‘Der weltweit beliebteste und geliebteste Deutsche’
Joseph Ratzinger – Der weltweit beliebteste und geliebteste Deutsche *UPDATE
Von Manfred Lütz | Veröffentlicht am 28.02.2013
Quelle
Ansprachen und Beiträge von Kardinal Joseph Ratzinger
Vatikanische Stiftung – Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.
‘Das zerredete Pontifikat’
Papst em. Benedikt XVI. (1619)
“Ich habe mich nie einsam gefühlt am Steuer”, erklärte Papst Benedikt XVI. am Mittwoch bei seinem letzten grossen Auftritt.
Weltweit liessen sich die Menschen von Papst Benedikt XVI. begeistern – nur in Deutschland herrscht ein falsches Klischee über Joseph Ratzinger vor. Und möglicherweise ist das gut so.
„Solche Leute kenne ich, die aus jeder Bemerkung des Heiligen Vaters beim Frühstück gleich ein Dogma machen.“ So amüsiert reagierte Kardinal Joseph Ratzinger, als ich ihm mitteilte, dass es Leute gab, die eine Bemerkung Papst Johannes Pauls II. zum „Hirntod“ zur lehramtlichen Entscheidung erklärten. Selbstverständlich könne man die Position des Papstes dazu öffentlich kritisieren.
Als Ratzinger dann selber Pontifex wurde, hat er so häufig und so nachdrücklich wie nie ein Papst erklärt, er rede nicht unfehlbar. Im Vorwort zu seinem ersten Jesusbuch schreibt er, es stehe jedem frei, ihm zu widersprechen, er bitte bloss „um jenen Vorschuss an Sympathie, ohne den es kein Verstehen gibt“.
Der angebliche „Panzerkardinal“ war stets das Gegenteil dieser Karikatur. Joseph Ratzinger ist ein sensibler, liebenswürdiger, hochgescheiter Intellektueller, der am liebsten mit einem entwaffnenden Argument überzeugt. Von diesem Pontifikat werden der Eindruck dieses demütigen kleinen Mannes und seine grossen Texte bleiben, die in eingängiger, einfacher Sprache das Herz moderner Menschen erreichen.
Sein Vermächtnis: Verzichtet auf Macht!
Während schlecht informierte Journalisten Klerikalthemen wie Zölibat und Frauenpriestertum für die „heissen Eisen“ halten und die Sexualmoral thematisieren, obwohl sich in Wahrheit für die katholische Sexualmoral kaum jemand wirklich interessiert, verliert Benedikt XVI. auf dem gesamten Weltjugendtag 2005 in Köln kein einziges Wort über dieses Thema, ermutigt die jungen Menschen, ihren guten Kräften zu trauen, und spricht berührend über Gott, der die Liebe ist.
Weil er weiss, dass die ganze Kirche ein einziger verstaubter, lächerlicher Mummenschanz wäre, wenn Jesus Christus nicht der Sohn Gottes ist, schreibt er drei Bände über Jesus von Nazareth, um nach allen wissenschaftlichen Kontroversen, die viele verwirrt hatten, den Blick auf die verlässliche lebendige Quelle zu richten, aus der der christliche Glaube entspringt.
Und immer wendet sich dieser moderne Papst an die Atheisten und Agnostiker, zitiert, erstmals in einer Päpstlichen Enzyklika, positiv Friedrich Nietzsche, und ihm gelingt mit seinem ersten Lehrschreiben „Deus caritas est“ ein Text, der jedem ungläubigen Menschen auf wenigen Seiten in einfacher Sprache das Wesen des christlichen Glaubens verständlich macht.
In seiner Freiburger Rede lautete das Vermächtnis für die katholische Kirche in Deutschland: Verzichtet auf Macht! Werdet wieder geistliche Menschen, die die Liebe Gottes sichtbar machen! Und er sagt auch: „Agnostiker, die von der Frage nach Gott umgetrieben werden … sind näher am Reich Gottes als kirchliche Routiniers, die in ihr (der Kirche) nur noch den Apparat sehen, ohne dass ihr Herz berührt wäre, vom Glauben berührt wäre.“
Schon als Kardinal hat er mit dem „religiös unmusikalischen“ Jürgen Habermas ein einfühlsames Gespräch geführt, und auch in Italien suchte er den Dialog mit führenden Atheisten. Gibt es Gott, oder gibt es Gott nicht? Und ist dieser Gott der Gott Jesu Christi? – Um diese Themen drehen sich letztlich alle seine grossen Reden.
Der Papst sprach, und die Briten waren berührt
Als ich ihn inmitten von einer Million Jugendlichen beim Weltjugendtag in Madrid mit seiner scheuen und warmen Stimme über diesen Kern des christlichen Glaubens predigen hörte, wurde mir plötzlich das Ungeheure des historischen Moments bewusst: 70 Jahre nach dem schrecklichen Weltkrieg, den Deutsche über die Menschheit gebracht haben, jubelten Hunderttausende Jugendliche aus buchstäblich allen Ländern dieser Welt einem deutschen Papst zu, und das nicht aus dämlichem Personenkult, sondern um seiner menschenfreundlichen Botschaft willen. Joseph Ratzinger ist zweifellos der weltweit beliebteste und geliebteste Deutsche der vergangenen Jahrhunderte.
In Frankreich erwartete ein skeptischer Laizismus den deutschen Papst. Benedikt sprach, und die Öffentlichkeit war fasziniert. In Grossbritannien protestierte schon im Vorfeld ein militanter Atheismus. Der Papst sprach, und die Briten waren tief berührt.
Nur ein einziges Land ist da eine Ausnahme: Deutschland. Die israelische Zeitung „Ha’aretz“ schreibt, unter Benedikt XVI. seien die Beziehungen zwischen dem Vatikan und Israel so gut gewesen wie nie. Die linken Führer Lateinamerikas loben den deutschen Papst in echter Verehrung. Das sonst so skeptische Moskauer Patriarchat würdigt seinen ökumenischen Einsatz, und die Italiener auf dem Petersplatz halten Schilder hoch mit der Aufschrift: „Du bleibst in unseren Herzen.“
Nur in Deutschland ist es reichlich kühl. Hier bestimmt eine Briefkastenfirma namens „Kirchenvolksbewegung“ jede Sendung über den Papst und Hans Küng, der an seiner skurrilen Selbstverklärung tragisch gescheitert ist. Er hat stets den „bösen“ Ratzinger dem „guten“ Papst Johannes XXIII. gegenübergestellt.
Absurd falsches Ratzinger-Klischee
Dass das eine plumpe Fälschung ist, hat jüngst die Frings-Biografie von Norbert Trippen entlarvt: Vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde Kardinal Frings zu einem Vortrag in Genua über den Sinn dieses Konzils eingeladen. Er bat den jungen Bonner Universitätsprofessor Joseph Ratzinger, ihm den Text zu schreiben. Als er kurz danach für eine der Vorbereitungssitzungen nach Rom kam, rief morgens der Sekretär Papst Johannes’ XXIII. an: Frings solle umgehend zum Papst kommen. Der humorvolle Kardinal sagte seinem Sekretär: Legen Sie mir noch mal das rote Mäntelchen um, es könnte das letzte Mal gewesen sein.
Als er in der päpstlichen Wohnung ankam, eilte ihm Johannes XXIII. mit offenen Armen entgegen, umarmte ihn und sagte: Eminenz, ich habe heute Nacht Ihre Rede in Genua gelesen, genau das habe ich mit dem Konzil gemeint. Ich konnte es nur nicht so gut ausdrücken. Und da antwortete der bescheidene Frings: Danke, Heiliger Vater, aber die Rede hat ein junger Theologieprofessor geschrieben. Er heisst Joseph Ratzinger.
Vielleicht entspringt das absurd falsche Ratzinger-Klischee hierzulande aber einfach nur der verständlichen Scham für schreckliches deutsches Unrecht, die uns Deutschen jeden Stolz auf einen der Unseren verbietet. Und möglicherweise ist das sogar gut so. Vielleicht können all die anderen auf diese Weise unseren deutschen Papst leichter lieben, wenn er nicht von begeistert geschwungenen deutschen Fahnen umweht ist. Durch all dies aber ist dieser Deutsche auf dem Stuhl Petri gerade in Deutschland fast unbekannt.
Heiter und mit Sinn für Ironie
So weiss man hierzulande nicht, dass es Kardinal Ratzinger war, der Anfang der Neunzigerjahre durch ein grosses Interview die katholische Kirche in Deutschland motivierte, entgegen ihren bisherigen Erklärungen, aktiv an der Hospizbewegung teilzunehmen. Als er mich beauftragte, bereits 2003 einen Missbrauchskongress im Vatikan zu organisieren, war er es, der die Kurie antrieb, daran mitzuwirken, und der gegen Widerstände die Veröffentlichung der Tagung durchsetzte.
Von allen Kardinälen der Kurie war er der Entschiedenste bei der Verteidigung des Zero-Tolerance-Prinzips der amerikanischen Bischöfe. Ich persönlich habe Joseph Ratzinger stets unglaublich geistesgegenwärtig erlebt, heiter und mit Sinn für Ironie und Humor. Aber zugleich immer bescheiden und zurückhaltend.
Bei uns in der Kirche des Campo Santo Teutonico im Vatikan hielt damals Kardinal Ratzinger eine Karfreitagspredigt über das Schweigen Christi vor Pilatus. Und zum Höhepunkt dieser Predigt zitierte Kardinal Ratzinger den heiligen Ignatius von Antiochien, der auf dem Weg zu seinem Martyrium in Rom geschrieben hatte: „Wer die Worte Christi wirklich verstehen will, der muss zuerst sein Schweigen verstehen.“ In dieses Schweigen zieht sich jetzt dieser kleine grosse Mann zurück.
Manfred Lütz, Psychiater, Theologe und Bestsellerautor, ist Mitglied der Päpstlichen Akademie für das Leben und war unter den letzten beiden Päpsten Mitglied des Päpstlichen Laienrats.
… ein Traum von einem objektiven, klar-verständlichen, rücksichtsvollen, korrekten und barmherzigen Papst. Seine unglaublich tiefe, breite, analytisch-klare und wunderschön geschriebene Christologie (3 Jesus-Bücher, Eschatologie, seine Enzykliken) brachte mir meine persönliche Neu-Evangelisierung. Da wird man einfach gläubiger Katholik, es bleibt keine andere Wahl.