Der Petrusnachfolger bei der Wohnstätte Abrahams
Irak – Der Petrusnachfolger bei der Wohnstätte Abrahams: “Frieden erfordert weder Sieger noch Besiegte”
Ur, Fidesdienst, 6. März 2021
“Auf diesem Platz vor der Wohnstätte unseres Vaters Abraham scheint es, als würden wir nach Hause zurückkehren”.
Nachdem Papst Franziskus in Nadschaf vom Grossen Ayatollah Ali al Sistani (Foto) empfangen worden war, begann er mit diesen Worten seine Rede in der Ebene von Ur, einem der Schlüsselmomente seines Besuchs im Irak. “Das interreligiöse Treffen mit Vertretern aller im Land anwesenden Glaubensgemeinschaften verstehe sich als Zeichen des Segens und der Hoffnung für den Irak, für den Nahen Osten und für die ganze Welt”, im Vertrauen dass “der Himmel der Erde nicht müde geworden ist: Gott liebt jedes Volk, jede seiner Töchter und jeden seiner Söhne!”
In seiner Ansprache, der Lesungen aus dem Buch Genesis und dem Koran sowie vier Zeugenberichte vorausgegangen waren, verglich der Papst Abrahams Reise von Ur in das verheissene Land mit der Reise aller Glaubenden und der gesamten Menschheitsfamilie durch die Finsternis der heutigen Zeit und bezeichnete sie als “Traum Gottes”, der alle Menschen geschaffen hat, um glücklich zu werden. “Gott forderte Abraham auf”, so der Papst, “zum Himmel hinaufzusehen und die Sterne zu zählen (vgl. Gen 15,5). In diesen Sternen sah er die Verheissung seiner Nachkommenschaft, sah er uns. Und heute ehren wir – Juden, Christen und Muslime – gemeinsam mit den Brüdern und Schwestern anderer Religionen unseren Vater Abraham, indem wir es ihm gleichtun:
Wir sehen zum Himmel hinauf und gehen unseren Weg auf Erden.”
Glaubende, so der Papst, seien berufen, ihren Weggefährten zu helfen, “den Blick und das Gebet zum Himmel zu erheben, und sich bewusst zu werden, dass der Mensch nicht allmächtig ist”, denn “allein kann er es nicht schaffen. Und wenn er Gott ausschliesst, betet er am Ende die Götzen seiner Hände an”.
In der Welt von heute, “die den Allerhöchsten oft vergisst oder ein verzerrtes Bild von ihm bietet, sind die Gläubigen aufgerufen, seine Güte zu bezeugen und seine Väterlichkeit durch die Geschwisterlichkeit sichtbar zu machen” und zu bekräftigen, “Gott ist barmherzig und die grösste Beleidigung und Lästerung ist es, seinen Namen zu entweihen, indem man den Bruder oder die Schwester hasst. Feindseligkeit, Extremismus und Gewalt entspringen nicht einer religiösen Seele – sie sind Verrat an der Religion. Und wir Gläubigen dürfen nicht schweigen, wenn der Terrorismus die Religion missbraucht”.
Im Gegenteil, so der Papst weiter “es liegt an uns, Missverständnisse durch Klarheit aufzulösen”. In diesem Zusammenhang erinnerte der Papst an die “die dunklen Wolken des Terrorismus, des Krieges und der Gewalt” unter der alle ethnischen und religiösen Gemeinschaften im Irak gelitten haben. Der Papst erwähnte insbesondere die jesidische Gemeinschaft, “die den Tod vieler Männer zu beklagen hatte und mit ansehen musste, wie tausende Frauen, Mädchen und Kinder entführt, als Sklaven verkauft sowie körperlicher Gewalt und Zwangskonvertierungen unterworfen wurden”. Dabei erinnerte er auch an die Zerstörung von Kirchen, Klöster und Gebetsstätten verschiedener Gemeinschaften und erwähnte das Beispiel von jungen muslimischen Freiwilligen von Mossul, “die bei der Wiederinstandsetzung von Kirchen und Klöstern geholfen und so auf den Trümmern des Hasses brüderliche Freundschaften aufgebaut haben”.
Der Blick zum Himmel, so der Papst “lenkte Abraham nicht davon ab, sondern ermutigte ihn, seinen Weg auf Erden zu gehen, sich auf eine Reise zu begeben, die durch seine Nachkommen alle Jahrhunderte und Orte umfassen sollte”. Die Reise Abrahams von Ur nach Kanaa, “war also ein Aufbruch, der mit Opfern verbunden war: Er musste Land, Haus und Familie verlassen”. Ähnliches geschehe auch mit uns, so der Papst, “Auf unserem Weg sind wir aufgerufen, die Bindungen und Formen von Anhänglichkeit hinter uns zu lassen, die uns in unseren eigenen Gruppen einschliessen und daran hindern, Gottes grenzenlose Liebe anzunehmen und in den anderen unsere Brüder und Schwestern zu sehen”. Gerade die Pandemie habe gezeigt, so der Papst “dass niemand sich alleine retten kann”, und betont “die Abschottung wird uns nicht retten, ebenso wenig wie der Rüstungswettlauf und die Errichtung von Mauern; dies wird uns vielmehr immer weiter entfernen und mit Wut erfüllen. Es wird uns nicht die Vergötzung des Geldes retten, die uns verschliesst und Abgründe der Ungleichheit hervorbringt, in welche die Menschheit versinkt. Es wird uns nicht der Konsumismus retten, der den Verstand betäubt und das Herz lähmt.” Denn “Der Weg, den der Himmel für unsere Reise angibt, ist ein anderer, nämlich der Weg des Friedens” und dies erfordere, “besonders im Sturm, dass wir auf der gleichen Seite gemeinsam rudern”. Und es sei unwürdig, “dass jemand gierig an seine Geschäfte denkt, während wir alle von der Krise der Pandemie heimgesucht werden, speziell hier, wo Konflikte so viel Elend verursacht haben”.
Es wird keinen Frieden geben, fügte der Papst hinzu, “solange Bündnisse gegen jemanden bestehen, denn Bündnisse der einen gegen die anderen verstärken nur die Spaltungen”, während Frieden weder Sieger noch Besiegte erfordere, “sondern Brüder und Schwestern, die trotz der Missverständnisse und Wunden der Vergangenheit den Weg vom Konflikt zur Einheit gehen”. Deshalb bat der Papst auch um das Gebet für den ganzen Nahen Osten und besonders für “das gepeinigte Nachbarland Syrien”. Heute liege es an uns Menschen und vor allem an uns Gläubigen jeder Religion, “die Werkzeuge des Hasses in Werkzeuge des Friedens zu verwandeln” und “die gegenseitigen Beschuldigungen zum Schweigen zu bringen, um dem Schrei der Unterdrückten und Ausgestossenen auf dem Planeten eine Stimme zu geben”, und dabei “Licht in die zwielichtigen Machenschaften rund um das Geld zu bringen und mit Nachdruck einzufordern, dass das Geld nicht immer nur dem masslosen Wohlstand einiger weniger dient”.
Und man müsse wie Abrahahm “konkrete Schritte tun”. “Um vorwärts zu gehen, müssen auch wir gemeinsam Gutes und Konkretes tun”, betont Papst Franziskus.
“Das ist der Weg, vor allem für die jungen Menschen. Es darf nicht sein, dass sie ihre Träume von den Konflikten der Vergangenheit zerstört sehen!”.
“Gerade durch die Gastfreundschaft, ein charakteristisches Merkmal dieser Region”, so der Papst abschliessend, “erhielt Abraham den Besuch Gottes und das schon nicht mehr erhoffte Geschenk eines Sohnes. Wir, Brüder und Schwestern verschiedener Religionen, haben uns hier – zu Hause – eingefunden, und von hier aus wollen wir uns gemeinsam für die Verwirklichung des Traumes Gottes einsetzen: dass die Menschheitsfamilie für alle ihre Kinder gastfreundlich und aufnahmebereit werde; dass wir mit dem Blick zum selben Himmel in Frieden unseren Weg auf der gleichen Erde gehen”.
(GV)
Fides 6/3/2021
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