Wiener Erzbischof – Christoph Schönborns langer Abschied

Vom Bundespräsidenten zum “Pontifex austriacus” geadelt, von 4000 Gläubigen mit Applaus verabschiedet, wartet der 80-jährige Erzbischof von Wien auf einen Nachfolger

Quelle
Schönborn (Adelsgeschlecht) – Wikipedia
Papst nimmt Schönborn-Rücktritt an und ernennt Administrator für Wien – Vatican News
erzdioezese-wien.at/unit/edwadministrator/home
Statement von Josef Grünwidl – Pressekonferenz: Nachfolge von Kardinal Schönborn – ORF ON

22.01.2025

Stephan Baier

Nach fast drei Jahrzehnten als Erzbischof von Wien ist Kardinal Christoph Schönborn fast so etwas wie eine Legende, jedenfalls längst allem Streit entrückt, himmelhoch über allen Parteiungen. Und so waren der grüne Bundespräsident wie sein roter Vorgänger, der schwarze Bundeskanzler und ein roter Ex-Kanzler, der rote Wiener Bürgermeister, sein gleichfärbiger Vorgänger und die schwarzen Spitzen Niederösterreichs am Samstagnachmittag ebenso im Wiener Stephansdom versammelt wie die Repräsentanten der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in Österreich:

Metropolit Arsenios Kardamakis als Vertreter des Ökumenischen Patriarchats, Bischof Tiran Petrosyan von der Armenisch-Apostolischen Kirche, aber auch Vertreter der Kopten, der russischen und syrischen Orthodoxie, der evangelischen und der altkatholischen Kirche, des Islam wie des Judentums. Vollzählig angetreten war die österreichische Bischofskonferenz, die Kardinal Schönborn intensiv geprägt und 22 Jahre lang auch geleitet hat.

“Ti vogliamo tutti bene” (Wir alle lieben dich), machte Bundespräsident Alexander van der Bellen dem Kardinal in seiner Rede am Ende der Messe eine italienische Liebeserklärung. Eine direkte Anspielung auf die Predigt, in der Schönborn, ausgehend von dem italienischen Liebesgeständnis “Ti voglio bene” (wörtlich: ich will dir wohl) erklärt hatte, dass Gott “grenzenloses Wohlwollen” sei, weshalb Gott auch in unserem Wohlwollen sei, das wir einander schenken. Als “Pontifex austriacus” rühmte der Bundespräsident den Kardinal, als Österreichs Brückenbauer, auch zwischen den in Wien deutlich sichtbaren “großen abrahamitischen Religionen”. “Sie sind ein Mann des Zuhörens, des Dialogs, des Friedens”, so Van der Bellen, der an die Papstbesuche in Österreich ebenso erinnerte wie an Kardinal Schönborns Auftritte in Jerusalem und Teheran. “Sie sind ein Mann des Glaubens und ein großer Kommunikator. Ich beneide Sie darum”, so der bekennende evangelische Christ Van der Bellen, ohne allerdings zu sagen, ob er den Kardinal um dessen Glaubens- oder Kommunikationsstärke beneide.

Er könne es kaum fassen, dass so viele zu seinem Abschied gekommen seien, wirkte Kardinal Schönborn zu Beginn seiner Predigt fast ein wenig schüchtern. Tatsächlich musste ein Gutteil der 4000 angemeldeten Gäste in andere Kirchen Wiens ausgelagert werden. Geehrt durfte sich fühlen, wer im Stephansdom einen Platz ergattern konnte. Als Schönborn aber bekannte, dass der Abschied ihn traurig mache, da sprach er schon nicht mehr über das nahe Ende seiner fast 30-jährigen Zeit an der Spitze der Erzdiözese Wien, sondern über den alljährlichen Abschied Zehntausender von der katholischen Kirche, davon, dass “so viele Menschen stillschweigend” weggehen – “allein 2023 waren es 85000!” – und seine so innig geliebte Kirche “bei uns schrumpft”. Während zeitgleich andere “rapide wachsen”, etwa die Gruppe der Menschen ohne religiöses Bekenntnis, aber auch der Islam in Österreich.

Mehr Dirigent als Kommandant

Die Frage, ob sich Europa vom Christentum verabschiedet, ob Österreich in den “religiösen Analphabetismus” schlittert, treibt Kardinal Christoph Schönborn nicht erst in den letzten Wochen seiner Amtszeit um. Mit der Wiener Stadtmission, mit dem mehrjährigen Prozess “Apostelgeschichte 2010”, mit der Förderung kleiner und großer Neuevangelisierungs-Initiativen und Bewegungen wie Emmanuel, Loretto oder Neokatechumenat hat der persönlich tieffromme Wiener Oberhirte dem Säkularisierungstrend etwas entgegenzusetzen versucht. “Mission first!”, rief er 2009 im Wiener Stephansdom den Vertretern der Diözesan- und Pfarrstrukturen zu. Dass es ihm – anders als manchem seiner Kritiker und Wegbegleiter – weniger um den Erhalt der Strukturen als um die Erneuerung des Glaubens in Österreich ging, brachte ihm nicht nur begeisterte Gefolgschaft, sondern auch Konflikte und Widerspruch ein.

Und Konflikte liebte “der Kardinal”, wie die Österreicher Schönborn spätestens seit dem Tod seines Vorvorgängers Franz König schlicht nennen, ganz und gar nicht. Messerscharf in der intellektuellen Analyse war er stets mehr Diplomat als Regent, mehr Dirigent als Kommandant. Wo er aber Führung übernahm, musste er sich manches abringen: im letztlich doch vollzogenen Bruch mit seinem des Missbrauchs beschuldigten Amtsvorgänger, Kardinal Hans Hermann Groer, der ihn 1991 in derselben Kathedrale zum Bischof geweiht hatte, in der Konsequenz bei der Missbrauchs-Aufarbeitung, im Austragen von innerkirchlichen Konflikten, die in einem Land wie Österreich fast immer den Weg in eine breitere Öffentlichkeit fanden.

“Ohne das gute, gelebte Miteinander hätte ich meinen Dienst nicht tun können”, sagte Schönborn am Samstagnachmittag noch einmal im überfüllten Stephansdom. Dankbar blickte er zurück in die Kindheit, als er – aus altösterreichischem Hochadel stammend, in Böhmen geboren – vor acht Jahrzehnten aus seiner Heimat vertrieben wurde und in Österreich eine neue Heimat fand. Dieser biografische Hintergrund ist mitzudenken, wenn Kardinal Schönborn mahnt: “Ein Herz für Flüchtlinge zu haben, gehört zur Menschlichkeit. Es kann auch unser Schicksal werden.” Zu dem guten Miteinander, das ihm auf allen Ebenen ein Herzensanliegen ist, gehört auch das der Religionen, das sich nicht allein der österreichischen Religionsgesetzgebung verdankt, sondern auch “Frucht eines jahrelangen Bemühens” ist.

Dass Kardinal Schönborn auch über seine ersehnte und rund um den 80. Geburtstag am 22. Januar erwartete Emeritierung hinaus die Rolle eines Brückenbauers zwischen Menschen des Glaubens spielen möchte, das hat er bereits verraten. Es ist also nicht damit zu rechnen, dass der 80-jährige Kardinal, der mit 18 Jahren in den Dominikaner-
orden eintrat, sich nun ganz ins Schweigen zurückzieht. Wenngleich er wieder ins Kloster geht, nämlich im 20. Wiener Gemeindebezirk bei der “Gemeinschaft vom Lamm”.

Mit Charme und Niveau

Einen Einblick gewährte er in der Predigt auch in seine “tieferen Quellen der Hoffnung”. Der Ruf Jesu “Folge mir nach!”, den er selbst in der ersten Gymnasialklasse vernommen habe, treffe auch heute immer wieder Menschen: “Das ist die unerschöpfliche Ressource, aus der der Glaube sich in allen Generationen neu und frisch erweist.” Jesus habe nicht moralisiert, sondern seine aus ganz unterschiedlichen Milieus stammenden Jünger “Freunde” genannt – “und sie wurden Freunde”, so Schönborn. Auf den knallroten Westen, die die freundlichen Ordner im Stephansdom trugen, stand Schönborns bischöflicher Leitspruch, natürlich auf Latein: “Vos autem dixi amicos” (Vielmehr habe ich euch Freunde genannt), ein Zitat aus dem Johannes-Evangelium. So sei er “auch nach 30 Jahren im Amt unverbesserlich hoffnungsvoll”, so der Kardinal in seiner mit Applaus bedachten Predigt. “Ich schulde Gott Rechenschaft, aber ich brauche deshalb keine Angst zu haben.” Weil Gott eben “grenzenloses Wohlwollen” sei.

So grenzenlos dürfte das Wohlwollen der Österreicher mit Schönborns Nachfolger nicht unbedingt ausfallen. Zwar werden innerkirchliche Richtungskämpfe nicht mehr die gesamte säkulare Gesellschaft samt Politik und Medien bewegen, wie noch in den 1980er Jahren, als die Bischofsernennungen in Wien, Salzburg und Feldkirch die Republik erregten. Auch wenn der Abschied von Kardinal Schönborn derzeit die Titelseiten der österreichischen Zeitungen prägt: In der Alpenrepublik ist nicht nur die Zahl der Katholiken geschmolzen, sondern noch viel mehr das Interesse einer Mehrheit an der Kirche und ihrer Botschaft. Diese weit über den Kirchenraum und den Kreis der Christgläubigen hinaus mit großem Charme und intellektuellem Niveau, mit Weltläufigkeit und Weltkirchlichkeit vertreten zu haben, bleibt ein Verdienst von Kardinal Schönborn, der mit dem fulminanten Dankfest – weithin wahrgenommen als Abschiedsfest – am Samstag selbst zu einem Teil der österreichischen Zeit- und Kirchengeschichte geworden ist.

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