Wie Quasimodo aus der Asche

2019 zerstörte ein wahres Höllenfeuer die weltberühmte Pariser Kathedrale Notre-Dame, nun wird sie in einer Wanderausstellung lebendig

Quelle
Kölner Dombauhütte: Neuer Glanz für Notre-Dame
Pariser Kathedrale Notre-Dame soll von grüner Lunge umgeben werden | deutschlandfunkkultur.de
Notre-Dame, die Jahrhundertbaustelle – Geschichte | ARTE

01.05.2023 – José García

Zum vierten Jahrestag des verheerenden Brands, der am 15. April 2019 die Kathedrale Notre-Dame de Paris verwüstete, bietet eine Ausstellung im Berliner Institut Français einen Einblick sowohl in ihre Baugeschichte ab der Grundsteinlegung im Jahre 1163 als auch in die noch andauernden Restaurierungsarbeiten. Das Meisterwerk der französischen Gotik soll am 8. Dezember 2024, dem Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria, dem Patrozinium von Notre-Dame, wiedereröffnet werden. Die Dornenkrone Christi, der bedeutendste Kunstschatz des Hauses, soll in einem neuen Reliquienschrein in der Südkapelle ihren Platz finden.

Die Wanderausstellung “Notre-Dame de Paris – Weltreise einer Kathedrale”, ist nach Stationen in Paris, Dubai, Shanghai und Washington bis zum 17. Juli in Berlin zu sehen. Insgesamt wird die Wanderausstellung innerhalb von vier Jahren in 15 Städten aus vier Kontinenten – nur Afrika fehlt – Station machen.

Eine Zeitreise durch Notre-Dame

Moderne Technik ermöglicht in der Ausstellung eine Reise durch die Zeit. An die Stelle des inzwischen in den meisten Museen eingesetzten “Audioguides” tritt hier ein “HistoPad-Tablet”, das die Besucher zu Beginn erhalten: Damit können sie die “Tore der Zeit” an 15 Podesten scannen. Nach dem Scannen erscheinen auf der Oberfläche des HistoPad unterschiedliche Zeitangaben: Wenn etwa von 1180 (Anfang der Bauarbeiten) auf 2019 (Anfang der Restaurierungsarbeiten) mit dem Finger gewischt wird, erhält man die entsprechenden Bilder dazu. Die einen sind natürlich Rekonstruktionen, die anderen hingegen echte Bilder aus der “Jahrhundertbaustelle”.

Hinter dem HistoPad steht die sogenannte Augmented Reality, eine computergestützte Erweiterung der physischen Exponate, die den Besucher durch die Ausstellung leitet und Rundumblicke auf das Bauwerk sowie 3D-Rekonstruktionen historischer Ansichten in fotorealistischen Grafiken ermöglicht. Damit spannt die Schau einen Bogen von den Erbauern im 12. Jahrhundert über den Sonnenkönig Ludwig XIV. und Napoleon bis zum aktuellen Wiederaufbau nach dem verheerenden Brand im Frühjahr 2019.

Das HistoPad-Tablet wurde von der Firma Histovery – der Firmenname ist ein Wortspiel aus History und Discovery – entwickelt. Das französische Unternehmen mit Sitz in Paris wurde 2014 gegründet. In den zehn Jahren seines Bestehens hat Histovery 21 Projekte entwickelt beispielsweise im Papstpalast in Avignon und in der Pariser Conciergerie. In Deutschland ist sie seit 2020 tätig: Dank einer Kooperation mit der “Schlösserland Sachsen gGmbH” wird das HistoPad sowohl in der Albrechtsburg Meißen als auch in der barocken Moritzburg eingesetzt. Die Firma finanziert diese Projekte im Voraus und erhält die Investition durch einen Anteil an den Eintrittspreisen zurück, so Edouard Lussan, einer der Mit-Gründer von Histovery, bei der Pressevorstellung der Wanderausstellung im Berliner “Maison de France”. Allerdings sei “Notre-Dame de Paris – Weltreise einer Kathedrale” eine Ausnahme, nicht nur wegen ihres temporären Charakters, sondern auch weil die Finanzierung durch den Konzern “L?real DACH” übernommen wurde, erklärt Sophie Coumel, Leiterin des Institut Français, und ergänzt: Der Eintrittspreis decke die Kosten des für die Ausstellung benötigten Personals.

Bruno de Sa Moreira, der andere Mit-Gründer von Histovery, erläutert, was das HistoPad einzigartig macht: “Das Histopad ermöglicht eine interaktive, visuell ästhetische und detaillierte Führung des jeweiligen Monuments in einem von den Besuchern individuell bestimmbaren Tempo” Das Gerät eigne sich für ein breites Publikum: Die Texte seien knapp und allgemein verständlich geschrieben. Auch wenn ein junges Publikum eher technikaffin sei, könne das Tablet auch von älteren Besuchern leicht bedient werden. Für kleine Gäste gebe es eine eingebaute Schatzsuche.

Historisch plausible Darstellungen

Wie historisch verbürgt sind die 3D-Rekonstruktionen der historischen Ansichten, die in der Ausstellung mittels HistoPad geboten werden? Sah der Arbeitsplatz der Steinmetze oder der Schmiede wirklich so aus? Laut Bruno de Sa Moreira sind solche Infografiken plausibel, sie seien aufgrund historischer Dokumente und der Aussagen von Experten erarbeitet worden. Edouard Lussan ergänzt: “Wir selbst sind keine Archäologen, aber wir haben dabei mit verschiedenen wissenschaftlichen Komitees zusammengearbeitet.” Fest steht jedenfalls, dass sowohl die Schmiede- als auch die Steinmetzarbeiten innerhalb der Dombauhütte von zentraler Bedeutung waren.

Nach dem Brand wurden Details über den Bau der Kathedrale bekannt, die jahrhundertelang versteckt blieben. Darauf weist Karin Fouledeau, Kultur-Attachée in der Französischen Botschaft in Deutschland, hin: “Die Gerüste in der Kathedrale haben Zugang zu Information ermöglicht, die vorher nicht zugänglich waren”.

In den Videos der Ausstellung kommen ebenfalls Restauratoren zu Wort. Fouledeau erklärt aber auch, dass nicht alle Arbeiten an Ort und Stelle ausgeführt werden. So seien vier vom Brand beschädigte und mit giftigen Stoffen verunreinigte Glasfenster in der Kölner Dombauhütte restauriert worden. Sie seien erst vor wenigen Tagen aus dem Rheinland auf den Rückweg nach Paris geschickt worden.

Die Jahrhundertbaustelle

Über den Wiederaufbau von Notre-Dame berichtet sehr ausführlich außerdem die ARTE-Dokumentation “Notre-Dame – Die Jahrhundertbaustelle” mit drei knapp einstündigen Teilen. Es wird deutlich, dass angesichts der mangelnden Texte über die Entstehung der Kathedrale und den Ablauf der mittelalterlichen Bauarbeiten sich die etwa 200 dort arbeitenden Wissenschaftler anhand ihrer eigenen Entdeckungen ein mehr als 800 Jahre altes Know-how neu aneignen mussten. Denn seit Jahrhunderten war noch nie jemand in der Nähe der Gewölbe von Notre-Dame gewesen. Nun können die Handwerker und Wissenschaftler, die an der Renovierung der Kathedrale arbeiten, die genialen Lösungen der mittelalterlichen Baumeister mit eigenen Augen sehen. Anhand dieser Informationen entwickelten sie eine spezielle 3D-Software, um die mittelalterliche Kirchenarchitektur zu entschlüsseln.

Genauso wie die ARTE-Dokumentation macht die Ausstellung “Notre-Dame – Weltreise einer Kathedrale” Lust auf einen Besuch der Kathedrale nach der Wiedereröffnung am 9. Dezember 2024 – eines Bauwerkes, das bis zu dem verheerenden Brand vor nunmehr vier Jahren jährlich zwölf Millionen Besucher zählte.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Hier kostenlos erhalten!

Themen & Autoren

José García
Jesus Christus
Ludwig XIV.
Mutter Jesu Maria
Napoleon
Notre-Dame
Wiederaufbau

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel