Unser Sonntag: Das Opfer Christi

In seinem Kommentar zum Sonntagsevangelium erläutert Kaplan Leonard Skorczyk, wie der Opferkult zu Zeiten Jesu aussah – und was für ein echtes Opfer notwendig ist

Quelle
Evangelium/Lesungen
Gemeinschaft – Teilhabe – Sendung

Kaplan Leonard Skorczyk, Regensburg

Mk 10, 35–45

Ich freue mich, dass wir einen weiteren Sonntag das Wort Gottes hören können und dadurch Jesus Christus besser kennenlernen. Wenn wir die Texte der Bibel hören, kommt bei manchen von uns ein Problem auf, das vor Kurzem eine junge Christin mir gegenüber eindeutig formuliert hat: Was interessiert mich das Leben dieses einen alten Heiligen? Oder was interessiert mich das Leben irgendeines Apostels ausserhalb der Bibel? Warum sollte mich das interessieren: mir geht es nur um meine Beziehung mit Christus!

Wir brauchen Begleiter im Glauben

Abgesehen von meiner Familie, dem Pfarrer und wenigen Gemeindemitgliedern wirkte es für mich beinahe so, als ob es sonst keine weiteren Katholiken mehr gäbe. Dies hat sich schnell in meinem jungen Glaubensleben niedergeschlagen und ich hatte häufig den gleichen Eindruck: “Ich brauche auch keinen anderen. Wenn ich bete und Jesu Gebote halte, dann weiss er das doch. Wofür bräuchte ich eine weitere Gemeinschaft oder eine Gruppe, die mir das bestätigt?” Es hat nicht lange gebraucht, bis dieses Gedankenkonstrukt für mich zusammenstürzte! Ich merkte schnell, dass wir ohne die Erstverkündiger und Begleiter im Glauben, ohne uns korrigierende Menschen, schnell leer dastehen. Es geht hier so um das Thema eines gewissen spirituellen Individualismus gegenüber eines spirituellen Kollektivismus. Gerade für Christen, die sich nach der Aufklärung und bis jetzt immer verstärkter in einer individualistischen Gesellschaft befinden, ist die Auseinandersetzung mit diesem Thema wichtig. Die Antike dachte nämlich anders!

Der stellvertretende Charakter des Erlösungswerkes

Wenn wir uns mit dieser Perspektive den heutigen Texten nähern und an die Bibel herantreten, kann die Frage aufkommen: Was hat dieser Jude, der vor 2000 Jahren gelebt hat, was hat sein Wirken und Tod mit mir zu tun? Deswegen blicken wir heute auf den stellvertretenden Charakter des Erlösungswerkes Christi und überlegen, warum er nicht spirituell individualistisch betrachtet werden kann. In unserem Evangelium (Mk 10, 35–45) begegnen uns die zwei Zebedäussöhne. Sie haben den Namen Donnersöhne von Christus nicht umsonst bekommen und zeigen uns dies hier. Sie werden uns mit ihren Schwächen dargestellt und zeigen uns so auf, wie auch wir eventuell gehandelt hätten. Jakobus und Johannes treten zu Christus und erfragen sich von ihm großen weltlichen Ruhm und Macht. Jesus weist sie stark zurück und erklärt ihnen stattdessen, dass er das Lösegeld für viele und das stellvertretende Opfer für die Menschheit ist. Diese wunderschöne und bedeutende Stelle liegt mir mitunter besonderes am Herzen, weil sie mein Primizspruch geworden ist. Alle diese Texte sind auch bei meiner Primiz vor 3 Monaten erklungen!

„Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen“

Wenn sich Jesus Christus so nicht als irdischer Herrscher darstellt und damit die Vorstellungen den Zebedäussöhne ablehnt, dann liegt es an uns zu verstehen, was er stattdessen den Jüngern als Erklärung mitgibt. Diese Formulierung des Herrn weist durch die Wortwahl auf Opfer-, Tempel- und Erlösungstexte hin. Die Juden der damaligen Zeit verbanden damit all ihre Erinnerungen und ihr Wissen um den Opfer- und Sühnekult des Tempels.

Der Opferkult zu Zeiten Jesu 

Wie funktioniert jedoch die damals auf Gemeinschaft und Stellvertretung basierte Opfertheologie? Sie ist verkürzt zusammenzufassen durch 3 Elemente: Es benötigt einen Opfernden, etwas oder jemand Geopferten und denjenigen, dem die Frucht des Opfers zuteil wird. An diesem Sonntag werden uns zu der Evangeliumsstelle auch zwei passende andere Lesungen gestellt. Sie sind sehr praktisch dafür, uns das Verständnis zu erleichtern von wem, was und für wen hier geopfert wird. Im vierten Kapitel des Hebräerbriefes hören wir, dass Jesus Christus unser neuer und vollkommender Hohepriester ist. Ein Priester ist ein Stellvertreter Gottes vor dem Volk und der Stellvertreter der Menschen vor Gott. Er bringt Opfer zur Versöhnung dar.

Jesus ist der Hohepriester

Der Hohepriester ist der höhst Erwählteste, nur er durfte am Versöhnungstag den letzen Vorhang zum Allerheiligsten durchschreiten und stellvertretend Versöhnung für das ganze Volk erlangen. Er durfte sich in die Präsenz Gottes wagen. Hierauf wird angespielt wenn wir lesen: Da wir nun einen erhabenen Hohepriester haben, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, den Sohn Gottes, lasst uns an dem Bekenntnis festhalten. (Hebr 4,14) Die Rolle des Hohepriesters wird von Christus eingenommen und vervollständigt. Er schritt seit Anfang der Zeit und Schöpfung durch die Himmel und ist selbst die höchste Form der Präsenz Gottes auf Erden.

„Wir haben ja nicht einen Hohepriester, der nicht mitfühlen könnte mit unseren Schwächen“

Weiter lesen wir: Wir haben ja nicht einen Hohepriester, der nicht mitfühlen könnte mit unseren Schwächen, sondern einen, der in allem wie wir versucht worden ist, aber nicht gesündigt hat. (Hebr 4,15) Das Problem, dass wir uns mit einem solchen neuen und erhabenen Hohepriester nicht mehr so einfach identifizieren können, wird konfrontiert und aufgelöst. Denn durch die Betonung der ganzen Gottheit verbunden mit der vollen Menschlichkeit Jesu, haben wir einen Fürsprecher, der unsere Schwächen kennt und sie selbst erlebt hat.

Wir haben Grund zur Zuversicht

Deshalb wird es hoffnungsvoll im letzten Vers: Lasst uns also voll Zuversicht hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Erbarmen und Gnade finden und so Hilfe erlangen zur rechten Zeit! (Hebr 4,16). Die erste Notwendigkeit für ein Opfer, der das Opfer darbringende, ist hier also mit Jesus Christus identifiziert! Er ist der Opfernde, der für uns das Opfer vor Gott darbringen kann und dadurch unser Stellvertreter ist.

Gleichzeitig hörten wir zuvor: Der Menschensohn ist gekommen um sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. Er zeigt sich uns also zugleich auch als das Opfer, das dargebracht wird. Er bringt uns also auch die zweite Notwendigkeit: jemand Geopferten. Was im alten Bund ein Tier war, ist jetzt Christus selbst. Um dieses schwer zu fassende Mysterium zu verstehen, haben sich die frühen Christen schnell einen weiteren Text zu Hilfe gezogen.

Der Gottesknecht

Wir hören im 53. Kapitel des Buchs Jesaja von dem leidenden Gottesknecht, der aber durch sein Leiden gottgefällig ist und für andere so stellvertretend Heil erlangt: Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt. Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Vergehen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Züchtigung auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt. Nachdem er vieles ertrug, erblickt er das Licht. Er sättigt sich an Erkenntnis. Mein Knecht, der gerechte, macht die Vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich. (Jes 53 4.5.11) Die junge christliche Gemeinde, die schnell die Bedeutung der Worte Christi erklären, und verstehen musste, wie dieser Hohepriester Jesus Christus auch das Opfer sein kann, nahmen schnell dieses Gottesknechtslied in seiner wahren Bedeutung zur Unterstützung.

…als Lösegeld für viele

Wir können so besser verstehen was es bedeutet: Sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. Und aus diesen beiden Bibelstellen und in ihrem Kontext können wir auch heraushören, dass die dritte Komponente jedoch nicht Jesus Christus sein kann. Er bedarf ja nicht der Frucht eines Opfers, er braucht keine Sühne oder Versöhnung und keinen Stellvertreter. Er hat sich selbst dargebracht für uns, damit wir die Wirkung daraus erlangen! „Er lädt ihre Schuld auf sich“ & „lasst uns also voll Zuversicht hinzutreten zum Thron der Gnade“.

Wir erkennen so also, dass diese Opfertheologie und die kollektive Denkweise der Antike hier eine große Rolle spielt und nur so der stellvertretende Opfercharakter Christi bedacht werden kann. Wenn wir in diesem Kontext spirituell individualistisch denken, müssten wir unsere Schuld selber tragen und selbst Erlösung erlangen. Das ist der Unterschied zwischen dem Christentum und einer anderen, z.B. der esoterischen Spiritualität. Dort erlöse ich mich selbst, finde einen Weg zu Erleuchtung, erlange Heil oder Gnade selbst – oder versuche es zumindest. Christen können diesen Weg nicht gehen, denn sie haben nur einen Stellvertreter und einen Fürsprecher: unseren Herrn Jesus Christus. Er, der sich selbst hingegeben hat, als Lösegeld für viele.

Eine kleine Gewissenserforschung: 

Ich will noch einige Anfragen stellen, die uns helfen können, diese Abwägung selber besser treffen zu können. Anfragen an uns selbst und unsere eigene Reflexion: Verstehe ich, dass ich Teil einer Gemeinschaft bin und, dass Gott dies so gewollt hat? Das kann eine Pfarrgemeinde, ein Gebetskreis, eine spirituell fruchtbare Freundschaft, die eigene Familie oder eine Ordens-/ Priestergemeinschaft sein. Kann ich die wertschätzen, die mir meinen Glauben vermittelt, gestärkt ode ihn korrigiert haben? Eltern, Religionslehrer oder Priester, eine Person, die mich zur Bekehrung geführt hat oder ein Lehrer des Glaubens, wie unsere Bischöfe. Sehe ich meine christlichen Brüder und Schwestern als Konkurrenz an, oder als Weggefährten, die mir helfen können. Will ich mit anderen aus der Erfahrung leben, dass Christus stellvertretend für alle Menschen gestorben ist? Nicht nur für die jetzigen Christen, sondern für alle Menschen anderen oder keines Glaubens, die dessen würdig wirken oder nicht. Verstehe ich, dass Christus für mich absolut persönlich, aber eben auch für jeden anderen mit dieser persönlichen Liebe gestorben ist?

„Lassen wir uns durch Christus verändern“

Geliebte Brüder und Schwestern! Wenn wir uns also manchmal überlegen, ob wir es alleine schaffen, ob wir andere brauchen und ob wir Teil einer Gemeinschaft sind, und so Anteil an stellvertretenden Taten haben können, dann lassen wir uns durch Christus verändern! Seien wir dankbar dafür, dass wir durch unseren Stellvertreter Christus und in der Gemeinschaft der Kirche große Hoffnung auf das ewige Leben haben. Auch wenn der stellvertretende Charakter des Opfers Christi für uns wahrscheinlich schwerer zu verstehen ist als für die ursprünglichen, antiken Adressaten, müssen wir uns Mühe geben, dies besser zu verstehen und so zu erfahren, warum es für uns lebens- und weltverändernde Bedeutung hat! Freuen uns wir so an der Liebe, die Christus uns dadurch gezeigt hat, dass er nicht gekommen ist sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen, und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.

(radio vatikan – redaktion claudia kaminski)

16 Oktober 2021, 09:28

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