Netanyahus Geisel-Dilemma

Nach der Ermordung weiterer Geiseln durch die Hamas gerät der israelische Ministerpräsident immer stärker unter Druck. Nun ist Größe gefragt

Quelle

04.09.2024

Guido Horst

Die Lage Israels könnte kaum dramatischer sein. Die von den Hamas-Terroristen am Wochenende exekutierten sechs jungen Geiseln haben in Tel Aviv und Jerusalem eine schockierte wie wütende Masse auf die Straßen gebracht. Dass eines der Opfer, der 23 Jahre alte Hersh Goldberg-Polin, ganz oben auf der Liste derer stand, die man bei den Vermittlungsgesprächen in Doha und Kairo der Hand der Mörderbande entreißen sollte, hat auch in den USA für Entsetzen gesorgt. Die Mutter des aus Amerika nach Israel ausgewanderten Juden hatte beim Nominierungsparteitag der Demokraten in Chicago gesprochen und den Papst eingeschaltet. Doch dann musste sich der israelische Staatspräsident Jitzchak Herzog bei der Familie entschuldigen, dass man den jungen Einwanderer nicht habe beschützen können.

Netanyahus Sturheit spaltet das Land

Wegen der harten Linie Benjamin Netanyahus ist das Verhältnis zwischen ihm und Joe Biden fast zerrüttet. Und tatsächlich schafft es der israelische Ministerpräsident nicht, bei seinen Landsleuten und den Verbündeten den Eindruck zu erwecken, dass er wirklich an der Freilassung der Geiseln interessiert ist. Stattdessen hält er an seinen Forderungen fest, etwa was die Kontrolle des Philadelphi-Korridors durch israelische Soldaten betrifft. Netanyahus Sturheit spaltet die Regierung, ja das ganze Land, und das Lager der ausländischen Verbündeten.

Aber genau deswegen wird die Hamas die Geisel-Karte weiterspielen. Jeder weitere Leichensack mit einer getöteten Geisel spaltet Israel zusätzlich. Netanyahu müsste flexibler sein. Die Zerschlagung der islamistischen Terrororganisation Hamas wird Jahre in Anspruch nehmen. Diese Zeit haben die Geiseln nicht. Natürlich ist es ein Riesen-Dilemma, vor dem der israelische Regierungschef steht. Zumal auf Forderung der Hamas einzugehen bedeuten würde, seine Regierungskoalition und das eigene politische Schicksal aufs Spiel zu setzen. Doch jetzt ist Größe gefragt, die Netanyahu zeigen müsste.

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