Für eine Politik mit Prinzipien

Das Parteienspektrum ändert sich. Orientierung kann hier die zentrale Figur des politischen Katholizismus geben: Ludwig Windthorst

Quelle
Ludwig Windthorst – Wikipedia

26.09.2024

Sebastian Sasse

Am Sonntagabend stellte der Moderator der traditionellen “Berliner Runde” launig fest, dass die Stühle immer mehr werden würden. Zu Bonner Zeiten saßen beim gleichen Termin die Vertreter von CDU/CSU, SPD und FDP, Anfang der 1980er kamen die Grünen hinzu, dann schließlich die PDS.

Jetzt versammelten sich inklusive AfD und BSW acht Personen in der Runde, langsam gibt es Platz-Probleme im Studio. Die Bemerkung  sollte witzig klingen, aber in ihr spiegelte sich die Unsicherheit wider, die viele umtreibt: Das Parteienspektrum ändert sich umwälzend, das ist allen klar. Aber wie ist das zu deuten? Grund zur Hoffnung oder doch eher Grund zur Sorge?

Diese Fragen treiben auch viele Christen um. Eigentlich sind sie Spezialisten für Krisen, also für Wendepunkte. Denn da, wo alle anderen hektisch werden, weil ihre Weltbilder umstürzen, da können Christen aus der Zuversicht heraus handeln, dass derjenige, auf den sie ihren Glauben gründen, immer der Gleiche ist. So steht es zumindest im Lehrbuch. In der Praxis freilich hinterlässt die politische Lage auch bei Christen Spuren.

Die zentrale Gründergestalt des politischen Katholizismus in Deutschland

Das gilt auch für lehramtstreue Katholiken. In dieser Situation kann die Erinnerung an einen Mann helfen, den Golo Mann einmal den bedeutendsten deutschen Parlamentarier genannt hat und der die zentrale Gründergestalt des politischen Katholizismus in unserem Land ist: Ludwig Windthorst (1812-1891). Bekannt ist der Führer der katholischen Zentrumspartei in den ersten Jahrzehnten des Kaiserreiches vor allem als Gegenspieler Bismarcks. Der Historiker Rainer F. Schmidt hat ihn kürzlich einen “Prinzipienpolitiker” genannt.

Der Reichskanzler habe anders als Windthorst nicht an die politische Wirkkraft von Prinzipien geglaubt, sondern lediglich an Interessen. Das Hauptinteresse, in der Innen- wie in der Außenpolitik, ist Macht. Letztlich geht es dann darum, für das eigene Lager die Macht zu sichern und möglichst viel von dem, was man politisch wünscht, erfüllt zu bekommen. Das ist grundsätzlich auch nicht falsch. Aber wer allein in diesem Mechanismus verharrt, der mag vielleicht eine Zeit lang im machtpolitischen Spiel glänzen (siehe Bismarck), aber auf Dauer richtet er seine Politik nicht auf das Gemeinwohl aus. Am Ende geht es nur um die Durchsetzung der Lageregoismen.

Gemeinsame Feinde, nicht gemeinsame Prinzipien bestimmen die Lager

Freilich, das ist häufig zu beobachten, halten die Vertreter dieser Richtung ihre Lagerinteressen irgendwann für das Gemeinwohl. Dieser Gefahr erlag Windthorst nicht, dank seiner Prinzipien. Am besten drücken diese sich in dem alten Zentrums-Slogan “Für Wahrheit, Freiheit, Recht” aus. Ein charakteristisches Beispiel ist Windthorsts Einsatz gegen Antisemitismus (seine Reichstagsreden sind heute wieder höchst lesenswert). Auch wenn ihm das im damaligen katholischen Milieu nicht überall Freunde machte, gerade bei denen nicht, die Anschluss an das damalige konservative Lager suchten. Ihm war aus der Erfahrung des “Kulturkampfes” klar: Wer für die Religionsfreiheit der Katholiken eintritt, muss auch für die Religionsfreiheit der Juden kämpfen.

Auch heute gibt es angesichts der Unübersichtlichkeit bei manchen Christen wieder die Sehnsucht, eine Heimat in einem politischen Lager zu finden. Vor allem in Richtung rechts der Mitte schielen manche. Sie sollten nicht vergessen: Die aktuellen politischen Lager werden vor allem durch gemeinsame Feinde geformt, nicht durch gemeinsame Prinzipien. Gemeinsame Feindschaften erzeugen vielleicht kurzfristige Übereinstimmungen in politischen Interessen. Wer langfristig denkt, muss aber auf Prinzipien setzen. Nur sie sorgen für echte politische Souveränität.

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