Vatikanische Reisediplomatie zeigt Wirkung

Studie zu Papstreisen – Eine Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Papstbesuche die Menschenrechtslage eines Landes verbessern können

Quelle
Kuba (21.-26. Januar 1998) | Johannes Paul II. (vatican.va)
Apostolische Reise nach Mexiko und in die Republik Kuba – Programm (23.-29. März 2012) | BENEDIKT XVI. (vatican.va)
Apostolische Reise des Heiligen Vaters nach Kuba und in die USA, sowie Besuch bei den Vereinten Nationen (19.-28. September 2015) | Franziskus (vatican.va)

07.09.2024

Thomas Philipp Reiter

Der politische Wirkmechanismus ist ziemlich einfach: Großveranstaltungen erzielen mediale Aufmerksamkeit, denn wo Pressevertreter erwartungsgemäß genauer hinsehen, wollen sich Gastgeber von ihrer besten Seite zeigen und versuchen Medienberichte über Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden. Die beste Vermeidungsstrategie ist, die Lage der Menschenrechte wirklich zu verbessern.

Was zum Beispiel bei Olympischen Spielen jedoch gar nicht oder nur bedingt funktioniert hat (Berlin 1936, Moskau 1980, Peking 2008), bei Fußballweltmeisterschaften hingegen schon eher (Katar 2022), scheint bei Apostolischen Reisen des Heiligen Vaters tatsächlich einzutreten: Steht ein Land im Fokus erhöhter medialer Aufmerksamkeit, tut die entsprechende Regierung im Vorfeld und hernach mehr für den Schutz der Menschenrechte.

Papstbesuche verbessern also die Menschenrechtslage eines Landes, zu diesem Schluss kommt jedenfalls eine Studie der beiden Forscher Prof. Dr. Jerg Gutmann von der Universität Hamburg und Dr. Marek Endrich von der Freien Universität Brüssel. Die Ergebnisse des Teams wurden bereits im März dieses Jahres in der Fachzeitschrift “Comparative Political Studies” veröffentlicht.

Als der Papst kam, entließ Kuba politische Gefangene

Bevor zum Beispiel Papst Johannes Paul II. 1998 nach Kuba kam, erstellte der Vatikan eine Liste der zu entlassenden politischen Gefangenen des kommunistischen Landes. Etwa die Hälfte von ihnen wurde noch während oder wenigstens kurz nach dem Besuch freigelassen. Vor den Papstbesuchen 2012 und 2015 ließ die kubanische Regierung rund 3 000 Gefangene frei, unmittelbar nachdem die Papstreise öffentlich angekündigt worden war.

Die mit “Pacem in Terris” (Friede auf Erden) überschriebene Studie kommt demnach zu dem Ergebnis, dass Papstbesuche grundsätzlich eine gute Nachricht für die Menschenrechte sind. Der Titel war auch nicht zufällig gewählt worden, sondern bezieht sich konkret auf die gleichnamige Enzyklika von Papst Johannes XXIII. aus dem Jahre 1963, in der die Bedeutung der Menschenrechte explizit hervorgehoben wurde. Diese päpstliche Zielsetzung wurde durch den Vatikan mit der Erklärung “Dignitas infinita” (Unendliche Würde) in diesem Jahr noch einmal ausdrücklich unterstrichen.

Papstbesuche wirken sich auf Menschenrechtsbilanz aus

Das Engagement für die Menschenrechte habe der katholischen Kirche die Möglichkeit gegeben, eine Identität als Verteidigerin gesellschaftlicher Interessen zu entwickeln, hoben die beiden Forscher seinerzeit hervor. Um zu verstehen, wie sich Papstreisen auf die Menschenrechte im Gastgeberland auswirken, untersuchten sie die strategische Interaktion zwischen der katholischen Kirche und den jeweils besuchten Staaten. Ihre Theorie ist, dass der Papst auf Reisen Lob oder Kritik ausdrückt, in der Hoffnung, Regierungen zu ermutigen, ihre eigene Menschenrechtsbilanz noch vor seiner Ankunft zu verbessern.

Um diese Theorie zu überprüfen, analysierten Gutmann und Endrich alle 283 Reisen außerhalb Italiens der vier Päpste seit 1964, von Paul VI. bis Franziskus. Berücksichtigt wurden alle Länder, zu denen Daten der Menschenrechtslage vorlagen. Der Untersuchungszeitraum endete mit dem Jahr 2019, also noch vor der Corona-Pandemie. Die Analyse konnte aufzeigen, dass der Schutz der Menschenrechte vor dem Papstbesuch deutlich zugenommen hatte. “Dies lässt sich dadurch erklären, dass internationale Medienberichte rund um die Zeit der Papstbesuche intensiver auf die Menschenrechtssituation im Gastland eingehen als in anderen Zeiträumen”, erklärte Gutmann bei der Veröffentlichung seiner Studie.

Win-Win für Vatikan und Zielland

Ein Grund dafür sei, dass die katholische Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das im Oktober 1962 begann, den internationalen Schutz der Menschenrechte zu einem ihrer Hauptziele gemacht hat. Ein sogenannter “Win-Win-Effekt” für beide Seiten. Denn nicht nur für die katholische Kirche selbst ist jede Papstreise ein Kommunikationsanlass, der in der Regel schöne Bilder und gute Nachrichten produziert. Auch für die Regierungen der jeweiligen Länder kann sie sich auszahlen: Ein Lob des Heiligen Vaters über eine gute Menschenrechtsbilanz oder Zugeständnisse zu Verbesserungen vor dem Besuch stärke die Legitimität und unterstütze sogar eine mögliche Amtszeitverlängerung.

Auch das internationale Ansehen des Besuchsziels nehme durch die Anwesenheit des Pontifex zu, was mit Effekten unter anderem für den Tourismus verbunden ist. Die empirische Studie konnte allerdings nur in Demokratien nachhaltige Verbesserungen nachweisen. Testfälle aus Autokratien zeigten jedoch, dass die Regierungen solcher Gastländer vor den Papstbesuchen zwar strategische Zugeständnisse in Bezug auf die Menschenrechte machten, nicht nur in Kuba, sondern zum Beispiel auch in den 1980er und 1990er Jahren, als der Papst unter anderem die Philippinen besuchte, aber im Nachhinein sich die Lage nicht signifikant verbesserte.

Indonesien macht Rückschritte bei Demokratie und Menschenrechten

Nun wird sich niemand um die Situation der Menschenrechte im Großherzogtum Luxemburg oder dem Königreich Belgien, wohin Papst Franziskus vom 26. bis 27. September reist, Sorgen machen, auch wenn in beiden konstitutionellen Monarchien die Staatsoberhäupter nicht gewählt werden. Doch vom 2. bis 13. September besucht er noch Indonesien, Papua-Neuguinea, Osttimor und Singapur.

In Indonesien sind nach der geglückten Niederschlagung der Suharto-Diktatur 1998 seit Jahren wieder Rückschritte bei Demokratie und Menschenrechten zu beklagen. Ähnlich schwierig ist es in Papua-Neuguinea, Osttimor leidet unter Korruption und struktureller häuslicher Gewalt gegen Frauen, Singapur verhängt und vollstreckt nach wie vor Todesstrafen. Viel zu tun in Sachen Menschenrechte für den reisenden Papst.

Der Vorbericht des Autors zum Papstbesuch in Luxemburg und Belgien ist bei Radio Horeb nachzuhören unter: https://www.horeb.org/mediathek/podcasts/wochenkommentar/

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