Normen für das Verfahren zur Beurteilung mutmaßlicher übernatürlicher Phänomene

Hier finden Sie die Normen für das Verfahren zur Beurteilung mutmaßlicher übernatürlicher Phänomene, die das vatikanische Dikasterium für die Glaubenslehre am Freitag veröffentlicht hat, im offiziellen deutschen Wortlaut *UPDATE

Quelle
Neue Normen über Erscheinungen zerreißen die Apologetik – The New Daily Compass (lanuovabq.it)
Schweizer Weihbischof Eleganti beschreibt neue Normen zu Erscheinungen als “problematisch” (catholicnewsagency.com) (catholicnewsagency.com)
*Unterscheidung der Geister – kathPedia
Notae de miraculis – Editionen von Geschichte und Literatur (storiaeletteratura.it)
Benedikt XIV. (vatican.va)
Unterscheidung der Geister

Sämtliche Wortmeldungen des Papstes und der Vatikanbehörden im offiziellen deutschen Wortlaut werden auf der Internetseite des Heiligen Stuhls publiziert.

Dikasterium für die Glaubenslehre – Normen für das Verfahren zur Beurteilung mutmsslicher übernatürlicher Phänommene

Präsentation

Im Hören auf den Geist, der im gläubigen Volk Gottes wirkt

Gott ist gegenwärtig und handelt in unserer Geschichte. Der Heilige Geist, der dem Herzen des auferstandenen Christus entspringt, wirkt in der Kirche mit göttlicher Freiheit und gewährt uns viele kostbare Gaben, die uns auf unserem Lebensweg helfen und unser geistliches Reifen in Treue zum Evangelium fördern. Dieses Wirken des Heiligen Geistes schließt auch die Möglichkeit ein, unsere Herzen durch bestimmte übernatürliche Ereignisse zu erreichen, wie Erscheinungen oder Visionen von Christus oder der Heiligen Jungfrau und andere Phänomene.

Oft haben diese Ereignisse einen großen Reichtum an geistlichen Früchten, an Wachstum im Glauben, an Frömmigkeit und Geschwisterlichkeit und Dienstbereitschaft hervorgebracht und in einigen Fällen sind dadurch verschiedene Wallfahrtsorte über die ganze Welt verstreut entstanden, die heute zu einem Kernteil der Volksfrömmigkeit vieler Völker geworden sind. Es gibt so viel Leben und Schönheit, die der Herr jenseits unserer gedanklichen Schemata und Verfahrensweisen sät! Aus diesem Grund sind die Normen für das Verfahren zur Beurteilung mutmaßlicher übernatürlicher Phänomene, die wir jetzt vorstellen, nicht unbedingt als Kontrolle gedacht und noch weniger als Versuch, den Geist auszulöschen. In den positivsten Fällen von Ereignissen mutmaßlichen übernatürlichen Ursprungs wird nämlich “der Diözesanbischof ermutigt, den pastoralen Wert dieses spirituellen Angebots zu schätzen und auch dessen Verbreitung zu fördern“ (I, Nr. 17).

Der hl. Johannes vom Kreuz stellte fest, “wie unzulänglich und unzureichend und in gewisser Weise ungeeignet alle Ausdrücke und Worte sind, mit denen man in diesem Leben von den göttlichen Dingen spricht”[1]. Niemand kann die unergründlichen Wege Gottes in den Menschen vollständig ausdrücken: “Daraus ergibt sich, dass die heiligen Kirchenlehrer, auch wenn sie noch so viel sagen oder noch mehr sagen würden, dies doch nie mit Worten zu Ende erklären können, genauso wenig wie es mit Worten gesagt werden konnte”[2]. Weil “dieser Weg, zu Gott zu gehen, so geheim und verdeckt ist für den Sinn der menschlichen Seele, wie es eine Straße durchs Meer für die Sinne des Leibes ist, deren Pfade und Spuren man nicht verfolgen kann”[3]. In der Tat: “Er ist der übernatürliche Baumeister, der ungezwungen in jeder Seele ein Gebäude aufführen wird, so wie es ihm gefällt”[4].

Gleichzeitig muss anerkannt werden, dass in einigen Fällen von Ereignissen, die mutmaßlichen übernatürlichen Ursprungs sind, sehr ernste Probleme zum Schaden der Gläubigen auftreten, und in diesen Fällen muss die Kirche mit all ihrer pastoralen Fürsorge handeln. Ich beziehe mich zum Beispiel auf den Gebrauch solcher Phänomene zur Erlangung von “Profit, Macht, Ruhm, sozialer Berühmtheit, persönlichen Interessen” (II, Art. 15, 4°), was sogar so weit gehen kann, dass die Möglichkeit besteht, schwerwiegende unmoralische Handlungen zu begehen (vgl. II, Art. 15, 5°) oder sogar “als Mittel oder Vorwand, um Menschen zu beherrschen oder Missbrauch zu begehen” (II, Art. 16).

Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass es bei solchen Ereignissen zu Irrtümern in der Glaubenslehre, zu einer unangemessenen Verkürzung der Botschaft des Evangeliums, zur Verbreitung eines sektiererischen Geistes usw. kommen kann. Schließlich besteht auch die Möglichkeit, dass die Gläubigen in den Bann eines einer göttlichen Initiative zugeschrieben Ereignisses geraten, das aber lediglich Frucht der Phantasie, des Strebens nach etwas Neuem, der Mythomanie oder der Neigung zur Verfälschung ist.

Die Kirche braucht daher für ihre Unterscheidung in diesem Bereich klare Verfahren. Die bis heute gültigen Normen für das Verfahren zur Beurteilung mutmaßlicher Erscheinungen und Offenbarungen wurden 1978, also vor mehr als vierzig Jahren, vom Hl. Paul VI. in forma reservata verabschiedet und erst 33 Jahre später, im Jahre 2011, offiziell veröffentlicht.

“Die Kirche braucht für ihre Unterscheidung in diesem Bereich klare Verfahren”

Die vorliegende Überarbeitung

Beim Anwenden der Normen von 1978 wurde jedoch festgestellt, dass die Entscheidungen sehr lange dauerten, sogar mehrere Jahrzehnte, und dass auf diese Weise die notwendige kirchliche Unterscheidung zu spät kam.

Ihre Überarbeitung begann 2019 im Rahmen der verschiedenen von der damaligen Glaubenskongregation vorgesehenen Konsultationen (Kongress, Konsultorenversammlung, Feria IV und Plenaria). Im Laufe dieser fünf Jahren wurden mehrere Revisionsvorschläge ausgearbeitet, die jedoch alle als unzureichend beurteilt wurden.

Der Kongress des Dikasteriums vom 16. November 2023 erkannte schließlich die Notwendigkeit einer umfassenden und radikalen Überarbeitung des bis dahin ausgearbeiteten Konzepts und es wurde ein neuer Entwurf des Dokuments erstellt, der völlig neu im Sinne einer größeren Klarheit bezüglich der Rollen des Diözesanbischofs und des Dikasteriums gedacht wurde.

Der neue Entwurf wurde am 4. März 2024 einer kleinbesetzten Konsultorenversammlung vorgelegt, bei der die allgemeine Beurteilung positiv ausfiel, wobei dennoch einige Anmerkungen zur Verbesserung gemacht wurden, die in den nachfolgenden Entwurf des Dokuments Aufnahme fanden.

Der Text wurde dann der Feria IV des Dikasteriums am 17. April 2024 vorgelegt, bei der die Mitglieder, Kardinäle- und Bischöfe, ihre Zustimmung gaben. Schließlich wurden die neuen Normen am 4. Mai 2024 dem Heiligen Vater vorgelegt, der sie approbiert und ihre Veröffentlichung sowie ihr Inkrafttreten für den 19. Mai 2024, dem Hohen Pfingstfest, angeordnet hat.

Gründe für die Neufassung der Normen

Im Vorwort zur Veröffentlichung der Normen von 1978, geschehen im Jahr 2011, stellte der damalige Präfekt, Kard. William Levada, klar, dass dasselbe Dikasterium für die Untersuchung von Fällen von „Erscheinungen, Visionen und Botschaften, denen ein übernatürlicher Ursprung zugeschrieben wird“ zuständig sei. In diesen Normen heißt es nämlich, dass es „der Hl. Kongregation zu[kommt], die Vorgehensweise des Ordinarius zu prüfen und zu billigen“ oder „eine neue Untersuchung […] einzuleiten“ (IV, 2).

In der Vergangenheit schien der Heilige Stuhl Aussagen von Bischöfen wie diese zu akzeptieren: „les fidèles sont fondés à la croire indubitable et certaine“ (Dekret des Bischofs von Grenoble, 19. September 1851), „Die Realität des Tränenflusses kann nicht bezweifelt werden“ (Bischöfe von Sizilien, 12. Dezember 1953). Diese Äußerungen standen jedoch im Widerspruch zu der Überzeugung der Kirche, dass die Gläubigen nicht verpflichtet sind, die Echtheit dieser Ereignisse zu akzeptieren. Daher stellte das Heilige Offizium einige Monate nach diesem letzten Fall klar, dass es „noch keine Entscheidung bezüglich der Madonnina delle Lacrime [Syrakus/Sizilien] getroffen hat“ (2. Oktober 1954). Des Weiteren, in jüngerer Zeit erklärte die damalige Kongregation für die Glaubenslehre unter Bezugnahme auf den Fall (der Erscheinungen von) Fatima, dass die kirchliche Anerkennung einer Privatoffenbarung hervorhebt: „Die betreffende Botschaft enthält nichts, was dem Glauben und den guten Sitten entgegensteht“ (26. Juni 2000).

Trotz dieser klaren Stellungnahme waren die vom Dikasterium selbst in jüngster Zeit angewandten Verfahren de facto auf eine Erklärung der „Übernatürlichkeit“ oder „Nicht-Übernatürlichkeit“ seitens des Bischofs ausgerichtet, so dass einige Bischöfe auf der Möglichkeit bestanden, eine solche positive Erklärung abzugeben. Sogar in jüngster Zeit wollten sich einige Bischöfe in Worten wie diesen ausdrücken: „Ich stelle die absolute Wahrheit der Tatsachen fest“, „die Gläubigen müssen zweifellos als wahr ansehen…“, usw. Diese Ausdrücke verleiteten die Gläubigen in der Tat zu der Annahme, sie seien verpflichtet, an diese Erscheinungen zu glauben, die manchmal mehr geschätzt wurden als das Evangelium selbst.

Bei der Behandlung solcher Fälle und insbesondere bei der Abfassung einer Verlautbarung gingen einige Bischöfe dazu über, das Dikasterium vorab um die erforderliche Genehmigung zu bitten. Wenn sie dazu autorisiert wurden, waren die Bischöfe jedoch gebeten, das Dikasterium in der Verlautbarung nicht zu nennen. Dies war zum Beispiel in den wenigen Fällen der Fall, die in den letzten Jahrzehnten zu einem Ergebnis geführt haben: „Sans impliquer notre Congrégation“ (Brief an den Bischof von Gap, 3. August 2007); „Das Dikasterium sollte nicht in eine solche Erklärung einbezogen werden“ (Kongress vom 11. Mai 2001, betreffend den Bischof von Gikongoro). Das heißt, der Bischof war nicht autorisiert zu erwähnen, dass eine Genehmigung des Dikasteriums vorlag. Gleichzeitig baten einige andere Bischöfe, deren Diözesen ebenfalls von diesen Phänomenen betroffen waren, das Dikasterium um eine Stellungnahme, um mehr Klarheit zu erlangen.

Diese besondere Vorgehensweise, die nicht wenig Verwirrung gestiftet hat, hilft zu verstehen, dass die Normen von 1978 nicht mehr ausreichend und angemessen sind, um die Arbeit sowohl der Bischöfe als auch des Dikasteriums zu leiten, und dies wird heute noch problematischer, da es schwierig ist, dass ein Phänomen auf eine Stadt oder eine Diözese begrenzt bleibt. Diese Feststellung war bereits in der damaligen Glaubenskongregation während der Vollversammlung von 1974 gemacht worden, als die Mitglieder anerkannten, dass ein Ereignis angeblich übernatürlichen Ursprungs oft „unvermeidlich die Grenzen einer Diözese und sogar einer Nation überschreitet und […] der Fall automatisch Ausmaße erreicht, die ein Eingreifen der höchsten Autorität der Kirche rechtfertigen können“. Gleichzeitig räumten die Normen von 1978 ein, dass es „schwieriger, wenn nicht fast unmöglich [wurde], mit der gebotenen Schnelligkeit jenes Urteil zu fällen, das in der Vergangenheit die Untersuchungen zur Sache abgeschlossen hat (constat de supernaturalitatenon constat de supernaturalitate)“ (Normen von 1978, Vorbemerkung).

Die Erwartung einer Erklärung über die Übernatürlichkeit eines Ereignisses hat dazu geführt, dass nur in sehr wenigen Fällen eine klare Entscheidung getroffen wurde. In der Tat wurden nach 1950 nicht mehr als sechs Fälle offiziell geklärt, obwohl die Phänomene oft ohne klare Anleitung und unter Beteiligung von Menschen aus vielen Diözesen zunahmen. Es ist daher anzunehmen, dass viele andere Fälle anders oder gar nicht behandelt wurden.

Um die Lösung eines konkreten Falles, bei dem es um ein Ereignis mutmaßlichen übernatürlichen Ursprungs ging, nicht länger hinauszuzögern, hat das Dikasterium dem Heiligen Vater kürzlich vorgeschlagen, die entsprechende Untersuchung nicht mit einer Erklärung de supernaturalitate, sondern mit einem Nihil obstat abzuschließen, das dem Bischof gestatten würde, aus diesem geistlichen Phänomen pastoralen Nutzen zu ziehen. Diese Erklärung wurde abgegeben, nachdem die verschiedenen geistlichen und pastoralen Früchte und das Fehlen größerer Kritikpunkte an diesem Ereignis bewertet worden waren. Der Heilige Vater betrachtete diesen Vorschlag als eine „gerechte Lösung“.

“Ein anderes, aber auch ein reichhaltigeres Verfahren als in der Vergangenheit”

Neue Aspekte

Die oben genannten Elemente haben uns dazu veranlasst, mit den neuen Normen ein anderes, aber auch ein reichhaltigeres Verfahren als in der Vergangenheit vorzuschlagen, und zwar mit sechs möglichen prudenziellen Schlussfolgerungen, die die Seelsorge im Zusammenhang mit Ereignissen mutmaßlich übernatürlichen Ursprungs orientieren können (vgl. I, Nrn. 17–22). Der Vorschlag dieser sechs endgültigen Festlegungen ermöglicht es dem Dikasterium und den Bischöfen, die Probleme der sehr unterschiedlichen Fälle, von denen sie Kenntnis haben, angemessen zu behandeln.

Diese möglichen Schlussfolgerungen beinhalten normalerweise keine Erklärung über die Übernatürlichkeit des zu beurteilenden Phänomens, d. h. die Möglichkeit, mit moralischer Gewissheit zu bejahen, dass dies auf eine Entscheidung Gottes zurückgeht, der es direkt gewollt hat. Stattdessen bedeutet die Gewährung eines Nihil obstat lediglich, wie Papst Benedikt XVI. bereits erläuterte, dass es Gläubigen in Bezug auf dieses Phänomen „gestattet [ist], ih[m] in kluger Weise ihre Zustimmung zu schenken“. Da es sich nicht um eine Erklärung über die Übernatürlichkeit der Tatsachen handelt, wird noch deutlicher, wie auch Papst Benedikt XVI. sagte, dass es sich nur um eine Hilfe handelt, „von der man nicht Gebrauch machen muss“[5]. Auf der anderen Seite lässt diese Intervention natürlich die Möglichkeit offen, dass unter Berücksichtigung der (nachfolgenden) Entwicklung der (Devotion), in Zukunft eine andere Intervention notwendig sein könnte.

Es sei auch darauf hingewiesen, dass das Erreichen einer Feststellung der „Übernatürlichkeit“ naturgemäß nicht nur eine entsprechende Zeit für die Prüfung erfordert, sondern auch dazu führen kann, dass man heute ein Urteil über die „Übernatürlichkeit“ und Jahre später ein Urteil über die „Nicht-Übernatürlichkeit“ fällt, wie es in der Tat geschehen ist. Es sei an einen Fall von angeblichen Erscheinungen aus den 1950er Jahren erinnert, bei dem der Bischof 1956 ein endgültiges Urteil über die „Nicht-Übernatürlichkeit“ abgab. Im folgenden Jahr approbierte das damalige Heilige Offizium die Maßnahmen dieses Bischofs. Danach wurde die Approbation für diese Verehrung erneut beantragt, worauf 1974 die Kongregation für die Glaubenslehre nochmals in Bezug auf dieselben mutmaßlichen Erscheinungen erklärte: constat de non supernaturalitate. 1996 erkannte daraufhin der Ortsbischof die Verehrung an, und ein anderer Bischof, desselben Diözese, erkannte 2002 den „übernatürlichen Ursprung“ der Erscheinungen an, und die Verehrung verbreitete sich in anderen Ländern. Auf Ersuchen der damaligen Kongregation für die Glaubenslehre bekräftigte schließlich im Jahr 2020 ein neuer Bischof „das negative Urteil“, das zuvor von derselben Kongregation gefällt worden war, und ordnete an, dass jegliche Verbreitung der mutmaßlichen Erscheinungen und Offenbarungen eingestellt werden müsse. Es dauerte also etwa siebzig quälende Jahre, bis die ganze Angelegenheit abgeschlossen war.

Heute ist man zu der Überzeugung gelangt, dass diese komplizierten Situationen, die bei den Gläubigen Verwirrung stiften, immer vermieden werden müssen, indem man von einer schnelleren und ausdrücklicheren Beteiligung dieses Dikasteriums ausgeht und vermeidet, dass die Unterscheidung auf eine Erklärung der „Übernatürlichkeit“ hinausläuft, in Verbindung mit hohen Erwartungen, Ängsten und sogar Druck diesbezüglich. Eine solche Erklärung der „Übernatürlichkeit“ wird in der Regel entweder durch ein Nihil obstat ersetzt, das ein positives pastorales Wirken erlaubt, oder durch eine andere, der konkreten Situation angemessene Festlegung.

Das in den neuen Normen vorgesehene Verfahren mit dem Vorschlag von sechs möglichen prudenziellen Entscheidungen ermöglicht es, innerhalb einer zumutbareren Zeit zu einer Entscheidung zu gelangen, die dem Bischof hilft, die Situation in Bezug auf Ereignisse mutmaßlich übernatürlichen Ursprungs zu steuern, bevor sie sehr problematische Ausmaße annehmen, ohne dass die notwendige kirchliche Unterscheidung getroffen wird.

Dennoch bleibt die Möglichkeit bestehen, dass der Heilige Vater auf einem ganz außerordentlichen Weg eingreift, indem er ein Verfahren für eine eventuelle Erklärung der Übernatürlichkeit der Ereignisse genehmigt: dies ist in der Tat eine Ausnahme, die in den letzten Jahrhunderten nur in sehr wenigen Fällen vorgekommen ist.

Andererseits bleibt, wie in den neuen Normen vorgesehen, die Möglichkeit einer Erklärung der „Nicht-Übernatürlichkeit“ nur dann bestehen, wenn objektive Anzeichen auftauchen, die eindeutig auf eine Manipulation hinweisen, die dem Phänomen zugrunde liegt, z. B. wenn ein angeblicher Seher behauptet, gelogen zu haben, oder wenn Beweise darauf hindeuten, dass das Blut eines Kruzifixes dem angeblichen Seher gehört, usw.

 

„Es kann vorkommen, dass in einer konkreten Situation auftretende, echte Handlungen des Heiligen Geistes mit rein menschlichen Elementen vermischt erscheinen“

Anerkennung eines Wirkens des Geistes

In den meisten Heiligtümern, die heute bevorzugte Orte der Volksfrömmigkeit des Gottesvolkes sind, hat es im Laufe der dort vollzogenen Verehrung nie eine Erklärung über die Übernatürlichkeit der Tatsachen gegeben, die Anlass zu dieser Andacht gaben. Der sensus fidelium hat gespürt, dass dort ein Wirken des Heiligen Geistes stattfindet, und es sind keine schwerwiegenden Kritikpunkte aufgetreten, die ein Eingreifen der Oberhirten erfordert hätten.

In vielen Fällen war die Anwesenheit des Bischofs und der Priester bei bestimmten Anlässen wie Wallfahrten oder bestimmter Messfeiern eine implizite Form der Anerkennung, dass es keine ernsthaften Einwände gab und dass diese geistliche Erfahrung einen positiven Einfluss auf das Leben der Gläubigen ausübte.

In jedem Fall erlaubt ein Nihil obstat den Seelsorgern, ohne Zweifel oder Zögern zu handeln, um an der Seite des Volkes Gottes zu sein und die Gaben des Heiligen Geistes zu empfangen, die inmitten von diesen Ereignissen auftreten können. Der Ausdruck „inmitten von“, der in den neuen Normen verwendet wird, hilft zu verstehen, dass man, auch wenn man keine Erklärung über die Übernatürlichkeit des Ereignisses selbst abgibt, dennoch die Zeichen eines übernatürlichen Wirkens des Heiligen Geistes im Kontext des Geschehens klar anerkennt.

In anderen Fällen besteht neben dieser Anerkennung die Notwendigkeit einer gewissen Klärung oder Läuterung. Es kann nämlich vorkommen, dass in einer konkreten Situation auftretende, echte Handlungen des Heiligen Geistes, die man richtig wertschätzen kann, mit rein menschlichen Elementen vermischt erscheinen, wie persönliche Wünsche, Erinnerungen, manchmal zwanghafte Vorstellungen, oder mit „einem Irrtum natürlicher Art, der nicht auf eine böse Absicht, sondern auf die subjektive Wahrnehmung des Phänomens zurückzuführen ist“ (II, Art. 15, 2°). Außerdem: „Man kann gar nicht ohne weiteres ein Erlebnis, das sich als Vision gibt, vor das strenge Dilemma stellen, entweder in allen Punkten richtig zu sein oder als Ganzes für menschliche oder teuflische Illusion oder Betrug zu gelten“[6].

Die Beteiligung und die Begleitung durch das Dikasterium

Es ist wichtig zu verstehen, dass die neuen Normen die Zuständigkeit des Dikasteriums schwarz auf weiß bestimmen. Einerseits bleibt es dabei, dass die Unterscheidung die Aufgabe des Diözesanbischofs ist. Andererseits, in Anbetracht der Tatsache, dass diese Phänomene heute mehr denn je viele Menschen betreffen, die anderen Diözesen angehören, und sich schnell in verschiedenen Regionen und Ländern ausbreiten, legen die neuen Normen fest, dass das Dikasterium konsultiert werden und immer eingreifen muss, um die endgültige Zustimmung zu den Entscheidungen des Bischofs zu geben, bevor dieser eine Entscheidung über ein Ereignis mutmaßlichen übernatürlichen Ursprungs veröffentlicht. Während das Dikasterium früher intervenierte, der Bischof aber gebeten wurde, das Dikasterium nicht einmal zu nennen, bekundet es heute öffentlich seine Beteiligung und begleitet den Bischof bei der endgültigen Entscheidung. Bei der Bekanntgabe der Entscheidung heißt es dann: „im Einvernehmen mit dem Dikasterium für die Glaubenslehre“.

In jedem Fall, wie bereits in den Normen von 1978 (IV, 1 b) berücksichtigt, sehen die neuen Normen auch vor, dass das Dikasterium in bestimmten Fällen motu proprio eingreifen kann (II, Art. 26). Tatsächlich sehen die neuen Normen vor, dass nach der klaren Entscheidung „das Dikasterium […] sich in jedem Fall das Recht vor[behält], je nach Entwicklung des Phänomens erneut zu intervenieren“ (II, Art. 22 §3) und bitten den Bischof, zum Wohl der Gläubigen „weiterhin zu wachen“ (II, Art. 24).

Gott ist in der Geschichte der Menschheit immer gegenwärtig und hört nicht auf, uns durch das Wirken des Heiligen Geistes seine Gnadengaben zu senden, um unseren Glauben an Jesus Christus, den Retter der Welt, von Tag zu Tag zu erneuern. Es ist Aufgabe der Hirten der Kirche, ihre Gläubigen immer wieder auf diese liebende Gegenwart der Heiligsten Dreifaltigkeit in unserer Mitte aufmerksam zu machen, ebenso wie es ihre Aufgabe ist, die Gläubigen vor jeder Täuschung zu bewahren. Diese neuen Normen sind nichts anderes als eine konkrete Art und Weise, in der sich das Dikasterium für die Glaubenslehre in den Dienst der Hirten stellt, um auf den Geist zu hören, der im gläubigen Volk Gottes wirkt.

Víctor Manuel Kard. Fernández

Präfekt

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