Rechts oder links?

Links wird gleichgesetzt mit Fortschritt und sozialer Gerechtigkeit, rechts hingegen mit rückwärtsgewandter Konservativität und kalter Wirtschaftsgläubigkeit. Doch das ist Blödsinn, schreibt Peter Schallenberg

Quelle
Peter Schallenberg

26.10.2024

Peter Schallenberg

Diese Kolumne heißt neuerdings “Der kapitalistische Samariter”. Was kann das heißen? Seit Monaten wird in der politischen Debatte diskutiert, ob eine Partei oder ein politisches Denken rechts oder gar rechtsextrem sei, und das ist natürlich in den Augen vieler abstoßend und hässlich. Viel lieber ist man links als rechts, und von linksextremem Denken ist in der Öffentlichkeit kaum die Rede. Dies gilt auch für den Sozialstaat und für Sozialpolitik: Links wird gleichgesetzt mit Fortschritt und sozialer Gerechtigkeit, rechts hingegen mit rückwärtsgewandter Konservativität und kalter Wirtschaftsgläubigkeit.

Das ist, um es kurz zu sagen, in meinen Augen Blödsinn. Und zwar sowohl historisch wie systematisch betrachtet. Historisch: Unsere heutige Unterscheidung von links und rechts geht ursprünglich auf die Sitzordnung in der französischen Nationalversammlung und im Jakobinerconvent nach der französischen Revolution zurück; rechts vom Präsidium aus saßen die gemäßigten, links die radikalen Jakobiner. Im Hintergrund standen Rousseau und seine Frage: Woher kommt die Ungleichheit unter den Menschen, und wie kann sie entweder gemäßigt ausgeglichen oder radikal ausradiert werden?

Staat oder Person – die eigentliche Entscheidung

Daraus erwuchsen zwei Konzepte der Politik: ein gemäßigter Liberalismus, auch als christlich-soziale Politik ab dem späten 19. Jahrhundert, und ein radikaler Sozialismus, auch als Kommunismus. Erst die menschenverachtende Ideologie Hitlers und des Nationalsozialismus brachte die endgültige Verunglimpfung der rechten, liberalen Politik, da der Nationalsozialismus sich rechts vom linken Kommunismus positionierte. Seitdem gilt rechts als böse und links als gutmütig.

Und systematisch: In Wirklichkeit geht es immer nur um die Frage: Wem gebührt Vorrang und Freiheit der Entscheidung: der Person oder dem Staat? Wer hier mit Staat antwortet, neigt zu totalitärer Politik. Wer sich für die Person entscheidet, will einen starken, aber schlanken Staat, der zu gleichen Teilen fordert (zu Arbeit) und fördert (durch Bildung und Gesundheit), aber wenig in private Entscheidungen (außer bei Grundwerten) eingreift, und der nicht Forderung durch öffentliche Alimentierung (Bürgergeld) aushebelt. Das aber ist weder rechts noch links, sondern schlicht und einfach dem eigentlichen Kapital des Staates angemessen: der Person! Und diese wird gefördert durch den Samariter, damit sie nach der Genesung im Wirtshaus wieder gefordert werden kann.

Der Autor ist Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie und Christliche Sozialwissenschaften an der Theologischen Fakultät Paderborn. Er ist Konsultor des Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen im Vatikan. 2021 erschien von ihm “Gut besser Gott. Moralische Grundbegriffe” (Bonifatius). Foto: KNA

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