Ratzinger: Ohne Schöpfung wird Ökologie zur Ideologie

Die Umweltfrage – Ratzinger: Ohne Schöpfung wird Ökologie zur Ideologie

Quelle
Stiftung Caritas in Veritate
Does.pdf (kab.de)

Was die Ökologie Papst Benedikt XVI. verdankt – Omnes (omnesmag.com)
Revelation and Doctrinal Development in Ratzinger (vanthuanobservatory.com)

30. Mai 2024

Um zu entmythologisieren, legt die zeitgenössische Theologie die schöpferische Vernunft beiseite. Und indem wir den Schöpfer vergessen, lesen wir die Schöpfung im Licht des Umweltschutzes. Auf der Konferenz über die Caritas in Veritate (Budapest, 22. Mai) hat Msgr. Crepaldi erinnerte an den Vortrag von Benedikt XVI.

Der vollständige Text: Die Umweltfrage in Benedikt XVI., von Mons. Giampaolo Crepaldi

30. Mai 2024

Wir veröffentlichen einen Auszug aus der Lectio, die Erzbischof Giampaolo Crepaldi am 22. Mai in Budapest auf der Internationalen Konferenz über Caritas in veritate: Die Soziallehre und das ökologische Denken von Papst Benedikt XVI. Die Konferenz wurde von der Ludovika-Universität, der Pázmány-Universität und dem Ministerium für Technologie und Industrie organisiert.

An der Eröffnungssitzung nahm Kardinal Péter Herdo, Primas von Ungarn, teil. Der ursprüngliche Titel der Lektion lautete Die ökologischen Lehren von Papst Benedikt.
“Die Natur steht uns zur Verfügung nicht als ein zufällig verstreuter Müllhaufen [Heraklit], sondern als Geschenk des Schöpfers, der ihre inneren Einrichtungen entworfen hat, damit der Mensch aus ihr die notwendigen Richtschnur für ihre Pflege und Pflege ziehe (Gen 2,15)” (Caritas in veritate, 48).

Hier stoßen wir jedoch auf das wichtige Problem der Aufgabe des Themas der Schöpfung in der zeitgenössischen katholischen Theologie. Joseph Ratzinger hat sich in verschiedenen Schriften mit dem Problem auseinandergesetzt. [1]

Man kann sagen, dass er als Papst das Thema der Schöpfung zu einer seiner Hauptfiguren gemacht hat, mit vielfältigen Auswirkungen auf verschiedene Bereiche, angefangen bei der Beziehung zwischen Glaube und Vernunft bis hin zur Begründung des natürlichen Sittengesetzes und gerade der Umweltfrage. Ein Satz, den er auf dem Islinger Feld bei München während seiner ersten Reise nach Deutschland äußerte, der zu Recht berühmt geblieben ist, bringt die große Bedeutung auf den Punkt, die er dem Thema Schöpfung beimaß:
“Letztlich bleibt die Alternative: Was existiert im Ursprung? Die schöpferische Vernunft, der schöpferische Geist, der alles wirkt und die Entwicklung hervorbringt, oder die Irrationalität, die ohne jede Vernunft auf seltsame Weise einen mathematisch geordneten Kosmos hervorbringt, und auch den Menschen, seine Vernunft. Dies wäre aber nur ein zufälliges Ergebnis der Evolution und daher am Ende auch eine unvernünftige Sache.” [2]

Ich erinnere daran, dass Benedikt XVI. bei vielen anderen Gelegenheiten Sätze dieses Inhalts geschrieben und ausgesprochen hat[3] und dass er darum gebeten hat, dass das Thema eines der Treffen des Zirkels seiner Schüler genau diese Schöpfung sein sollte. [4]

Aber warum hat die katholische Theologie dazu geneigt, das offenbarte Subjekt der Schöpfung zu vernachlässigen oder sogar zu vernachlässigen? Bei der Beantwortung dieser Frage versteht man sowohl die vielen Zugeständnisse an den ideologischen Umweltschutz der heutigen Katholiken als auch die von Benedikt XVI. vorgeschlagene Reaktion auf diese Zugeständnisse. Die zeitgenössische Theologie hat den metaphysischen Rahmen verlassen und ihn durch den historischen, erfahrungsbezogenen und hermeneutischen ersetzt[5].

Dies führte zu der Überzeugung, dass bestimmte Elemente der katholischen Lehre für den heutigen Menschen nicht mehr verständlich seien. Da aber nach diesem Ansatz das, was das Kerygma für den Menschen von heute noch lebendig und bedeutsam macht, das Vorverständnis[6] ist, das auf der Grundlage der heutigen historischen und kulturellen Situation durchgeführt wird, sollten Elemente, die ihm unverständlich waren, umgestaltet oder entfernt werden. Rudolf Bultmanns Vorschlag zur Entmythologisierung basiert ebenfalls auf diesem Prinzip, und er schlug unter anderem vor, die Schöpfung zu revidieren, um sie von ihren mythischen Elementen zu reinigen[7].

Angesichts der Tatsache, dass der metaphysische Schöpfungsbegriff nicht mehr mit der Mentalität des postmodernen Menschen übereinstimmt, muss er neu formuliert werden. In diesem Zusammenhang beschränke ich mich darauf, an Karl Rahners Position als den repräsentativsten Vertreter der zeitgenössischen theologischen Revision der Schöpfungsidee zu erinnern. Rahner schreibt in seinem berühmtesten Werk, dass “Kreatürlichkeit die Beziehung des Menschen zu seiner transzendenten Grundlage ist” [8], es deutet nicht auf einen einzigen Fall von kausaler Beziehung zwischen zwei Realitäten hin[9], Kreatürlichkeit wird in unserer transzendentalen Erfahrung erfahren. Die Schöpfung ist kein früherer chronologischer Punkt[10]. :

Sie weist auf einen “immerwährenden Prozess hin, der immer aktuell bleibt, der in jedem Seienden jetzt so vor sich geht, wie es in einem früheren Augenblick seines Daseins war”[11]. Kreatürlichkeit ist die radikale Unterscheidung und radikale Abhängigkeit von Gott [12].

Der Ausdruck “aus dem Nichts” weist auf diese radikale Abhängigkeit von Gott hin[13]. Auf diese Weise ersetzt die Kreatürlichkeit die Schöpfung, erstere ist in der Tat ein existentielles Vorverständnis, in dem der Mensch sein Bedürfnis a priori oder vielmehr transzendent im modernen und nichtklassischen Sinne des Wortes manifestiert, letzteres ist ein Ereignis metaphysischer Natur.

Ich mache darauf aufmerksam, dass dieser neue Ansatz der zeitgenössischen katholischen Theologie von der protestantischen Theologie beeinflusst wurde. In protestantischen Kreisen entwickelten sich die beiden gegensätzlichen Visionen der “liberalen Theologie” mit Harnacks historisch-kritischer Methode und Barths “dialektischer Theologie”. Beide trennen Glaube und Vernunft und verhindern, dass die traditionelle Sicht der Schöpfung aufrechterhalten wird, indem sie entweder die biblische Exegese des Buches Genesis revidieren, indem sie den Text einer streng rationalistischen Prüfung unterziehen oder indem sie allein dem Glauben Kompetenz in dieser Angelegenheit zuweisen. In beiden Fällen wird die Schöpfung als ein Mythos angesehen, der geleugnet und überdacht werden muss. So wird die Begegnung zwischen Glaube und Vernunft in Bezug auf die Schöpfung aufgegeben.

Der italienische Theologe Pater Mauro Gagliardi [14] hat in einem kürzlich erschienenen Buch über die Theologie Joseph Ratzingers aufgezeigt, wie Ratzingers theologische Linie genau jene Dichotomie überwinden wollte, die sich zweifellos auch auf die Sicht der Schöpfung auswirkte, auf ihre traditionelle Version zurückführte und auf eine Wiederbelebung der Schöpfungstheologie in der katholischen Kirche hoffte. Wenn man sich die Aspekte der Umweltfrage, wie sie sich heute stellen und wie sie innerhalb der katholischen Kirche behandelt werden, genau betrachtet, kann nicht geleugnet werden, dass diese Hoffnung Benedikts XVI. sicherlich berechtigt und zeitgemäß ist.
 *Emeritierter Bischof von Triest
 

 


[1] J. Ratzinger, Gottes Plan. Meditationen über die Schöpfung und die Kirche, Übersetzung und Verzeichnisse, herausgegeben von Carlo Caniato, Marcianum Press, Venedig 2012; Ders., Vieni, Spirito creatore, Lindau, Turin 2006.

[2] Benedikt XVI., Wer glaubt, ist nie allein. Reise nach Bayern. Tutte le parole del Papa, Cantagalli, Siena 2006, S. 46.

[3] Vgl. S. Fontana, Benedikt XVI. verstehen: Tradition und Moderne, letzte Ernennung, Cantagalli, Siena 2021, S. 25, Anm. 12.

[4] AA.VV., Schöpfung und Evolution. Un convegno a Castel Gandolfo, Vorwort von Kardinal Christoph Schoenborn, EDB, Bologna 2007.

[5] Vgl. W. Salman, Gadamer und die Theologen. Rund um die Wirkungsgeschichte, Urbaniana University Press, Rom 2012.

[6] Im Sinne Gadamers: H. G. Gadamer, Verità e metodo, (1960), Bompiani, Mailand 1983, insbesondere S. 312-357.

[7] Vgl. R. Bultmann, Neues Testament und Mythologie. Il manifesto della demythologizzazione (Das Manifest der Entmythologisierung), Queriniana, Brescia 1970.

[8] K. Rahner, Grundkurs über den Glauben. Einführung in das Konzept des Christentums, (Freiburg i.B., 1976), San Paolo, Cinisello Balsamo 1990, S. 109.

[9] Vgl. ebd., S. 110.

[10] Vgl. ebd., S. 111.

[11] Ebd.

[12] Vgl. ebd., S. 112.

[13] Vgl. ebd., S. 113.

[14] Vgl. M. Gagliardi, Offenbarung, Hermeneutik und Lehrentwicklung bei Joseph Ratzinger, Päpstliches Athenäum Regina Apostolorum, Rom 2022.

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