“Trump übertreibt mit der Stärke seines Mandats”
Donald Trump müsse als Führungsfigur agieren, nicht als Scharfmacher, meint der US-Theologe und Papst-Biograf George Weigel. Ein Gespräch über messianische Politiker, “woken Druck” auf die Kirche und den Einfluss von Elon Musk
Quelle
Wir sind keine Feinde, sondern Freunde. Wir dürfen keine Feinde sein. …
US-Wahl: Was wir vom Land der Tapferen lernen können
Weigel George (46)
16.01.2025
Der Theologe und Publizist George Weigel, geboren 1951 in Baltimore im US-Bundesstaat Maryland, zählt zu den renommiertesten katholischen Intellektuellen der USA. Er arbeitet als leitender Wissenschaftler am Ethics and Public Policy Center in Washington. Weigel verfasste zahlreiche Bücher, darunter eine Biografie des heiligen Papstes Johannes Paul II. Ihm wurden neunzehn Ehrendoktorwürden sowie der päpstliche Orden Pro Ecclesia et Pontifice verliehen. In den USA analysiert er regelmäßig in den Medien die politische Lage in seinem Land.
Professor Weigel, vor gut einem Jahr erklärte Donald Trump, er werde kein Diktator sein – abgesehen vom ersten Tag seiner Amtszeit. Nun da seine Vereidigung unmittelbar bevorsteht: Was erwarten Sie von Trump am ersten Tag?
Ich denke, wir sollten uns jetzt alle mehr mit dem beschäftigen, was Trump tut, anstatt mit dem, was er sagt. Ich erhoffe mir eine Rede zur Amtseinführung, die die Amerikaner dazu aufruft, auf das zu hören, was Abraham Lincoln in seiner ersten Inaugurationsrede “die besseren Engel unserer Natur” nannte. Es ist an der Zeit, dass sich Trump zu einer echten Führungsfigur entwickelt, nicht zum Scharfmacher.
Zu Joe Bidens Amtseinführung 2021 veröffentlichten die US-Bischöfe ein Statement, in dem sie Abtreibung als das Thema von vorrangiger Bedeutung hervorhoben – was als Kritik an Bidens Position in Sachen Lebensschutz aufgefasst wurde. Rechnen Sie damit, dass die Bischöfe diesmal eine ähnliche Stellungnahme abgeben werden, in der sie sich vielleicht mit Trumps Haltung in der Einwanderungsfrage auseinandersetzen?
Ich weiß nicht, was die US-Bischofskonferenz plant, aber die Bischöfe haben recht deutlich gemacht, dass Abtreibung und Einwanderung zwei qualitativ unterschiedliche Themenfelder sind.
Wie schätzen Sie das allgemeine Stimmungsbild unter den US-Bischöfen zu Trump ein?
Ich gehe davon aus, dass viele Bischöfe erleichtert sind, da sie nun sehr wahrscheinlich nicht mehr dem woken Druck ausgesetzt sind – insbesondere bei Themen wie LGBTQ+ oder der Genderideologie –, der auf die Kirche, ihre Institutionen und ihre Vertreter zuvor unter der Biden-Regierung ausgeübt wurde. Diesen Druck hätte eine von Kamala Harris geführte Regierung sicher noch verschärft. Gleichzeitig sind zahlreiche Bischöfe natürlich enttäuscht, dass die Republikanische Partei eine kohärente Pro-Life-Position mehr oder weniger aufgegeben hat. Auch wenn das zum Teil daran liegt, dass die Lebensrechtsbewegung nicht geschlossen agierte, nachdem der Oberste Gerichtshof der USA das Grundsatzurteil Roe v. Wade aus dem Jahr 1973 kippte, das ohne jede Grundlage ein “Recht auf Abtreibung” geschaffen hatte. Darüber hinaus hätten die Bischöfe allen Grund dazu, über das Tempo besorgt zu sein, mit dem eine Lawine der Euthanasie über das Land hinwegfegt, und zwar unter dem Orwell’schen Deckmantel der “medizinischen Beihilfe zum Suizid“. Dass die Trump-Regierung eine klare Position gegen diesen Angriff auf das Leben einnehmen wird, scheint mir sehr unwahrscheinlich.
“Ich gehe davon aus, dass viele Bischöfe erleichtert sind, da sie nun sehr wahrscheinlich nicht mehr dem woken Druck
ausgesetzt sind, der auf die Kirche, ihre Institutionen und ihre Vertreter zuvor unter der Biden-Regierung ausgeübt wurde”
Trump wurde lange von der Lebensrechtsbewegung gefeiert, da er in seiner ersten Amtszeit Richter ernannt hatte, die später Roe v. Wade kippten. Was erwarten Sie jetzt von ihm in Sachen Lebensschutz?
Trumps “Hinwendung” zum Lebensschutz schien mir stets eine geschäftsmäßige zu sein, auch wenn dieses Geschäft am Ende einige positive Auswirkungen auf die amerikanische Gesetzgebung hatte. Trump liegt richtig, wenn er betont, dass die Abtreibungsgesetzgebung nun wieder bei den Bundesstaaten liegt, wo sie gemäß unserer Verfassung auch hingehört. Er liegt falsch, indem er den beinahe uneingeschränkten Zugang zur Abtreibungspille Mifepriston befürwortet, und er liegt auch darin falsch, sich für die In-Vitro-Fertilisation (IVF) auszusprechen, die die Fortpflanzung kommerzialisiert. Bis heute sind dadurch etwa 1,5 Millionen kleiner menschlicher Wesen entstanden, die durch das Verfahren des Einfrierens am Leben gehindert werden.
Trump hat immer wieder betont, die Wähler hätten ihm ein breites Mandat erteilt. Allerdings hat er auch innerhalb seiner Partei schon Gegenwind erfahren, beispielsweise indem sich die Republikaner im Kongress über ihn hinwegsetzten und einen Regierungsshutdown abwendeten. Wird ihm die Partei in den nächsten Jahren noch Probleme bereiten?
Trump übertreibt mit der Stärke seines Mandats, so wie er dazu neigt, auch in allem anderen zu übertreiben. Die Republikanische Partei ist derzeit eine brüchige Koalition. Sie zu managen wird für Trump eine große Herausforderung werden. Ich könnte mir gut vorstellen, dass er diese Aufgabe an seinen Vizepräsidenten J. D. Vance delegiert.
Noch vor vier oder acht Jahren betrachteten viele Katholiken und Evangelikale Trump als Kandidaten mit persönlichen Schwächen, unterstützten ihn aber aufgrund einiger seiner politischen Maßnahmen. Insbesondere nach dem Attentat erklärten ihn manche zu einem von Gott auserwählten Kandidaten. Sehen Sie darin einen grundsätzlichen Wandel bezüglich der Rezeption Trumps in konservativ-christlichen Kreisen?
Für mich ist es erschreckend und gefährlich, Trump als Messias zu betrachten, sowohl politisch als auch theologisch. Die Geschichte der politischen Moderne sollte uns lehren, dass messianische Politiker große Probleme verursachen. Was die theologischen Spekulationen angeht, die manche nach den zwei gescheiterten Attentatsversuchen anstellten: Das ist nicht wirklich Theologie in irgendeinem erkennbar christlichen Sinne des Begriffs.
“Die Geschichte der politischen Moderne sollte uns lehren, dass messianische Politiker große Probleme verursachen”
Trump ernannte den Präsidenten der konservativen katholischen Lobby-Organisation “Catholic Vote” zum US-Botschafter im Vatikan. Burch gilt als Franziskus-Kritiker. Wie sehen Sie die Personalie?
Ich hoffe, dass sich Burch auf Themen konzentriert, bei denen die US-Regierung und der Heilige Stuhl Übereinkünfte erzielen können: beim Kampf gegen Menschenhandel, der Verteidigung der Religionsfreiheit weltweit oder dem Einsatz für Gesundheitsversorgung und Bildung für Frauen und Mädchen in der Dritten Welt. Was Burchs Kritik am Papst anbelangt: Man sollte sich die Worte von Franziskus selbst in Erinnerung rufen, der zur “Parrhesie” aufgerufen hat, zur offenen Diskussion in der Kirche. Man sollte aber auch bedenken, dass Burch nicht nach Rom geht, um vor Papst Franziskus die US-Kirche zu vertreten, sondern die US-Regierung gegenüber dem Heiligen Stuhl.
Während seiner ersten Amtszeit war Trumps Verhältnis zum Papst ja eher angespannt. Wird sich das ändern?
Ich bezweifle es.
US-Katholiken wird ganz allgemein ein eher belastetes Verhältnis zu Papst Franziskus nachgesagt. Wie bewerten Sie deren Blick auf den Papst?
Ich bin nicht ganz sicher, was Sie mit “belastetes Verhältnis” meinen. Es trifft gewiss zu, dass viele US-Katholiken die Politik des gegenwärtigen Papstes im Umgang mit China nicht nachvollziehen können, genauso wie dessen Versuche, die traditionelle Lateinische Messe auf unnötige und harte Weise in den Untergrund zu verbannen. Der amerikanische Beitrag zum Peterspfennig ist gesunken, aber das ist überall auf der Welt so. Und wir dürfen nicht vergessen, dass es die in den USA verwurzelten Kolumbusritter waren, die jüngst erst die großartige Restaurierung von Berninis Baldachin über dem Hochaltar im Petersdom finanzierten.
Mit dem Vizepräsidenten J. D. Vane wird ein praktizierender Katholik ins Weiße Haus einziehen. Wie wird das die Regierungsführung beeinflussen? Werden katholische Werte eine größere Rolle spielen als zuvor?
“Katholische Werte” waren unter dem “praktizierenden Katholiken” Joe Biden während seiner Zeit im Weißen Haus kaum zu erkennen. Daher wäre jede Verbesserung willkommen.
Eines der drängendsten außenpolitischen Themen ist sicher der Krieg in der Ukraine. Wie bewerten Sie Trumps Ansatz, den Krieg zu beenden? Wird er eine Lösung finden, ohne gleichzeitig dem Aggressor Putin zu geben, was er will?
Es gibt keine zufriedenstellende oder gerechte Lösung für Putins Aggression, wenn sie nicht darauf hinausläuft, dass Putin verliert. Wie dieses Szenario eintreten kann, unterliegt der Debatte. Aber Putin muss verlieren, zum Wohl der Ukraine wie auch zum Wohl Russlands.
“Putin muss verlieren, zum Wohl der Ukraine wie auch zum Wohl Russlands”
Wie bewerten Sie Trumps Kabinettsernennungen bislang?
Manche seiner Kandidaten sind ausgezeichnet, andere nicht. Das ist allerdings das übliche Muster in solchen Angelegenheiten. Matt Gaetz war sicherlich eine schreckliche Wahl, dasselbe gilt auch für Robert F. Kennedy Jr.
Was halten Sie davon, dass der Milliardär Elon Musk einen übermäßig großen Einfluss auf Donald Trump und seine Regierung ausübt?
Warten wir mal ab, wie lange das anhält.
Schon jetzt scheint es einen ernsthaften Bruch innerhalb des MAGA-Lagers in der Frage nach Arbeitsvisa für hochqualifizierte Migranten zu geben. Oder spielen die Medien das nur hoch? Und wer wird sich durchsetzen? Die Tech-Unternehmer wie Musk und Vivek Ramaswamy – oder der nationalistische, Antimigrations-Flügel der Trump-Anhänger?
Die Medien, insbesondere die Sozialen Medien, blasen alles auf. Aber momentan sieht es so aus, als würden sich Musk und Co. in dieser Frage durchsetzen – was auch wünschenswert wäre. Vielleicht lernen die MAGA-Extremisten so eine wertvolle Lektion.
Vor vier Jahren haben Sie dieser Zeitung gesagt, Sie seien nicht zufrieden mit dem Zustand des Landes. Haben Sie Ihre Meinung inzwischen geändert?
Nein, habe ich nicht. Die USA blicken weiterhin eine tief gespaltene politische Kultur. Diese Spaltung wird von radikal unterschiedlichen Vorstellungen des Menschen und des Freiheitsbegriffs hervorgerufen.
Wie folgenschwer wird der Ausgang der Wahl 2024 sein? Wird Trumps zweite Amtszeit womöglich eine neue politische Ordnung über Jahrzehnte hinweg einleiten? Oder werden die Demokraten die republikanische Dominanz bald wieder brechen?
Meine Vermutung dazu lässt sich exakt mit den Worten des ehemaligen chinesischen Ministerpräsidenten Tschu En Lai widergeben, als dieser nach seiner Meinung zur Französischen Revolution gefragt wurde: “Das wird sich erst noch zeigen.”
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