liberaler Kräfte aus 96 Nationen, vor allem aus Amerika, Europa, Australien möchte auf der Grundlage konservativ-liberaler Werte neue Perspektiven für Gesellschaft, Kultur, Politik und Wirtschaft entwickeln.
Gebetshausgründer Johannes Hartl hat auf der ARC an einer Podiumsdiskussion mit ARC-Mitgründer Jordan Peterson teilgenommen.
Herr Hartl, mit welcher Motivation nehmen Sie hier an der ARC-Konferenz teil?
Ich sehe hier viele Menschen, die eine Frage stellen, wie die Zukunft positiv gestaltet werden kann, und zwar mit einem Wertefundament, das sehr viele positive Elemente hat. Und hier nicht in den Dialog zu gehen, fände ich eine verpasste Chance.
Wir hören hier viel von der “better story”, dem besseren Narrativ, das hier gemeinsam für unsere Gesellschaften entwickelt werden soll. Wie würden Sie diese “better story” beschreiben?
Die aus dem Menschenbild des Christentums geborene Erfolgsgeschichte von westlicher Demokratie.
Christen und Nichtchristen auf der ARC beziehen sich positiv auf die christlichen Wurzeln Europas. Die Ansichten darüber, welche Rolle das Christentum in der “better story” einnehmen soll, gehen aber auseinander. Können wir Kultur wirklich verändern, wenn wir das Christentum nur als nützlichen Moralgeber oder Interpretationshilfe zum psychologischen Verständnis des Menschen sehen?
Eine Kultur ist eine Art und Weise, wie Menschen zusammenleben. Religionen prägen Kulturen. Kulturen können auswachsen in Zivilisationen. Wir leben in einer Zivilisation, die de facto Vieles dem Christentum verdankt, sich aber in der gelebten Ausprägung dieses Glaubens weitgehend von religiöser Praxis verabschiedet hat. In so einem Kontext kann man natürlich menschliche Institutionen nicht einfach “taufen” oder mit einem quasi imperialistischen Anspruch religiöse Inhalte einfordern. Man kann aber als Mensch, der selbst gläubig ist, seinen eigenen Glauben überzeugend leben, dazu einladen und auch in einer säkularen Gesellschaft an jene positiven Gehalte des Glaubens erinnern, von denen wir uns wahrscheinlich zu blauäugig verabschiedet haben.
Jordan Peterson hat gestern den christlichen Opfergedanken als für die westliche Zivilisation grundlegend gewürdigt und gleichzeitig rein innerweltlich gedeutet. Kann man auf eine solche Bibelauslegung ein zivilisatorisches Projekt aufbauen?
Justin der Märtyrer spricht von den “lógoi spermatikói”, also den Wahrheiten, die an vielen Orten verborgen aufleuchten. Wir sollten alle Menschen, die sich für Elemente des christlichen Glaubens interessieren, als Dialogpartner ernst nehmen. Damit ist noch nicht gesagt, dass alles, was diese Leute sagen, zu 100 Prozent die reine Wahrheit ist. Es gibt nicht die eine Bibelauslegung, aber wir müssen anerkennen, dass Jordan Peterson eine der prominentesten Stimmen ist, der auf die Bibel als Quelle von Weisheit hinweist. Dass seine Lesart der Bibel nicht immer oder sogar sehr oft nicht die klassisch-christliche ist, das müssen und dürfen christliche Theologen kritisieren. Als kulturelles Moment darf es uns trotzdem freudig stimmen, dass Menschen sich neu für die Bibel interessieren.
Wie würden Sie die Mission oder die Aufgabe von Christen in der Welt beschreiben?
Licht der Welt und Salz der Erde zu sein. In dem, was wir tun und sagen, Zeugnis von dem zu geben, was Jesus an uns und unserer Welt getan hat. Das ist unsere Aufgabe. Je nachdem, wohin man gestellt ist, ob ins politische Feld, in die Erziehung, in die Medien, in die Wirtschaft, wird das konkret sehr unterschiedlich aussehen. Aber gelebter Glaube sollte all diese Bereiche positiv inspirieren.
Gibt es bestimmte Anregungen, die Sie jetzt schon von der ARC-Konferenz mitnehmen?
Mich hat beeindruckt, wie Kontroverse auf der Bühne zugelassen wurde. Zum Beispiel hat am Dienstagmorgen einer der Sprecher Donald Trump und seine Regierung sehr offen und sehr scharf kritisiert. Mir hat es sehr gut gefallen, weil wir auch in Deutschland die Kultur des politischen Streitens wieder lernen dürfen. Mich haben außerdem einzelne Themen sehr angesprochen, die bei uns in Deutschland noch unterbelichtet sind. Das ist zum Beispiel die Gefahr der Überdigitalisierung der Schulen und die Überdigitalisierung der Kindheit, aber auch die Gefahr des gesellschaftlichen Kollapses durch eine zu niedrige Geburtsrate.
Was müssten Ihrer Ansicht nach für die “Alliance for Responsible Citizenship” die nächsten Schritte sein?
Ich glaube, zwei Dinge sind elementar wichtig. Erstens, ARC ist keine politische Bewegung und darf keine sein, sondern es geht um etwas Präpolitisches, eine Verständigung über das, wie wir als Kultur generell leben wollen. Welche politischen Ableitungen daraus zu treffen sind und erst recht, welche parteipolitischen, müssen ganz andere Fragen sein, sonst wird es einseitig und eng. Zweitens, das sich gegenseitige Befruchten von Religion und politischem Feld will in einer gewissen Keuschheit durchdacht und auch getrennt sein. Das Christentum ist keine politische Strategie. Gläubige Menschen können sich im politischen Feld beteiligen aus der Kraft ihres Glaubens heraus, aber das Christentum zu verwenden, um eine bestimmte Politik – und sei es auch eine konservative – zu befeuern, ist letztendlich ein Missbrauch des Christentums.
Katholischen Journalismus stärken
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Stärken Sie katholischen Journalismus!
Unterstützen Sie die Tagespost Stiftung mit Ihrer Spende.
Spenden Sie direkt. Einfach den Spendenbutton anklicken und Ihre Spendenoption auswählen:
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.
Themen & Autoren
Franziska Harter
Bibel
Christen
Christliche Glaubensrichtungen
Donald Trump
Johannes Hartl
Jordan Peterson
Schreibe einen Kommentar