Dies Domini
Apostolisches Schreiben ‘Dies Domini’ Seiner Heiligkeit Papst Johannes Paul II. an die Bischöfe, den Klerus, die Ordensleute und an die Gläubigen – Über die Heiligung des Sonntags
Dies Domini (31. Mai 1998) | – Vollständiges Dokument
Das Jahr Johannes Pauls II: Der Dank an die Frauen wird geboren aus der Liebe zu Maria (catholicnewsagency.com)
Hl. Papst Johannes Paul II. (791)
Einführung
Verehrte Brüder im Bischofs- und Priesteramt,
liebe Schwestern und Brüder!
1. Der Tag des Herrn — wie der Sonntag seit der apostolischen Zeit (1) genannt wird — hat wegen seines engen Zusammenhanges mit dem eigentlichen Kern des christlichen Mysteriums in der Kirchengeschichte stets in hoher Achtung gestanden. Denn im Wochenrhythmus erinnert der Sonntag an den Tag der Auferstehung Christi. Er ist das wöchentliche Ostern, an dem der Sieg Christi über Sünde und Tod, die Vollendung der ersten Schöpfung in ihm und der Anbruch der “neuen Schöpfung” (vgl. 2 Kor 5,17) gefeiert wird. Er ist der Tag der anbetenden und dankbaren Beschwörung des ersten Tages der Welt und zugleich in der eifrigen Hoffnung die Vorwegnahme des “letzten Tages”, an dem Christus in Herrlichkeit wiederkommen (vgl. Apg 1,11; 1 Thess 4,13-17) und “alles neu machen” wird (vgl. Offb 21,5).
Auf den Sonntag paßt daher gut der Freudenruf des Psalmisten: »Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat; wir wollen jubeln und uns an ihm freuen« (Ps 118, 24). Diese Einladung zur Freude, die sich die Osterliturgie zu eigen macht, weist Anzeichen jenes Staunens auf, von dem die Frauen ergriffen wurden, die bei der Kreuzigung Christi zugegen gewesen waren und, als sie »am ersten Tag nach dem Sabbat in aller Frühe« (Mk 16,2) zum Grab gekommen waren, dieses leer fanden. Es ist die Einladung, irgendwie die Freude der Emmausjünger nachzuerleben, die spürten, wie ihnen »das Herz in der Brust brannte«, als der Auferstandene sich unterwegs zu ihnen gesellte, ihnen die Schrift erklärte und sich zu erkennen gab, »als er das Brot brach« (vgl. Lk 24,32.35). Es ist das Echo der zuerst zögerlichen und dann überwältigenden Freude, welche die Apostel am Abend jenes gleichen Tages empfanden, als der auferstandene Jesus in ihre Mitte trat und sie das Geschenk seines Friedens und seines Geistes empfingen (vgl. Joh 20,19-23).
2. Die Auferstehung Jesu ist das Ursprungsereignis, auf dem der christliche Glaube beruht (vgl. 1 Kor 15,14): wunderbare Wirklichkeit, die ganz im Lichte des Glaubens aufgenommen, die aber von jenen, die den auferstandenen Herrn sehen durften, historisch bezeugt ist. Sie ist ein wundervolles Ereignis, das sich nicht nur auf absolute Weise in der Geschichte der Menschen auszeichnet, sondern im Zentrum des Geheimnisses der Zeit steht. Denn Christus ist Herr »der Zeit und der Ewigkeit«: daran erinnert uns in der eindrucksvollen Osternachtliturgie der Ritus der Bereitung der Osterkerze. Dadurch, daß sie nicht nur einmal im Jahr, sondern an jedem Sonntag des Auferstehungstages Christi gedenkt, will die Kirche also jede Generation auf die tragende Achse der Geschichte hinweisen, auf die sich das Geheimnis des Anfangs der Welt wie das ihrer endgültigen Bestimmung zurückführen lassen.
Man kann daher mit Recht, wie es die Homilie eines Autors aus dem 4. Jahrhundert tut, vom »Tag des Herrn« als dem »Herrn der Tage« sprechen.(2) Alle, denen die Gnade, an den auferstandenen Herrn zu glauben, zuteil wurde, können nicht umhin, die Bedeutung dieses Wochentages mit der lebhaften Gefühlsregung zu erfassen, die den hl. Hieronymus zu den Worten veranlaßte: »Der Sonntag ist der Tag der Auferstehung, er ist der Tag der Christen, er ist unser Tag«.(3) Der Sonntag ist in der Tat für uns Christen der »Ur-Feiertag«,(4) der nicht nur dazu bestimmt ist, der Abfolge der Zeit einen festen Rhythmus zu geben, sondern ihren tiefen Sinn zu enthüllen.
3. Die in zweitausend Jahren Geschichte stets anerkannte grundlegende Bedeutung des Sonntags wurde vom II. Vatikanischen Konzil nachdrücklich unterstrichen: »Aus apostolischer Überlieferung, die ihren Ursprung auf den Auferstehungstag Christi zurückführt, feiert die Kirche Christi das Paschamysterium jeweils am achten Tage, der deshalb mit Recht Tag des Herrn oder Sonntag genannt wird«.(5) Paul VI. hat diese Bedeutung aufs neue hervorgehoben mit der Approbation des neuen römischen liturgischen Kalenders und der allgemeinen Normen für die Ordnung des Kirchenjahres.(6 )Während das Heranrücken des dritten Jahrtausends die Gläubigen dazu auffordert, im Lichte Christi über den Gang der Geschichte nachzudenken, sind sie auch eingeladen, mit neuer Kraft den Sinn des Sonntags wiederzuentdecken: sein »Geheimnis«, den Wert seiner Feier, seine Bedeutung für das christliche und menschliche Dasein.
Mit Genugtuung nehme ich Kenntnis von den vielfältigen lehramtlichen Interventionen und pastoralen Initiativen in der Zeit nach dem Konzil, welche Ihr, verehrte Mitbrüder im Bischofsamt, sowohl als einzelne wie gemeinschaftlich — und mit Unterstützung von seiten Eures Klerus — zu diesem Thema entfaltet habt. An der Schwelle des Großen Jubiläums des Jahres 2000 möchte ich Euch dieses Apostolische Schreiben anbieten, um Euer pastorales Engagement in einem so lebenswichtigen Bereich zu unterstützen. Aber zugleich möchte ich mich an Euch, liebe Gläubige, wenden und mich gleichsam geistig in den einzelnen Gemeinden einfinden, wo Ihr Euch jeden Sonntag mit Euren Hirten versammelt, um die Eucharistie und den »Tag des Herrn« zu feiern. Viele der Überlegungen und Gefühle, die in diesem Schreiben lebendig werden, sind während meines bischöflichen Dienstes in Krakau und dann, nach der Übernahme des Amtes des Bischofs von Rom und Nachfolgers Petri, bei den Besuchen der römischen Pfarreien, die ich regelmäßig an den Sonntagen der verschiedenen Zeiten des Kirchenjahres durchführe, in mir herangereift. So ist es mir, als würde ich in diesem Brief den lebendigen Dialog, den ich gerne mit den Gläubigen halte, weiterführen, indem ich mit Euch über den Sinn des Sonntags nachdenke und unterstreiche, warum er auch unter den neuen Gegebenheiten unserer Zeit als wahrer »Tag des Herrn« gefeiert werden soll.
4. Es kann nämlich niemandem entgehen, daß bis vor kurzem die »Heiligung« des Sonntags in den Ländern mit christlicher Tradition erleichtert wurde durch eine breite Beteiligung der Bevölkerung und durch die Organisation der zivilisierten Gesellschaft, die in den die verschiedenen Erwerbstätigkeiten betreffenden gesetzlichen Bestimmungen die Sonntagsruhe als feststehend vorsah. Heutzutage aber hat gerade in den Ländern, deren Gesetze den Feiertagscharakter dieses Tages festschreiben, die Entwicklung der sozio-ökonomischen Verhältnisse häufig zu tiefgreifenden Veränderungen des kollektiven Verhaltens und infolge davon der Gestaltung des Sonntags geführt. Es hat sich weithin die Praxis des »Wochenendes« durchgesetzt als wöchentliche Zeit der Entspannung, die möglichst weitab vom ständigen Wohnsitz verbracht werden soll und häufig gekennzeichnet ist durch die Teilnahme an kulturellen, politischen oder sportlichen Aktivitäten, die im allgemeinen eben auf die Feiertage fallen. Es handelt sich dabei um ein gesellschaftliches und kulturelles Phänomen, das in dem Maße, in dem es mit der Achtung echter Werte zur menschlichen Entwicklung und zum Fortschritt des sozialen Lebens insgesamt beizutragen vermag, sicher nicht ohne positive Elemente ist. Dieses entspricht nicht nur der Notwendigkeit, Ruhe zu finden, sondern auch dem Bedürfnis »zu feiern«, was dem Menschen angeboren ist. Wenn aber der Sonntag seinen ursprünglichen Sinn verliert und er auf ein reines »Wochenende« reduziert wird, kann es geschehen, daß der Mensch nicht mehr den »Himmel«(7) sehen kann, weil er in einem so engen Horizont eingesperrt ist. So ist er unfähig, zu feiern, auch wenn er eine Festtagsgewandung trägt.
Den Jüngern Christi ist jedenfalls aufgetragen, die Feier des Sonntags, die eine echte Heiligung des Herrentages sein muß, nicht mit dem »Wochenende« zu verwechseln, das grundsätzlich als Zeit der Ruhe und des Vergnügens verstanden wird. In diesem Zusammenhang bedarf es dringend einer authentischen geistlichen Reife, die den Christen hilft, in voller Übereinstimmung mit der Gabe des Glaubens »sie selbst zu sein«, immer bereit, Rechenschaft zu geben über die Hoffnung, die sie erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15). Das muß auch ein tieferes Verständnis des Sonntags mit sich bringen, um ihn auch in schwierigen Situationen in voller Fügsamkeit gegenüber dem Heiligen Geist leben zu können.
5. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die heutige Lage ziemlich bunt. Da gibt es einerseits das Beispiel einiger junger Kirchen, die beweisen, mit wieviel Eifer sich sowohl in den Städten wie in den verstreutesten Dörfern Menschen zur Feier des Sonntags motivieren lassen. Im Gegensatz dazu ist in anderen Gegenden wegen der erwähnten soziologischen Schwierigkeiten und vielleicht auch wegen fehlender starker Glaubensmotivationen ein außergewöhnlich niedriger Prozentsatz bei der Anzahl der Besucher der Sonntagsmesse festzustellen. Im Bewußtsein vieler Gläubigen scheint nicht nur der Sinn für den zentralen Charakter der Eucharistie abzunehmen, sondern sogar für die Pflicht, dem Herrn dankzusagen durch das gemeinsame Gebet mit den anderen innerhalb der kirchlichen Gemeinde.
Zu alledem kommt noch hinzu, daß nicht nur in den Missionsländern, sondern auch in den alten christlichen Ländern wegen des Priestermangels mitunter die sonntägliche Eucharistiefeier nicht in jeder einzelnen Gemeinde sichergestellt werden kann.
6. Angesichts dieses Szenariums neuer Situationen und daraus sich ergebender Fragen erscheint es nötiger denn je, die tiefen Lehrbegründungen zurückzugewinnen, die dem kirchlichen Gebot zugrunde liegen, damit allen Gläubigen wirklich klar wird, daß der Sonntag im christlichen Leben ein unverzichtbarer Wert ist. Wenn wir das tun, bewegen wir uns auf den Spuren der immerwährenden Überlieferung der Kirche, an die das II. Vatikanische Konzil kraftvoll erinnerte, wenn es lehrte, daß am Sonntag »die Christgläubigen zusammenkommen [müssen], um das Wort Gottes zu hören, an der Eucharistiefeier teilzunehmen und so des Leidens, der Auferstehung und der Herrlichkeit des Herrn Jesus zu gedenken und Gott dankzusagen, der sie wiedergeboren hat zu lebendiger Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten (vgl. 1 Petr 1,3)«.(8)
7. In der Tat, man versteht die Pflicht, den Sonntag vor allem durch die Teilnahme an der Eucharistiefeier und durch eine von christlicher Freude und Brüderlichkeit erfüllter Ruhe zu heiligen, nur dann richtig, wenn man die vielfältigen Dimensionen dieses Tages bedenkt, auf die wir in diesem Schreiben hinweisen wollen.
Der Sonntag ist ein Tag, der das Herz des christlichen Lebens bildet. Wenn ich seit dem Beginn meines Pontifikats nicht müde werde zu wiederholen: »Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!«,(9) so möchte ich heute alle eindringlich zur Wiederentdeckung des Sonntags einladen: Habt keine Angst, Eure Zeit Christus zu geben! Ja, öffnen wir unsere Zeit für Christus, damit er sie erleuchten und lenken kann. Er kennt das Geheimnis der Zeit und das Geheimnis des Ewigen, und er übergibt uns »seinen Tag« als ein immer neues Geschenk seiner Liebe. Die Wiederentdeckung dieses Tages ist eine Gnade, die wir erflehen müssen, um die eigenen Glaubensbedürfnisse voll zu leben, und auch um konkret Antwort zu geben auf die tiefsten und wahren Sehnsüchte, die in jedem Menschen sind. Die Christus geschenkte Zeit ist niemals verlorene Zeit, sondern eine gewonnene Zeit für die tiefe Vermenschlichung unserer Beziehungen und unseres Lebens.
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