“O Tannenbaum” – Weihnachtsklassiker
“O Tannenbaum”, eines der berühmtesten Weihnachtslieder der Welt, wird heuer 200 Jahre alt. Über die Geschichte eines musikalischen Evergreens
Quelle
Ständige Ausstellung im Alten Rathaus Leipzig
“O Tannenbaum” – Deutsche Volksweise / Text: Ernst Anschütz
MDR 25.12.1824 “O Tannenbaum” in der heute üblichen Textfassung veröffentlicht
24.12.2024
Veit-Mario Thiede
Im letzten Quartal des Jahres 1824 gab Ernst Anschütz (1780-1861) das “Musikalische Schulgesangbuch” heraus. Es enthält das von ihm geschriebene Weihnachtslied “O Tannenbaum”. Das Lied hat sich zum weltweit gesungenen Evergreen entwickelt, der sowohl altehrwürdige Vorläufer als auch kuriose Nachfolger hat.
Weit weniger bekannt als das Lied ist sein Autor. Ernst Anschütz kam 1780 im bei Suhl gelegenen Bergdorf Goldlauter zur Welt. Sein Vater war Pfarrer des Ortes und wünschte sich, dass Ernst einmal seine Nachfolge antritt. Dieser studierte in Leipzig zwar Theologie, Philosophie und Pädagogik, entschied sich jedoch nach dem Tod seines Vaters, die für ihn zwei Jahre freigehaltene Pfarrstelle in Goldlauter nicht anzutreten. Er blieb in Leipzig, um sich als Lehrer an der Ersten Bürgerschule, Organist und Kantor an der Neuen Kirche sowie als Privatlehrer für Gesang, Klavier, Viola, Violine, Cello und Klarinette zu betätigen.
Die Entlohnung war jedoch so armselig, dass er Mühe hatte, seine Frau und seine sieben Kinder zu versorgen. Gleichwohl war er in Leipzig ein angesehener Mann.
“Der Tannebaum” und noch viel mehr
Öffentliche Spuren hat er dort jedoch nicht hinterlassen. Weder die Erste Bürgerschule, noch die Neue Kirche oder sein Grab haben die Zeiten überdauert. Aber das Stadtarchiv bewahrt Fotografien von Anschütz sowie die Handschriften einiger seiner bekanntesten Lieder auf. Zu ihnen gehört das im Oktober 1824 verfasste Stück “Der Tannebaum”, heute berühmt als “O Tannenbaum”. Bereits im Juni 1824 schrieb er überdies den Text von “Fuchs, du hast die Gans gestohlen”. “Es klappert die Mühle am rauschenden Bach” folgte im April 1835. Auf Bestellung kann man sich die Stücke zeigen lassen.
Das gilt auch für die im Stadtgeschichtlichen Museum aufbewahrte Abschrift seiner unpublizierten achtseitigen Autobiografie. In ihr kommt er ausführlich auf sein “Musikalisches Schulgesangbuch” zu sprechen, das in vier Heften von 1824 bis 1830 im Verlag von Carl Ernst Reclam erschien. Es enthält überwiegend Lieder, die den Herrn preisen, hinzu gesellen sich fröhliche Jagd-, Wander- und Kinderlieder, wiederholt aber auch Klagen über die ach so schnell verrinnende Lebenszeit.
Im Gesangbuch treten zu den von Anschütz komponierten oder mit Text versehenen Stücken Lieder und Melodien von anderer Hand, etwa von Luther, Bach, Klopstock oder Mozart. Anschütz schreibt: “Wenn ich alle dabei gehabten Kosten berechne, so habe ich bei der Arbeit wenig oder nichts verdient. Daß dieses Werk nicht ohne Werth war, läßt sich daraus abnehmen, daß Fremde und Freunde mich bestohlen und ihre Hefte und Heftchen mit meiner Arbeit ausgeputzt haben. Es ist aber im Leben immer mein Schicksal gewesen, daß wo ich säete andere ärnteten; wo ich gepflanzet, andere die Früchte pflückten.”
Weihnacht statt Liebesleid
Aber auch Anschütz hat sich bei anderen Komponisten und Textern bedient. Der unmittelbare Vorläufer seines Tannenbaumliedes stammt von Joachim August Zarnack. Der veröffentlichte 1820 eine Liedersammlung, die das tragische Liebeslied “O Tannenbaum” enthält. Dessen erste Strophe hat Anschütz weitgehend übernommen. Aus Zarnacks “Du grünst nicht nur zur Sommerzeit, im Winter auch, wenns friert und schneit” machte er “Du grünst nicht nur zur Sommerzeit, nein auch im Winter, wenn es schneit”. Der immergrüne Tannenbaum ist bei Zarnack Sinnbild ewiger Liebe. Im Gegensatz dazu beklagen die drei weiteren Strophen seines Liedes die Treulosigkeit: “O Mädelein, o Mädelein, wie falsch ist dein Gemüte.” Anschütz hingegen schlägt einen tröstlichen Ton an, indem er statt des Liebesleids die hoffnungsfrohe Weihnacht besingt: “Wie oft hat nicht zur Weihnachtszeit ein Baum von dir mich hoch erfreut.” In der letzten Strophe heißt es dann: “O Tannenbaum, dein Kleid will mich was lehren: die Hoffnung und Beständigkeit giebt Kraft und Trost zu jeder Zeit.”
Wie schon Zarnack unterlegte auch Anschütz seinem Tannenbaumlied die erstmals 1799 im Druck erschienene Melodie des Liedes “Es lebe hoch der Zimmermannsgeselle”. Mit oder ohne direkten Bezug zu Anschütz werden zu dieser Melodie zahlreiche Texte gesungen. Etwa die Hymne “The Red Flag” der britischen Labour Party oder die Hymne von Maryland und anderen US-Bundesstaaten. Im Ersten Weltkrieg gab es die Version “O Hindenburg, o Hindenburg, wie schön sind deine Siege”. Nach der Niederlage und der Abdankung Wilhelms II. kam das Spottlied auf: “O Tannenbaum, o Tannenbaum, der Kaiser hat in Sack gehaun.”
Ein edler Zweig
Der Gesang vom immergrünen Tannenbaum hat eine lange Tradition. Zarnack übernahm ihn aus einem Kinderlied, das Clemens Brentano im dritten Band der Liedersammlung “Des Knaben Wunderhorn” (1808) veröffentlicht hatte: “O Tannebaum, o Tannebaum, du bist mir ein edler Zweig, so treu bist du, man glaubt es kaum, grünst sommers und winters gleich.” Brentano wiederum ließ sich von einem alten schlesischen Volkslied anregen, in dem es heißt: “O Tonnabaum, o Tonnabaum, du bist ein edles Reis. Du grunest in dem Winter, so wie zur Sommerzeit.” Der Coburger Hofkomponist Melchior Franck (1579-1639) textete seinerzeit: “Ach Tannenbaum, ach Tannenbaum, du bist ein edler Zweig! Du grünest uns den Winter, die liebe Sommerzeit.” Diese Fassung deckt sich, abgesehen von den Anfangsworten “O Tanne”, mit einer Strophe des aus dem 16. Jahrhundert stammenden Liebeslieds “Es hing ein Stallknecht seinen Zaum gar hoch in einen Tannenbaum”.
Auf Initiative von Goldlauter-Heidersbachs Ortsteilbürgermeister Matthias Gering und seiner Mitstreiter bringt die Deutsche Post im Dezember die Sondermarke “200 Jahre Weihnachtslied O Tannenbaum” heraus. Es gelang den Initiatoren leider nicht, eine Nennung von Ernst Anschütz auf der Marke unterzubringen. Und so bleibt die öffentliche Würdigung von Anschütz ein Alleinstellungsmerkmal seines Heimatortes. Vor dem Pfarrhaus, in dem er geboren wurde, steht ein Gedenkstein. Dessen Metallrelief verzeichnet die berühmtesten Lieder von Anschütz und präsentiert uns sein Porträt. Die Vorlage dafür war das Bildnis, das Willibald Ryno Anschütz um 1830 von seinem Vater malte. Am Pfarrhaus endet zudem der Anschütz zu Ehren eingerichtete Liederwanderweg, der auf vier Kilometern bergauf und bergab rund um das am Südhang des Thüringer Waldes gelegene Goldlauter führt. Er hat sechs Stationen, die zum Gesang einladen. Die Liedtexte stehen auf Tafeln. Per App kann man die zugehörige Melodie aufrufen. Die Station vor dem Pfarrhaus ermuntert zum Singen von “O Tannenbaum”.
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