Unser Sonntag: Das Menschsein Jesu ist fundamental

Erst sind die Menschen außer sich vor Staunen, meint Pater Lukasz Steinert. Dann versuchen sie Ihn wieder in ihre gesellschaftlichen Schemata einzuordnen, auf den gemeinsamen Nenner zu bringen. Sie wollen sich diesen Jesus durch bekannte Muster erklären und somit vom Leibe halten

Quelle
Unser Sonntag: Im Juli mit P. Lukasz Steinert OCD – Vatican News
Nazareth
Teresa von Avila

Pater Lukasz Strytz-Steinert OCD, Rom

Vierzehnter Sonntag – im Jahreskreis B – Mk 6, 1b–6

Im Evangelium von diesem Sonntag hören wir, wie Jesus seine Heimatstadt Nazareth besucht. Der Evangelist Markus schreibt, dass seine Jünger, die ihm folgen, mit ihm nach Nazareth kommen.

Wenn wir heute das Evangelium gläubig betrachten, dann sind wir es, die Jesus bei seinem Besuch in seiner Heimatstadt begleiten und die Ereignisse dort beobachten. Oder sind wir vielleicht die Seinen, die Jesus besuchen kommt? Menschen also, die Jesus zuerst begeistert aufnehmen, dann aber gereizt und ablehnend auf seine Gegenwart in ihrer Mitte reagieren.

Was geschieht also in der Heimatstadt Jesu?

Fangen wir von vorne an. Der Evangelist Markus erzählt in seinem Evangelium, wie Jesus in Galiläa als Wanderprediger unterwegs ist und das Reich Gottes verkündet. Jesus lehrt in den Synagogen und spricht dabei in Gleichnissen über die verborgene und doch so reale Gegenwart Gottes unter den Menschen. Er beruft seine Jünger, die mit ihm umherziehen und seine neue Familie bilden. Er heilt Kranke, tut den Menschen Gutes und ja, er hat gerade – davon haben wir am letzten Sonntag gehört – ein totes Mädchen, die Tochter des Jairus, von den Toten auferweckt. Sein Auftreten, die Kraft seiner Worte und seine Taten ziehen die Menschen in seinen Bann.

“Da, wo Jesus ist, dort ist Gottes Gegenwart zum Greifen nahe.”

Was fasziniert sie, was zieht sie an? Jesus bringt es auf den Punkt, indem er sagt: Das Reich Gottes ist nahe. Da, wo Jesus ist, dort ist Gottes Gegenwart zum Greifen nahe.

Und nun kommt er in seine Heimatstadt Nazareth, wo er aufgewachsen ist und wo seine Verwandten leben.
Von einer Stadt nach heutigen Maßstäben zu sprechen, wäre in diesem Fall allerdings übertrieben. Zu Jesu Zeiten war Nazareth ein sehr überschaubares Dorf. Man kannte sich, man wusste voneinander, es gab klare Verhältnisse. Der Ruhm Jesu wird die Menschen in Nazareth bereits erreicht haben.

Jesus hatte in Galiläa eine gewisse Prominenz

Um es etwas salopp zu formulieren: Jesus hat in Galiläa eine gewisse Prominenz erlangt. Sie werden von seinem Auftreten gehört haben, von seinen Worten und Taten, die so viel Aufsehen erregten. Sie sind gewiss stolz auf ihn, denn ein wenig von seinem Glanz strahlt auch auf die Heimatgemeinde ab. Und man ist neugierig, was aus ihm geworden ist, denn er ist doch einer von uns, unser Junge.
Und jetzt ist er da. Auch in Nazareth, wie in anderen Städten und Dörfern, kommt er am Sabbat in die Synagoge, um zu lehren. Die Menschen haben sich voller Erwartung versammelt… Und ja, Jesus liefert. Es ist unglaublich, wie ER redet und was durch IHN geschieht. Die Menschen sind außer sich vor Staunen!

Die Stimmung kippt…

Aber plötzlich kippt die Stimmung. Das anfängliche Staunen schlägt in Ablehnung um. Eine öffentliche Demontage der Person Jesu setzt ein.
Die Menschen in Nazareth lehnen Jesus ab. Sie weigern sich, ihm zu glauben, und Er kann bei ihnen kaum etwas bewirken. Jesus wundert sich über ihren Unglauben und zieht weiter.

Aber warum ist “nirgends ein Prophet ohne Ansehen außer in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie?”
Wenn man es nüchtern betrachtet, kann man es auch positiv sehen. Als Ordenspriester lebe ich in Gemeinschaft mit anderen Mitbrüdern, die predigen oder Theologie lehren. Und so weiß ich aus eigener Erfahrung, dass es viel leichter ist, als Priester und Theologe vor Menschen zu glänzen, die mich nicht kennen.

“Es ist etwas ganz anderes, vor Menschen, die meinen Alltag teilen, über das Evangelium zu sprechen”

Aber es ist etwas ganz anderes, vor Menschen, die meinen Alltag teilen, über das Evangelium zu sprechen. Sie nehmen mir nicht gleich alles ab. Sie vergleichen meine Worte mit meinem Leben und fragen, ob ich es wirklich so meine und glaube. Das ist manchmal nervig und mühsam. Aber diese Nüchternheit ist heilsam. Sie befreit uns von Illusionen, sie konfrontiert uns mit der Wahrheit über die Realität unseres Lebens und über uns selbst. Diese Wahrheit als das Fundament zu akzeptieren, auf dem wir stehen, nennt man Demut. Sie mag unbequem sein, aber als Christ und besonders als Verkünder des Evangeliums kann man sich nichts Besseres wünschen. Deshalb ist das christliche Leben auch kein Einzelgängerleben. Eine gewisse Beheimatung in einer Glaubensgemeinschaft ist essenziell.

Jesus bringt Gott – und damit die Wahrheit über uns

Jesus muss aber nicht von Illusionen befreit werden. Er befreit uns von Illusionen. Denn Jesus will die Menschen von Nazareth nicht bespaßen oder dem Hype um einen berühmt gewordenen Sprössling eine religiöse Weihe verpassen. Er bringt Gott und damit bringt er die Wahrheit über uns, über unser Leben und über unser Miteinander. Sein Menschsein ist wahrhaftig, heilig, schön, liebend. Das Leben kann also so sein, wie wir es an Ihm ablesen können. Es ist ein Angebot, eine Möglichkeit, ein Ruf: Das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um.

Und wahrscheinlich haben es die Menschen von Nazareth besonders stark gespürt. Durch ihre besondere Nähe zu Jesus, zu einem von ihnen, haben sie besser als alle anderen geahnt, was sich in ihrer Mitte ereignet. Die Nähe der Gottesherrschaft in der Person Jesu hat ihre Herzen und ihre tiefste Sehnsucht berührt – und dadurch auch herausgefordert, ja, gereizt.

Sie wollen sich Jesus vom Leibe halten

Und so versuchen sie Ihn wieder in ihre gesellschaftlichen Schemata einzuordnen, auf den gemeinsamen Nenner zu bringen. Sie wollen sich diesen Jesus durch bekannte Muster erklären und somit vom Leibe halten.

Und wir? Sehnen wir uns nach einem nahen und liebenden Gott? Dann müssen wir aber auch damit rechnen, dass es eine läuternde und bisweilen schmerzliche Nähe ist. So kommt Gott, der Liebe ist, in unser Leben, um bei uns zu sein.

Unter den Heiligen hat es besonders stark die heilige Teresa von Avila erfahren. Ihre lebendige und vertrauliche Beziehung zu Jesus hat sie gerne als Freundschaft beschrieben. Jesus war für sie ein guter Freund, den sie immer an ihrer Seite wusste. Ein Freund, auf dessen Gegenwart und Hilfe sie immer zählen konnte.

Teresa von Avila ermutigt, immer bei Jesus zu sein

Und so ermutigt sie jeden, immer bei Jesus zu sein, mit ihm zu sprechen, ihm alle Probleme anzuvertrauen, sich über Schwierigkeiten zu beklagen und “in glücklichen Stunden sich mit ihm zu freuen und ihn deswegen nicht zu vergessen” (Vida 12,2).
Besonders stark empfand Teresa von Avila diese vertraute Nähe mit Gott im Gebet. Beten ist nach ihr “nichts anderes als Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, dass er uns liebt”. (Vida 8,5)
Ein wesentliches Merkmal guter Freundschaft ist allerdings, dass man aufeinander abgestimmt ist. Freundschaft setzt eine gewisse Gleichheit voraus. Kann das aber zwischen Gott und Mensch funktionieren? Sind nicht der allmächtige Gott und wir normale sterbliche Menschen von Grund auf verschieden?

“Um uns nahe zu sein, hat sich Gott uns angeglichen. Er ist Mensch geworden, unser Bruder und unser Freund. Wie in Nazareth”

Für die heilige Teresa ist deswegen das Menschsein Jesu so fundamental. Um uns nahe zu sein, hat sich Gott uns angeglichen. Er ist Mensch geworden, unser Bruder und unser Freund. Wie in Nazareth: Er kommt uns sehr nahe. Er beschenkt uns mit seiner Nähe.
Jesus zeigt uns, was es bedeutet, Mensch zu sein. Das kann unser Denken und Handeln auch in Frage stellen und provozieren. Die Menschen in Nazareth hat Jesus provoziert.

Jesus als guter Freund

Aus diesem Grund bringt die Nähe auch einen gewissen Schmerz. Ich muss ertragen können, dass es zwischen Jesus als Freund und mir einen Unterschied gibt, was Wahrheit und Liebe angeht. Gerade im Gebet kann es mir schmerzlich und beschämend bewusst werden.
Sollen wir deswegen auf diese Freundschaft verzichten? Die heilige Teresa ermutigt uns, auf unsere Sehnsucht nach der Nähe Gottes nicht zu verzichten und daran zu denken, wie sehr uns Jesus liebt. Dann werden wir auch “den Schmerz in Kauf” nehmen, wie sie schreibt, “viel mit jemandem zusammen zu sein, der so ganz anders ist als wir” (Vida 8,5). Und da Jesus so ein guter Freund des Menschen ist, begleitet er uns behutsam und geduldig.

Schmerz aushalten – auch im Zwischenmenschlichen

Die Freundschaft mit Jesus, diese besondere und gleichzeitig schmerzliche von Ihm geschenkte Nähe, ist also der Raum, in dem meine Liebe sich seiner Liebe angleichen und auf diese Weise wachsen kann. Und dafür können wir uns entscheiden. Wir können uns dafür im Gebet entscheiden, bei Jesus zu bleiben. Und wir können uns dafür in zwischenmenschlichen Beziehungen entscheiden: Vor Schwierigkeiten nicht sofort fliehen, einen gewissen Schmerz aushalten und dadurch als Freunde, als Brüder und Schwestern in Liebe zusammenwachsen.
Den Menschen in Nazareth hat es an Mut oder an Vertrauen gefehlt, die Nähe Gottes zuzulassen und sich von ihr verwandeln zu lassen. An diesem Sonntag kommt Er, um uns, seine Kirche zu besuchen. Schwestern und Brüder: Wie wird es ihm in seiner Heimat, unter uns ergehen?

radio vatikan – redaktion claudia kaminski, 6. Juli 2024

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