‘Ecclesiam Dei’ – Enzyklika von Papst Pius XI.
Zum 300. Jahrestag Todestag des heiligen des Märtyrers Josaphat, des Erzbischofs von Polozk
12. November 1923
‘Ecclesiam Dei’ (Wortlaut) – Kathpedia
‘Ecclesiam Dei’, Epistola Encyclica in Natali CCC Sancti Iosaphat Martiris Archiepiscopi polocensis ritus orientalis (Vatikan – Latein)
Johannes de Plano Carpini
Ehrwürdige Brüder !
Gruss und Apostolischen Segen !
1. Der Wille Gottes
Gottes wunderbare Ratschluss hat die Kirche in der Fülle der Zeiten geschaffen als eine große Familie, welche das ganze Menschengeschlecht umfassen soll. Neben anderen außerordentlichen Merkmalen ist ihr das Kennzeichen der Allgemeinheit als besondere Auszeichnung von Gott verliehen. Als Christus der Herr sprach: “Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Gehet also hin und lehret alle Völker (Mt 28, 18.19), da begnügte er sich nicht damit, einzig den Aposteln sein vom Vater empfangenes Amt zu übertragen, sondern es war auch sein Wille, die Gemeinschaft der Apostel sollte zu einer unlöslichen Einheit werden. Ein zweifaches Band sollte sie fest zusammenschließen: im Innern der Eine Glaube und die Eine Liebe, die “der Heilige Geist … in die Herzen ausgegossen” (Röm 5, 5), nach außen hin die einheitliche Führung durch einen einzelnen. Denn Christus hatte als ein fortwährendes Unterpfand und eine sichtbare Grundlage der Einheit dem Petrus den Primat über die Apostel zuerkannt. Diese Einheit hat Jesus vor seinem Tode den Aposteln eindringlich ans Herz gelegt (Joh 17, 11.21.22). Mit inständigen Bitten hat er sie vom Vater erfleht (Joh 17, 11.21.22) und hat sie auch erhalten, “ob seiner Ehrfurcht erhört” (Hebr. 5, 7).
Die Kirche wuchs und wurde “ein Leib”, stark und lebenskräftig durch einen Geist: Ihr Haupt ist Christus, von dem der ganze Leib zusammengefügt und durch jedes Band der Mitteilung zur Einheit verbunden ist” (Eph 4, 4.5.15.16). Der römische Papst aber ist der Statthalter Christi das sichtbare Haupt der Kirche. Ihm, als dem Nachfolger des Petrus, gilt für alle Zeiten das Wort Christi: “Auf beiden Felsen will ich meine Kirche bauen” (Mt 16, 18). Er versieht ohne Unterlass das dem Petrus übertragene Statthalteramt, stärkt seine Brüder, wo es notwendig ist und weidet unermüdlich die Lämmer und Schafe aus der Herde des Herrn.
2. Trennung und Einigungsversuche
Der blosse Feind nun hat nichts mit solcher Erbitterung bekämpft wie diese einheitliche Leitung der Kirche; denn sie wirkt “die Einheit des Geistes im Bande des Friedens” (Eph 4,3). Gegen die Kirche als solche vermochte er freilich nichts auszurichten, aber es gelang ihm doch, zahlreiche ihrer Kinder und sogar ganze Völker ihren schützenden Mutterarmen zu entreissen. Einen grossen Teil tragen die gegenseitigen Zwistigkeiten der Völker oder glaubensfeindliche und gottlose Gesetze oder endlich die unlautere Gier nach vergänglichen Gütern.
Am meisten einschneidend und beklagenswert war aber die Loslösung der Byzantiner von der allgemeinen Kirche. Die Konzilien von Lyon und Florenz liessen zwar die Heilung des Übels erhoffen, aber es brach von neuem aus und dauert, zum grossen Schaden der Seelen, bis zum heutigen Tage fort. Neben anderen sehen wir daher die Slawen des Orients vom rechten Weg abgezogen und dem Heile abgewandt, obwohl sie länger als die übrigen im Schoss der Mutterkirche verblieben waren. Sie unterhielten ja auch nach dem Schisma des Michael Cärularius noch einige Beziehungen zum Apostolischen Stuhle. Diese Verbindung wurde durch die Tartaren- und Mongoleneinfälle zwar unterbrochen, aber dann von neuem gesucht und festgehalten, soweit das infolge der Gewalttätigkeit der Machthaber möglich war.
Die römischen Päpste haben in diesen Angelegenheit ihren Amtspflichten voll und ganz genügt. Manche erblickten in der Sorge um das Seelenheil der Slawen des Orients eine ihrer wichtigsten Aufgaben. So richtete Gregor VII. an den Fürsten von Kiew, an “Demetrius, den russischen König uns seine Gemahlin, die Königin, bei Gelegenheit ihrer Thronbesteigung einen Brief, in welchem er von ganzem Herzen Heil und Segen für sie von Gott erflehte (Ep.I.2, ep. 74, bei Migne, lat. Bd. 148, S. 425). Er hatte damit die Bitte ihres in Rom weilenden Sohnes erfüllt. Honorius III. schickte eine Gesandtschaft nach der Stadt Nowgorod und seinem Beispiel folgte Gregor IX. und bald darauf Innozenz IV. Er übertrug diese Aufgabe einem geistig hochstehenden und charakterfesten Mann, einer Zierde des Franziskanerordens, dem Johannes de Plano Carpino. Die Früchte dieses liebevollen Eifers Unserer Vorgänger reiften im Jahre 1255 heran. Friede und Eintracht wurden wiederhergestellt und bei diesem festlichen Anlass setzte der päpstliche Legat Abt Opizo im Namen und in Vertretung des erhabenen Pontifex dem Sohn des Romanus, Daniel, feierlich die Königskrone aufs Haupt. Nach der ehrwürdigen Sitte und Überlieferung der alten orientalischen Slawen verpflichte sich Isidor, der Metropolit von Kiew und Moskau, Kardinal der römischen Kirche, auf dem Konzil von Florenz auch im Namen und in der Sprache seiner Landsleute, die katholische Einheit in Treue gegen den Apostolischen Stuhl heilig und unversehrt zu bewahren.
Die Wiedervereinigung hatte während einer Reihe von Jahren Bestand. Die politischen Wirren zu Beginn des 16. Jahrhunderts trugen viel bei zu ihrer Zerstörung. Sie wurde dennoch im Jahre 1595 glücklich wiederhergestellt und im folgenden Jahre auf dem Kongress von Brest verkündet, auf Veranlassung und Betreiben des Metropoliten von Kiew und der anderen ruthenischen Bischöfe. Diesen begegnete Klemens VIII. mit herzlicher Liebe und rief in der Bulle Magnus Dominus alle Christgläubigen des Erdkreises auf, Gott Dank zu sagen, “dessen Gedanken stets Gedanken des Friedens sind und dessen Wille es ist, dass alle menschen selig werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.
3. Der heilige Josaphat, Apostel der Einheit
Die göttliche Vorsehung hatte aber beschlossen, die Einheit und Eintracht mit dem Zeichen der Heiligkeit und des Martyriums zu besiegeln, um die Fortdauer für alle Zeiten zu sichern. Das ruhmvolle Los fiel auf den heiligen Josaphat, den Erzbischof von Polozk, der dem orientalischen Ritus angehörte. Wir verehren in ihm mit Rechte die leuchtende Zier und die stolze Säule der orientalischen Slawen. Ihren Namen hat kein anderer mit solchem Glanz umgeben und keiner hat mehr für ihr Seelenheil getan als Josaphat, ihr Hirt und Apostel, der sein Blut für die Einheit der heiligen Kirche hinströmen ließ. Wir benutzen gern den Anlass des dreihundertsten Jahrestages dieses herrlichen Martyriums, um das Andenken des großen Mannes wieder aufzufrischen. Möge der Herr die innigen Bitten der Guten erhören und “in seiner Kirche jenen Geist erwecken, der den seligen Bischof und Märtyrer Josaphat erfüllte, als er sein Leben hingab für seine Schafe” (Aus dem Offizium des hl. Josaphat). Wenn dann überall der Eifer für die Herstellung der Einheit sich mehrt, wird das Werk, das ihm am Herzen lag, einen guten Fortgang nehmen. Die Verheißung Christi und das Sehnen aller Heiligen wird sich erfüllen: “Eine Herde wird sein und ein Hirt” (Joh 10, 16).
Der heilige Josaphat wurde von schismatischen Eltern geboren und erhielt in der Taufe den Namen Johannes. Schon im zarten Kindesalter neigte sein Herz zur Frömmigkeit. Wenn sich die slawische Liturgie vor seinen Augen in ihrem Glanz entfaltete, erfasste ihn ein brennendes Verlangen nach der Wahrheit und nach der Verherrlichung Gottes. Wenn er sich schon als kleiner Knabe nach der Vereinigung mit der einen, allgemeinen oder Katholischen Kirche sehnte, so leiteten ihn keinerlei irdische Erwägungen. Er war überzeugt, dass er durch die gültig empfangene Taufe zu dieser Gemeinschaft berufen sei. Durch einen himmlischen Drang fühlte er sich getrieben, die heilige Einheit allenthalben wiederherzustellen und erkannte, dass er durch Beibehaltung des orientalischen Ritus der Slawen und des Ordenslebens des heiligen Basilius dieser Einheit am wirksamsten dienlich sein könne. Darum trat er im Jahre 1604 als Novize in den Orden des heiligen Basilius ein, legte den Namen Johannes ab und erhielt den Ordensnamen Josaphat. In Gottesliebe und strenger Abtötung ging er nun ganz auf in einem an allen Tugenden reichen Leben. Die Liebe zum Kreuz hatte er seit seiner frühesten Jugend aus der Betrachtung des gekreuzigten Heilandes geschöpft und sie hat ihn als eine besondere Tugend durch sein ganzes Leben begleitet.
Der Metropolit von Kiew, Joseph Belamin Rutsky, der als Archimandrit das Kloster leitete, gibt dem heiligen Josaphat das Zeugnis, “er habe im klösterlichen Leben in kurzer Zeit solche Fortschritte gemacht, dass er ein Lehrmeister der anderen hätte sein können”. Kaum war er daher mit der Priesterwürde bekleidet, als man ihn selbst zum Archimandriten ernannte und mit der Leitung des Klosters betraute. In Ausübung dieses Amtes war er besorgt, das Kloster und die angrenzende Kirche in gutem Zustande zu halten und gegen feindliche Angriffe zu sichern. Darüber hinaus war er eifrig bemüht, das christliche Volk zum häufigen Besuch des von den Gläubigen nahezu entblößten Heiligtums zu veranlassen. Mehr als alles aber, lag ihm die Vereinigung seiner Landsleute mit dem Stuhle Petri am Herzen. Alle Gründe, von denen er sich eine Förderung und Festigung der Einheit versprach, trug er sorgfältig zusammen und versenkte sich insbesondere in die liturgischen Bücher, welche auch die getrennten Orientalen nach den Vorschriften der heiligen Väter gebrauchen.
Nach so gründlicher Vorbereitung begann er das Werk der Wiedervereinigung mit solcher Kraft und Milde zugleich und mit so großem Erfolg, dass ihn seine Gegner einen “Seelenfänger” (raptor animarum) nannten. Es ist wirklich wunderbar, wie viele er in den einen Schafstall Jesu Christi zurückführte. Angehörige aller gesellschaftlichen Schichten und Klassen, einfache Arbeiter und Bauern, Kaufleute, Adlige, auch Präfekten und Statthalter von Provinzen, wie Sokolinjki von Polozk, Tyskiewicz von Nowogrodec, Mieleczko von Smolensk. Nachdem er aber der Diözese Polozk zum Bischof gegeben war, wurde das Feld seines apostolischen Wirkens noch weit größer. Freilich muss die persönliche Kraft, mit der er sein Apostelamt verwaltete, ans Unglaubliche gegrenzt haben. Sein Leben war ein erhabenes Vorbild durch Keuschheit, Armut und strenge Zucht. Gegen die Armen war er so freigebig, dass er zur Linderung ihrer Not sein Omophorion verpfändete. Er beschränkte sich immer streng auf das religiöse Gebiet und hielt sich von politischen Fragen fern, obwohl man ihn mehr als einmal dazu veranlassen wollte, sich in die Staatsgeschäfte und die politischen Streitfragen einzumischen. All sein Tun beflügelte die helle Begeisterung des hochheiligen Bischofs, der nicht müde wurde, in Wort und Schrift der Wahrheit einen Weg zu bahnen. Er gab eine Reihe von Schriften heraus, die dem Verständnis des Volkes glücklich angepasst waren. So handelte er über den Primat des heiligen Petrus, über die Taufe des heiligen Wladimir, verfasste eine Abhandlung zur Verteidigung der katholischen Einheit, einen Katechismus ähnlich dem des seligen Petrus Canisius und dergleichen mehr. Ständig war er darauf bedacht, den Weltklerus und die Orden u gewissenhafter Erfüllung ihres Standespflichten anzuhalten. Er wollte Liebe und Begeisterung für den Priesterberuf wecken. Und allmählich gelang es ihm, das in der christlichen Lehre gefestigte und durch verständnisvolle Verkündigung des Gotteswortes gut vorbereitete Volk zum häufigen Empfang der Sakramente und zur regen Teilnahme an der heiligen Liturgie zu bewegen. Ganz allgemein kehrte eine heiligere Lebensordnung wieder ein. Nach der Breite und Tiefe ließ der heilige Josaphat den Geist Gottes strömen und baute das Werk der Einheit, dem er sein Leben geweiht hatte, ganz herrlich aus. Er gab ihm dem stärksten halt und die letzte Weihe, als er für diese Einheit zum Märtyrer wurde, freudigen Sinnes, mit wundervoller Seelengröße. Das Martyrium hatte sein Herz immer ersehnt und oft hatte sein Mund die Sehnsucht bekannt. Seine Predigten verlangten häufig danach und er erflehte es von Gott als ein besonderes Gnadengeschenk. Als man ihn wenige Tage vor seinem Tode vor seinen Verfolgern warnte, da sprach er: “Herr, lass mich mein Blut vergießen für die Einheit und für den Gehorsam gegen den Apostolischen Stuhl.” – Sein Wunsch wurde erfüllt am Sonntag, den 12. November 1623. Die Feinde umzingelten den Apostel der Einheit und forderten sein Leben. Da trat er auf sie zu, voll Güte und Heiterkeit. Nach dem Vorbilde seines Herrn und Meisters hat er, sie möchten den Seinen kein Leid tun und überließ sich dann ihren Händen. Als die furchtbaren Wunden sein Leben verbluten ließen, bat er Gott bis zum letzten Atemzuge, er möge seinen Mördern verzeihen.
4. Sein Martyrium und die Gegenwart
Das herrliche Martyrium brachte reichen Segen. Vor allem verlieh er den ruthenischen Bischöfen Festigkeit und Stärke. Nach Ablauf von zwei Monaten erklärten sie in einem Schreiben an das Heilige Kollegium der Propaganda (zur Ausbreitung des Glaubens): “Wir sind freudig bereit, Blut und Leben für den katholischen Glauben hinzugeben, wie einer der Unsrigen es uns vorgetan.” Groß war die Schar jener, die in den Schoß der Kirche zurückkehrten. Unter ihnen befanden sich sogar die Mörder des Heiligen.
Auch heute wie vor dreihundert Jahren ist das Blut des heiligen Josaphat ein Unterpfand des Friedens und ein Sinnbild der Einheit. Wir sagen: heute erst recht, da die armen slawischen Länder von vergossenem Bruderblut gerötet, von stürmischen Unruhen aufgewühlt sind und da die Raserei mörderischer Kriege die Erde mit Blut getränkt hat. Wir glauben die Stimme dieses Blutes zu vernehmen, “das da lauter ruft als das Blut Abels” (Hebr 12, 24). Mit den Worten Jesu Christi spricht es zu den slawischen Brüdern: “Ohne den Hirten sind die Schafe zerstreut. Mich erbarmt des Volkes”. Und wirklich, wie beklagenswert ist das Geschick dieser armen menschen! Wie furchtbar sind die Entbehrungen! Wie viele sind aus der Heimat vertrieben! Wie viele Leiber sind vernichtet, wie viele Seelen verdorben! Kaum können Wir Uns in der Vaterliebe Unseres Herzens der Tränen erwehren, wenn Wir den Blick auf dies unglückselige Schicksal der Slawen richten, das ja an Furchtbarkeit die beklagenswerten Zustände zur Zeit unseres heiligen vielfach übertrifft.
Um diese schwere Last des Leidens zu lindern, haben Wir Uns bemüht, den Unglücklichen zu helfen. Kein irdisches Ziel lenkte Unser Tun, und Wir hatten nur durch den einen Wunsch, allen Bedürftigen ohne Unterschied, den Ärmsten aber zuerst beizustehen. Doch einer solchen Not war Unser Vermögen leider nicht gewachsen. Auch konnten Wir nicht verhindern, dass im gleichen Maße, wie die Verachtung der Religion um sich griff, die Verstöße gegen Wahrheit und Sitte sich mehrten und ein solches Maß erreichten, dass man in einigen Gegenden brave Christenmenschen und selbst Priester und Bischöfe einkerkerte oder gar tötete.
5. “… dass alle eins werden” (Mittel, Wege, Ziele)
In all diesem Leid kommt Uns ein starker Trost aus dem festlichen Gedenken an den großen slawischen Bischof. Es bietet sich Uns die willkommene Gelegenheit, der väterlichen Liebe, die Wir für alle Slawen des Orients empfinden. Ausdruck zu verleihen und ihnen in der allgemeinen Einheit der heiligen Kirche die Krone des Glückes zu verleihen.
a) Das Vorbild und die Liebe
Zu dieser Einheit rufen Wir mit inständiger Mahnung die Getrennten und möchten, dass alle Christgläubigen nach dem Willen und dem Vorbild des heiligen Josaphat mit gesammelter Kraft Uns bei dem schweren Werk helfend zur Seite stehen. Möchten sie alle sich bewusst sein, dass die Macht des Wortes und der Überredung bei weitem nicht in dem maße der Einheit vorarbeitet wie die vorbildliche Pflichttreue eines heiligmäßigen Lebens. Mehr als alles vermag aber die Liebe zu den slawischen Brüdern und den anderen Orientalen nach dem Apostelwort: “Habet dieselbe Liebe, seid einmütig und gleichgesinnt. Tuet nichts aus Lust am Zank oder aus Freude an eitlem Ruhm, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich selbst; keiner suche den eigenen Vorteil, sondern jeder den Nutzen des anderen.” (Phil 2, 2-4).
b) Gegenseitiges Verstehen
Die getrennten Orientalen sollten ihre Vorurteile aufgeben und sich bemühen, das wirkliche Leben der Kirche kennen zu lernen. Sie sollen die römische Kirche nicht für die Verfehlungen einzelner Menschen verantwortlich machen. Solche Verstöße werden ja von ihr selbst verurteilt und tatkräftig bekämpft. Auf der anderen Seite müssen aber auch die römischen Katholiken tiefdringender und in breiterem Umkreis sich mit den Sitten und Gebräuchen der Orientalen bekannt machen. Die innige Vertrautheit mit diesen Dingen trug zum Erfolg des Werkes Josaphats großenteils bei.
Diesen Überlegungen entsprang unser lebhaftestes Interesse an der Fortentwicklung des von Unserem erlauchten Vorgänger Benedikt XV., gegründeten Päpstlichen Orientalischen Instituts. Es ist Unsere Überzeugung, dass eine genaue Kenntnis des wirklichen Wesens der Dinge auf beiden Seiten gerechte Beurteilung und aufrichtig versöhnliche Gesinnung als schöne Blüte zeitigen wird. Kommt dann noch die Liebe Christi hinzu, so muss mit Gottes Gnadenhilfe das Werk der religiösen Einheit prächtig gedeihen.
c) Die Mahnung des Völkerapostels
Vom Atem solcher Liebe beseelt, mögen alle die Lehre des von Gott erleuchteten Apostels im Herzen tragen: “Kein Unterschied ist zwischen Juden und Griechen, alle haben einen Herrn, reich für alle ist er, die zu ihm rufen. (Röm 10, 12)” Und dann das Schwerere: gewissenhaft der Mahnung desselben Apostels Folge zu leisten und mit den Vorurteilen auch grundlose Verdächtigungen, Hass und Feindschaft, überhaupt alle der christlichen Liebe fremden Seelenregungen aus dem Herzen zu reissen und aus dem Sinn zu schlagen. Und abermals schreibt der heilige Paulus: “Belügt einander nicht, zieht nicht den alten Menschen samt seinen Werken und zieht den neuen menschen an, der da neu wird in der Erkenntnis nach dem Ebenbild dessen, der ihn geschaffen hat: So ist da nicht Heide und Jude …, nicht Barbar und nicht Skythe, weder Knecht noch Freier, sondern Christus Alles in Allen” (Kol 3, 9-11).
d) Völkergemeinschaft und Kirchenunion
Wenn die einende Liebe bei den Einzelmenschen und bei den Völkern eigekehrt, dann ist auch für die Kirche die Stunde der Vereinigung gekommen, und alle, die aus irgend einem Grund von ihr getrennt sind, werden in ihrem Schoß heimkehren. Nicht Menschenweisheit wird das Werk der Einigung zu Ende führen, sondern allein die Güte Gottes. Er “kennt kein Ansehen der Person” (Apg 10, 34) und “machte keinen Unterschied zwischen uns und jenen” (Apg 15, 9). Dann werden die vereinigten Völker aller Rassen und Sprachen und die Anhänger der verschiedenen heiligen Riten gleiche Rechte genießen. Diese Riten hat die römische Kirche stets voll Ehrfurcht heilig gehalten und ihre Beibehaltung angeordnet. Sie schmückt sich mit ihnen wie mit kostbaren Gewändern “gleich einer Königin in goldenem Kleide, von buntem Glanz umflossen” (Ps 44, 10).
Die Völkergemeinschaft im Rahmen der allgemeinen Einheit ist also vor alle Gottes Werk und nur unter Gottes Schutz und mit Gottes Hilfe zu erlangen. Darum wollen wir mit frommen und heißen Bitten den Vater bestürmen nach den Lehren und dem Beispiel des heiligen Josaphat, welcher durch sein Vertrauen auf die Kraft des Gebetes am wirkungsvollsten im Sinne der Einheit tätig gewesen ist.
e) Verehrung des Fronleichnams und der Jungfrau Maria
Unter seinem Schutze und unter seiner Führung wollen wir auch das Heiligste Sakrament des Altares verehren, das sicherste Unterpfand und den Quellgrund der Einheit. Die Liebe zu diesem Geheimnis des Glaubens uns sein eifriger Empfang haben die slawischen Orientalen auch nach ihrer Trennung von der römischen Kirche vor noch schlimmeren Irrtümern bewahrt. Darum dürfen wir hoffen, dass sich erfüllt, was die Kirche als Mutter bei der Feier der heiligen Geheimnisse in frommem und gläubigem Vertrauen erfleht: Gott “möge gnädig die Gaben der Einheit und des Friedens verleihen, welche durch die Darbringung des Opfers auf geheimnisvolle Weise versinnbildlicht werden (Stillgebet der Fronleichnamsmesse). Das ist das Gebet, in dem sich Lateiner und Orientalen bei der Darbringung des Heiligen Opfers vereinigen. Die Angehörigen der Ostkirche bitten “den Herrn um die Einheit aller”, die römischen Katholiken erflehen von Christus dem Herrn “er möge auf den Glauben Seiner Kirche schauen und ihr nach Seinem Ratschluss Frieden und Einheit schenken” (Messkanon).
Als weiteres einendes Band verknüpft uns mit den Slawen des Ostens deren tiefe und gläubige Verehrung der hohen jungfräulichen Mutter Gottes. Darin unterscheiden sie sich von anderen Irrgläubigen und stehen uns nahe. Diese Liebe zur Gottesmutter glänzte besonders hell im Leben des heiligen Josaphat, und er setzte großes Vertrauen auf ihre mitreißende Kraft als Mittel der Wiedervereinigung. Darum trug er nach orientalischer Sitte stets ein kleines Bild der Mutter Gottes, die von den Mönchen des heiligen Basilius und in Rom als Madonna von der Trift (del pascolo) in der Kirche der heiligen Sergius und Bacchus von den Christgläubigen beider Riten in frommem Glauben verehrt wird. Mit diesem Namen wollen wir nun unsere gütige Mutter anrufen. Möge sie unsere getrennten Brüder auf die gute Weide zurückführen. Dort lebt Petrus fort in seinen Nachfolgern, dort weidet und behütet er als Statthalter des ewigen Hirten Lämmer und Schafe der christlichen Herde.
6. Anrufung der Heiligen
Wir wollen endlich in einem Vorhaben von so großer Tragweite alle Heiligen des Himmels um ihren Beistand bitten, besonders aber jene, die früher bei den Orientalen wegen ihrer Weisheit und Heiligkeit in hohem Ansehen standen und noch heute vom Volke gläubig verehrt werden. Vor allen anderen möge Josaphat unser Fürsprecher sein, der während seines Erdenlebens die Sache der Einheit mit Starkmut vertrat und jetzt bei Gott ihr starken Schutz und guten Fortgang erlangen möge. – Wir rufen zu ihm mit den bittenden Worten Pius IX., Unseres Vorgängers unsterblichen Gedenkens: “Heiliger Josaphat, möge dein Blut, das du für die Kirche Christi vergossen hast, zum Unterpfand der Einheit mit dem Apostolischen Stuhle werden. Sie war ja der heiße Wunsch deines Herzens, Tag und nacht hast du sie von Gott dem Allmächtigen erfleht. Wir bitten dich, sei du bei Gott und dem ganzen himmlischen Hofe unser beharrlicher Fürsprecher, damit uns endlich diese Einheit werde.”
Als Zeichen der göttlichen Gnade und als Erweis Unseres Wohlwollens erteilen Wir Euch, ehrwürdige Brüder, Eurem Klerus und Eurem Volke aus liebendem Herzen Unseren Apostolischen Segen.
Gegeben zu Rom, bei St. Peter, am 12. November 1923 im zweiten Jahr unseres Pontifikats
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