Schleichende Banalisierung?

Der Kulturjournalismus geht zugrunde. Auch für die freien Autoren wird dies immer spürbarer

Quelle
Meinungsfreiheit einfach erklärt (explainity® Erklärvideo) – YouTube

24.06.2023

Björn Hayer

Dass sich das deutsche Feuilleton in einer veritablen und schon lange anhaltenden Krise befindet, ist nichts Neues. Da ihm in der Printmarkt-Krise als erstes der Rotstift unter den Ressorts droht, fahren viele Kulturredaktionen einen Kurs der Anpassung. Die einen müssen sich als besseres Boulevard behaupten, die anderen werden zum Steigbügelhalter der Politik- und Meinungsseiten.

Gerade für Autoren ein gewachsener Machtunterschied

Wenn letztere etwa politische Korrektheit, Gender und Identitätspolitik verhandeln, muss eben dasselbe im Feuilleton passieren. Nur etwas gediegener verpackt. Kunst darf dabei nur noch selten Kunst sein, sondern muss zum thematischen Rahmen passen. Alles andere fällt raus, Abseitiges und Exotisches ohnehin, interessiert sich doch DER Leser beispielsweise weder für Lyrik noch Tanz. Die Folge jener schleichenden Banalisierung: Gleiches wird immerzu mit Gleichem verrührt. Und Andersartigkeit, einst die wichtige Domäne der Kulturteile – das war einmal! Soweit zur Außenwahrnehmung! Was die Leser jedoch nicht wahrnehmen, sind die Ruinen im Inneren einiger Redaktionen. Immer mehr Stellen fallen weg, wenige müssen dann vieles, oft irgendwie alles können, also Oper, Literatur, Musik, Kunst. Doch nicht jedwedes Problem lässt sich allein auf die ökonomische Situation zurückführen. Bisweilen zeigt sich gerade für Autoren ein gewachsener Machtunterschied zwischen festangestellten Redakteuren und den Freien.

Um mal aus dem Nähkästchen zu plaudern: Ich könnte ein schmales Buch füllen mit sämtlichen Texten, die nie erschienen sind. Zumeist wurden sie verschlampt oder unter mehrfachem Abwiegeln irgendwie auf Eis gelegt. Dann frage ich mich, ob die zuständigen Redakteure eigentlich noch ein Verständnis für die Arbeit, insbesondere hinter Literaturkritiken haben. Man liest das Buch und schreibt einen Text dazu. Dieser Prozess schließt Tage bis Wochen ein, um dann zu erfahren, dass es umsonst war. Klar könnte man sich theoretisch wehren, aber dann kann man keinen weiteren Auftrag mehr erwarten. In Zeiten, in denen wir ausgiebig über Benachteiligung diverser Gruppen sprechen, fällt dieses Ungleichgewicht gänzlich unter den Tisch. Man redet nicht darüber, aus Scham als jemand zu gelten, der es einfach nicht drauf hat. Und weil die Abhängigkeit eben eine absolute ist.

Hinter der zunehmenden Unverbindlichkeit verbirgt sich letztlich eine merkwürdige Auffassung von Pressefreiheit. Jeder vereinbarte Artikel, der nicht ins Blatt kommt, gleicht einer indirekten Zensur. Dies gilt übrigens auch dann, wenn kritische Besprechungen geglättet oder gestrichen werden, weil ja DEN Leser schlechte Bücher nicht interessieren.

Jenen festen Redakteuren, die sich auf bewundernswerte Weise noch für das freie Kulturressort und mit höchster Wertschätzung für ihre Mitarbeiter einsetzen können – davon gibt es zum Glück noch einige –, denen sei an dieser Stelle höchster Respekt gezollt!

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