Missbrauch mit dem Missbrauch! **UPDATE

30.1.2022: Missbrauch | Glaubenswahrheit.org: Predigten von Prof. Dr. Georg May

Missbrauch Minderjähriger (326)
Kriminalstatistik 2021 – Sexuellen Missbrauch von Kindern bekämpfen | Jugendhilfeportal
*Joseph Ratzinger: Die Wahrheit und die Verleumdung – Jüngste Missbrauchsskandale und ihre Echos
Tibet: Dalai Lama – Asien – Kultur – Planet Wissen (planet-wissen.de)
**Neue Mitglieder für die Päpstliche Kommission zum Schutz Minderjähriger – Vatican News

30. Januar 2022

Miss­brauch

Im Namen des Vaters und des Soh­nes und des Hei­li­gen Geis­tes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Seit Jahr­zehn­ten wird die Öffent­lich­keit von Presse, Rund­funk und Fern­se­hen in Atem gehal­ten mit Mel­dun­gen, Berich­ten und Erzäh­lun­gen über sexu­el­len Miss­brauch durch Bediens­tete der katho­li­schen Kir­che, Pries­ter, Dia­kone, Lai­en­mit­ar­bei­ter.

Das Thema Miss­brauch nahm sei­nen Anfang durch den Jesui­ten­pa­ter Klaus Mer­tes. Er machte Miss­brauch­sta­ten am Ber­li­ner Cani­sius-Kol­leg aus den 1970er und 1980er Jah­ren publik. Mer­tes for­derte meh­rere hun­dert ehe­ma­lige Schü­ler des Kol­legs auf, nicht län­ger über die Ver­feh­lun­gen zu schwei­gen. Er ver­band die Miss­brauchs­frage von Anfang an mit Kir­chen­kri­tik. Das Echo war gewal­tig. Mer­tes löste eine Welle von Ent­hül­lun­gen in ganz Deutsch­land aus. Die Medien dräng­ten die Kir­che, ihrer­seits die von ihren Glie­dern ver­üb­ten Miss­brauch­sta­ten auf den Tisch zu legen. Die deut­schen Bischöfe waren ihnen zu Wil­len. Sie fass­ten den Beschluss, alle sexu­el­len Ver­feh­lun­gen von Kir­chen­be­diens­te­ten gegen­über Unmün­di­gen an die Öffent­lich­keit zu brin­gen, und das nicht bloß für die Gegen­wart, son­dern auch für die Ver­gan­gen­heit bis vor 75 Jah­ren. Die Bischöfe woll­ten nach eige­nem Bekun­den eine unheil­volle Geschichte trans­pa­rent machen. Nie­mand hat sie dazu gezwun­gen, nie­mand ist ihnen darin gefolgt. Keine ein­zige ver­gleich­bare Insti­tu­tion in Deutsch­land hat sich zu einem der­ar­ti­gen Unter­neh­men her­ab­ge­las­sen. Nicht die evan­ge­li­sche Kir­che, nicht die Ortho­do­xen, nicht die Mus­lime, nicht die Ver­bände der Kon­fes­si­ons­lo­sen. Weder die Poli­zei noch die Par­teien, weder die Sport­ver­bände noch die Leh­rer­schaft oder die Ärz­te­schaft haben eine über viele Jahr­zehnte aus­ge­dehnte öffent­li­che Unter­su­chung der bei ihnen gesche­he­nen Miss­brauchs­fälle ange­stellt und ihre Ergeb­nisse der Öffent­lich­keit unter­brei­tet. Sie den­ken nicht daran, es der Kir­che gleich­zu­tun. So ste­hen katho­li­sche Kir­chen­be­diens­tete ein­sam und allein vor dem Pran­ger. Es fehlt an Ver­gleichs­ma­te­rial mit Ange­hö­ri­gen ande­rer Stände und Berufe. Der ganze Unmut und Zorn ent­lädt sich über sie.

Miss­brauch ist ein Phä­no­men der gesam­ten Gesell­schaft. Von 1995-2010 hat es in Deutsch­land 210000 poli­zei­lich erfasste Fälle von Kin­des­miss­brauch gege­ben. Ins­ge­samt zählt man in unse­rem Land 10000 Miss­brauchs­fälle pro Jahr. Die Kri­mi­nal­sta­tis­tik weist für 1980 13000 Fälle, für 2008 15000 Fälle von sexu­el­lem Miss­brauch an Kin­dern aus. Im Jahre 2012 wur­den 12623 ange­zeigte Fälle von sexu­el­lem Miss­brauch an Kin­dern unter 14 Jah­ren ver­zeich­net. Die Kri­mi­nal­sta­tis­tik für 2017 spricht für die­ses Jahr von 13500 Opfern sexu­el­ler Gewalt. Im Jahr 2020 sind 80000 Straf­ta­ten gegen die sexu­elle Selbst­be­stim­mung zur Anzeige gebracht wor­den. Im Raum der katho­li­schen Kir­che haben sich in 68 Jah­ren angeb­lich 3677 Fälle ereig­net, 54 Fälle pro Jahr. Jeder ein­zelne Fall ist abscheu­lich und hätte nicht gesche­hen dür­fen. Betrof­fen sind Pries­ter, Dia­kone und Lai­en­mit­ar­bei­ter, letz­tere zu einem Drit­tel. Die lange Zeit­spanne, wel­che die Bischöfe für ihre „Auf­ar­bei­tung“ gewählt hat­ten, ermög­lichte die hohe Zahl von Fäl­len, auf die sich die Feinde der Kir­che sogleich und dau­er­haft stürz­ten. Bei kür­ze­ren Zeit­räu­men sieht die Lage anders aus. Nach dem „Spie­gel“ sind in den 15 Jah­ren von 1995-2010 in 24 deut­schen Bis­tü­mern 94 Kle­ri­ker und Lai­en­mit­ar­bei­ter des Miss­brauchs beschul­digt wor­den. Von den Ver­däch­tig­ten seien 30 straf­recht­lich ver­ur­teilt wor­den. Die meis­ten Fälle waren ver­jährt. Das heißt: 99,5 Pro­zent der Fälle sexu­el­len Miss­brauchs fin­den nicht im Raum der Kir­che statt. Die häu­figs­ten Täter­grup­pen sind bekannte männ­li­che Per­so­nen und männ­li­che Fami­li­en­an­ge­hö­rige. Die meis­ten Fälle ereig­nen sich in der Fami­lie, etwa 80 Pro­zent, neun­zehn Pro­zent in Insti­tu­tio­nen wie Sport­ver­ei­nen. Nach einer For­schung im Bereich des Sports haben 37 Pro­zent der deut­schen Spit­zen­ath­le­ten als Kind oder Jugend­li­cher eine Form der sexu­el­len Gewalt erfah­ren. In der Lan­des­ärz­te­kam­mer Hes­sen gibt es eine Ombuds­stelle für Fälle von Miss­brauch in ärzt­li­chen Behand­lun­gen. In den USA sind 5 bis 7 Pro­zent der Leh­rer in sexu­el­len Miss­brauch ver­wi­ckelt.

Jeder erwie­sene Miss­brauch ist eine abscheu­li­che Tat, bei der das Opfer an ers­ter Stelle ste­hen muss. Jede Tat, die wirk­lich als Miss­brauch erwie­sen wird, ist eine zu viel. Sie ist beson­ders schwer zu bewer­ten, wenn sie von einem Pries­ter began­gen wird. Kin­des­miss­brauch ist im Chris­ten­tum immer als schwere Sünde ange­se­hen wor­den, und das im Unter­schied zu der heid­ni­schen Umwelt, die sogar gewerbs­mä­ßige Kin­der­pro­sti­tu­tion dul­dete. Die seit Jahr­zehn­ten lau­fende und immer neu ange­heizte Debatte über sexu­el­len Miss­brauch lei­det an dem fun­da­men­ta­len Feh­ler, dass nie­mals amt­lich und ver­bind­lich fest­ge­stellt wurde, wel­ches Ver­hal­ten eines Erwach­se­nen gegen­über einem Unmün­di­gen als Miss­brauch ein­zu­stu­fen ist. Gerade die Unbe­stimmt­heit des Begriffs ermög­licht die Ufer­lo­sig­keit der Behaup­tun­gen, Ankla­gen und Sta­tis­ti­ken. Der Begriff des Miss­brauchs wurde sehr weit gefasst. Direkte sexu­elle Delikte und indi­rekte Hand­lun­gen wie etwa Exhi­bi­tio­nis­mus oder die Anfer­ti­gung voy­eu­ris­ti­scher Bil­der wur­den zusam­men­ge­fasst. Man­che füh­ren als Miss­brauch die unan­ge­mes­sene Berüh­rung über der Klei­dung außer­halb der Geschlechts­or­gane an. Sie ist nicht straf­bar. Man kann sie nicht genauso bewer­ten wie Ver­ge­wal­ti­gun­gen. Zärt­lich­kei­ten, die aus Sym­pa­thie und Wohl­wol­len her­vor­ge­hen, wer­den als sexu­elle Annä­he­rung aus­ge­ge­ben. Der Direk­tor der Ober­schule, die ich besuchte, hatte die Ange­wohn­heit, dass er gele­gent­lich den einen oder ande­ren der Jun­gen an sich zog. Aber nie­mand hatte den Ein­druck, hier geschehe ein sexu­el­ler Akt. Es gibt sodann Baga­tell­fälle, die zwar auch nicht akzep­ta­bel sind, aber im Ver­gleich zu dem schwe­ren Miss­brauch rela­tiv belang­los sind. Bei einem Haus­mu­sik­abend soll­ten meine Schwes­ter und ich gemein­sam (Kla­vier und Geige) auf­tre­ten. Der Musik­leh­rer, der mit uns probte, berührte mit zwei Fin­gern flüch­tig die Brust mei­ner Schwes­ter. War das Miss­brauch? Kör­per­li­che und sexu­elle Gewalt wur­den zusam­men­ge­zählt bei der Unter­su­chung von Miss­grif­fen bei den Regen­bur­ger Domspat­zen (1945-1992). Der lang­jäh­rige Lei­ter des Chors, Georg Ratzin­ger, bezeich­nete die soge­nannte Auf­klä­rung als „Irr­sinn“. „Es ist ein­fach Irr­sinn, wie man über 40 Jahre hin­weg über­prü­fen will, wie viele Ohr­fei­gen bei uns ver­teilt wor­den sind, so wie in ande­ren Ein­rich­tun­gen auch.“ Kör­per­li­che Stra­fen wur­den noch in den sech­zi­ger und sieb­zi­ger Jah­ren des vori­gen Jahr­hun­derts als nor­male Erzie­hungs­mit­tel ange­se­hen. Die Gerichte sind genauer als die Presse und gut bezahlte Anwalts­kanz­leien. Aus den Straf­ak­ten der Jus­tiz erge­ben sich in 31 Pro­zent der Fälle Ver­ur­tei­lun­gen, in 21 Pro­zent Frei­sprü­che oder Ein­stel­lun­gen des Ver­fah­rens wegen man­geln­den Tat­ver­dachts. Nur in einer Min­der­heit der Fälle hat die Jus­tiz also eine Straf­tat fest­ge­stellt.

Man muss beden­ken, in wel­chen Zeit­raum die ver­werf­li­chen Taten fal­len. Es ist die Zeit der sexu­el­len Revo­lu­tion, die bis heute anhält. Damit ist gemeint die Dere­gu­lie­rung der sexu­el­len Nor­men, die zu einer Sexua­li­sie­rung der Gesell­schaft führt. Die sexu­elle Revo­lu­tion zer­schlägt die über­lie­fer­ten Wert­sys­teme aller Kul­tu­ren und Reli­gio­nen. Fun­da­men­tale Gebote mensch­li­chen Ver­hal­tens, die noch vor weni­gen Jahr­zehn­ten all­ge­meine Gül­tig­keit hat­ten, wur­den außer Kraft gesetzt. Was damals als gut galt, gilt heute als schlecht, und umge­kehrt, was frü­her als ver­werf­lich ange­se­hen wurde, gibt man heute als zuläs­sig aus. Die christ­li­che Kul­tur der Keusch­heit wird als Unter­drü­ckung des Sexu­al­triebs ver­leum­det. Sexu­elle Frei­heit sei not­wen­dig, damit der Mensch sich selbst bestimme. Kin­der hät­ten von Geburt an sexu­elle Bedürf­nisse und dem­zu­folge auch ein „Recht auf Sexua­li­tät“. Jugend­li­chen wird die Mas­tur­ba­tion emp­foh­len. Publi­zis­ten und Poli­ti­ker set­zen sich für die Ent­kri­mi­na­li­sie­rung pädo­phi­ler Bezie­hun­gen ein unter dem Schlag­wort „Befrei­ung der Sexua­li­tät des Kin­des“. Geschlecht­li­che Bezie­hun­gen unter Bluts­ver­wand­ten sol­len nicht mehr straf­bar sein. Die Welle des sexu­el­len Libe­ra­lis­mus schwappt auch in unsere Kir­che über. Nicht zur Ent­las­tung, son­dern zur Erklä­rung der abscheu­li­chen Taten sei dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die Theo­lo­gie­stu­den­ten und ange­hen­den Pries­ter seit Jahr­zehn­ten von irr­leh­ren­den Theo­lo­gen falsch gelehrt wur­den. Sie ver­kün­den ent­ge­gen der Lehre der Kir­che: Es gibt keine Hand­lun­gen, die immer und unter allen Umstän­den ver­bo­ten sind. Also auch nicht sexu­elle Hand­lun­gen mit Min­der­jäh­ri­gen? Ich habe die Bischöfe wie­der­holt auf diese Irr­lehre hin­ge­wie­sen. Gehört haben sie mich nicht.

Es ist offen­kun­dig, dass sich das Haupt­in­ter­esse der Öffent­lich­keit außer auf die wirk­li­chen oder ver­meint­li­chen Miss­brauch­stä­ter auf deren Vor­ge­setzte, also die Bischöfe und deren Per­so­nal­re­fe­ren­ten, rich­tet. Man spricht von ihrem Ver­tu­schen. Aber nie­mand sagt, wel­ches Ver­hal­ten als Ver­tu­schen ein­zu­stu­fen ist. Ich ver­stehe unter Ver­tu­schen Hand­lun­gen oder Unter­las­sun­gen, die dem sie Vor­neh­men­den geeig­net erschei­nen, einen erkann­ten Miss­brauch­stä­ter einer ver­dien­ten Sank­tion zu ent­zie­hen. Tat­säch­lich waren Bischöfe und ihre Mit­ar­bei­ter der schwie­ri­gen Auf­gabe, mit Ver­feh­lun­gen von Kir­chen­be­diens­te­ten sach­lich und gerecht umzu­ge­hen, häu­fig nicht gewach­sen. So waren sie viel­fach zu leicht­gläu­big, indem sie dem Reu­e­be­kennt­nis der Täter zu rasch Ver­trauen ent­ge­gen­brach­ten. Sie haben das Rück­fall­ri­siko über­se­hen. Frei­lich ist zu beden­ken: Bei ande­ren Miss­brauch­stä­tern liegt die Quote der Selbst­an­zeige bei null. Bei kirch­li­chen Bediens­te­ten sind es zehn Pro­zent. Doch es bleibt dabei: Die Vor­ge­setz­ten waren häu­fig zu ver­trau­ens­se­lig. Doch fal­sche Ein­schät­zung eines bekannt gewor­de­nen Fal­les ist kein Ver­tu­schen. Die Bischöfe han­del­ten in gutem Glau­ben. Sie woll­ten Tätern hel­fen, aus ihrer Ver­stri­ckung her­aus­zu­kom­men, indem sie diese zur Behand­lung schick­ten. Die Mehr­zahl der Täter wies keine dia­gnos­ti­zier­ba­ren psy­cho­lo­gi­schen Auf­fäl­lig­kei­ten auf. Man nahm an, die Täter könn­ten durch eine The­ra­pie geheilt wer­den. Tat­säch­lich sind nur etwa fünf Pro­zent der über­grif­fi­gen Geist­li­chen nach einer The­ra­pie erneut mit Über­grif­fen in Erschei­nung getre­ten. Es ist wahr, dass die Bischöfe meis­tens nicht ent­schie­den genug gegen die Täter vor­gin­gen. Gebo­tene Maß­nah­men mit Sank­ti­ons­cha­rak­ter unter­blie­ben. Pries­ter, die durch sexu­el­len Miss­brauch auf­fäl­lig gewor­den waren, wur­den an ande­ren Orten ein­ge­setzt unter Ver­schwei­gen der Hin­ter­gründe ihrer Ver­set­zung. Das war ein Feh­ler. Er hat wei­tere Taten ermög­licht. Doch bleibt zu beden­ken: Es ist schwie­rig Pries­ter, die ja auf­grund ihrer Weihe ewig Pries­ter blei­ben, rich­tig ein­zu­set­zen. Soll der Bischof einen Pries­ter, der vor 30 Jah­ren eine ein­ma­lige Grenz­über­schrei­tung began­gen hat, für immer von jeder Seel­sorge aus­schlie­ßen? Pries­ter, die sich schul­dig gemacht haben, ein­fach zu ent­las­sen, ist keine Lösung. Denn dann neh­men sie sich eine Woh­nung neben dem nächs­ten Kin­der­spiel­platz. Es soll auch nicht ver­ges­sen wer­den, dass Psy­cho­lo­gen und Psy­cho­the­ra­peu­ten aus Kin­der­schän­dern Pati­en­ten, Kranke gemacht haben. Pati­en­ten, Kranke zu stra­fen, kam man­chen Bischö­fen nicht in den Sinn. Die Bischöfe mein­ten, die außer­ge­richt­li­che Erle­di­gung eines Miss­brauchs­fal­les sei der Straf­an­zeige vor­zu­zie­hen. Auch viele Opfer lehn­ten die Anzeige ab. Die außer­ge­richt­li­che Erle­di­gung eines Miss­brauchs­falls ist kein Ver­tu­schen. Sie ist scho­nend für alle Betei­lig­ten. Ich habe erlebt, dass ein Fami­li­en­va­ter meh­rere sei­ner Kin­der sexu­ell miss­brauchte. Hätte man ihn ange­zeigt, wäre er für lange Jahre in ein Gefäng­nis gekom­men. Das woll­ten weder die Mut­ter noch die Kin­der. Der Fall wurde dadurch gelöst, dass die Frau sich schei­den ließ und die Kin­der mit sich nahm.

Der Umgang mit den Opfern war in der Ver­gan­gen­heit häu­fig nicht genü­gend. Ihre kör­per­li­chen und see­li­schen Ver­let­zun­gen wur­den nicht oder nicht hin­rei­chend beach­tet. Sie hät­ten mehr Zuwen­dung ver­dient, als ihnen zuteil wurde. Den Opfern ist uner­mess­li­ches Leid zuge­fügt wor­den. Viele lei­den noch nach Jahr­zehn­ten unter Depres­sio­nen und Part­ner­schafts- sowie Sexu­al­pro­ble­men. Eine sexu­elle Trau­ma­ti­sie­rung durch einen Pries­ter ist beson­ders fol­gen­reich für das Kind. Die Got­tes­be­zie­hung des Kin­des ist tief­ge­hend gestört. Viele Opfer wol­len mit der Kir­che nichts mehr zu tun haben und sehen ihren Glau­ben an Gott zer­stört. Man weist auf kör­per­li­che oder see­li­sche Schä­den infolge des Miss­brauchs hin. Diese Schä­den sind selbst­ver­ständ­lich mit allen Mit­teln zu behe­ben. Aber man soll auch hier nicht über­trei­ben. Nach Ansicht der Fach­leute zei­gen 21 bis 36 Pro­zent der Kin­der keine trau­ma­ti­schen Sym­ptome. Der „Spie­gel“ bezwei­felte, ob Kin­des­miss­brauch bei den Opfern über­haupt einen Scha­den anrich­tet (Nr. 35/1970).

Es ist rich­tig und not­wen­dig, sich der Opfer von Miss­bräu­chen anzu­neh­men. Sie sol­len und kön­nen zur Ent­lar­vung von Tätern bei­tra­gen. Doch wer beschul­digt, trägt die Beweis­last. Sexu­al­de­likte wer­den zumeist nicht vor Zeu­gen began­gen. Die Aus­sage des Opfers ist daher oft das ent­schei­dende oder das ein­zige Beweis­mit­tel. Daher ist zu fra­gen, wie es um die Wahr­neh­mungs­fä­hig­keit und den Wahr­heits­wil­len die­ser Per­son steht. Auf die Art und Weise, wie Kin­der nach angeb­li­chen Miss­brauchs­hand­lun­gen befragt wer­den, kommt es an. Durch den Erwar­tungs­ho­ri­zont der Erwach­se­nen kön­nen sie leicht in eine bestimmte Rich­tung gedrängt wer­den. Sug­ges­tive Befra­gung kann Pseudo-Erin­ne­run­gen über sexu­el­len Miss­brauch ent­ste­hen las­sen. Das Opfer kann sodann ver­sucht sein, sei­nen eige­nen Tat­bei­trag zu mini­ma­li­sie­ren oder zu ver­ber­gen. Man rech­net mit einem Fünf­tel bis zu einem Vier­tel der Fälle, in denen sich die jugend­li­chen Opfer bil­li­gend, aktiv oder gar initia­tiv ver­hiel­ten. Eine gewisse Zahl der Opfer hat dem Miss­brauch vor­her­ge­hende sexu­elle Erfah­run­gen. Die von den Auto­ren ange­ge­be­nen Zah­len schwan­ken zwi­schen 2 und 30 Pro­zent. Aus­sa­gen über sexu­elle Opfe­rer­fah­run­gen sind auch dar­auf­hin zu prü­fen, ob eine bewusste Falsch­aus­sage vor­liegt. Sie könnte vor­ge­nom­men wer­den, um finan­zi­elle Vor­teile zu erlan­gen. Sie könnte auch ein Akt der Rache sein. Es ist bekannt, dass Kin­der und Jugend­li­che gegen Leh­rer, die sie nicht lei­den kön­nen, abträg­li­che Gerüchte und erfun­dene Ver­feh­lun­gen ver­brei­ten. Haben die Unter­su­cher diese Gefah­ren­quelle beach­tet? Es gibt auch unbe­wusste Falsch­aus­sa­gen. Wer einen ande­ren auf­grund einer Schei­ner­in­ne­rung beschul­digt, ist sub­jek­tiv über­zeugt, das schlimme Ereig­nis erlebt zu haben. Es besteht die Gefahr, dass unschul­dige Pries­ter beschul­digt und so selbst zu einer Art Opfer wer­den. Der Fall des Kar­di­nals Pell in Aus­tra­lien gibt zu den­ken. Unbe­schol­tene oder in Ehren gehal­tene Pries­ter wer­den mit Hand­lun­gen in Ver­bin­dung gebracht, an die sie nicht im Traum gedacht haben. Auch die unschul­dig Beschul­dig­ten sind eine Opfer­gruppe. Fal­sche Ver­däch­ti­gun­gen kön­nen leben­zer­stö­rende Fol­gen haben.

Die Miss­brauchs­fälle und noch mehr ihre Behand­lung in den Medien haben der Kir­che uner­mess­li­chen Scha­den ein­ge­tra­gen. Das Ver­trauen in die Kir­che ist nach­hal­tig erschüt­tert wor­den. Viele Gläu­bige sind an der Kir­che irre gewor­den. Dar­über hin­aus neh­men zahl­rei­che Men­schen die bekla­gens­wer­ten Fälle zum Anlass, mit dem Glau­ben zu bre­chen. Aller­dings ist zu beden­ken, dass unab­hän­gig von die­sen Gescheh­nis­sen nach Umfra­gen nur noch 23 Pro­zent der katho­li­schen Getauf­ten den Glau­ben der Kir­che beja­hen. Die Kir­che bemüht sich seit Jah­ren um eine gründ­li­che und trans­pa­rente Auf­ar­bei­tung des Gesche­hens. Keine andere Gemein­schaft macht eine der­ar­tige Anstren­gung wegen des Miss­brauchs ihrer Mit­glie­der wie die katho­li­sche Kir­che. Sie steht kon­kur­renz­los in der Auf­klä­rung von Miss­brauchs­fäl­len, und gerade das macht sie zur ein­sa­men Ziel­scheibe. Die Medien schie­ßen nur auf die katho­li­sche Kir­che. Die Muni­tion haben ihnen die Bischöfe gelie­fert mit ihrem Beschluss, Ver­feh­lun­gen seit 75 Jah­ren der Öffent­lich­keit zu unter­brei­ten. Die Mas­sen von Miss­brauchs­fäl­len außer­halb der katho­li­schen Kir­che schei­nen für die Medien unin­ter­es­sant zu sein. Offen­sicht­lich geht es ihnen weni­ger um Opfer und deren Wie­der­gut­ma­chung, son­dern darum, eine läs­tige Insti­tu­tion zum Schwei­gen zu brin­gen, die all das lehrt, was sie selbst längst auf­ge­ge­ben haben. Die Kam­pa­gne der Medien erweckt den Ein­druck, dass die gesamte katho­li­sche Kir­che ver­seucht ist. Die über­große Mehr­heit der Kir­chen­be­diens­te­ten, wel­che die abscheu­li­chen Miss­eta­ten ver­wer­fen, bleibt außer Betrach­tung. Die Wahr­heit ist: Nicht die Kir­che ist schuld, son­dern Men­schen der Kir­che und in der Kir­che. Eine Kol­lek­tiv­ver­ant­wor­tung gibt es nicht. Es ist daher unbe­grün­det, wegen Ver­ge­hen von Kir­chen­be­diens­te­ten den bür­ger­li­chen Kir­chen­aus­tritt zu erklä­ren. Der gläu­bige Christ ist nicht Glied der Kir­che, weil deren Die­ner alle­samt hei­lig oder auch nur unbe­schol­ten sind, son­dern weil sie in der Kir­che das Wort der Wahr­heit und die Mit­tel des Heils fin­den. Wer wegen der Miss­bräu­che aus der Kir­che aus­tritt, war nicht wegen des Glau­bens darin. Selbst schul­dig gewor­dene Pries­ter haben das Evan­ge­lium ver­kün­det und die Sakra­mente gespen­det, und zwar gül­tig. Der schot­ti­sche Kon­ver­tit Bruce Mas­hall lässt einen alten Pries­ter spre­chen: „Als ich jung war, meinte ich, die Kir­che bestehe aus acht­zig Pro­zent Geist­lich­keit und zwan­zig Pro­zent Gott. Jetzt weiß ich, dass sie aus neun­und­neun­zig Pro­zent Gott und viel­leicht ein Pro­zent der gesam­ten Geist­lich­keit der Welt besteht.“ Der Ber­li­ner Groß­stadt­a­pos­tel Son­nen­schein schrieb an die Men­schen sei­ner Zeit: „Gehe nicht wegen des Pries­ters und nicht wegen der Pre­digt zum Got­tes­dienst. Schau zum Hoch­al­tar. Brennt die rote Lampe in der schwan­ken­den Ampel? So brenne auch deine Seele zu Gott.“ Wer wegen der Sün­den von Pries­tern und Pas­tor­al­mit­ar­bei­tern aus der Kir­che aus­tritt, ver­hält sich wie ein Wein­trin­ker, der meint, er müsse außer dem Wein auch die Fla­sche mit­trin­ken. Die Form und die Struk­tur sind not­wen­dig, ja unent­behr­lich. Aber heils­kräf­tig ist allein der Inhalt. Unwür­dige Die­ner von Wahr­heit und Gnade ver­mö­gen deren Segen nicht zu ver­hin­dern. Mut­ter Teresa, der Engel der Armen in den Slums von Kal­kutta, wurde von einem Jour­na­lis­ten gefragt, was sich ändern müsse in der Kir­che. Sie gab zur Ant­wort: „Sie und ich, wir müs­sen uns ändern.“

Amen.

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