Erfolgsgeschichte einer katholischen Zeitung – Ein Lichtstrahl ins graue Dunkel
Die katholische polnische Zeitung “Gośc Niedzielny” feiert ihren 100. Geburtstag. Der “Sonntägliche Gast” wird vom Erzbistum Katowice herausgegeben und hat treue Leser seit Generationen
Quelle
Erzbistum Katowice – Wikipedia
Biografie: August Hlond – Deutsche und Polen (rbb) Geschichte, Biografien, Zeitzeugen, Orte, Karten
Polen beweist wahre Größe
19.09.2023
Wenn sich Adrian Józef Galbas, Erzbischof von Katowice, an seine Kindheit im oberschlesischen Bytom erinnert, so denkt er an seine Großmutter, die nach der morgendlichen Messe eine katholische Wochenzeitung mitzubringen pflegte. Damals beneidete er die Erwachsenen um ihre Lektüre des Blatts, die er eigenen Schilderungen zufolge nachgeholt hatte, sobald er des Lesens mächtig geworden war. Bei der Zeitung handelte es sich um den am 9. September 1923 – und damit genau 25 Jahre vor der ersten “Tagespost”-Ausgabe – erstmalig und auch heute noch vom Erzbistum Katowice herausgegebenen “Gośc Niedzielny” (GN). Wörtlich lässt sich der Titel des Jubilars mit “Der sonntägliche Gast” übersetzen. Neben der erzbischöflichen Anekdote erreichten zum 100-jährigen Jubiläum der – anders als heute früher vor allem an oberschlesische Katholiken gerichteten – Zeitung auch Geburtstagsgrüße vom Nachfolger Petri.
Papst Franziskus würdigte die Leistung
In einem Brief an Erzbischof Galbas würdigte Papst Franziskus die Bedeutung des “Gość Niedzielny” und bedankte sich zugleich dafür, dass die GN-Redaktion trotz allen Grundes zum Feiern nicht die Ukraine vergaß, der sie zu diesem Anlass humanitäre Hilfe zuteilwerden ließ. Den Redakteuren der Zeitung wünscht der Papst “Klugheit und Schöpfergeist, aus dem spannende und wichtige Texte sowie folglich Glaube an das Evangelium und die Kirche” erwachsen mögen, den Lesern wiederum “eine wöchentliche Dosis großartiger Texte, welche ihnen die Welt zu verstehen helfen und sie in ihrem Glauben wie in ihrer persönlichen Umkehr bekräftigen” sollen. Zudem rief er die Worte des Gründers der Zeitung, dem späteren Kardinal und inzwischen im Seligsprechungsprozess befindlichen
August Hlond, (Biografie: August Hlond – Deutsche und Polen (rbb) Geschichte, Biografien, Zeitzeugen, Orte, Karten) in Erinnerung, denen die GN-Redaktion, trotz nötiger “Wahrnehmung der neuen Weltwirklichkeit, aber auch neuer Erwartungen und Bedürfnisse der Leser” treu bleiben solle.
Der hatte der Zeitung einst ins Stammbuch geschrieben, dass sie “einen Lichtstrahl ins graue Dunkel der Welt tragen, der geistlichen Atmosphäre des Landes den erfrischenden Windhauch des Geistes Christi einhauchen und keine Zwietracht sähen” soll. Papst Franziskus aktualisierte diesen bleibenden Auftrag der Zeitung um seine Botschaft von der Orientierung hin zu den Rändern der Gesellschaft, den Verarmten, Verletzten und Vereinsamten. Der derzeitige GN-Chefredakteur Adam Pawlaszczyk verwies mit Blick auf die päpstlichen Glückwünsche gleichsam darauf, dass diese Friedensmission in Zeiten starker Polarisierung in Kirche und Gesellschaft besonders erfordere, “die Wahrheit zu sagen und zu schreiben sowie die Wirklichkeit zu kommentieren, um auf glaubwürdige Weise Frieden zu schaffen”. Wie sämtliche seiner Vorgänger ist auch Pawlaszczyk Pfarrer.
Geschichte zwischen Besetzung durch Nazis und Stalinisten
Der alte Schmähbegriff der “Pfaffenpresse” wird der Chronologie der Chefredakteure des “Gasts”, wie er in Polen oft nur genannt wird, aber keineswegs gerecht. Das zeigen die biographischen Rückblicke des GN-Autors und Historikers Andrzej Grajewski: Die Geschichte der jahrelang, bis zur Pandemie – freilich auch wegen des Verkaufs nach Gottesdiensten – meistverkauften polnischen Wochenzeitung ist verbunden mit Namen großer Geistlicher des oberschlesischen Katholizismus, die der Zeitung als glaubensfeste und weltgewandte Chefredakteure sowie Kirche und Lokalkultur mit unermüdlichem Zeugnis dienten. Sie traten ihr Presseapostolat in den Wirren der Zwischenkriegszeit an, als der “Gość Niedzielny” erstmals florierte – damals noch mit eigener Ausgabe für deutsche katholische Schlesier. Die Stoßrichtung der Zeitung war dennoch dezidiert nationalpolnisch, was in ihrer Leserschaft – wohlgemerkt in der polnischen, nicht in der deutschen – teils auf Kritik traf. Mit der deutschen Besetzung Polens erlebte der “Gast” ein erstes jähes Ende. Zwei seiner Chefredakteure, Józef Gawor und Klemens Kosyrczyk, überlebten, trotz bleibender seelischer und körperlicher Schäden, die nationalsozialistischen Konzentrationslager, um gleich danach in die frühen, dunkelsten Stunden des Stalinismus der russischen Besatzer hineinzugeraten.
Inhaltliche und materielle Zensur – in Form von Auflagen- und Papierbegrenzung – prägten die Arbeit der GN-Redaktion nach dem Zweiten Weltkrieg, bis 1952 nicht nur die Bischöfe von Katowice, sondern auch die Redakteure des “Gasts” ihren Platz räumen mussten. Zwischenzeitlich übernahmen die regimetreu-katholischen “Patrioten” der Pax-Gruppe um den in sowjetischer Gefangenschaft zum Nationalbolschewisten konvertierten Falangistenführer Bolesław Piasecki den “Gość Niedzielny”, aber auch den Krakauer “Tygodnik Powszechny”. In dieser Gruppe verbrachte auch der spätere erste nicht-kommunistische Ministerpräsident und Gründer der personalistischen Zeitung “Więź”, Tadeusz Mazowiecki, seine wenig ruhmreichen ersten Jahre als Publizist, bis er sich mit Kollegen von den Piasecki-Leuten trennte.
Erst im November 1956 konnten die oberschlesischen Bischöfe und GN-Redakteure ihre Arbeit wieder aufnehmen. Die Solidarność und Johannes Paul II. verschafften auch dem “Gast” Auftrieb. Ein zweites Mal kreuzten sich die Wege des indes von christlich-sozialistischen Illusionen bekehrten Mazowiecki mit jenen der Zeitung, als dessen elitär-oppositionelles “Więź”-Milieu in Zeiten des Chefredakteurs Stanisław Tkocz zur personellen und intellektuellen Ressource auch des “Gość Niedzielny” wurde.
Eine Stimme für den Lebensschutz
Zudem konnten erstmals auch katholische Themen wie der Lebensschutz in der Zeitung bespielt werden. Mit dem Ende des Staatsatheismus endeten aber keineswegs die Herausforderungen der katholischen Zeitung, wie auch Tkocz wusste, der damals schon vor den Folgen von Liberalismus und Konsumismus warnte. In seine Ägide fiel auch die Gründung des GN-Schwesterportals “wiara.pl”, das dieses Jahr 25 Jahre alt wurde. Galt Tkocz als Sozialkritiker mit leicht linkskatholischen Zügen, versuchte sein Nachfolger, Marek Gancarczyk, eine Verschiebung der Blattlinie in konservativere Gefilde. Gancarczyk führte die Zeitung trotz medienrechtlicher Scharmützel wegen einer Abtreibungskritik zu großem Erfolg und machte einen Multimediakonzern aus ihr. Der damalige Erzbischof von Katowice, Wiktor Skworc, entband ihn 2018 von seinem Dienst. Als Grund für die von rechts viel kritisierte Entlassung galt Kritik an Papst Franziskus.
Seither wurde der “Gast” zu einem katholischen Medium, das sich merklich an der Linie des Papstes orientieren will, das den deutschen Progressismus des Synodalen Weges genauso kritisiert wie polnische Traditionalisten, die ihrerseits oft die Bemühungen der Zeitung um Ökumene und interreligiösen Dialog angreifen. Die inhaltlich breit gefächerte Wochenzeitung ist lehramtstreuer als die “offen-orthodoxe” und reformorientierte “Więź” oder der heute liberale “Tygodnik Powszechny”, aber doch – auf konstruktive Weise kritischer gegenüber der PiS als ihr Pendant aus Tschenstochau, die “Niedziela” (“Sonntag”). Im Zentrum der Berichterstattung stehen aber, neben Politik, Weltkirche und Kultur, vor allem Glaube, Gebet und Gemeinde, also Katholizität in ihrer schönen Weite und Tiefe.
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