Der stille Schrei des Herzens – L’Osservatore Romano
Vorwort von Papst Franziskus für ein Buch von Kardinal Angelo Comastri
Quelle
Papst: Kriege und Krisen erzeugen bedrückendes Klima – Gebet bringt Trost – Vatican News
Kardinal Comastri
02. Februar 2024
Papst Franziskus hat das Vorwort für ein Buch von Kardinal Angelo Comastri geschrieben hat (“Pregare oggi. Una sfida da vincere”). Es wurde von der Vatikanischen Verlagsbuchhandlung (Vatikanstadt, 2024, 112 Seiten, 8,50 Euro) veröffentlicht und ist Teil der vom Dikasterium für die Evangelisierung herausgegebenen achtteiligen Reihe zum Jahr des Gebets, die auch auf Englisch, Spanisch und Portugiesisch erscheinen soll.
Das Gebet ist der Atem des Glaubens, es ist sein eigentlichster Ausdruck. Wie ein stiller Schrei aus dem Herzen derer, die glauben und sich Gott anvertrauen. Es ist nicht leicht, Worte zu finden, um dieses Geheimnis auszudrücken. Wie viele verschiedene Definitionen des Gebets können wir den Heiligen und den Lehrmeistern der Spiritualität sowie den Überlegungen der Theologen entnehmen! Und doch lässt es sich immer nur mit der Einfachheit derer beschreiben, die es selbst praktizieren.
Der Herr hat uns ja im Übrigen ermahnt, beim Beten nicht viele Worte zu machen und uns dann einzubilden, dass wir deswegen erhört werden. Er hat uns vielmehr gelehrt, die Stille vorzuziehen und uns dem Vater anzuvertrauen, der weiß, was wir brauchen, noch bevor wir ihn darum bitten (vgl. Mt 6,7-8).
Das Jubiläumsjahr 2025 rückt immer näher. Wie könnten wir uns auf dieses für das Leben der Kirche so wichtige Ereignis vorbereiten, wenn nicht durch das Gebet? Das Jahr 2023 war der Wiederentdeckung der Lehren des Konzils gewidmet, die vor allem in den vier Konstitutionen des Zweiten Vatikanums enthalten sind. Es ist ein Weg, das Erbe, das die auf dem Konzil versammelten Väter in unsere Hände gelegt haben, lebendig zu halten, damit die Kirche durch seine Umsetzung ihr Antlitz verjüngen und den Männern und Frauen unserer Zeit die Schönheit des Glaubens in einer geeigneten Sprache verkünden kann. Jetzt ist es an der Zeit, das Jahr 2024 vorzubereiten, das ganz dem Gebet gewidmet ist. Denn in unserer Zeit macht sich ein immer größeres Bedürfnis nach einer echten Spiritualität bemerkbar, die in der Lage ist, Antwort auf die großen Fragen zu geben, die sich jeden Tag in unserem Leben stellen, hervorgerufen auch durch eine keineswegs unbeschwerte Weltlage. Die ökologische, wirtschaftliche und soziale Krise, die durch die jüngste Pandemie noch verschärft wurde, die Kriege, vor allem in der Ukraine, die Tod, Zerstörung und Armut verursachen, die Kultur der Gleichgültigkeit und der Ausgrenzung, die dazu neigt, das Streben nach Frieden und Solidarität zu ersticken und Gott aus dem persönlichen und sozialen Leben zu verdrängen… Diese Phänomene tragen dazu bei, ein düsteres Klima zu schaffen, das viele Menschen daran hindert, mit Freude und Zuversicht zu leben.
Daher ist es notwendig, dass unser Gebet mit größerer Eindringlichkeit zum Vater aufsteigt, damit er die Stimme derer hören möge, die sich an ihn wenden im Vertrauen, erhört zu werden. Dieses dem Gebet gewidmete Jahr soll in keiner Weise die Initiativen antasten, die jede Teilkirche für ihren tagtäglichen pastoralen Einsatz als notwendig erachtet. Im Gegenteil, es erinnert an die Grundlage, auf der die verschiedenen Pastoralpläne erarbeitet werden und Stichhaltigkeit finden sollten. Es ist eine Zeit, in der wir sowohl auf persönlicher Ebene als auch in gemeinschaftlicher Form die Freude des Betens in der Verschiedenheit der Formen und Ausdrucksweisen wiederfinden können. Eine bedeutsame Zeit, um die Glaubensgewissheit zu stärken und das Vertrauen in die Fürsprache der Jungfrau Maria und der Heiligen zu vermehren. Kurz gesagt, ein Jahr, in dem man gleichsam eine »Schule des Gebets« erleben kann, ohne dabei irgendetwas für offensichtlich oder selbstverständlich zu halten, vor allem was die Art und Weise unseres Betens betrifft, sondern indem wir uns Tag für Tag die Worte der Jünger zu eigen machen, die Jesus baten: »Herr, lehre uns beten« (Lk 11,1).
In diesem Jahr sind wir aufgefordert, demütiger zu werden und dem Gebet Raum zu geben, das dem Heiligen Geist entspringt. Er ist es, der in unsere Herzen und auf unsere Lippen die richtigen Worte zu legen weiß, um vom Vater erhört zu werden. Das Gebet im Heiligen Geist ist es, das uns mit Jesus vereint und uns erlaubt, dem Willen des Vaters treu zu sein. Der Geist ist der innere Lehrmeister, der uns den Weg zeigt, den wir gehen sollen. Durch ihn kann das Gebet auch eines Einzelnen das Gebet der ganzen Kirche werden und umgekehrt. Nichts anderes bewirkt so wie das vom Heiligen Geist inspirierte Gebet, dass die Christen sich als Familie Gottes vereint fühlen, der die Bedürfnisse eines jeden zu erkennen weiß, um sie zu Anrufung und Fürsprache aller werden zu lassen. Ich bin sicher, dass die Bischöfe, Priester, Diakone, Katecheten in diesem Jahr die angemessensten Vorgehensweisen finden werden, damit das Gebet das Fundament ist für die Verkündigung der Hoffnung, die das Jubiläum 2025 in dieser schwierigen Zeit erklingen lassen will. So wird der Beitrag der Gottgeweihten sehr kostbar sein, vor allem der kontemplativen Gemeinschaften.
Ich wünsche, dass in allen Wallfahrtsorten der Welt, den privilegierten Orten des Gebets, vermehrt Initiativen ins Leben gerufen werden, damit jeder Pilger eine Oase der gelassenen Zuversicht vorfinden und mit einem von Trost erfüllten Herzen aufbrechen kann. Möge das persönliche und gemeinschaftliche Gebet unaufhörlich sein, ohne Unterbrechung, wie Jesus, der Herr, es will (vgl. Lk 18,1), damit das Reich Gottes sich ausbreite und das Evangelium jeden Menschen erreiche, der nach Liebe und Vergebung sucht. Um dieses Jahr des Gebets zu unterstützen wurden einige kurze Texte erstellt, die mit einfachen Worten helfen sollen, die verschiedenen Aspekte des Gebets zu erfassen. Ich danke den Autoren für ihren Beitrag und lege diese »Notizen« gerne in eure Hände, damit ein jeder neu entdecken kann, wie schön es ist, sich dem Herrn mit Demut und Freude anzuvertrauen. Und vergesst nicht, auch für mich zu beten.
(Ital. in O.R. 23.1.2024)
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